Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7.

Diesen Augenblick ertappe ich mich bey einer häßlichen Unart. – O Sohn des Iketas, wie weit bist du noch entfernt so weise zu seyn, als du närrisch aussiehest – Ungeduldig darüber zu werden, daß du von einem Menschen, der dir Ehre anzuthun glaubt, und nicht zu wissen schuldig ist daß du eben träumen willst, in deinen Träumereyen gestört wirst! – Fy! das hättest du von einer langbeinigen Spinne, von einer Wespe oder Hornisse leiden müssen. – Ich will euch den ganzen Handel erzählen.

»Du bist müßig, Diogenes?« sagte er

Nach meiner Gewohnheit, antwortet' ich.

»So setze ich mich zu dir.«

Wenn du nichts bessers zu thun hast.

»Auf der Welt nichts, außer daß ich auf dem Markte seyn sollte. Die Sache des armen Lamon wird entschieden. Sein Vater war ein guter Freund unsers Hauses. Ich denke, er wird Mühe haben, seinen Feinden dießmahl zu entwischen. Ich bedaure ihn. Ich hatte mir gestern vorgenommen, für ihn zu sprechen; – aber ich bin heute gar nicht aufgelegt. – –«

Nicht aufgelegt? Und Lamons Vater war ein Freund deines Hauses? – und der arme Lamon ist in Gefahr?

»Wie ich dir sagte, mein Kopf ist heute zu nichts gut. Wir schmauseten gestern beym Klinias. Es währte die ganze Nacht hindurch. Wir hatten Wein der Götter, Tänzerinnen, Mimen, Filosofen, die sich erst zankten, hernach besoffen, hernach den Tänzerinnen – genug, wir hatten alles was zu einer vollständigen Kurzweil gehört. –«

Das ist alles ganz hübsch, wenn du willst – aber der arme Lamon!

»Wer kann sich helfen? Er dauert mich, wie ich sage. Er ist ein ehrlicher Mann, – und hat eine tugendhafte Frau, – eine sehr tugendhafte Frau!«

Und eine schöne Frau vermuthlich?

»Sie kam gestern mir ihres Mannes Sache zu empfehlen. Sie hatte zwey Kinder zwischen drey und fünf Jahren bey sich – liebliche kleine Geschöpfe. Sie war nicht sehr geputzt, aber ihre Gestalt und Miene überraschte mich. Sie warf sich mir zu Füßen; sie sprach mit Hitze für ihren Mann: – Es ist unmöglich, daß er schuldig seyn kann; er ist der ehrlichste Mann, der zärtlichste Vater, der beste Freund; – gewiß, er kann nichts unedles aus Vorsatz gethan haben; helfen Sie ihm, Sie können es. – Ich machte ihr Einwendungen: sie widerlegte mich. Ich stellte ihr die Schwierigkeit vor, da er so viele Feinde hätte. – Er habe sie bloß weil er mehr Verdienste als Vermögen habe, sagte sie. – Ich zuckte die Achseln. – Sie weinte, und die beiden artigen kleinen Geschöpfe fingen auch an, da sie ihre Mutter so heftig reden und weinen sahen, schlangen ihre kleinen Arme um ihre Knie, und fragten sie ängstlich: Wird uns dieser Mann unsern Vater nicht wieder geben? – Ich versichre dich, die Scene war rührend; ich hätte funfzig MinenSechzig Minen machten ein Attisches Talent, dessen Betrag man, in runder Summe, für zwölf hundert Reichsthaler unsers Geldes annehmen kann. um einen guten Mahler gegeben, der mir auf der Stelle ein Gemählde daraus gemacht hätte –«

Wirklich? – Konntest du in jenem Augenblick einen solchen Gedanken haben?

»Ich versichere dich, Diogenes, es wäre des Geldes werth gewesen. In meinem Leben sah ich die Schönheit in keiner rührendern Gestalt. Ihr Busen schlug unter ihrem Halstuche so stark empor, daß ich ihn zu fühlen glaubte. Alles war Seele und Grazie an der reitzenden Sirene. Ich sagte ihr: Madam, ich will das möglichste versuchen; was würde man nicht für eine Frau unternehmen wie Sie sind? – Ich muß jetzt zu Klinias; er giebt diesen Abend ein Fest: aber ich will mich vor Mitternacht los reißen. Kommen Sie um diese Zeit wieder; mein Kammerdiener soll Sie in mein Kabinet führen, und wir wollen dann auf ein Mittel denken, wie Ihrem Manne geholfen werden kann. Das meiste wird von Ihnen selbst abhängen. – Kannst du dir einbilden, Diogenes, was die Närrin that? – Sie raffte sich mit einem Zorne, der sie noch zehnmahl schöner machte, – ich hätte sie gleich dafür umarmen mögen – vom Boden auf, eh' ich noch ausgeredet hatte, und ein verächtlicher Blick war ihre ganze Antwort. Ich winkte meinem Kammerdiener und verließ sie. Ich kenne den Kerl; ich bin gewiß, daß er ihr alles sagte was man sagen kann; aber sie wollte ihn nicht anhören. Kommt, meine Kinder, sagte sie ohne ihn nur eines Blickes zu würdigen, indem sie die kleinen Geschöpfe an ihren Busen drückte: der Himmel wird für uns sorgen, – und wenn auch Er uns verläßt, so können wir sterben. – Du siehst, daß ich Ursache habe, sie eine sehr tugendhafte Frau zu nennen.«

Wie ich sehe, nur gar zu tugendhaft für die Erhaltung des armen Lamon! – O Chärea, Chärea – ists möglich? –

»Du bist in der Laune zu moralisieren, Diogenes! – Lebe wohl! Ich bin nicht aufgeräumt, wie ich dir sagte. Ich muß mich zerstreuen. – Willst du mit mir zu Thryallis gehen? – Mein Mahler nimmt das Modell zu einer Venus Kallipyga von ihr. Es wird ein treffliches Stück werden!«

Ich danke für dießmahl. – Der arme Lamon und seine schöne tugendhafte Frau mit den zwey lieblichen Kindern hat sich meiner so sehr bemächtigt, daß ich zu nichts anderm gut bin. Dein Mahler würde mit keinen Strich recht machen können, und könnte doch nichts dazu. – Gehe, Chärea, geh und überlaß mich meinen einsamen Gedanken!

Nein, ich will nicht denken; unsinnig müßt' ich werden, wenn ich in diesem Augenblick den Gedanken Gehör gäbe, die sich eindrängen wollen.

Ihr wißt doch, daß dieser Chärea einer von den berühmten Glücklichen zu Korinth ist?


 << zurück weiter >>