Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Fünfzehntes Kapitel.

Die Lauenburg war von den Regenstein'schen genommen, und die Nachlässigkeit der Knechte des todkranken Burgvogtes hatte ihnen das Gelingen des Überfalles sehr leicht gemacht. Denn als die Angreifer beim Morgengrauen den steilen Berg in einer Seitenschlucht erstiegen und sich durch Hochwald und Gebüsch an die Burg heranschlichen, fanden sie nicht einmal die Zugbrücke über dem Wallgraben aufgezogen und die Wache am Tor in so festem Schlaf, daß sie die hallenden Schritte der Kommenden auf der Brücke nicht hörte; kein Anruf erfolgte, es blieb alles mäuschenstill in der Burg.

Da ersann Graf Albrecht eine List. Er barg sich mit den Seinen im Walde, um den Sonnenaufgang abzuwarten. Dann ging er bei voller Tageshelle und nur von seinem Bruder Bernhard begleitet, an das Burgtor, und die beiden erhoben nun einen gewaltigen Lärm mit Klopfen und Rufen.

Bald hörten sie eine verdrossene Antwort.

»Wie lange wollt Ihr denn schlafen in Eurem Dachsbau?« rief Graf Albrecht. »Es ist nicht weit mehr von Mittag. Aufgemacht!«

»Hoho! hoho! wer ist draußen!« klang es innen.

»Der Schirmvogt unserer gnädigen Frau von Quedlinburg, Graf Regenstein!« rief Albrecht wieder. »Macht auf, ihr Tagediebe!«

»Schirmvogt? Schirmvogt? oho! erst sehen!« gab der verschlafene Wächter zurück.

Nun wurden mehrere Stimmen inwendig laut, aber niemand öffnete. Endlich steckte einer oben aus einer Luke des Torturmes den Kopf heraus, zog ihn aber schnell wieder zurück, als er die beiden Grafen auf der Brücke erkannte, die ihm zornig mit den Fäusten drohten.

Jetzt entstand eine Bewegung hinter dem Tore, es gab ein Streiten und Schelten, und dann klangen die Riegel. Auch das Fallgatter hatten die Pflichtvergessenen nicht herabgelassen.

Als sich nun der rechte Torflügel langsam auftat, schoben sofort die beiden Grafen kräftig nach, damit es schneller ging, und rasch eindringend versetzten sie den Knechten mit ihren Eisenhandschuhen so derbe Maulschellen, daß jene verblüfft zurücktaumelten und kaum so viel zur Besinnung kamen, um sich zur Wehr zu setzen. »Ihr verfluchten Schufte!« rief Graf Albrecht, »bewacht man so eine stiftische Burg? eine Burg der Frau Äbtissin?« Nun kamen die Regenstein'schen aus dem Gebüsch herzugelaufen, und jetzt gab es erst Hiebe, wie es vorhin noch keine gegeben hatte.

Da erhoben die Überfallenen ein gellendes Notgeschrei und liefen immer schreiend dem Palas und Bergfried zu, aber die Verfolger waren ihnen auf den Fersen und drangen mit den Fliehenden zugleich ein, ehe diesen die aus dem Schlaf geschreckte wachfreie Mannschaft erfolgreichen Beistand leisten konnte. Plötzlich erschien auf der Treppe des Palas die wankende Gestalt des alten, siechen Burgvogtes im Nachtgewande, ein bloßes Schwert in der kraftlosen Rechten.

Graf Albrecht rief ihm zu: »Bleibt da, Leutfried! Euch geschieht nichts; wir sind's, die Regensteiner!«

Aber nur ein Ächzen und Stöhnen war die Antwort des Alten. Zuckend ergriff er mit der Linken nach dem Herzen, dann brach er, vor Schreck vom Schlage gerührt, zusammen, und sie trugen ihn als Leiche auf sein mit der höchsten, letzten Anstrengung eben verlassenes Bett.

Darauf hatte aller Widerstand ein Ende. Die Regensteiner waren im Besitz der Burg.

Graf Albrecht befahl, ein Frühmahl zu rüsten, und nachdem sich alle erquickt hatten, nahm er mit seinen Brüdern eine genaue Besichtigung der Burg vor, die zu seiner Zufriedenheit ausfiel.

»Sieh da, Siegfried,« rief Günther, »wie frei und freundlich da rechts im Felde Burg Gersdorf liegt! wir können einander zuwinken. Und geradaus Quedlinburg mit seinen Türmen und über dem dunkellaubigen Brühl das stolze Schloß unserer gnädigen Frau! Seht Ihr Halberstadt da hinten? Ich glaube, ich erkenne die Baugerüste an den Türmen des Domes. Gott segne Euch das Morgensüppchen, Herr Bischof, das Euch die Regensteiner eingebrockt!«

»Hier links schaut auf der Regenstein mit seiner obersten Felskante noch über die Berge herüber,« sprach Bernhard, »aber meine liebe Heimburg ist nicht sichtbar.«

»Ja, du hast hier ein schönes Stück vom Harzgau unter deinen Augen, Siegfried!« sagte Albrecht.

Siegfried schwieg. Viel lieber als den ganzen Harzgau hätte er etwas anderes vor Augen gehabt.

