Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Siebzehntes Kapitel.

Von der in der Stadt Quedlinburg schäumenden Gärung erhielt Graf Albrecht sofort Kunde; aber er lachte nur darüber und glaubte nicht an den Ernst der dort gegen ihn geplanten Unternehmungen, deren gefährlichste Seite ihm allerdings vorläufig noch verborgen blieb.

Für ihn begann in diesen Tagen ein ganz anderer, weit schwererer Kampf, als die Fehde um eine Burg, ein Kampf mit seinem Herzen, seinem Gewissen.

Albrecht liebte die Gräfin Oda.

Diese Entdeckung an sich selbst machte er zu seinem größten Schrecken in der Nacht nach seiner Rückkehr von Quedlinburg, nach dem Abend, da er Oda die Glockenblume ins Haar gesteckt hatte. Von dem Augenblick an, wo er sich darüber klar wurde, daß nicht Mitleid mit dem Lose der Enterbten oder das Gefühl ritterlicher Pflicht gegen eine Schutzbedürftige oder aber eine der künftigen Schwägerin schnell entgegenkommende Freundschaft der Grund und Boden seiner Empfindungen war, sondern daß diese nichts anderes als sehnende Liebe waren, von dem Augenblick überfiel ihn eine wahre Gewissensnot bei dem Gedanken an seinen Bruder Siegfried, von dessen Liebe zu Oda er überzeugt war, und dessen Hoffnung auf ihren Besitz er selber geweckt und genährt hatte. Jetzt mit den Wünschen des eigenen Herzens dazwischen zu treten, dünkte dem geradsinnigen Mann ein Verrat an dem Bruder. Hier war das einzig Rechte, das einzig Pflichtgetreue und Ehrenhafte völlige Entsagung, wozu er mit ehrlichem Willen auf der Stelle bereit war, ohne zu erwägen, ob die Ausführung dieses edelmütigen Vorsatzes nicht vielleicht die seelische Kraft auch eines Mannes wie er übersteigen könnte.

Als er am Morgen nach dieser schlummerlosen Nacht mit Oda zusammentraf, vermied er, wie von einer Schuld gedrückt, ihren Blick und sprach äußerst wenig mit ihr. Gleich nach dem Frühmahl ließ er satteln und warf sich aufs Pferd, um sich Ruhe zu erreiten und einen Entschluß abzuringen. Ohne Begleitung ritt er fort und achtete nicht des Weges, wohin seines Rosses ruhiger Schritt ihn trug, das er mit keiner Handbewegung lenkte, mit keinem Schenkeldruck zum Laufen trieb. Wie im Traume ritt er dahin, so in Gedanken verloren, daß er nichts um sich sah und hörte als Oda, immer nur Oda. Er rief sich jeden Tag, jede Stunde, jeden Augenblick des Zusammenseins mit ihr in die Erinnerung zurück von ihrer Ankunft auf der Burg bis zu dem gestrigen Gute-Nacht-Gruße, den sie ihm mit leiser Stimme und, wenn er sich nicht getäuscht, mit einem sanften Händedruck erwidert hatte.

Sie konnte nicht ahnen, daß er sie liebte, – so sagte er sich. Getan hatte er noch so viel wie nichts für sie, und sicher nur in der Hoffnung, daß er noch etwas für sie tun würde, war sie so freundlich gegen den Burgherrn, in dessen Gewalt sie sich befand, vielleicht auch, weil er Siegfrieds Bruder war. Woher sollten denn auch andere Gefühle für ihn in ihre jungfräuliche Brust kommen? und wie konnte sein Herz nur die unbegreifliche Torheit und den unverzeihlichen Frevel begehen, sich in die schlanke Lilie, Siegfrieds künftige, hoffentlich baldige Braut zu verlieben?

Er seufzte tief auf und reckte und hob sich im Sattel empor; aber mit einem Ruck zog er die Zügel an, daß sein Pferd zusammenfuhr, als hätte er es von einem Abgrunde zurückgerissen; er hielt dicht vor Quedlinburg, ohne zu wissen, wie er dahingekommen war; da oben, nahe vor ihm, ragte das Schloß der Äbtissin.

