Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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XXXV.

Menander an Dinias.

Als du vor mehr als sechs Jahren, bei Gelegenheit deiner Vermählung mit der edeln Kleariste, mich wegen meines vermeinten Weiberhasses schaltest, sagte ich dir zwischen Scherz und Ernst, wie das Mädchen beschaffen sein müßte, die meinen Flattersinn auf immer fesseln könnte. Nicht lange darauf glaubte ich diese Idee, die mir selbst, als ich sie dir mittheilte, ein bloßes Traumgebilde schien, in der reitzenden Kränzehändlerin von Sicyon verwirklicht zu sehen, und verliebte mich mit aller Schwärmerei, deren ich fähig bin in – das Geschöpf meiner Phantasie und meines Herzens. Erinnerst du dich noch, daß ich dir damals schrieb, das Schlimmste, was mir begegnen könnte, falls ich mich in meiner Erwartung getäuscht finden sollte, wäre, daß ich um eine Erfahrung reicher sein und mich in meiner bisherigen Denkart über die Weiber bestätigt finden würde? – Diese Erfahrung ist nun gemacht, lieber Dinias, und ich bedarf keiner neuen, um gänzlich überzeugt zu sein, daß alles, was in der Liebe über den Genuß der Sinne hinausgeht, eitel Zauberwerk und Selbsttäuschung ist. Aber wiederholte Erfahrungen haben mich auch belehrt, daß das letzte Ziel der Liebe ihr Grab ist. Seit ich dies sogar bei Glycera erfahren habe, wie könnt' ich länger an einer so alten, so bewährten, so allgemein anerkannten Wahrheit zweifeln? An wem die Schuld liege, ob an Glycera, oder an mir, oder an der guten Mutter Natur, die den Mann und das Weib so und nicht anders machte, mögen sie im Lyceon, oder in Epikurs Gärten aufs Reine bringen! Ich halte mich an die Sache selbst. Unläugbar war Glycera ein ungemein liebenswürdiges Mädchen. O daß sie nicht immer das liebliche, unbefangene, sich selbst unbekannte, alles nur ahnende, nur durch leises schüchternes Tasten sich wahr machende, anspruchlose, trauliche Kind bleiben konnte, das sie mit sechszehn Jahren war! – Thörichter Wunsch! und doch die einzige Bedingung, unter welcher der Zauber, womit sie mich umfangen hielt, ewig dauern konnte. – Ewig dauern, sagte ich? Sollte nicht auch dies bloße Einbildung sein? Es ist mehr als wahrscheinlich. Wenigstens begehre ich mich von dem Vorwurf der Liebe zur Veränderung nicht ganz freizusprechen. Eben derselbe Gegenstand, wie vollkommen er auch sein mag, immer gesehen, immer genossen, wird mir endlich gleichgültig; und, um mich fest zu halten, müßte das Weib, das ich liebe, alle Arten von Reitzungen, die unter das ganze Geschlecht vertheilt sind, in sich vereinigen und in ewiger Abwechselung nach und nach vor mir entfalten. Lache über meine Ungenügsamkeit so viel du willst, aber ehre meine Aufrichtigkeit; denn ich bin gewiß, daß ich aus der Seele aller Männer, dich selbst nicht ausgenommen, gesprochen habe. Und soll ich nun so einfältig treuherzig sein, den Weibern auf ihr Wort zu glauben, daß sie beständiger im Lieben seien, als wir? Das soll mir, beim Jupiter! keine weiß machen, nachdem mich die Erfahrung belehrt hat, daß ein Mädchen, das lauter Natur, Wahrheit und Gefühl war, – daß Glycerion selbst ihrer ersten Liebe ungetreu werden konnte.