Unterdessen musterte Bock von Schlanstedt die kleine Besatzung und hielt den Knechten, die zu faul gewesen waren, die Zugbrücke aufzuziehen und das Fallgatter herabzulassen, mit gespreizter Würde eine nachdrückliche Standrede, die keine Schmeichelworte enthielt und damit begann: sie verdienten sämtlich ohne Gnade gehängt, gespießt, geköpft, geradebrecht zu werden, sollten ihrem Schöpfer und ihm selber danken, wenn sie diesmal noch mit blutigen Nasen davonkämen und würden bald Gelegenheit haben, gewissenhaften Wachtdienst zu lernen. Den einen, der in der Stunde des Überfalls die Wache gehabt und geschlafen hatte, ließ er bis zum Abrücken krummschließen.

Albrecht erteilte Siegfried die nötigen Weisungen, wie er sich als nunmehriger Burgvogt hier zu verhalten habe, empfahl ihm, für das ehrenvolle Begräbnis Leutfrieds zu sorgen, und als er dann Abschied nahm, frug er ihn noch leise nach Aufträgen für Oda.

Siegfried erwiderte mit einem wehmütig schwärmerischen Ausdruck: »Vom Bergfried aus kann ich den Regenstein sehen. Sage der Gräfin, ich würde jeden Tag bei Sonnenuntergang hier auf dem Turme stehen und nach dem Regenstein hinüberschauen. Wenn ich dann glauben könnte, sie stünde daheim bei unserer Felsbank oben und blickte von dort hierher, so wollte ich mich dessen tröstlich freuen.«

Albrecht versprach, es dem lieben Mädchen zu bestellen, und gedachte dabei seines gestrigen Gespräches mit ihr auf jener Bank.

Von den Bewohnern der Lauenburg ließ Graf Albrecht nur den Rüstmeister und Waffenschmied, einen schon bejahrten, Vertrauen einflößenden Mann, ferner einen Jäger, der Weg und Steg im Forst kannte, und das Hausgesinde Leutfrieds dort zurück. Die Knechte nahm er alle mit, verteilte sie an die Gersdorfer und die Gunteckenburg und gab Siegfried eine Anzahl Knechte von diesen beiden Burgen, so daß die Besatzung der Lauenburg nun eine etwas stärkere ward, als sie bisher gewesen war.

Die drei Brüder ritten mit Bock und den Reisigen ab und gelobten, Siegfried bald zu besuchen. Stolz und glücklich, nun eine Burg unter seinem Befehl zu haben, und doch traurig, von Oda getrennt bleiben zu müssen, blickte der Zurückbleibende ihnen nach.

Günther kehrte mit seinen alten und neuen Knechten auf dem nächsten Wege nach Gersdorf zurück; die anderen ritten nach Quedlinburg.

»Das war ein Kinderspiel,« sprach Albrecht zu seinem Bruder Bernhard. »Wenn alles, was ich zwischen Oker und Bode noch haben möchte, so leicht zu nehmen wäre wie die Lauenburg –«

»Verlange nicht zu viel!« sagte Bernhard, »laß dir an dem genügen, was wir haben.«

»Bernhard, es ist ein köstliches Gefühl, über eine große Macht zu gebieten,« erwiderte der Ältere mit flammendem Blick. »Aber nun kommt's! Bernhard, willst du mit zur Äbtissin?«

»Fürchtest du dich, es allein mit ihr aufzunehmen?« frug Bernhard.

»Meiner Seele, ja!« sagte der Ältere.

»Ich würde dir gern beistehen, aber ich glaube, du kommst unter vier Augen weiter mit ihr,« lächelte Bernhard. »Ich werde beim Prior auf dich warten.«

»Meinetwegen, sei es so!« erwiderte Albrecht, »aber dann sprecht nur bei jedem dritten Becher ein Benedicite für mich.«

»Und das Gratias nachher zu dreien, wenn du kommst und deine Augen noch heil im Kopfe hast,« lachte Bernhard.

»Ja, und den Lehensbrief im Sack,« sprach Albrecht mit einem Stoßseufzer.

Die Äbtissin empfing ihren Schirmvogt mit um so größerer Freude, je weniger sie ihn schon so bald wieder erwartet hatte. Gleich nach seinem zornigen Abschied hatte sie wie stets, wenn ein solches Wetter bei ihr ausgetobt, ihre maßlose Heftigkeit gegen ihn bereut und ihm im stillen abgebeten. Zu dieser Erkenntnis, sich gegen ihn vergessen und vergangen zu haben, gesellte sich die Scham über ihre gewiß ganz überflüssige Eifersucht auf Oda, die sie ihm gar zu deutlich verraten hatte. Als er daher heute heiß ersehnt, aber unverhofft erschien, schlug ihm ihr Herz in Glück und Freuden entgegen. Heute, so nahm sie sich vor, sollte er nicht im Zorne von ihr gehen.

»Was bringt Ihr, Herr Graf? oder was bringt Euch?« frug sie mit lächelndem Angesicht.

»Eine Nachricht, gnädige Frau, die Euch vielleicht Trauer, mir aber Hoffnung erweckt,« erwiderte Graf Albrecht etwa beklommen.

