Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Elftes Kapitel.

Unterdessen ritt Graf Albrecht auf Quedlinburg zu, und sein treuer Knecht Schatte trabte in kurzem Abstand hinter ihm her. Als sie über die Turnierbreite kamen und nun die stark befestigte Stadt vor sich liegen sahen, verdüsterten sich Albrechts Züge. Er gönnte den Städtern ihre rasch aufblühende Macht nicht, weil sich mit dem Bewußtwerden derselben ein unabhängiges Bürgertum innerhalb der Ringmauern zu bilden begann, das sich stolz und aufsässig gebärdete, die Oberhoheit eines Schirmvogtes nicht mehr für nötig hielt und dessen Einfluß auf das Stadtregiment mehr und mehr zu beschränken suchte.

Darum ritt er auch nicht am hohen Tore vorüber, um nicht den, wie er wußte, doch nur unlustig dargebrachten Ehrengruß der Wache erwidern zu müssen, sondern schwenkte rechts um den Münzenberg herum und ritt von dieser Seite her den Weg zur Königsburg hinauf.

Als er die Treppe im Innern des Schlosses erstiegen hatte, traf er auf dem Gange zu den Gemächern der Äbtissin die Pröpstin Kunigunde von Woldenberg, die ihm dort keineswegs zufällig begegnete, wie sie sich den Anschein gab, sondern seinen Auftritt glücklich erspäht und ihm nun hier aufgelauert hatte.

»Jesus mein Beistand!« rief sie, sich sehr überrascht stellend, »Herr Graf! laßt Ihr Euch endlich einmal wieder sehen? Wir sterben ja hier vor Sehnsucht nach Euch!«

»Das dacht' ich mir, gnädige Gräfin!« erwiderte Albrecht lachend, »darum komm' ich ja.«

»Ihr bringt doch hoffentlich Eure schöne, Eure liebliche Gefangene mit?« sprach sie; »wo habt Ihr sie denn?«

»Gebunden und wohlverwahrt im tiefsten Rattenturme.«

»Oh! oh! ein Spötter, ein Spötter seid Ihr, Herr Graf, wie es keinen zweiten gibt!« drohte sie schelmisch mit einem Lächeln, das in ihrem Antlitz tausend Falten spielen ließ.

»Es sei denn die Gräfin Kunigunde von Woldenberg,« sprach er höflich.

Dabei waren sie an die Tür eines Vorsaales gekommen, die Albrecht eben öffnen wollte, als die Pröpstin, im Begriff voranzugehen, bemerkte: »Nun, wir werden ja hören, was unsere liebe Domina dazu sagt, daß Ihr uns unsere Konventualin vorenthaltet, Herr Graf.«

»Gewiß,« erwiderte er, »ich werde die gnädige Frau bitten, Euch rufen zu lassen, sobald wir Eures erfahrenen Rates bedürfen.« Und mit einer tiefen Verbeugung entwischte er ihr durch die Tür, die er schnell hinter sich schloß.

Verblüfft stand sie da, um die Befriedigung ihrer Neugier geprellt.

»Bär!« schalt sie mit grimmigem Gesicht hinter ihm her und eilte zur Dekanissin, um in deren mitfühlender Seele ihrem Ärger Luft zu machen.

Dein Willkomm hier wird von knappen Maßen sein, dachte Graf Albrecht, während er bei der Äbtissin gemeldet wurde.

Sie kam ihm auch diesmal nicht so rasch und freudig entgegen wie das letzte Mal. »Man muß Euch rufen und bitten, Herr Graf, wenn man Euch sehen will,« sprach sie mit einem etwas kühlen Ton, den ihre lachenden Augen doch Lüge straften.

»Gnädige Frau,« erwiderte er, »ich habe unterdessen nicht mit den Mönchen an den Michelsteiner Klosterteichen gesessen und geangelt.«

»Schon gut, Herr Graf! ich rate, was Euch fern hielt,« sagte die Äbtissin und winkte ihm, Platz zu nehmen. »Ihr kommt doch nicht allein?«

»Nein, Domina! mein Schatte ist mit mir geritten,« antwortete er, sich niederlassend.

»Euer Schatten? ja, den seh' ich,« sprach sie enttäuscht.