Ungetreu? hör' ich dich ausrufen: hat sie denn einen Andern geliebt als dich? sich einem andern gegeben als dir? – Das sag' ich nicht, Dinias. Aber ist sie nicht ihren ersten Gesinnungen gegen mich, ihrem Versprechen immer dieselbe für mich zu bleiben und meiner kleinen Verirrungen wegen mich nicht weniger zu lieben, ungetreu worden? Ist sie immer das anspruchlose, zutrauliche Kind der Natur geblieben, das sie Anfangs war? und hat sie mir nicht mehr als Einen Beweis gegeben, daß sie von den gewöhnlichen Untugenden ihres Geschlechts, von Stolz, Eifersucht und Neigung, die Gewalt, die ihnen unsre Schwäche über uns giebt, zu mißbrauchen, nicht ganz frei ist? Hat sie sich nicht, zumal seitdem die Philosophin Leontion sich ihres Vertrauens bemächtigt, und ihr unvermerkt ihre eigene Denkart beigebracht hat, zu einem Selbstgefühl, einem Bewußtsein ihrer Liebenswürdigkeit erhoben, wovon an der kleinen Kränzehändlerin keine Spur zu sehen war? Es mag sein, daß von dem allen, ohne meine Verirrung mit der schönen Bacchis und neuerlich ohne meine Schwärmerei für die unwiderstehliche Nannion, vielleicht wenig oder nichts zum Vorschein gekommen wäre: aber hätte es jemals zum Vorschein kommen können, wenn es nicht da war? Doch das klingt ja, als ob ich, meine eigene Schuld zu erleichtern, ihr Vorwürfe machen wolle, und wozu bedürft' ich das? Gesteht sie nicht selbst, daß unsre Liebe im Grunde bloße Täuschung war? daß überhaupt alle Verhältnisse zwischen Mann und Weib, Kraft eines nothwendigen Naturgesetzes, auf wechselseitiger Täuschung beruhen? Meine Unbeständigkeit ist also durch sie selbst gerechtfertigt, und wir haben einander nichts vorzuwerfen; glücklich genug, wenn uns anstatt der Liebe, die mit unsern Schwüren davon geflogen ist, die Freundschaft bleibt, welcher es, weil sie an keine ausschließliche Vorrechte Anspruch macht, um so leichter wird, die Fehler und Schwachheiten des Freundes zu ertragen. Daß es beiden Theilen wenigstens nicht an gutem Willen fehle, einander diese Entschädigung zu gewähren, wirst du aus den angeschloßnen Abschriften der Absagebriefe ersehen, die zwischen uns gewechselt worden sind.

Ist es aber nicht sonderbar, daß unsre Sympathie sich sogar in dem Augenblick zeigen mußte, da wir uns von einander lossagten? Beide Briefe wurden, wie es scheint, in eben derselben Stunde geschrieben und abgeschickt. Unsre Briefträger begegnen einander auf halbem Wege. Eben gehe ich deinem Herrn diesen Brief zu bringen, sagt Glycerions Sklavin zu meinem Dromio. – Und ich diesen hier deiner jungen Frau, antwortet dieser. So könnten wir uns ja den halben Weg ersparen, und unsre Herrschaften bekämen ihre Briefe desto bälder, sagen Beide. Sie wechseln also die Briefe gegen einander aus, und wir erhalten Jedes den seinigen im nehmlichen Augenblick. Welcher Dichter hätte unserm erotischen Drama einen zierlichern Ausgang erfinden können?

Ich muß dir gestehen, Dinias, das unverhoffte Glück meinen Mitwerbern um die reitzende Nannion den Vorsprung abgewonnen zu haben, macht mich gegen die Trennung von Glycera unempfindlicher, als ich vielleicht sein sollte. Aber auch – welch ein Glück! – Ich sage dir nichts weiter, als daß mich sogar Jupiter darum beneiden würde, wenn die Zeiten nicht bei ihm vorüber wären, da ihn die Jo's, die Europen, die Kalisto's, die Leden und Antiopen zu so manchen nicht allzuanständigen Verwandlungen nöthigten. Wenn für die Olympier selbst endlich eine solche Zeit kommt, wär'es nicht thöricht von einem Sterblichen, wenn er eine Gelegenheit, wie diese, nicht bei ihrer fliegenden Locke faßte? Je gewisser ich (der bezaubernden Trunkenheit ungeachtet, womit das ahnungslose Mädchen sich seinen Gefühlen überläßt) voraussehen kann, daß mein Glück von keiner sehr langen Dauer sein wird, desto mehr liegt mir ob, dafür zu sorgen, daß ich mir, wenn diese Wonnetage vorüber sein werden, keinen Vorwurf machen müsse, auch nur einen Augenblick, dessen Genuß in meiner Gewalt war, leichtsinniger und undankbarer Weise verloren zu haben. Was kann ein Erdensohn mehr verlangen, als daß ihn das Andenken eines so hohen Lebensgenusses durch die ganze Zeit seines Daseins begleite?


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