»Das Rätsel rat' ich nicht,« sprach sie heiter. »Wie soll mir Trauer bringen, was Euch Hoffnung macht? Nennt mir Eure Hoffnung, so rate ich vielleicht meine Trauer.«

»Umgekehrt ist mir's lieber, gnädige Frau,« sagte der Graf. »Also mit einem Worte: Leutfried ist tot!«

»Nun,« entgegnete sie, »Ihr seht, ich kann mich fassen, und wenn Ihr den Alten nicht erschlagen habt, so will ich Euch den traurigen Botengruß verzeihen. Aber ist er denn auch wirklich tot?«

»So tot, wie ich hier lebendig vor Euch stehe!«

»So laßt ihn tot sein und setzt Euch, lieber Graf!« sagte Jutta.

»Jawohl,« sprach er, Platz nehmend, »wer reitet, der reitet, wer liegt, den läßt man liegen.

»Ja,« sagte sie, »und nun? – nun müssen wir wohl an einen neuen Burgvogt für die Lauenburg denken?«

»Ja, nun müssen wir an einen neuen Burgvogt für die Lauenburg denken,« wiederholte er mit beengter Kehle.

»Könnt Ihr mit einen Vorschlag machen, Graf Albrecht?« frug sie mit einem schelmischen Blick.

»Ich? nein! – das heißt – gnädige Frau, es ist doch Eure Burg, und auf Euch allein kommt's an.«

»Ja, ja, aber ich verstehe mich nicht darauf, wie eine Burg zu schirmen oder wie eine Burg zu überfallen und zu nehmen ist.«

»O damit könnt' ich dienen,« dachte Albrecht und fuhr sich mit der Hand über die feuchte Stirn.

»Ich mag keinen stiftischen Burgvogt wieder, will die Lauenburg überhaupt nicht behalten; sie bringt nichts ein,« sprach die Äbtissin.

»Nun, so gebt sie doch einem zu Lehen, der sich aufs Kriegsgewerbe versteht.«

»So dachte ich auch, Herr Graf; ich werde sie den Grafen von Blankenburg geben, die mir einen ansehnlichen Pfandschilling geboten haben,« sagte Jutta, und ihre Augen lachten vor Übermut und Schalkheit.

Aber Graf Albrecht bemerkte das nicht in seinem Schreck. »Den Blankenburgern? Domina! den Blankenburgern?«

»Ja, warum denn nicht?«

»Gnädige Frau, Ihr habt mir gelobt, die Lauenburg nicht hinter meinem Rücken wegzugeben.«

»Hinter Eurem Rücken! geschieht denn das? Ich denke, ich tue es vor Euren sehenden Augen?«

»Nie werden das meine Augen sehen!« sprach er mit fester Stimme.

»Herr Graf!«

»Nein! niemals! Die Blankenburger sind meine Feinde, und die Feinde Eures Schirmvogtes sind auch die Eurigen, Domina!«

Sie blickte ihn ein Weilchen halb schelmisch, halb innig an, streckte ihm dann die Hand entgegen und sagte warm und herzlich: »Ihr habt recht, Graf Albrecht! Eure Feinde sind auch meine Feinde!« Dann sprang sie mit einem fröhlichen Lachen auf und rief: »Und nun genug, Lehnensträger und Burgherr der Lauenburg! Wie könnt Ihr denn nur einen Augenblick denken, daß ich die Burg irgendeinem andern Menschen geben würde, als meinem ruhmreichen Schirmvogt Albrecht von Regenstein?«

Graf Albrecht war erstaunt und gerührt über die bezaubernde Huld seiner schönen Schutzbefohlenen. Das ging ja noch glatter, als die Überrumpelung der Burg selber! Wozu war nun seine Angst gewesen? O hätte doch Bernhard das alles mit angehört!

»Gnädigste Fürstin, nehmt meinen übervollen Dank!« sprach er, freudig ihre Hand ergreifend.

Aber sie entzog sie ihm und sagte mit einem liebenswürdigen Schmollen: »Abbitten müßt Ihr mir, daß Ihr mir anderes zugetraut habt! – überhaupt, halt! Ehe Ihr dankt, sollt Ihr bitten. Ich will um die Lauenburg gebeten sein. Ich habe noch nie eine Bitte aus Eurem Munde gehört und möchte doch einmal sehen, in welcher Art und Gestalt es sich ausnimmt, wenn ein Graf Albrecht um etwas bittet.«

O mein Gott! dachte Albrecht, ich soll noch um die Burg bitten, und Siegfried sitzt schon darin mit seinen sechzehn Mann! Aber es half nichts.

»Achtbare Fürstin, ehrwürdige Domina, lobesame, gnädige Frau und Äbtissin des freiweltlichen Stiftes zu Quedlinburg! Ich bitte Euch ganz freundlich und dienstlich, so ich am besten weiß und kann, um Belehnung in Gunst und Gnaden mit Burg Lauenburg!« sprach er mit ritterlicher Höflichkeit.