Brun hatte ihn unbemerkt denselben Weg zurückgetragen, den er gestern geritten war. Sprach durch das edle Tier die Stimme seines Schicksals? Wollte es ihn zur Äbtissin zurückführen, daß er seinen Frieden mit ihr machte, ihr die Lauenburg freiwillig herausgäbe, um sie aus der Hand der Fürstin in Huld und Gnaden als ein rechtes Lehen zurückzuempfangen? Graf Albrecht gab etwas auf Ahnungen, und Roß, Hund und Habicht waren ihm Freunde, auf deren natürlichen Spürsinn er sich gern verließ, ihren stummen Weisungen mit abergläubischem Vertrauen folgend. Hatte hier sein treues Roß wieder einmal für ihn entschieden und ihm den Weg, den er einzuschlagen hatte, vorbedeutend gezeigt?

Mit sich zu Rate gehend, blieb er auf dem Flecke halten, und es war leicht möglich, daß ihn Juttas scharfe Augen von ihrem Fenster aus entdeckten; aber es kümmerte ihn nicht, was sie über sein Erscheinen hier nach dem gestrigen Streite denken mochte, und ob sie es für Reue und Verlangen nach Versöhnung oder für Kundschafterei gegen sie und die Stadt hielt.

Wie aber, wenn sie ihm von da oben ins Herz blicken könnte und nun das bewahrheitet fände, was sie in Wallungen der Eifersucht geargwöhnt hatte, ehe es vorhanden war, was sie ihm ins Gesicht gesagt und er geleugnet hatte, – seine heimliche Liebe zu Oda!

Hatte ihn sein kluges Roß nun hierher getragen, um ihn der Spottsüchtigen gegenüberzustellen mit dem demütigen Bekenntnis, daß sie recht behalten hätte, und er nun Abbitte leisten wollte?

Er klopfte seinem Pferde den Hals und strich ihm die Mähne. »Was meinst du, Brun?« sprach er leise. »Sollen wir hinaufgehen zu unserer gnädigen Frau, sie um Verzeihung bitten und wieder Frieden und Freundschaft mit ihr schließen?« Brun nickte mit dem Kopfe. »Ja, du hast gut nicken, Brun! Du kennst sie nicht, du hast dich noch nicht mit ihr gezankt, hast ihr noch nie in die großen, dunklen Augen gesehen, wenn sie im Zorne Feuer und Flamme sprühen. Brun, wenn ich jetzt vor sie hinträte und ihr Herz und Hand fürs Leben böte! Dann wäre ich gebunden auf ewig, dürfte an keine andere mehr denken und wäre gefeit und gefestet gegen eine törichte Liebe, vor der ich mich anders nicht zu wahren weiß. Das wäre das sicherste Mittel, das holde Mädchen auf unserer Burg vor dem Sehnen und Sehren meines toll gewordenen Herzens zu schützen und unserem Siegfried sein Glück und seine Liebe zu retten. Hinauf zur schönen, liebeglühenden Domina, ein Wort zu ihr, – und alles wäre entschieden. Brun, sollen wir den Gang gehen?« Brun schüttelte, daß ihm die Mähne flog und Zaum und Kette klirrte. »Nein, Brun? das wilst du nicht?« rief der Graf freudig. »Du willst die stolze Jutta nicht zur Herrin? hast du denn Oda nicht lieb und unsern Siegfried? Brun, du bist ein ebensolcher Narr wie ich; komm! laß uns umkehren und sehen, was Oda macht.« Aber Brun wandte sich nicht, sondern fing an mit dem Fuße zu scharren. »Hoho! also doch vorwärts?« lachte der Graf. »Sollen wir vielleicht dem trutzigen Städtlein da den roten Hahn aufs Dach setzen, seine Tore einrennen, seine Mauern stürmen und dem hochmütigen Bürgerpack die Fehde künden, ehe sie uns den Absagebrief senden?« Brun hob die Nüstern und stieß ein Wiehern aus, das wie ein herzhaftes Lachen klang. Graf Albrecht mußte unwillkürlich einstimmen. »O Brun, du lustiger Herold!« rief er, »diesmal geht es nicht nach deinem Roßkopfe; wir reiten nicht aufs Schloß zur Domina und nicht zum Hohen Tor hinein aufs Rathaus. Komm, komm! Oda ist allein zu Hause.«

Er wandte den Braunen und trabte heimwärts, und wie er den Blick immerfort auf den Regenstein geheftet hielt, um so bald wie möglich Odas fern schimmernde Gestalt vielleicht wieder wie gestern auf der Höhe des Felsens zu erspähen, so richtete er auch alle seine Gedanken auf sie. Und als er über die Zugbrücke ritt, hatte er alles vergessen, was geschehen war, die Einnahme der Lauenburg, den Zorn der Äbtissin, die Drohung der Blankenburger und die Feindschaft der Quedlinburger.