»Nein, gnädige Frau! er ist unten auf dem Schloßhof geblieben und hält die Rosse.«

Die Äbtissin sah ihn zweifelnd an.

»Verzeiht das Wortspiel!« fuhr er lächelnd fort, »mein Knecht heißt Schatte. Im übrigen komm' ich allein.«

»Ihr bringt die Gräfin nicht mit?«

»Nein, gnädige Frau!«

»Hm! Herr Graf!« sagte die Äbtissin, »das ist ja eine ganz neue Art, wie Ihr Eure Schutzvogtei über uns ausübt. Sollen die jungen Konventualinnen des Stiftes künftig erst ein Noviziat auf Eurer Burg bestehen, ehe sie zu unserem Kapitel zugelassen werden?«

»So war es zwar nicht gemeint, aber Ihr bringt mich da auf einen guten Gedanken, Domina!« erwiderte er heiter. »Es ist so einsam auf der Burg ohne ein geselliges weibliches Wesen.«

»Was Ihr sagt, Herr Graf! Diese Empfindung scheint Euch ja sehr plötzlich gekommen zu sein. Aber es liegt doch nur an Euch, dem Mangel an Gesellschaft auf dem Regenstein in der gefälligsten Weise abzuhelfen.« Sie wurde rot dabei, als sie das lachend sagte, und ihre Augen funkelten und blitzten.

»Freilich wohl!« entgegnete er harmlos, »und nun ist ihm ja auch abgeholfen.«

»Aber mit welchen Mitteln! mit List und Gewalt, wider Recht und Billigkeit. Oder war es Euch gerade nur um diese Gesellschaft, um dieses weibliche Wesen zu tun?« frug sie herausfordernd.

»Ich habe sie mir nicht ausgesucht,« sagte der Graf, »Bock von Schlanstedt hat mir irrtümlicherweise die Gräfin Oda von Falkenstein gebracht, weil er zufällig diese und keine andere fing.«

»Zufällig? ohne Euren Befehl, Herr Graf? Wer Euch das glauben soll!«

»Ich habe ihn gescholten, als er mit ihr ankam.«

»Und dennoch haltet Ihr sie bei Euch fest?«

»Aus Mitleid mit der armen Verstoßenen.«

»Aus Mitleid!« Die Äbtissin verzog den Mund zu einem sehr spöttischen Lächeln.

»Und weil ich sie als Geisel behalten will gegen die schändliche Absicht ihres Bruders und aus Trotz gegen den Bischof, dem ich die schöne Grafschaft nicht gönne,« sprach Albrecht, nachgerade ungeduldig über das mit ihm vorgenommene Verhör.

»Und weiter wißt Ihr nichts vorzubringen? Nun seid Ihr mit Euren Gründen schon zu Ende?« höhnte die Äbtissin. »Ei, so laßt mich doch fragen, Herr Graf,« fuhr sie scharf und heftiger werdend fort: »mit welchem Rechte, aus welchem Grunde verweigert Ihr sie auch mir, deren Schutz sie von ihrem Bruder anvertraut ist?«

»Weil sie bei mir auf dem Regenstein sicherer ist als hier,« entgegnete er hart und bestimmt.

»Sicherer?« wiederholte sie, das böse Lächeln wieder auf den trotzigen Lippen. »Ihr meint – Euch näher!«

»Graf Albrecht zog die Brauen zusammen.

»Und die arme Verstoßene bleibt wohl auch recht gern bei Euch auf dem Regenstein?« spottete Jutta mit einem lauernden Blick.

»So hoffe ich, meine gnädigste Frau!« sagte Graf Albrecht und sah die Äbtissin dabei fest an. Ihr immer gehässigerer Ton, ihre verdächtigenden Worte reizten ihn in einer Weise, daß er nur mit Mühe noch an sich zu halten vermochte.

»O ich glaub' es schon! – Warum auch nicht? – Ihr seid gewiß ein sehr fürsorglicher Wirt, Herr Graf, – gegen Eure zufällig irrtümliche Gefangene.«

Sie brachte das abgerissen und stoßweise hervor, während ihre Brust sich in großer Erregung hob und senkte.

»Ich kenne meine Pflichten als Burgherr, Domina!« sprach der Graf.