Worauf sie mit hoheitlicher Anmut erwiderte: »Hochgeborener Herr Graf, ehrsamer Schirm-, Schutz- und Edelvogt! Wir Jutta, von der Gnade Gottes Äbtissin des Gotteshauses zu Quedlinburg, geloben und bekennen und werden nachmals zu Stetigkeit und Urkund in einem offenbaren Briefe bezeugen und besiegeln, daß wir Euch in Gunst und Gnaden unsere Burg Lauenburg zu einem rechten Lehen leihen wollen. Stehet auf, mein Lehensmann!«

Er hatte gar nicht gekniet, und sie hatte auch die letzten Worte mit einem schalkhaften Lächeln gesprochen. Nun ergriff er ihre Hand und führte sie mit zärtlicher Ehrerbietigkeit an seine Lippen, indem er sagte: »Ich danke Euch noch einmal, gnädige Frau und Fürstin!«

Der Graf atmete sehr erleichtert auf, aber in seinem Gewissen fühlte er sich doch nicht frei.

Die Äbtissin klingelte und befahl der aufwartenden Kammerfrau, den Stiftsschreiber herzusenden.

»Florencius,« sprach sie darauf zu dem Eintretenden, »stellt für den Herrn Grafen einen Lehensbrief über die Lauenburg aus.«

»Hab' ich schon im Vorrat fertig und bereit, gnädige Frau!« erwiderte Florencius mit selbstgefälliger Genugtuung; »nur der Name des hochgeborenen Lehensträgers fehlt noch in dem Briefe.«

»So füget ihn schleunig hinzu, mein fürsorglicher Schriftling,« sagte die Äbtissin gnädig, »und dann bringt mit das Pergament zur Unterschrift.«

Florencius entfernte sich wieder, um den erhaltenen Auftrag zu vollziehen.

Nun trennten den Graf Albrecht nur noch Minuten von dem rechtlich verbrieften Besitz der Lauenburg. Wenn er den Lehensbrief aus Juttas Händen nahm und schwieg, so war die Sache damit entschieden und über Wunsch und Erwarten schnell erledigt. Vielleicht, ja wahrscheinlich erfuhr die Äbtissin dann niemals, daß die Besitzergreifung der Burg schon vor der Belehnung stattgefunden hatte, sondern blieb zeitlebens in dem Glauben, daß die erstere die berechtigte Folge der letzteren gewesen sei. Aber es kam ihm doch wie eine Täuschung des Vertrauens vor, wenn er der Äbtissin nicht vorher gestand, daß er die Burg wider Fug und Recht bereits genommen hatte. Tat er dies jedoch, wer bürgte ihm dann dafür, daß die Äbtissin ihm seine eigenmächtige Handlung billigte und mit ihrem Namen deckte? Würde sie nicht die kühne Tat als eine handgreifliche Verletzung ihrer Hoheitsrechte betrachten und darum der vorweggenommenen Wirklichkeit die nachträgliche Bestätigung versagen? Geschah dies aber, so war die Gunst des Augenblicks verscherzt und verloren und die Hoffnung auf einen gütlichen Ausgleich mit der beleidigten Fürstin für längere Zeit eine sehr geringe.

Während Graf Albrecht noch zwischen Schweigen und Reden schwankte, kehrte Florencius zurück, überreichte der Herrin die schön geschriebene Urkunde und ging dann wieder ab.

Die Äbtissin bereitete das Pergament auf dem Tische aus, setzte sich und griff zur Feder.

Da trat Graf Albrecht schnell herzu, legte seine Hand auf die ihrige, mit der sie die Feder eben ansetzte, und sprach: »Schreibt noch nicht, Domina! Hört mich erst!«

Sehr verwundert blickte sie zu ihm auf. »Wollt Ihr die Lauenburg nicht?« frug sie lächelnd.

»Domina, – ich habe sie schon.«

»Ihr meint, mein Wort genügt Euch? es bedarf keines Briefes zwischen uns?« sprach sie freundlich.

»Ich meine, daß ich die Lauenburg heute früh bei Sonnenaufgang erstiegen und genommen habe,« erwiderte er.

»So habt Ihr geträumt, und mit diesem Federzuge ist Euer Traum aus, das heißt erfüllt,« sagte sie und fügte mit einem innigen Blick hinzu: »Ich glaub' es Euch; wie leicht, wie gern träumt man, was man wünscht!« Und aufs neue tauchte sie die Feder ein.

»Nicht geträumt, – getan hab' ich's!« rief er nun fast ungeduldig. »Ich habe die Lauenburg diese Nacht mit meinen Brüdern und einer Handvoll Reisigen erritten, erstiegen, überfallen, eingenommen und besetzt. Ich kann es Euch doch nicht deutlicher sagen, und Ihr solltet es wissen, ehe Ihr schriebet.«

Jutta warf die Feder auf den Tisch und rief mit scharfer, lauter Stimme: »Und meinen Burgvogt erschlagen?«

»Nein,« erwiderte der Graf, »den hat niemand angerührt; er starb vom Schreck. Und, Domina, es war Zeit, daß er starb. Die Burg war bei dem todkranken Alten in schlechten Händen; die Brücke war nieder, die Wache schlief; jedem Feinde wäre die Burg auf den ersten Anlauf zugefallen.«

»Und das wußtet Ihr?«

»Nein; sonst hätt' ich's Euch gesagt oder die Burg schon früher genommen,« entgegnete er.

»Und jetzt habt Ihr sie wirklich genommen? Und es ist kein Scherz?« frug sie noch immer sitzend und noch immer zweifelnd.

»Nein! ich habe sie wirklich genommen,« erwiderte er.