Mit strenger Selbstbeherrschung verschloß er seine Liebe als das tiefste Geheimnis in seiner Brust, um Oda nicht das geringste davon ahnen zu lassen. Kein warmer Händedruck mehr, kein zärtliches Wort, kein inniger Blick verriet eine Spur von der Glut, die sein Inneres erfüllte. Aber in diesem aufregenden Kampfe fand er zu Hause, in Odas Nähe keine Ruhe mehr, und wie auf der Flucht vor seiner eigenen Leidenschaft in die Weite getrieben, schwang er sich am anderen Tage wieder in den Sattel, um in der Einsamkeit, wo Odas fragende Blicke ihn nicht trafen, nachzusinnen und heute zu versuchen, was ihm gestern nicht gelungen war – einen Entschluß zu fassen.

Am Fuße des Regensteins wollte Brun wieder den Weg nach Quedlinburg einschlagen, aber diesmal ließ ihm der Graf den Willen nicht, sondern lenkte den Widerspenstigen anders hinauf. Tiefe Stille war in dem grünen Walde, kein Blättchen regte sich an Busch und Baum, nur die Vögel sangen, und die Hufe des Pferdes klangen dumpf und hohl auf dem wurzelüberwachsenen Boden. Als der schmale Pfad unter tief hängenden Zweigen steil bergan führte, saß der Graf ab, schlang den Zügel um einen niedrigen Ast und streckte sich auf Gras und Moos in den Schatten einer Buche.

Auch hier umschwirrten ihn seine zerstreuten Gedanken ungreifbar durcheinanderfahrend wie Mücken im Sonnenschein. Und wie er sich mühte, sie zu Stetigkeit und Klarheit zu sammeln, da vereinigten sie sich zu einer heranschwebenden Frage, zu einem ihn plötzlich anfallenden Zweifel, der immer deutlicherer Gestalt annahm und sich mit immer schwererem Gewicht an seine Seele hängte.

So fest er von Siegfrieds Liebe zu Oda überzeugt war, so wenig war er es noch von Odas Liebe zu Siegfried. Darüber mußte er Gewißheit haben, und mit dem Gefühl einer Selbstanklage gestand er sich, daß er aus seinem Zweifel an Odas Liebe zu Siegfried eine leise Hoffnung für sich selber schöpfte.

Wie aber sollte er es anfangen, Odas Herz zu ergründen? In allerhand Kriegslisten war der vielbefehdete Ritter wohl bewandert, aber auf die schwere Kunst, einem Frauenherzen sein Geheimnis zu entlocken, verstand er sich nicht. Er beschloß daher, es dem Zufall zu überlassen, wie dieser ihn über Odas Gesinnung aufklären wollte; aber sobald er ihre Liebe zu Siegfried erkannte, wollte er seine eigene zum Schweigen bringen, wollte Juttas Hand ergreifen, ihr ein treuer Gatte sein und mit Oda als guter Schwager in herzlicher Freundschaft leben, wie er es mit der Frau seines Bruders Bernhard tat. Denn unbeweibt wollte und durfte er als Haupt der Familie nicht bleiben; er war es seinem Stamme schuldig, der Grafschaft Regenstein eine Herrin zu geben. Daß die Äbtissin ihm grollte, brachte er dabei gar nicht in Anschlag; von ihrer Liebe hatte er Beweise genug. Ihre Leidenschaftlichkeit reizte ihn, ihre hohen Geistesgaben und ihr verführerisches Äußere wirkten so stark auf ihn, daß er sich die Kraft zutraute, sein Herz, wenn auch mit bitteren Schmerzen, von Oda loszureißen und Jutta zuzuwenden.

So war er in der Waldeinsamkeit doch endlich zu einem Entschlusse gekommen, der ihm ebenso den Forderungen der Pflicht und des Gewissens zu genügen schien, wie er davon auch Ruhe des Herzens erhoffte, um sich mit kaltblütiger Besonnenheit nun den Angelegenheiten zu widmen, die seine Sorge dringend erheischten.

