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Der Winter war im Anzuge, sandte Regengüsse und rollende Stürme, Reif und Schneegestöber als Boten voraus und kam dann selber mit dem vollen Ernste seiner frostigen Gewalt, die alles Land erstarrt und gefesselt in eisigen Banden hielt. Immer tiefer hüllte sich der Brocken in ein leuchtendes Schneegewand, das sich bald über das ganze Gebirge und endlich auch weit und breit über die Ebene erstreckte. Nur der Regenstein, an dessen steilen Felswänden der Schnee nicht haften konnte, stand mit seinem düsteren Grau trotzig inmitten des blendenden Weiß, als wäre er allein zu stolz, die Farbe des Zwingherrn zu tragen. Aber sein Scheitel mußte sich gleich den anderen Gipfeln den Schmuck des Winters gefallen lassen, so oft auch der Sturmbesen darüber hin fuhr und die freie Höhe reinfegte.
Innen aber in der Burg, in Palas und Häusern und in den Felsenhallen und Grotten war es traulich und heimisch für die Insassen, die wie Fuchs und Dachs in ihrem verschneiten Bau nicht gerade einen Winterschlaf hielten, aber ein ungestörtes, behagliches Leben führten.
Für Albrechts und Odas Liebesglück war der Winter wie geschaffen. Von der Außenwelt abgeschlossen, von keinen Händeln beunruhigt, von keinen Kämpfen bedroht, lebten sie nur einer im andern und einer für den andern in traumseliger Einsamkeit, die sie nicht als einen widerwillig erduldeten Zwang empfanden, sondern als das freudenreichste Glück erfüllter Sehnsucht genossen.
Wenn ihnen der Sturm nicht sein brausendes Lied sang, so umgab sie eine lautlose Ruhe, denn auch auf den Höfen war es nun still; da wurde jetzt weder mit Ackergerät noch mit Waffen und Rüstzeug hantiert; nur in der Schmiedegrotte klang zuweilen fleißiger Hammerschlag.
In den Kaminen brannten lustige Feuer, und in Albrechts nun sauber geordnetem, behäbig eingerichtetem Gemach saßen die zwei Glücklichen und wurden nicht müde mit Plaudern und Erzählen aus den Erinnerungen früherer Tage. Der waffenfrohe Kriegsmann hatte sich in einen zärtlichen Gatten verwandelt und war fügsam und schmiegsam mit allerhand gefälliger Dienstbarkeit um sein junges Weiblein bemüht, über die sie oft beide lächeln und manchmal laut lachen mußten, weil es sich gar zu drollig ausnahm, wie sich die starke Schwerthand des Helden so täppisch und linkisch in kleinen häuslichen Verrichtungen zeigte, die er der Geliebten zu Gefallen vornahm, aber selten glücklich zu Ende brachte. Aus dem Blicke seiner Augen, aus dem Klange seines Mundes sprach eine völlig wunschlose Heiterkeit, ein wahrhaft kindlicher Frohmut; er dachte wohl kaum noch daran, daß er in der Welt noch irgend etwas anderes war oder besaß oder zu tun hatte, als hier in seinem sonst so furchtbaren, jetzt so traulichen Felsenneste neben Frau Oda zu hocken, sie anzulächeln, sie auf Händen zu tragen.
Oda blühte an Albrechts Seite, im warmen Sonnenstrahle seiner Liebe von Tage zu Tage herrlicher auf. Die bleiche Lilie war zu einer anmutsvollen Frau geworden, die ihre Stellung als Gemahlin des Grafen Albrecht von Regenstein mit einer sanften, unbewußten Hoheit ausfüllte und in ihrer grenzenlosen Verehrung und hingebenden Liebe zu ihm keinen Augenblick vergaß, daß sie ihren Himmel auf Erden allein dem edlen Manne verdankte, der sie zur ersten im Lande gemacht hatte. Ihre einzige Sorge, ob sie ihm als Gefährtin seines Lebens auch wohl zu genügen vermöchte, küßte er ihr lächelnd von der reinen Stirn, zog sie innig an seine Brust und nannte sei sein höchstes Glück, für dessen Schätzung er keine Worte hätte. Da ruhten ihre blauen Augen wonneblickend in den seinigen, und wie sie ihn fest umschlang und an sich drückte, da sang und sprang ihr das Herz und schlug in überquellender Freude dicht an dem seinigen.