Da schnellte sie auf. Wie eine gereizte Löwin vor dem Sprung auf den Feind stand sie da mit funkelnden Augen, mit wogender Brust. Die Stimme versagte ihr. Mit langen Schritten rauschte sie durch das Zimmer an ihm vorüber, als sähe sie ihn nicht. Dann blieb sie weit von ihm stehen, verschränkte die Arme und warf den Kopf in den Nacken, daß ihr das Haar in breiten Wellen um die Schultern flutete.

»Verrat und Friedensbruch übt Ihr an mir, Herr Schutzvogt? Und führt dann einen elenden Possen vor mir auf? Schmachvoll, ganz schmachvoll ist das, Herr Graf von Regenstein!«

»Laßt Blitz und Donner los! ich bin gepanzert,« erwiderte der Graf. »Wenn Ihr wieder hören könnt und wollt, so sagt es!«

Er umspannte mit der Linken den Schwertgriff, um einen Halt zu haben und blickte, ohne sich von der Stelle zu bewegen, durch die Fensteröffnung starr in die Weite.

»Ich will nichts hören!« rief sie in Trotz und Grimm. »Glaubt Ihr, daß ich mit mir spielen lasse? Nehmt Kindern ihren Tand und belügt sie zu ihrem Heile! Aber mich zu bitten, mit falschen, lächelnden Lippen zu bitten und mit dem schlechten Gewissen, schon hinterlistig geraubt zu haben, was mein ist, was ich Euch in der Lust und Hoffnung meines Herzens zugedacht hatte sei Jahr und Tag, womit ich Euch ehren und erfreuen wollte, das mir, Eurer Fürstin, wegzunehmen, wie ein Dieb in der Nacht den blinkenden Goldreif von der Stirn der sorglos Schlummernden stiehlt! Ist das ritterlich, Herr Graf von Regenstein?«

Albrecht schwieg und rührte sich nicht.

»Antwortet! ich frage Euch, ob das ritterlich ist!« wiederholte sie bebend und mit einer raschen Bewegung nähertretend.

»Weibessinn begreift nicht Rittersinn,« sprach er kalt und von ihr abgewendet.

»Eine höfliche Antwort! wie das Tun, so das Reden!« grollte die Äbtissin.

»Das Tun solltet Ihr loben,« erwiderte Graf Albrecht nun nachdrücklich und sich lebhaft umkehrend. »Es war Gefahr im Verzuge; nur so konnte ich Euch und dem Stifte die Burg erhalten, daß ich sie selber als Lehen nahm, rasch nahm. Meinetwegen tat ich's auch, ich will's nicht verhehlen, denn ich brauche sie zu meiner eigenen Sicherheit. Die Blankenburger streckten die Hände danach aus, die Quedlinburger wollen sie haben, und der Bischof spannt seine Netze immer weiter und greift mit List und Gewalt nach Burgen und Städten. Als ich zuletzt hier bei Euch war, wollte ich die Sache in gutem Frieden mit Euch verhandeln, aber es war ja kein vernünftig Wort mit Euch zu reden. Da dachte ich mir: wozu noch lange fragen? Die Domina, die doch nichts davon versteht, wird froh sein, der Entscheidung über die Burg mit einem kühnen Handstreich überhoben zu sein.«

»So! das dachtet Ihr und spranget zu wie – nun wie ein echter Raubgraf,« sprach die Äbtissin bitter und erregt. »O, es gab eine Zeit, wo Ihr anders dachtet, Herr Graf! wo mein Wort Euch etwas galt, wo mein leisester Wunsch bei Euch Erfüllung fand und Ihr nichts tatet, von dem Ihr nicht wußtet, daß es mir recht und lieb war. Wenn Ihr es vergessen habt, ich weiß es noch und stehe wie um alle Hoffnung betrogen vor dieser Wandlung, staunend, ratlos, an Euch verzweifelnd. Was tu' ich nun mit Euch? Ihr habt meine Hoheitsrechte angetastet, die ich unerschütterlich bewahren muß und bewahren will. Soll ich das ruhig mit ansehen, ohne Widerspruch zu dulden? Nimmermehr! auch nicht von Euch! Ihr seid Richter im Gau, – vor welche Schranke zieh' ich Euch? Ihr seid der Schutzvogt des Stiftes, – wer schützt mich vor Euch? Ihr wart mein Freund, – und nun? Wollt Ihr mich unter Euren Feinden sehen?«

»Auf einen mehr kommt mir's nicht an,« sprach Albrecht.

»Stets hab' ich Eure Macht zu mehren gesucht, aber Ihr seid unersättlich. Blind hab' ich Euch vertraut, auf Eure Treue geschworen und mein Recht bei Euch in den sichersten Händen gewähnt. Euretwegen brach ich mit dem Bischof, für Euch überwarf ich mich mit dem Rat da unten in der Stadt, um Euch wies ich die Grafen von Blankenburg ab, Euch zuliebe schloß ich die Augen vor dem wüsten Treiben der Mönche dort in dem von Euch befestigten Kloster. Aber alles umsonst! Ihr laßt es Euch gefallen, nehmt es hin wie einen Zoll an der Straße und lacht die gutmütige, leichtgläubige Törin hinter ihrem Rücken aus. Das ist Euer Dank und Eure Freundschaft!«

»Seid Ihr bald fertig?« frug der Graf.