Er ritt nach dem Regenstein zurück und fand hier Reginhild bei Oda. Wie ein Blitz durchfuhr es ihn, die Schwägerin, die er wie eine Schwester liebte und vor deren sicherem Gefühl und hellem Verstande er eine hohe Achtung hatte, beiseite zu nehmen, in alles einzuweihen und von ihr Rat und Beistand zu verlangen. Aber als sie ihn forschend ansah, als suchte sie seine Gedanken zu lesen, da brachte er es nicht über sich, denn er schämte sich des knabenhaften Geständnisses, daß er, der reife Mann, in denselben Fesseln läge wie der Jüngling Siegfried.

Ihm sollte das Erröten vor der feinsinnigen Frau erspart bleiben, denn sie gab ihm ungefragt einen Rat, zu dessen Erteilung sie nach dem Regenstein gekommen war.

Odas Neigung zu Albrecht, die Reginhild selbst entdeckt hatte, machte dieser Siegfrieds wegen bange Sorge, und als Bernhard ihr nach der Rückkehr von der Lauenburg erzählte, daß Albrecht dort Siegfried als Burgvogt eingesetzt und seinen Vorschlag, Oda nach dem Schlosse zu Quedlinburg oder nach der Heimburg zu überführen, wieder schroff abgewiesen hatte, fürchtete sie, daß Odas Gefühle für Albrecht während ihres Alleinseins mit ihm an Innigkeit noch zunehmen und Siegfried gänzlich in Vergessenheit bringen würden. Ja, sie schloß sogar aus Albrechts beharrlicher Weigerung, sich von Oda zu trennen, daß er selber zu der jungen Gräfin eine Neigung gefaßt habe, an deren Beständigkeit Reginhild nicht glaubte, weil sie Jutta von Kranichfeld als die künftige Lebensgefährtin Albrechts betrachtete. An einem flüchtigen Wohlgefallen aber, das der ältere Bruder vielleicht an der schönen bleichen Lilie fand, sollte die Hoffnung des jüngern nicht zugrunde gehen. Daher hielt sie es für das ratsamste, das Alleinsein der beiden durch Siegfrieds Rückkehr auf den Regenstein abzukürzen, und um diese herbeizuführen, hatte sie sich mit Bernhards Zustimmung zu Albrecht auf den Weg gemacht.

Nach freundlicher Begrüßung des Schwagers begann sie wie im Auftrag ihres Gatten: es wären ihnen auf der Heimburg beunruhigende Gerüchte über die drohende Haltung des Rates und der Bürgerschaft von Quedlinburg zugegangen, die auf feindselige Absichten, wahrscheinlich auf den baldigen Versuch einer Eroberung der Lauenburg hinwiesen. Bernhard gäbe dem Bruder zu bedenken, ob Siegfried bei allem feurigen Mut doch in seinen jungen Jahren nicht der nötigen Erfahrung ermangelte, in so schwieriger Lage die Burg zu halten; er riete daher, ihn vorläufig durch einen älteren Lehensmann, vielleicht den Vogt von Derenburg, zu ersetzen und Siegfried nach dem Regenstein zurückzuberufen.

Reginhilds Worte drangen gleich einer Sonde in die Herzen der beiden Zuhörenden, und die kluge Frau gab nun acht, welchen Eindruck ihr Vorschlag auf Albrecht sowohl wie auf Oda machen würde.

Dem Grafen kam es sehr überraschend und ungelegen, aber so schnell Albrechts kriegskundiger Sinn die ausgesprochenen Bedenken als richtig erkannte, so schnell fand er auch heraus, daß ihm der Fall als Prüfstein für die Gefühle Odas dienen konnte. Wenn sie Siegfried liebte, so mußte sie ihre Freude über seine Rückkehr zu erkennen geben, und dann wußte er, was er zu tun hatte.

Bernhards Rat war in Ansehung einer gut geleiteten Verteidigung der Lauenburg unabweislich. Albrecht jedoch, im Schuldbewußtsein seiner Liebe, vermutete dahinter noch eine besondere Absicht Reginhilds und traf das Richtige. Er konnte Bernhards Gründen gegenüber die Rückberufung Siegfrieds nicht verweigern, ohne sich dem Verdachte auszusetzen, daß er Siegfried entfernt hätte, nur um mit Oda allein zu sein. Dennoch sann er auf eine verzögernde Ausflucht, die ihm Gelegenheit böte, sich Klarheit über Oda zu verschaffen.