»Gewiß! gewiß!« versetzte sie mit brennenden Wangen. »Und sie soll schön sein, Eure junge Gräfin, sagt mir der Stiftsschreiber. – Ihr habt es ja selber gesagt, habt ja selber gemeint, auf Eurem Felsen hätte noch keine solche – solche Lilie geblüht! Nun, ich wünsche Euch Glück dazu, Herr Graf von Regenstein!«

Da sprang Graf Albrecht zornfunkelnd auf, stieß den Sessel zurück und rief mit seiner vollen Stimme, daß es hallte und schallte: »Domina! vergeßt nicht, mit wem und von wem Ihr redet! Was kümmert Euch mein Tun und Lassen? Bin ich ein Chorknabe, den Ihr abkanzeln könnt, weil er falsch gesungen hat? Ich bin hierher gekommen, nicht um mich zu entschuldigen, sondern um Euch zu erklären, daß und warum Ihr die Gräfin von Falkenstein nicht als Eure Konventualin sehen werdet. Übrigens bin ich Herr auf meiner Burg und Herr im Gau, und wen ich gefangen halten will, den halt' ich trotz Bischof und Euch! Mit einem Worte könnte ich Euren Verdacht entwaffnen, wenn ich mir die Mühe geben wollte, Euch dieses Wort zu sagen!«

Er wandte sich ab und schritt im Zimmer heftig auf und nieder.

Die Äbtissin war vor dem Zornausfall, vor der donnernden Stimme und den sprühenden Augen des gewaltigen Mannes erschrocken zurückgewichen. Bleich und zitternd stand sie gegen einen Tisch gelehnt, sich mit der Hand darauf stützend. Und doch erfüllte sie diese losbrechende, sie erschütternde und bändigende Kraft trotz ihrem Schreck mit einer Lust, einer heimlichen Wonne, die ihre ganze Seele in Leidenschaft erglühen machte.

»Sprecht das Wort, Graf Albrecht!« sagte sie leise.

»Es ist ein Geheimnis,« sprach er nun ruhiger, »es ist nur ein heißer Wunsch meines Herzens, aber ich will ihn Euch entdecken, Domina! Ihr werdet mein Vertrauen nicht mißbrauchen.«

Er trat der in höchster Spannung Lauschenden näher, blickte ihr tief in die Augen und sagte: »Ich hege die stille Hoffnung, Domina, daß Gräfin Oda meines Bruders Siegfried Frau wird.«

»Ah!! –« machte Jutta, aber der helle Ton sprang aus Herzensgrunde, und ein glückseliges Lächeln flog über ihr Antlitz.

Sie suchte sich jedoch zu fassen, um dem Grafen den eigentlichen Grund erst ihrer Sorge und nun ihrer großen Freude soviel wie jetzt noch möglich zu verbergen. Er mußte gemerkt haben, daß es nichts anderes als Eifersucht gewesen war, was sie zu so scharfem Spotte hingerissen hatte. Aber Graf Albrecht, sagte sie sich, war so großmütig, zu tun, als hätte er das nicht gemerkt. Oder war es ihm schon nichts Neues mehr? hatte er sie schon früher, schon längst durchschaut? Unmöglich war das nicht; sie war in seiner Gegenwart nicht immer ganz Herr ihrer Sinne, und das heiße, verlangende Herz hatte sich wohl schon öfter zu wenig verschleiert auf die vorschnellen Lippen und in die großen, glühenden, verräterischen Augen gewagt.

Aber wenn er es wußte, was sie nicht hehlen konnte, warum benutzte er es denn nicht? Beglückte es ihn nicht, schmeichelte es ihm nicht, geliebt zu werden von einem Weibe wie Jutta? Sie konnte sich in ihrer eigenen stolzen Schönheit dem blühenden Helden an die Seite stellen, und sie waren ein Paar Sterbliche wie Siegfried der Drachentöter und Brunhild von Isenland.