»Ja, ich bin fertig,« erwiderte sie, von neuem Atem schöpfend, »fertig mit diesem Befehl: Ihr räumt die Lauenburg noch heutigentages! Kein Regenstein'scher Mann darf in ihren Mauern bleiben!«

Der Graf schüttelte das Haupt. »Ich gab dem, der darin sitzt, einen andern Befehl: Niemand kommt in die Burg als ein Regenstein'scher Mann!«

»Wem gabt Ihr den Befehl?«

»Dem Burgvogt, meinem Bruder Siegfried.«

»Eurem Bruder Siegfried?« Wieder machte die Äbtissin die ihr eigentümliche Bewegung mit dem stolzen Zurückwerfen des Kopfes, und, den Grafen mit blinzelnden Augen ansehend, sagte sie übermütig: »Und Gräfin Oda ist auch mit auf der Lauenburg?«

Dem Grafen schoß das Blut ins Gesicht, und scharf und rauh klang die Antwort: »Domina! Verliert nicht ganz den Verstand!«

»Wo ist Oda?« frug sie mit einem Tigerblick.

»Auf dem Regenstein! wo sonst?«

Die Äbtissin brach in ein höhnisches Lachen aus. »O Herr Graf, so viel Verstand hab' ich noch, um dies Gewebe zu durchschauen! Darum also konntet Ihr's nicht abwarten, die Lauenburg zu bekommen, um einen Platz zu haben für Euren vielgeliebten Bruder Siegfried, der Euch als Dritter zuviel war auf dem Regenstein! O gut versorgt, gut ausgedacht, Herr Graf! Hat es Euch denn Euer lieber Bruder auch recht gedankt, daß Ihr ihn zum Burgvogt kürtet?«

In Graf Albrecht siedete es. Die geballten Fäuste auf seine stürmenden Brust drückend stand er mit loderndem Blicke der Äbtissin gegenüber. Aber sie hielt den Blick aus und bebte nicht. Da zwang er mit Riesenkraft den wilden Aufruhr in seinem Innern nieder und sagte mit voller Ruhe: »Gnädige Frau! was ich getan habe, bleibt getan, und Ihr werdet morgen anders darüber denken. Wie wäre es, wenn wir nun wieder Frieden machten und Ihr mit Eurer schönen, großen Schrift Euren fürstlichen Namen unter den Lehensbrief setztet?«

Die Äbtissin eilte zum Tische, ergriff das Pergament und es dicht vor dem Grafen mitten durchreißend und ihm die Stücke vor die Füße werfend, rief sie zornglühend: »Hier die Antwort!«

Was tat da Graf Albrecht? – Er sprach: »Domina, wie wunderschön seid Ihr in Eurem Zorne!« Und wie die Äbtissin so dicht vor ihm stand, umschlang er sie plötzlich mit raschen Armen, daß sie sich nicht rühren und regen konnte. »Seht, Gräfin Jutta,« rief er, »so fest wie Euch hier halte ich die Lauenburg, mit oder ohne Lehensbrief! Und so besiegle ich meine Treue als Euer Lehensmann!« Und ehe sie sich dessen versah, fühlte sie seinen Kuß auf ihrer Stirne. Dann ließ er die Halbbetäubte los. »Lebt wohl, Domina!« sprach er lachend, »und auf Wiedersehen!«

Und lachend schritt er hinaus und warf die Tür dröhnend hinter sich zu.

Die Äbtissin stand wie gelähmt, als fehlte ihr Besinnung und Atem. Dann sich ermannend, klingelte sie und befahl der eintretenden Kammerfrau, augenblicks den Stiftshauptmann Willekin von Herrkestorf rufen zu lassen. –

Im dämmerkühlen Refektorium des Klosters Sankt Wiperti saßen Graf Bernhard und Ritter Bock von Schlanstedt mit dem dicken Prior Bavo und zwei anderen rotwangigen Mönchen beim Weinkruge und harrten der Ankunft Albrechts. Ein Becher stand schon für ihn bereit.

Endlich trat der Erwartete ein.

»Gott segne Euren Eingang, Herr Graf!« sprach sich erhebend der Prior mit seiner fetten Stimme, während einer der Mönche schnell den leeren Becher füllte.

»Eurer Seele zur Labung, Eurem Leibe zur Genesung, hochedler Herr!« sagte Bruder Malchus, dem Grafen den Becher entgegenhaltend.

»Ist zwölfjähriger Hallgartener Ausstich,« sagte Bruder Alexius. »Gebenedeit sei Euch der Trunk, Herr Graf!«

»Amen!« sagte Bock und trank mit.

Graf Bernhard sprach kein Wort; forschend hing sein Blick am Angesichte seines Bruders.

»Gottes Lohn, ehrwürdige Brüder!« sprach Albrecht und trank in durstigen Zügen.

»Ah!« machte er dann und stieß den Becher auf den schweren Eichentisch. »Noch einen! Das war ein Tropfen auf einen heißen Stein.«

»Hast du –?« frug Bernhard mehr mit den Augen, als mit Worten.