Sie gebrauchte Zeit, es zu fassen und zu glauben, daß sie hier, wo sie fünf Monde lang als eine aus ihrer Heimat Vertriebene, als rücksichtsvoll behandelte Gefangene gelebt und sich in Zweifel und Sehnsucht nach einem sie unerreichbar dünkenden Glücke verzehrt hatte, nun wirklich die gebietende Herrin war, und manchmal noch in Albrechts Armen überfiel sie ein leiser Schrecken, als wenn sie diesen trauten Platz nicht mit allem Fug und geheiligtem Recht als sein ehelich Weib einnähme, sondern immer noch als Gefangene sich dem Willen ihres Gewalthabers in fesselloser Liebe ergeben hätte. Dann war es ihr wie ein Trost, wenn Eilika sie beim Morgengruß nicht mehr gnädiges Fräulein, sondern recht nachdrücklich betont Frau Gräfin nannte. Wie oft mußte sie an ihren Einzug hier mit dem Ritter Bock von Schlanstedt denken, als sie in den Saal gerufen wurde und sich im Kreise der Männer zaghaft und hilfesuchend nach der einzigen Frau, nach Reginhild umsah! und dann wieder an ihren wehmütigen Abschied, als die Grafen zur Quedlinburger Fehde ritten! Damals war sie fest überzeugt, daß sie den Regenstein niemals wieder mit einem Fuße betreten würde, und nun war sie die Burgfrau hier, und alle, vom Burgherrn bis zum jüngsten Troßbuben, waren bemüht, sie zu ehren und ihr zu dienen.
Zum Weihnachtsfeste kamen Albrechts Brüder, Ulrich, Poppo und Günther, und man feierte die Tage teils auf dem Regenstein, teils auf der Heimburg im einträchtigen Familienkreise, bei dem Bock von Schlanstedt so wenig fehlen durfte wie der Abt von Michaelstein, und keine Sorge, kein düsterer Gedanke trübte die Freude der festlichen Zeit. Als Bernhard sah, wie glücklich Oda seinen Bruder machte, faßte er eine aufrichtige Zuneigung zu der jungen Schwägerin und zeigte ihr dies durch unverhohlene Beweise entgegenkommender Freundschaft. Auch das Verhältnis zwischen den zwei ältesten Brüdern gestaltete sich wieder inniger, und Albrecht verzieh dem jüngeren seinen Fehler, den er mit dem Aufgeben des Falkensteins begangen hatte. Er nahm ihn am heiligen Abend einmal beiseite und raunte ihm lächelnd etwas zu, worauf ihm Bernhard fröhlich und herzlich die Hand schüttelte. Reginhild bemerkte es und schnell herzutretend hörte sie Albrecht noch sagen: »Wir wollen ihn Siegfried nennen.« Da lief sie schnell zu Oda und umschlang die Errötende, innige Wünsche flüsternd.
So ging dieses ereignisreiche Jahr seinem Ende entgegen, und was es auch an Lust und Leid gebracht hatte, es ließ das Regenstein'sche Geschlecht nach überstandener schwerer Niederlage in einer gesegneten, noch nie erreichten Machtfülle, im Glanze eines weithin strahlenden Ruhmes und mit einer hocherfreulichen Hoffnung zurück.
Albrecht und Oda waren wieder allein und verbrachten die letzten Stunden des ablaufenden Jahres am Kaminfeuer, sowohl rückwärts wie vorwärts schauend und sich freundliche Bilder auf den dunkeln Grund der Zukunft malend.
In dem großen Weichhause der Vorburg hielten die Reisigen und Knechte einen Sylvestertrunk, und Bock von Schlanstedt führte den Vorsitz dabei. Die Schar war etwas kleiner geworden, denn mancher fehlte von denen, die im Herbste mit ihrem Herrn nach Quedlinburg gezogen waren, und während der Winterruhe wollte man keine neuen Kriegsleute anwerben; das hatte Zeit bis zum Frühjahr, wenn das Fehdereiten wieder anfing. Auch die böse Sieben war nicht mehr vollzählig; Gutdünkel und Feuerlein waren im Kampfe geblieben, und Bock hatte nur noch vier seiner Getreuen um such. Die Bezeichnung ›böse Sieben‹ hätte keinen Sinn mehr gehabt, und weil es ihm selber gerade noch soviel waren wie Finger an seiner Hand, so hatte er sich mit seinen vier Auserwählten den Namen ›die rauhe Hand‹ beigelegt.