Nach dem eben Vorgefallenen wollte sie wenigstens den äußeren Schein weiblicher Zurückhaltung retten, um nicht offen eingestehen zu müssen, daß sie zu weit gegangen war und sich vergessen hatte. Darum sagte sie, alle Kraft zur Besonnenheit sammelnd: »Verzeiht mir, Graf Albrecht! hätte ich Euren Wunsch und Eure Hoffnung auf eine Verbindung der Gräfin Oda mit Eurem Bruder gekannt, so würde ich Eure Maßnahmen von vornherein begriffen und gebilligt haben; aber die Gräfin war mir als Konventualin des Stiftes angemeldet, sie stand also unter meinem verantwortlichen Schutz, darum mußte ich als Äbtissin ihren Eintritt hier erwarten und fordern. Das liegt nun anders, und wir werden uns darüber verständigen.«

»Wenn Ihr Brüder hättet wie ich, Domina, oder wenn Ihr meinen Siegfried kenntet,« erwiderte der Graf, –

O ich kenne ihn ja!« fiel die Äbtissin ein, indem sie sich wieder setzte und auch den Grafen dazu einlud.

»Ihr habt ihn ein paarmal gesehen, aber Ihr kennt ihn nicht,« sagte der Graf, »kennt ihn nicht wie ich, der ich ihm soviel Glück und Freuden auf sein blondes Haupt und in sein braves Herz hinein wünsche, wie – wie ich mir selber nicht bereiten konnte und vielleicht niemals kann. Ihr wißt es ja; in den letzten Jahren meines lieben Vaters – Gott hab' ihn selig! – lag das Regiment der Grafschaft mehr auf meinen Schultern als auf seinen. Bald hierhin, bald dorthin schickte er mich mit gewichtigen Aufträgen, zu Verhandlungen und Beratungen; meine sorglose Jugend wurde mir arg verkürzt, denn ich hatte den Kopf so voll von schweren Dingen, daß das Herz niemals zum Mitsprechen, geschweige denn zu seinem Rechte kam. Und seit ich selber Herr im Lande bin, liegt auf mir, dem Ältesten von uns sechst Regensteinern, allein alle Sorge und Mühe für Erhaltung des Errungenen. Wann komme ich denn zu Rast und Ruhe? Aus einem Kampf werde ich in den anderen getrieben, muß wachen und umschauen wie ein Türmer auf der Warte, überall Fährnis und Feinde, immer im Harnisch, immer im Sattel, immer meiner Haut mich wehrend muß ich für alle denken, für alle handeln, bald mit dem Worte, bald mit dem Schwerte dazwischen schlagen, kurz alles, nur nicht ruhen und träumen. Und doch möcht' ich es nicht anders, so lieb' ich das Leben! ein Reiter und Ritter will ich sein, anderen helfen, wo ich kann, und wo ich Fuß fasse, fest meinen Mann stehen! Begreift Ihr es nun, daß ich Gnade oder Ungnade wage, um meinen Bruder glücklich zu machen?«

Sie hatte keinen Blick von ihm gewandt, mit durstigem Ohre jedes Wort ihm vom Munde getrunken, und eine friedliche, fröhliche Stimmung kam über sie. Das also war der Schlüssel seines Schweigens, seines Zauderns, – er hatte keine Zeit zum Lieben. Ihr schien, als hätte er ihr das alles recht absichtlich gesagt wie zum Troste, wie mit der ungesprochenen Bitte, Geduld mit ihm zu haben. Das wollte sie nun auch, wollte nie wieder heftig und begehrlich auf ihn einstürmen, sondern mit doppelter Rücksicht, mit hundertfacher Freundlichkeit ihm seines harten Lebens Lasten und Unruhe vergelten und versüßen, so oft er zu ihr käme, – sorgte und mühte er sich als ihr Schutzvogt doch auch für sie – und wollte in stiller, geduldiger Liebe treu an ihm hängen, bis bessere, freiere Tage ihm erlaubten, auch an sein eigenes Glück zu denken.

Sie schwieg nach seiner Rede eine Weile still, hatte auf seine letzte Frage nur leise mit dem Kopfe genickt und sah ihn nun mit einem dankbaren Blicke an, weil er ihr einmal ein Stück von seinem Innern enthüllt hatte.