»Nein,« erwiderte Albrecht kopfschüttelnd, »komm, laß uns reiten!«

Aber die Mönche baten, daß er noch bleiben möchte, und er ließ sich bereden, setzte sich zu ihnen und war fröhlich und guter Dinge nach dem harten Streit mit der leidenschaftlichen, eifersüchtigen Frau dort oben auf dem Schlosse.

Als aber der hohe Steinkrug wieder einmal leer war, litt Albrecht nicht, daß er von neuem gefüllt wurde, sondern brach mit Bernhard auf, gefolgt von Bock und seinen sechs Reisigen.

Unterwegs, während die böse Sieben, schwerlich mit einer guten Absicht, hinter den Herren zurückblieb, erzählte er Bernhard seinen Auftritt mit der Äbtissin; nur die seltsame Art, wie er von ihr Abschied genommen, verschwieg er dem Bruder. »Aber laß sie nur,« schloß er, »wir behalten, was wir haben, und ich wette, was du willst: über dem Zorn der Domina geht die Sonne nicht siebenmal unter. Außerdem wüßte ich ein Mittel, den Lehnsbrief morgen am Tage von ihr zu bekommen.«

»Ein goldenes Ringelein?« frug Bernhard lächelnd.

»Nein,« erwiderte Albrecht, »Gräfin Oda heißt den Preis, für den ich alles von ihr haben könnte.«

»Gib ihn hin!« sagte Bernhard schnell. »Du kannst das Fräulein doch nicht bei dir allein auf dem Regenstein behalten.«

»Warum nicht?« frug Albrecht mit umwölkter Stirn. »Ich habe ihr meinen Schutz gelobt und lasse sie nicht im Stich.«

»Gib acht, Albrecht,« sprach Bernhard mit besorgter Miene, »um dieses Mädchens willen werden uns Feinde wachsen und harte Kämpfe erblühen.«

»Daran wird es uns in nächster Zeit sowieso nicht fehlen,« versetzte Albrecht.

»Wenn du Oda der Äbtissin nicht überantworten willst, so gib sie uns auf die Heimburg unter Reginhilds Obhut,« drängte Bernhard.

»Nein! sie bleibt, wo sie ist!« sprach Albrecht kurz und barsch, gab seinem Braunen die Sporen und ließ ihn in einem langen Trabe wacker ausgreifen, daß Bernhard über des Bruders Eile seine eigenen Gedanken hatte.

Als sie an den Regenstein herankamen, bemerkten sie auf der Höhe des Felsens eine weibliche Gestalt, die mit einem weißen Tuche winkte. Es war Oda; wer anders sollte es sein? Die Brüder sahen sie beide, aber keiner äußerte ein Wort darüber oder machte den andern darauf aufmerksam. Albrechts Gesicht erheiterte sich zu einem glücklichen Lächeln, mit dem er ein paarmal nach der Höhe hinaufnickte. Bernhard aber tat, als sähe er die lebhaft Grüßende dort oben nicht und blickte verdrossen auf die Mähne seines Pferdes. Als sich am Fuße des Berges ihre Wege trennten, schieden die Brüder mit kurzem Gruße voneinander, und keiner war heute mit dem andern zufrieden.

Auch bergan mußte das Roß seines Reiters Ungeduld fühlen, daß es prustete und schnaufte, und als Albrecht im Burghof abstieg, hätte Schatte beinah ein lautes Wort mit sich selber gesprochen, weil der Graf sein Pferd warm in den Stall brachte, was er sonst niemals tat, wenn ihn nicht Not und Gefahr zur Eile zwangen.

In dem Hohlwege, der sich zwischen Felsen durch Wald und Gebüsch an der sanft ansteigenden Seite des Berges hinaufzog, hatte Oda den Grafen nicht mit den Blicken verfolgen können, und früher, als sie erwartet, erfuhr sie seine Ankunft durch den Hornruf des Türmers.

Sie eilte den Felsen hinab, aber auf den unteren Stufen kam Albrecht ihr schon entgegen. Sprechen konnte sie nicht; sie war wohl zu rasch herabgestiegen, und ihre Wangen waren gerötet. Freudig und innig strahlten beider Blicke ineinander. Sie blieb stehen, so daß er ein wenig zu ihr aufschauen mußte, als er ihr die Hand reichte.

»Siegfried läßt Euch grüßen, Gräfin Oda!« begann Albrecht. »Und er will Euch jeden Abend bei Sonnenuntergang vom Bergfried der Lauenburg einen Gruß herüberwinken und dabei denken, Ihr stündet hier auf dem Felsen und grüßtet ihn wieder.«

Aber die blauen Augen blickten nicht heiter auf diese Botschaft, und die Rosen auf Odas Wangen machten wieder den bleichen Lilien Platz. Statt einer Antwort frug sie geschwind: »Seit Ihr unverwundet, Herr Graf?«

Albrecht lachte: »Weder empfangen noch geschlagen habe ich Wunden, das Schwert blieb in der Scheide, mit ein paar eisernen Maulschellen haben wir die Lauenburg erstürmt.«

»Waret Ihr auch bei der Äbtissin?« frug sie weiter.

»Ja freilich, da war ich auch,« erwiderte er.

»Und wie seid Ihr von ihr geschieden?«

»Nun – etwas stürmisch war der Abschied,« sprach er mit einem eigentümlichen Lächeln zur Seite blickend, »aber ich hoffe, wir werden bald wieder gute Freunde sein.«

Sie waren hinabgestiegen und hatten sich langsam dem Palas genähert, an dessen Tür jetzt die alte Schaffnerin erschien.