Der tapfere Ritter war heute besonders aufgeräumt, denn morgen, am Neujahrstage, wollte er seinen Herrn um Erlaubnis bitten, Eilika freien zu dürfen, und dann seine feierliche Werbung bei ihr selber anbringen. Um bei diesen wichtigen Geschäften nicht einen schweren Kopf zu haben, brach er gleich nach Mitternacht, nachdem das neue Jahr fröhlich begrüßt war, aus dem Kreise der lärmenden Zecher auf und begab sich nach seiner im östlichsten Teile der Burg belegenen Kemenate.
Es war eine klare Winternacht; der Mond schien, und der Schnee glänzte, so daß es sehr hell war; hie und da zogen kleine weiße Wölkchen am Himmel. Bock ging ruhig seines Weges über den oberen Burghof und dachte an die wohlgesetzten Reden, die er morgen halten wollte. Er hoffte, Graf Albrecht würde ihn mit seiner Angetrauten als Vogt auf eine Burg setzen; aber auch auf dem Regenstein war für das neue Pärchen noch Raum genug. Diesem schmeichelnden Gedanken nachhängend blieb er stehen und schaute sich lächelnd um, als wollte er sich in den Häusern und Felsenbauten das Plätzchen aussuchen, wo er am liebsten mit Eilika unterschlupfen möchte.
Wie er so zum Palas emporblickt und über den Palas hinweg, da – barmherziger Gott! was ist das?! Da oben auf dem Felsen bewegt sich etwas, wallt und schwebt langsam dahin, eine weiße Menschengestalt habt sich klar vom dunklen Himmel ab, – der Tempelherr ist es! der Tempelherr zeigt sich und geht um in der ersten Nacht des neuen Jahres! Welche Gefahr, welches Unheil, welche Schreckenstat will sein gespenstisches Bild dem edlen Grafenhause verkünden?
Dem Ritter grauste; wie angewurzelt stand er, den Blick zu der schwebenden Gestalt emporgewandt. Ihn kam die Lust an, den Felsen zu ersteigen, sich dem nachtwandelnden Geiste kühn in den Weg zu stellen und ihn zu befragen. Schon hob er den Fuß zum ersten Schritte, da fiel ihm ein, daß er sein Schwert nicht bei sich hatte, und nicht bedenkend, daß ihm dasselbe bei einer solchen Begegnung wenig nützen würde, wagte er es nicht, der Spukgestalt waffenlos gegenüberzutreten. Er rührte sich nicht und hielt den Atem an, als fürchtete er, das Gespenst dort auf der Höhe mit dem leisesten Geräusch oder der geringsten Bewegung zu verscheuchen. Jetzt stand es eine geraume Weile regungslos auf der obersten Felsplatte und schien nach einem bestimmten Punkte im Lande zu spähen, der in der Richtung über Derenburg nach dem Huy liegen mußte. Was mochten seine Geisteraugen dort erblicken, daß sie so lange Zeit auf der einen Stelle hafteten? Sah es von dorther das Unglück kommen, das dem Grafenhause drohte? Nach langem Hinschauen immer nach dem einen Punkte bewegte sich's wieder, schwebte den Stufen zu, die vom Felsen herabführten, und wie sich die Gestalt nun nicht mehr gegen den freien Himmel zeichnete und der weiße Mantel auf dem Untergrund des Schnees zerfloß, war die Erscheinung Bocks Augen plötzlich entschwunden.