Mit demselben Unbehagen eines sich durchschaut fühlenden Gewissens vernahm auch Oda Reginhilds Vorschlag, lauschte mit Herzklopfen auf das entscheidende Wort aus Albrechts Munde, verriet indessen mit keiner Miene, welche Wünsche sie hegte. Alle drei befanden sich in diesem Augenblick, einander heimlich beobachtend, unter dem Druck einer gespannten Erwartung.

»Bernhard hat recht,« sprach Albrecht nach kurzer Überlegung, »ich werde Harder von Derenburg zur Unterstützung Siegfrieds nach der Lauenburg schicken; an dem hat er einen waffenfesten Mann zur Seite, auf dessen erprobten Rat er sich bei Sturm und Ausfall verlassen kann. Aber ich möchte Siegfried nicht gern den kaum anvertrauten Befehl über die Burg schon wieder nehmen; er war so stolz darauf. Nicht wahr, Gräfin Oda, Ihr habt es ihm angemerkt?«

»Bei seinem Abschied sagte er nichts davon,« erwiderte Oda; »aber welcher Ritter geböte nicht gern über eine Burg!«

»Du kannst Siegfried nicht auf der Lauenburg lassen, wenn du Harder hinschickst,« bemerkte Reginhild. »Soll sich ein Graf von Regenstein den Anordnungen eines Lehensmannes fügen? Die Knechte dürfen nicht wissen, warum du den jungen Burgvogt durch einen älteren ersetzest; du mußt einen anderen, einen besonderen Grund für Siegfrieds Abberufung finden.«

»Eine Kränkung bleibt es immer für ihn,« sagte der Graf. »Er wird nie zugeben, daß er die Burg nicht ebensogut verteidigen könnte wie ein anderer.«

»Unzweifelhaft wird er das zugeben, Schwager, wenn du es ihm gehörig vorstellst,« erwiderte Reginhild. »Frage ihn selber, ob er nicht lieber auf den Regenstein zurückkehrt, statt nur dem Namen nach und nicht in der Tat den Befehl über eine Burg zu führen. Meint Ihr nicht auch, liebe Oda?«

»Ihr mögt wohl recht haben, Gräfin Reginhild,« sprach Oda beklommen.

Das mußte auch Graf Albrecht einräumen. Er hörte aber aus Reginhilds in einen kriegerischen Rat gehüllten Bitte für Siegfried zugleich die Stimme der Ehre und des Gewissens, und da war's entschieden. Mit einem raschen Entschlusse bezwang er alle Selbstsucht des Herzens und sagte: »Du hast mit überzeugt, Reginhild! ich werde Siegfried zurückrufen.«

Kein Strahl der Freude aus Odas Augen blitzte ihm dankend entgegen. Sie wagte nicht aufzublicken, und Albrecht erfuhr nichts von dem, was in ihrem Innern vorging.

Reginhild aber erkannte das Opfer, das er seinem Siegfried brachte, und kehrte beruhigt nach der Heimburg zurück, wie immer gut und groß von ihrem Freunde denkend.

Als Albrecht später in seinem Gemach allein war, ärgerte er sich, daß er auf den so naheliegenden Gedanken, Siegfried als Schutz und Schirm zwischen sich und Oda zu stellen, nicht von selber gekommen war und sich erst von Bernhard und Reginhild dazu hatte bereden lassen müssen. Es war das erstemal im Leben, daß er sich irgendeiner Sache wegen vor den Geschwistern zu schämen hatte, und das wurmte ihn.

Unzufrieden mit sich selbst ließ er den Ritter Bock kommen und sprach zu ihm: »Höre, Bock! unsere gnädige Frau, die Äbtissin, hat den Wunsch geäußert, daß kein Graf von Regenstein Vogt auf der Lauenburg sein sollte. Aus diesem Grunde, – hörst du, Bock? nur aus diesem Grunde will ich, daß Harder von Derenburg meinen Bruder Siegfried ablöst. Morgen früh reitest du mit drei Mann hinüber, bringst Harder meinen Befehl und geleitest ihn nach der Lauenburg, wo du Graf Siegfried dieselbe Bestellung ausrichtest. Am nächsten Tage kommst du mit Siegfried nach dem Regenstein zurück. Hast du mich verstanden, Bock? Warum soll Harder meinen Bruder ablösen?«

»Weil unsere gnädige Frau wünscht, was wir alle wünschen, daß Graf Siegfried bei Gräfin Oda bleibt,« erwiderte Bock mit einem verschmitzten Lächeln.