Endlich frug sie mit aufrichtiger Teilnahme: »Geht Eure Hoffnung einer baldigen Erfüllung entgegen?«

Der Graf zuckte die Achseln. »Das ist es, was mich sorgen läßt,« erwiderte er. »Die junge Gräfin umgibt eine so zarte Scheu und Schüchternheit, eine so rührende Bescheidenheit, daß das liebliche Mädchen sich schon damit alle Herzen gewinnt, aber auch jeden in gebührenden Schranken hält, der sich ihr etwa zu rasch nähern wollte.«

Schüchternheit, Bescheidenheit, die sich alle Herzen gewinnt. Sagte er das auch wieder mit Absicht zu ihr, der Kühnen, Leidenschaftlichen?

»Ist denn die Gräfin wirklich so ausnehmend schön, wie mir Florencius berichtet?« frug sie mit gekräuselten Lippen.

»Kaum möchte ich sie wirklich schön nennen, die bleiche Lilie,« erwiderte lächelnd Graf Albrecht, »aber ein süßer, holdseliger Liebreiz, eine unaussprechliche Anmut ist über sie ausgegossen wie Morgentau und Blütenschmelz; ihr Gang und jede Bewegung ihrer schlangen Glieder, ihre Stimme und ihrer blauen Augen klarer, inniger Blick hat etwas zur stillen Anbetung Zwingendes.«

Jutta hörte diese Beschreibung mit wachsender Unlust. Der böse Geist, der vorhin so wild in ihr getobt hatte und kaum zur Ruhe beschworen war, klopfte schon wieder vernehmlich an die Pforte ihres Herzens. So schildert doch nur einer ein Mädchen, der – ach! er hat ja keine Zeit zum Lieben!

»Seid Ihr denn überzeugt, Graf Albrecht,« frug Jutta, »daß sich die beiden in Liebe zugetan sind?«

»Die volle Liebe meines Bruders zur Gräfin Oda ist mir außer allem Zweifel,« entgegnete er, »und Siegfried ist unermüdlich, sie ihr ohne Worte zu gestehen und zu beweisen durch ritterlichen Minnedienst in Zucht und Ehren. Aber noch habe ich kein Zeichen von ihrer Liebe zu ihm bemerkt.«

»So liebt sie einen anderen?!«

Jutta stieß die Frage rasch und heftig heraus und blickte dem Grafen forschend ins Gesicht.

»Ich weiß es nicht, Domina,« sagte der Graf, »und ich hoffe es nicht,« fügte er ernst hinzu.

»Sie ist Eure Gefangene, Graf Albrecht!« sprach die Äbtissin. »Werdet Ihr sie zwingen, Eures Bruders Gemahl zu werden, auch wenn sie – auch wenn Ihr merkt, daß sie einen andern liebt?«

»Domina! wie könnt Ihr so fragen!« erwiderte der Graf. »Das liebe holde Mädchen gegen ihren Willen, gegen ihres Herzens reine Neigung zwingen? niemals! Aber bedenket: echte Liebe sitzt tief verborgen wie Gold im Schachte und wächst langsam wie Kernholz, wenn sie fest werden und aushalten soll fürs lange Leben.«

»Woher wißt Ihr denn das?« frug sie erstaunt.

Albrecht schwieg, betroffen von dieser Frage, erschrocken von seinen eigenen Worten.

»Graf Albrecht! – gebt mir die Gräfin! bei mir ist sie so sicher wie bei Euch.«

Jutta hatte das wieder in einem so überstürzten, gebieterischen Tone gesagt und ihn dabei mit einem so eigenen, halb ängstlichen, halb drohenden Blicke angesehen, daß es ihn mißtrauisch gegen ihre Absichten machte.

Er schüttelte langsam das Haupt und sagte bedächtig und bestimmt: »Nein, gnädige Frau!«

»Ich will sie halten und hegen wie eine, die bestimmt ist, Eures Bruders Gemahl zu werden,« sprach Jutta. »Ich will sie vor allen bevorzugen und ihr jeden Wunsch erfüllen. Kommt mit Eurem Bruder herüber, so oft Ihr wollt; Ihr sollt mir jeden Tag, jede Stunde willkommen sein, und Siegfried soll Oda ohne Zeugen sehen können. Sie sollen frei und vertraut miteinander reden, wie wir hier, Graf Albrecht, und kein Merker soll lauschen, was von Mund zu Mund, von Herzen zu Herzen geht.«

Der Graf schüttelte das Haupt und schwieg.

