Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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14.

Wie? es sollte also nicht auch schöne Seelen geben, wie es schöne Gesichter giebt, die dere Kunst nichts schuldig, und gerade darum nur desto schöner sind?

Ich widerlegte einsmahls einen Sofisten, der die Bewegung aus der Welt hinaus demonstrierte, indem ich vor den Augen des Narren auf und ab ging.

Soll ich euch auf die nehmliche Art beweisen, daß es solche schöne Seelen giebt?

Ich werde euch vielleicht zu schiefen Urtheilen Anlaß geben: doch, denkt davon was ihr wollt; unsre Meinungen von einander können euch und mich nicht schlechter machen als wir sind. Überdieß erkläre ich hiermit, daß ich meine Geschichte allein der schönen Psyche und ihres gleichen erzähle. Ich kann niemanden verbieten zuzuhören; aber das versichre ich, daß ich keine Sylbe darum mehr noch weniger sagen werde, und wenn mir der ganze hohe Rath der Amfiktyonen zuhörte.

Ich hielt mich ehemahls (wie ihr wißt – oder auch nicht wißt) zu Athen auf, um von Plato reden, und von Antisthenes leben zu lernen. Einsmahls fügte sichs, daß ich Abends, zwischen Dämmerung und Nacht, ganz allein unter den Säulengängen des Keramikus herum schlenderte. Es war schon dunkel in der Halle, außer daß der stark erleuchtete Sahl eines nicht allzu nahen Gebäudes einige Stellen etwas heller machte.

Mit Hülfe dieser schwachen Helle sah ich einen Schatten auf mich zu schleichen, der sich im Annähern in eine weibliche Gestalt, und diese in die liebliche Figur eines Mädchens von sechzehn Jahren ausbildete. Sie war so leicht bekleidet, daß einem Theil ihrer Füße, und einem Busen wie man der Hebe zu geben pflegt, wenig zur Bedeckung blieb; und ihre langen blonden Haare flogen ungebunden um den Nacken.

Dieser Anblick setzte mich in einige Verwirrung; aber das war noch nichts. Das Mädchen breitete seine aufgestreiften Arme, deren Weiße aus der Dunkelheit hervor glänzte, mit jammervoller Geberde gegen mich aus, und sank mit dem Gesicht auf meinen Arm hin. Meine Verwirrung stieg aufs äußerste.

Jedoch faßt' ich mich ohne langes Besinnen. Ich schlang meinen rechten Arm um ihren Leib, drehte sie zugleich mit mir selbst um, und führte sie gerades Weges in eine kleine Hütte, die ich im Keramikus gemiethet hatte. Folgsam ließ sie sich führen, ohne ein Wort zu sagen. Sie schien ohne Kräfte und von Kummer erdrückt.

Wir kamen in meiner Zelle an. Ich setzte sie auf eine Art von Ruhebett, das, im Vorbeygehen zu sagen, nichts weniger als geschickt war wollüstige Ideen zu begünstigen. Ich machte Licht; und nun betrachtete ich meinen Fund mit aller Aufmerksamkeit die er zu verdienen schien.

Das Mädchen flößte mir – ich weiß nicht was ein, das mich weichherziger machte als ich gewöhnlich bin. Es war ein überaus angenehmes Gemisch von Mitleiden und Liebe. – Damit ich es ungestört genießen könne, gab ich ihr, unter dem Vorwande daß es kühl sey, eine Art von Mantel, womit sie ihren Busen und ihre Füße bedecken konnte.

Sie schien mich mit einiger Verwunderung anzusehen. Sie versuchte etwas zu sagen; aber ein Strom von Thränen erstickte ihre Stimme. Ich nahm sie in meine Arme, küßte sie, bat sie mit der sanftesten Stimme, die mir möglich war, Zutrauen zu mir zu fassen. – Sie schien sich aus meinen Armen winden zu wollen, aber so schwach, daß ein andrer es für eine Aufmunterung genommen hätte. Ich dachte anders. Ich glaubte, in ihren halb erloschnen Augen die Merkmahle einer schönen Seele zu sehen.

Ich konnte mich betrogen haben. – Denn die Umstände, – und der schöne Busen, und was Vater Homer ihre Rosenarme und Silberfüße genannt haben würde, – arbeiteten, die Wahrheit zu sagen, gewaltig in meiner Einbildung. Allein ich überließ mich mit vollem Vertrauen meiner Empfindung, und ihr werdet aus dem Erfolg sehen, ob ich mich betrogen habe.

Das erste, was das Mädchen nöthig zu haben schien, war einige Erfrischung; denn sie hatte das Ansehen einer gänzlichen Erschöpfung. Ich eilte also – Aber in der That, ich bitte euch um Verzeihung; ich vergesse, daß ich dieses Nachbild eines Originals, an dessen kleinste Züge ich mich mit Vergnügen erinnere, nicht für mich selbst mache.

Das Mädchen kam, nachdem sie etwas Speise und ein wenig Wein gekostet hatte, so gut wieder zu sich selbst, daß sie mir ihre Geschichte erzählen konnte. Mit niedergeschlagenen Augen hob sie an – Aber die Grazie ihres Ausdrucks, in ihrer Stimme, in ihrem ganzen Wesen, kann ich zum Unglück nicht in mein Nachbild übertragen.


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