»Weil du nicht recht gescheut bist!« brauste der Graf, dunkelrot. »Weil sie keinen Regensteiner Grafen als Burgvogt haben will, hab' ich gesagt! Nun kaue das nach!«

Bock sprach es Wort für Wort nach.

»So! ich rate dir, behalte das und mache kein dummes Gewäsch!« warnte der Graf. »Also morgen früh reitest du, und nehmt euch vor den Quedlinburgern in acht; sie möchten euch wenig Höflichkeit erweisen. Gefangene bringst du mir nicht ein, keinen Gaul und kein Stück Vieh nimmst du weg, nichts, gar nichts! Verstanden, Bock?«

»Hm!« machte Bock. »Schade! Aber wenn ich den Schabernack kriege, Herr Graf –«

»So fragst du ihn wieder so aus wie neulich, nicht wahr?« höhnte der Graf.

Bock biß sich auf den Schnurrbart. »Es soll alles geschehen, wie Ihr befohlen, Herr Graf!« sprach er und verließ das Gemach.

Schweigen hatte ihm sein Herr nicht auferlegt, und so brannte ihm die Nachricht von der bevorstehenden Rückkehr Siegfrieds auf der Seele und ließ ihm nicht Ruhe, bis er sie allen auf der Burg mitgeteilt hatte, weil er wußte, daß sie allen Freude machte. Besonders wollte er sich bei Eilika damit in Gunst setzen.

Er fand das Mädchen in einer Laube des Baumgartens mit Nähen beschäftigt. Sie hatte ihn den Gang daherkommen sehen, tat aber sehr überrascht, als seine lange Gestalt etwas gebückt durch den niedrigen Gang der Laube hereintrat. Er setzte sich ohne Umstände neben sie auf die Bank und begann schmunzelnd: »Was gebt Ihr mir, holdselige Jungfrau, wenn ich Euch etwas Angenehmes sage?«

»Ihr habt mich damit nicht gerade verwöhnt, Herr Ritter,« erwiderte sie, »und es frägt sich, ob es etwas Angenehmes für Euch oder für mich ist.«

»Ich sollte meinen, das wäre ein und dasselbe,« sprach er wohlgefällig; »nur was Euch angenehm ist, kann es auch mir sein, und umgekehrt.«

»Umgekehrt auch?« lächelte sie. »Das ist mir wenigstens neu.«

»O ich dächte doch nicht,« sagte Bock, sie mit seinem süßesten Blicke von der Seite ansehend. »Aber ratet mal, was es ist, Jungfrau Eilika!«

»Nun denn: Ihr wollt auf längere Zeit verreisen,« sprach sie, ihm den Blick neckisch zurückgebend.

»Und das wäre Euch angenehm?« frug er vorwurfsvoll. »Aber wenn Ihr zwei Tage schon eine längere Zeit nennt und mich während dieser zwei Tage recht vermissen wollt, so bin ich versöhnt,« fügte er herablassend hinzu.

»Zwei ganze Tage? ich bin untröstlich, Herr Ritter!« sagte Eilika und blickte ihm nun erst recht schelmisch ins Gesicht.

»Das freut mich!« rief er. »Aber nun ratet, wen ich mitbringe, wenn wiederkomme.«

»Doch nicht den Grafen Siegfried?«

»Daß dich der Bock stößt!« versetzte der langbeinige Recke, »welcher Scharfsinn steckt hinter diesen feingeschwungenen Augenbrauen! Euch kann man doch mit nichts überraschen!«

»Hat es Graf Albrecht so bestimmt?« frug Eilika.

»Freilich! wer sonst? Sagt einmal, Jungfer Eilika, hat sich denn Euer gnädiges Fräulein schon recht nach unserm lieben Jüngsten gesehnt? Sie hat es wohl dem Graf Albrecht ein bißchen zu verstehen gegeben, daß sie ihn gern wieder haben möchte?« frug er vertraulich näherrückend.

»O Herr Ritter, wie könnt Ihr das denken!« entgegnete sie.

»Na na!« machte Bock. »So ganz von selbst nimmt der Graf nicht zurück, was er einmal angeordnet hat. Und das mit der Äbtissin glaube ich nicht.«

»Was mit der Äbtissin?«

»Der Graf sagt, die Äbtissin wollte keinen Regensteiner als Burgvogt haben, und nur um ihren Wunsch zu erfüllen, sagt der Graf, sollte Harder seinen Bruder auf der Lauenburg ablösen.«

»Ich denke, der Graf tut alles, was die Äbtissin will,« sprach Eilika.

