Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XLII.

Menander an Dinias.

Wieder aus einem süßen Traum erwacht, Freund Dinias! Wenn Endymion in seinem langen Schlaf von solchen Träumen besucht wurde, so wird er sich bei dem, der ihn aufweckte, nicht sehr bedankt haben. Ich saß, wie Tantalus, an Jupiters Tafel, und schwelgte, gleich den Unsterblichen, in Nektar und Ambrosia. Aber es ist sehr zu besorgen, daß ich auch nun, da der Götterrausch verdunstet ist, zwischen Glycera, die ich um Nannions willen verscherzte, und Nannion, die mich dem Krösus Xanthippides aufopfert, mich wenig besser befinden werde, als Tantalus zwischen den köstlichen, zu ihm herabhängenden, Früchten, die er nicht erreichen kann, und dem frischen Wasser, das an seinen dörren Lippen vorbeifließt, ohne sie zu berühren. Die Erinnerung an den ehmaligen Genuß kann wohl den gegenwärtigen erhöhen, schärft hingegen auch das peinliche Gefühl, auf immer verloren zu haben was uns glücklich machte.

Doch, weg mit den albernen Klagen! Ich will nicht bedauert sein, Dinias! Ich bin um eine Menge goldner Erfahrungen reicher, und sobald der erste Schmerz des Verlusts verbraust sein wird, werde ich auch durch die bloße Erinnerung noch immer glücklicher sein, als zehentausendmal tausend andre im Gegenwärtigen sind. Unter allen Leidenschaften, die aus Pandorens Unglücksbüchse flogen, um die armen Sterblichen zu täuschen, zu necken und zu peinigen, kenne ich keine heillosere, niederträchtigere und hassenswürdigere als die Reue; und unter allen Arten von Reue die unsinnigste und lächerlichste wäre doch wohl, wenn ein Mensch sichs verdrießen lassen wollte, daß er glücklich war? – Wahr ists, so ganz unentgeltlich habe ich an der Göttertafel nicht geschmaußt. Alle meine Freunde behaupten, ich sei seit einigen Dekaden um zehen Jahre älter geworden. Wenn dem so wäre, so müßte es nur daher kommen, daß die Natur die Hastigkeit, womit der Überschwänglichglückliche die Zeit verschlingt, zum Maßstab genommen, und mir unvermerkt einzelne Tage und Nächte für Jahre angerechnet hätte. Indessen, falls es auch mit dem raschen Fortschritt meines Alters seine Richtigkeit hätte: so bedenke, daß ich dadurch um zehen Jahre klüger worden bin, und mich nun rühmen kann, daß Nannion (wenigstens so lange sie so hoch im Preise steht) nie wieder über meine Tugend siegen soll, wiewohl es in der That nicht an der letztern lag, daß ich die Sirene dem weisen Xanthippides abtreten mußte, der sie in den drei nächsten Monaten um bare fünf und zwanzig Talente für sich allein haben wird.

Ich bitte dich, bester Dinias, keine Moral über alle diese Geschichten! Sie springt so nackt und bloß von selbst daraus hervor, daß es ganz überflüssig wäre, sie mir noch, in Vernunftschlüsse eingekleidet und mit zierlichen Redensarten behangen, vorzuführen. Sei versichert, ich habe mir, seit ich meiner gewöhnlichen Besonnenheit wieder habhaft worden bin, alles Mögliche, was du mir sagen könntest, selbst gesagt; in manchen Stunden sogar mit Bitterkeit; und ich schwöre dir, daß mich dieser einzige Frühling in der Philosophie meines Meisters weiter vorwärts gebracht hat, als ich in allen zwei und dreißig Jahren meines Lebens gekommen bin. In ganzem Ernst, Dinias, ich fühle, daß es hohe Zeit ist, von meinen Verirrungen zurückzukommen, und mich der Liebe der Musen, deren Zauber doch über allen andern geht, gänzlich und einzig zu ergeben. Sie sind freilich auch – Mädchen, so gut wie andere, und haben mich schon manchmal, unwürdigen Nebenbuhlern zu lieb, zurückgesetzt. Aber am Ende lag die Schuld doch nur an mir selbst, und ich habe nun gute Hoffnung, sobald ich ihnen mit allem Eifer, dessen ich fähig bin, dienen werde, wenn gleich nicht der einzige, doch der erste ihrer Günstlinge zu sein.

Die schöne Glycera – wirklich dermalen schöner und reitzender als je – hat, seit unserm letzten Abenteuer mit den Absagebriefen, die Eroberung eines ziemlich liebenswürdigen Lesbiers gemacht, und, zum Überfluß, noch von einem alten Großoheim so viel geerbt, daß sie allenfalls einer sorgenfreien Unabhängigkeit sicher ist. Ich denke aber, Hermotimus, (so nennt sich der Lesbier) der mir einer von den gemäßigten rechtlichen Erdensöhnen scheint, die zur Beharrlichkeit im Lieben ausdrücklich zugeschnitten sind, werde zuletzt doch den Sieg über ihre Bedenklichkeiten davon tragen, und so glücklich durch sie werden, als Menander es hätte sein können, wenn er Hermotimus wäre.


 << zurück