»Damit wäre der Wille des Grafen Hoyer erfüllt, und Ihr könntet in Frieden und Freundschaft über das Weitere mit ihm verhandeln, wenn Euer Bruder hier um sie würbe, sie hier vom Schlosse aus als sein Weib heimführte,« fuhr Jutta immer dringender fort. »Auch dem Bischof wäre jeder Vorwand genommen, Euch zu drohen, und was ich kann und vermag, Graf Albrecht, daß die Grafschaft nicht sein wird, sondern als Odas Ehesteuer Eurem edlen Hause zufällt, das soll geschehen; mein fürstliches Wort und Ansehen will ich beim Grafen und beim Bischof dafür einlegen, ja beim Kaiser und auf dem Reichstage dafür in die Schranken treten.«

Juttas Wangen röteten sich höher im Eifer des Sprechens, ihr Atem flog wieder, und in ihrer Stimme zitterte eine zunehmende Erregung.

»Ich danke Euch, Domina!« erwiderte der Graf, »aber Eure Mühe wäre umsonst; der Streit muß mit Schwert und Lanze ausgefochten werden, und ich hoffe damit schneller und sicherer zum Ziele zu kommen.«

Jutta sah ihn unwillig an und schien eine Wallung des Zornes niederzukämpfen. Sie nagte an der Lippe und sann und suchte ungeduldig nach Worten.

»Bedenket noch eins, Herr Graf!« sprach sie, nun doch wieder in Heftigkeit und Bitterkeit verfallend. »Ist es schicklich, daß die Jungfrau allein unter Euch Männern auf dem Regenstein weilt? Hier bei uns Frauen ist die Stätte für ein verstoßenes, sittsames, hochgeborenes Fräulein. was könnt Ihr dagegen sagen?«

»Sie hat ihre Gürtelmagd bei sich,« versetzte Albrecht.

»Ihre Gürtelmagd! wirklich! o welch starker Ehrenwächter!« spottete Jutta. Und das genügt dem edlen Fräulein? dabei beruhigt sich die zarte Schüchternheit, die rührende Bescheidenheit? Ja, das ist wirklich rührend! Aber ich hätte einer Gräfin von Falkenstein mehr Zucht und Sitte zugetraut, als daß sie, statt unter ihresgleichen zu sein, lieber bei unvermählten Rittern auf einsamer Burg bleibt, von Reisigen und Knechten beschützt, beschützt – ich weiß nicht wovor, gegen Raub und Überfall oder gegen unerwünschte Störung.«

»Wer sagt Euch, Domina,« brauste der Graf, sich erhebend, »daß sie lieber bei dem Ritter auf der einsamen Burg bleibt, der sich ihretwegen Feinde und Fehden auf den Hals zieht?«

»Nicht? nicht lieber?« rief Jutta gleichfalls aufstehend. »Ah! – so haltet Ihr sie mit Gewalt, Herr Graf? und immer nur aus Mitleid? immer nur aus Liebe zu dem Bruder, nur zu dem Bruder, daß er die reiche Braut gewinne? o wie neide ich dem Bruder einen so bereitwilligen Helfer und Mundwalt! – Rollt nicht die Augen, Ihr könnt mir wenig erwidern. Meine Gründe sind erschöpft, und Ihr, Ihr habt keine, wenigstens keinen der Stich hält. Darum sage ich: gebt mir die Gräfin! laßt hier Euren Bruder, für den allein Ihr sie ja so fest und sicher bewahrt, in Ehren um sie werben, und wenn Ihr das nicht wollt, so laßt mich davon denken, was ich will!«

Graf Albrecht biß die Zähne zusammen, und über sein Gesicht fuhr es wie Wetterleuchten. »Meinetwegen denkt, was Ihr wollt,« sprach er barsch, »ich tue, was ich will, und wenn Euch das nicht gefällt, Domina, – so kann ich Euch nicht helfen. Die Gräfin Oda bekommt Ihr nicht! und damit gehabt Euch wohl, bis Ihr wieder besserer Laune seid.«

Klirrenden Schrittes ging er ab, schwang sich im Schloßhofe aufs Pferd und ritt nach Burg Gersdorf.


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