»Ja so heißt es,« erwiderte Bock, »und es wird auch wohl so sein, denn, ganz unter uns, Jungfer Eilika! die Äbtissin, die wird einmal unsere Herrin auf dem Regenstein.«

»So?« sagte Eilika, »und dann will sie ihren künftigen Schwager nicht einmal als Burgvogt auf der Lauenburg haben? Macht mir nichts vor, Herr Ritter! da steckt was anderes dahinter.«

»Versteht sich, steckt was anderes dahinter,« versetzte Bock, »Eure Gräfin! die hat's gemacht.«

Eilika schüttelte mit dem Kopfe. »Nein, nein! ich glaube wirklich, die Äbtissin hat's gemacht.«

»Weil sie wünscht, daß unser Jüngster und Eure Gräfin ein Paar werden? Das habe ich auch schon gesagt, aber da habe ich eine schöne Antwort vom Grafen gekriegt,« sprach Bock und zog ein saures Gesicht.

»So? was hat er denn gesagt?«

»Ich wäre nicht recht gescheut, hat er gesagt.«

Eilika lachte laut auf. »Diesmal hat er Euch unrecht getan, Herr Ritter! Aber jetzt will ich einmal hören, was meine Herrin dazu sagt.«

Sie nahm ihr Nähzeug zusammen und erhob sich. »Was wir hier gesprochen haben, Herr Ritter, das bleibt unter uns,« sagte sie. »Kann ich mich darauf verlassen?«

»Auf Ehr und Eid, herzliebste Jungfrau!« erwiderte Bock feierlich. »Euer Vertrauen ist mir ein Born unerschöpflicher Wonne.« Dabei führte er ihre Hand, die sie ihm mit einem gnädigen Lächeln überließ, mit gezierter Umständlichkeit an seine Lippen und schritt langsam an der Seite der gefallsüchtigen Zofe aus dem Baumgarten zum unteren Burghof. –

»Gnädiges Fräulein, ich habe eine gute Nachricht. Graf Siegfried kommt wieder!« sprach Eilika fröhlich, als sie zu ihrer Herrin ins Zimmer trat.

Oda blickte ihre Zofe schwermütig an und sagte gelassen: »Warum nennst du das eine gute Nachricht, Eilika?«

»Ja freut Ihr Euch denn nicht darüber?« frug Eilika.

Oda schüttelte traurig das Haupt.

»Aber ich denke –« wollte Eilika fortfahren, unterbrach sich aber und sah die Gräfin zweifelhaft an.

»Du denkst, was die anderen wünschen,« sprach Oda.

»Nun, gnädiges Fräulein, ein junger Ritter wie Graf Siegfried, schön, tapfer, sittig und höflich, und ein Regensteiner!« rühmte Eilika. »Habt Ihr's denn noch nicht gemerkt, daß er bis über die Ohren in Euch verliebt ist?«

»O schweige davon!« erwiderte Oda mit einem Seufzer. »Das ist es ja, was mir unsäglichen Kummer macht. Eilika, ich habe hier niemanden, gegen den ich mein Herz erleichtern könnte; dir will ich's anvertrauen. Sie wollen, daß ich Graf Siegfrieds Frau werde, Graf Albrecht, Gräfin Reginhild und – ich weiß es wohl – Siegfried selbst am meisten.«

»Und die Äbtissin!« setzte Eilika hinzu.

»Die Äbtissin? die will es auch?« frug Oda erstaunt.

»Freilich! die erst recht! die hat es ja bewirkt, daß Graf Siegfried wiederkommt,« plauderte Eilika.

»Du irrst, Eilika,« sprach Oda kopfschüttelnd. »Graf Bernhard dringt darauf, daß ein älterer, erfahrenerer Mann die Lauenburg verteidigt. Gräfin Reginhild hat es in meinem Beisein dem Graf Albrecht vorgestellt.«

»In Eurem Beisein!« lächelte Eilika. »Natürlich, gnädiges Fräulein! Euch werden sie den wahren Grund nicht sagen. Aber verlaßt Euch darauf, es ist das Werk der Äbtissin; sie hat sich ebenso hinter Gräfin Reginhild gesteckt wie hinter Graf Albrecht.«

»Wer sagt das?« frug Oda unwillig.