»Laß auftragen, Ursula!« rief ihr der Graf zu, »und sag' es mir, wenn alles bereit ist, mich hungert.«

»Wollt Ihr Euch nicht des Panzers entledigen?« frug Oda.

»Dann müßt' ich Euch ja schon wieder verlassen,« erwiderte er lächelnd, »und ich habe Euch doch heute den ganzen Tag nicht gesehen.«

»Ich will Eurer hier harren,« sprach sie sanft errötend. »Mittlerweile rüstet uns Ursula das Mahl.«

»Uns? Habt Ihr auch noch nicht gegessen?« frug er verwundert.

»Nein, ich wollte warten, bis Ihr wiederkämet,« sagte sie leise.

Seine Augen ruhten mit einem vollen Blick auf ihr, den sie mehr fühlte, als daß sie ihn sah, denn sie hielt die Wimpern gesenkt.

»Ich bin gleich zurück,« sprach er und ging in den Palas.

Die Sonne stand schon nahe der absteigenden Linie des Brockens. Der Schatten des Bergfrieds lag quer über dem Burghof und streckte sich weit hinauf an dem grauen Felsen. Oda wandelte darin wie auf einer körperlosen Brücke langsam auf und nieder, mit ihren Gedanken beschäftigt.

Als Graf Albrecht oben in sein schmuckloses Gemach trat, kam es ihm verändert vor. Es hatte jemand darin aufgeräumt. Das mancherlei Zeug, Geschirr und Gerät, das sich sonst lässig und wirr auf Tisch und Stühlen umhertrieb, stand oder lag jetzt geordnet und gefällig angebracht, jedes an einem schicklichen Platze. Der Graf runzelte die Brauen über den unbefugten Eingriff in sein Altgewohntes. Da gewahrte er auf dem Tische, mitten vor seinem Trinkgefäß und dem Schreibzeug, einen kleinen, schlanken Krug mit einem Sträußchen frischer Waldblumen darin. Das konnte niemand anders gewesen sein als Oda. Und so war es auch. Eben noch, ehe sie auf den Felsen stieg, hatte sie die Blumen gepflückt, in Albrechts Zimmer gestellt und hier mit herzklopfender Freude als wohltätige Fee ordnend und schmückend gewaltet.

Sie, sie war hier in seinem Zimmer gewesen, war hier mit leichten Schritten hin und wieder geschwebt, hatte gedacht und gesonnen, wie sie dies und jenes das Auge erfreuend stellen und legen sollte, ihre Hände hatten das Jagdhorn und die Sporen, dieses Weidmesser und jenen Krug, den Sachsenspiegel und alles, was sie fand und sah, berührt, getragen, gerückt, sie hatte sich für ihn im Gebüsch nach den Blumen gebückt, das Krüglein am Brunnen mit Wasser gefüllt und das duftige, zierliche Sträußchen hineingetan!

Albrecht nahm es, betrachtete es und stellte es wieder genau an denselben Fleck. Dann sah er sich lächelnd im Zimmer um und freute sich wie ein Kind über die Bescherung an der heiteren Ordnung seiner Habseligkeiten. Ihm war, als fühlte er noch ein Wehen von Odas Atem, als hörte er ihre leichten Tritte und das leise Rauschen ihres Gewandes, und ein fröhliches, seliges Gefühl schlich sich in die Brust des gewaltigen Mannes, der heute seiner schutzbefohlenen Fürstin eine Burg genommen und dem leidenschaftlichen Ausbruch ihres Zornes getrotzt hatte.

Er zog das Eisenkleid aus, warf es nicht wie sonst halb auf diesen, halb auf jenen Schemel, sondern trug es selber in sein Schlafgemach und hüllte sich in einen sauberen, wollenen Leibrock. Dann nahm er den Blumenstrauß aus dem Krüglein und ging hinab in den Burghof zu Oda.

Mit herzlichen, schlecht beredten Worten dankte er der tief Verlegenen. Aber aus dem Sträußchen zog er eine tiefblaue Glockenblume. »Erlaubt,« sprach er lächelnd, »die blauen Glocken müssen sich prächtig in Eurem dunklen Haare machen.« Zitternd und erglühend hielt sie still, als er ihr Haupt berührte und sorgsam mit ritterlichen Händen die Blume in ihrem Haar befestigte. Das Sträußchen steckte er sich selber vor die Brust an den Leibrock, und so gingen sie auf Ursulas schon wiederholten Ruf in den Palas.

Die Sonne sank. Fern dort auf dem Bergfried der Lauenburg stand Siegfried und blickte nach dem Regenstein; aber seine Lilie stand hier nicht oben auf der Felsenhöhe. Sie saß an demselben Tische mit seinem Bruder Albrecht, und fröhliche Blicke gingen hinüber und herüber, von ihm zu ihr, von ihr zu ihm. Er mahnte sie nicht, auf den Felsen zu steigen, und Siegfrieds sehnsuchtsvoller Gruß flog über den Regenstein hinweg wie ein abgeschossener Pfeil, der seines Zieles verfehlte und sich spurlos im Blauen verliert.


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