»Der Ritter Bock hat mir's gesagt.«

»Ach, was weiß der Ritter Bock davon!«

»Er hat es aus Graf Albrechts eigenem Munde,« erwiderte Eilika mit Nachdruck.

»Von Albrecht? vom Grafen Albrecht?« frug Oda bestürzt.

»Gewiß! Graf Albrecht hat ihm gesagt, weil die Äbtissin es wünschte, daß Graf Siegfried nach dem Regenstein zurückkehrt, soll Ritter Bock hinreiten und den jungen Grafen holen,« berichtete Eilika mit geläufiger Zunge. »Graf Albrecht tut alles, was die Äbtissin will, denn die wird einmal die Herrin hier auf dem Regenstein. Wißt Ihr das nicht?«

Oda hatte nur halb gehört, was Eilika schwatzte, aber bei den letzten Worten fuhr sie auf; ihre Wangen waren bleicher als die Lilien.

»Nun laßt Ihr doch den Regenstein!« sprach Eilika munter weiter. »Ihr zieht mit Graf Siegfried auf die Lauenburg; da sollte es herrlich sein, sagt Ritter Bock; eine schöne, stolze Burg auf steilem Berge, mitten im Walde, ein rechtes Adlernest für ein glückliches Paar! Und wollt Ihr Abwechselung, so zieht Ihr mit Eurem schönen, jungen Gemahl auf den Falkenstein, denn der entgeht Euch nicht, gnädiges Fräulein! verlaßt Euch darauf! Die Regensteiner Grafen und der Mansfelder und ich weiß nicht, wer noch, haben geschworen, Euch die Grafschaft zu retten, sagt Ritter Bock. Und Graf Siegfried! sieht der aus, als ließe er sich das Erbe seiner Gemahlin, eine Burg wie den Falkenstein entgehen? So ein Ritter und Herr! wer den nicht lieben wollte –«

»Eilika! hat sich die Äbtissin auch hinter dich gesteckt?« frug Oda zürnend.

»Hat sie nicht nötig, gnädiges Fräulein!« lachte Eilika; »auf dem ganzen Regenstein ist keiner, der nicht von Herzen wünschte, daß Ihr und Graf Siegfried ein Paar werdet, und liebste, gnädigste Gräfin, Ihr sagtet, Ihr wolltet mir Euer Vertrauen schenken, o so tut es! was ich Euch helfen kann, ich und der Ritter Bock, das soll geschehen; wir gehen beide für unsere Herrschaft durchs Feuer. Gesteht nur, daß Ihr Graf Siegfried liebt, und überlaßt das Übrige uns, aber vertraut mir, Gräfin Oda!«

»Du meinst es gut, Eilika,« sagte die Herrin und reichte der Zofe die Hand; »ich liebe Graf Siegfried wie einen Bruder, aber anders nicht, anders nicht, Eilika!«

»O das lernt sich, gnädiges Fräulein!« lachte Eilika, »fangt nur mit der Bruderliebe an, die andere folgt dann von selber. Übermorgen kommt Graf Siegfried; seid freundlich, seid herzlich gegen ihn; er verdient es, Gräfin Oda, daß Ihr ihn liebt!«

»Ich will es versuchen, Eilika! will versuchen, mein Herz zu zwingen, weil Graf Albrecht es wünscht, aber –« ein schwerer Seufzer hob ihre Brust. –

Als Eilika am tiefdämmrigen Abend den Ritter Bock am Marstall traf, frug er: »Nun, wie steht's? was hat Eure Herrin dazu gesagt, daß Siegfried wiederkommt?«

»Wird sich schon machen,« kicherte Eilika, »ich bin sicher, sie liebt ihn, will's nur noch nicht Wort haben.«

»Kann ich ihm das morgen sagen?« frug Bock.

»Einen kleinen Wink könnt Ihr ihm wohl geben,« erwiderte sie.

»Einen kleinen Wink, hm! na werd's schon besorgen!« sagte Bock.

Das Mädchen sanft mit sich ziehend flüsterte er: »Ich glaube, herzliebste Jungfrau, Ihr habt Euer Fingerhütlein in der Laube liegen lassen; kommt, wir wollen es holen.«

»Ich glaube, wertester Ritter, Ihr habt Euren Verstand in der Laube liegen lassen,« erwiderte sie, ihn an seinem langen Schnurrbart zausend, »geht nur allein hin und holt ihn Euch wieder.«

Und leise lachend entschlüpfte sie ihm in das Dunkel.


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