Quälende Sorgen und beängstigende Träume umringten in dieser Neujahrsnacht Bocks einsames Lager in seiner Felsenklause, und wenn er morgen mit der Bitte um Gestattung seines Liebesglücks vor seinen Herrn trat, so geschah es zwar nicht mit schwerem Kopfe, aber mit einem desto schwereren Herzen. Er fragte sich sogar, ob es unter diesen Umständen nicht seine Pflicht wäre, das Heiraten aufzugeben, um alle seine Aufmerksamkeit, Zeit und Kraft ungeteilt seinem von Unheil bedrohten Herrn zu widmen. Nicht aus den Augen lassen wollt er ihn und seine Gemahlin fortan, und von einem Anderen Wohnsitze als dem Regenstein konnte keine Rede mehr sein. Zweifelhaft war ihm, ob er dem Grafen von dem Erscheinen des Tempelherrn Mitteilung machen sollte oder nicht. Es tat ihm in der Seele weh, seinem geliebten Herrn die sonnenhellen Tage seines jungen Glückes durch die schreckliche Kunde verdüstern und ihm damit die nie schlafende Sorge heraufbeschwören zu sollen vor einem grausenhaften Ereignis gänzlich unbekannter Art, das im Finstern lauerte, jede Stunde mit erschütternder Gewalt die Ungeschützten überfallen oder in aufreibender Angst und Pein noch lange auf sich warten lassen konnte. Nach gründlicher Erwägung des Für und Wider sah er jedoch ein, daß er dem Grafen das Gesehene nicht verheimlichen durfte, damit dieser, gewarnt, sich in allen seinen Schritten einiger Vorsicht befleißigte.
Als er nun am Neujahrsmorgen dem Grafen sein Anliegen vorgetragen hatte, gab dieser sofort und von Herzen gern seine Einwilligung und sagte lachend: »Hat sie dich alten Junggesellen also doch noch herumgekriegt? Nun, so tut euch in Gottes Namen zusammen, meinen Segen habt ihr! Suche dir selber den Platz aus, wo du mit deiner Herzallerliebsten hausen möchtest, und wenn es die Lauenburg wäre!«
»Herr Graf,« erwiderte Bock sehr ernst, »ich gehe nicht vom Regenstein fort; wir wollen uns mit Eurem Verlaub schon einrichten hier.«
»Du willst nicht Burgvogt werden?« frug der Graf erstaunt. »Ei, Bock, ich hätte dir mehr Ehrgeiz zugetraut.«
»Ich verlasse Euch nicht, und Ihr werdet mich brauchen, Herr Graf,« sagte Bock.
»Das hoff' ich,« entgegnete der Graf. »Denkst du, ich werde dich zu Hause lassen, wenn wir im Frühjahr gegen den Bischof ziehen? wir müssen ihm ja den Falkenstein nehmen, wenn er ihn nicht gutwillig hergibt.«
Bock schüttelte das Haupt und seufzte.
»Was hast du, Bock?« frug der Graf, ihn scharf anblickend. »Du siehst mir nicht aus wie ein glücklicher Bräutigam.«
»Bin ich auch nicht,« sprach Bock finster. »Herr Graf, ich habe Schlimmes zu melden. – Der Tempelherr hat sich gezeigt.«
Graf Albrecht sprang vom Sessel auf. »Der Tempelherr hat sich gezeigt? wann?»
»Diese Nacht, oben auf dem Felsen.«
»Wer will ihn gesehen haben?«
»Ich selbst,« erwiderte Bock. »Als ich kurz nach Mitternacht von der Vorburg nach meiner Klause ging, habe ich ihn gesehen, wie er auf dem Felsen wandelte und von der Höhe in das Land schaute nach dem Huywalde zu; hätte ich mein Schwert bei mir gehabt, so hätte ich ihn gestellt.«
»Warst du auch bei klaren Sinnen, Bock?« frug der Graf.
»So klar wie ich hier vor Euch stehe, und die Nacht war von Schnee und Mondschein tageshell,« erwiderte Bock.
Der Graf starrte eine Weile in düsterem Schweigen vor sich hin und sprach dann: »Kurz nach Mitternacht war es, sagst du, also auf der Schwelle zwischen dem alten und dem neuen Jahre. Bedeutet nun das Umgehen des ruhelosen Geistes eine Klage über vergangenes Leid oder eine Drohung mit zukünftigem Unheil?«
Bock zog die Schultern hoch. »Es heißt doch, er ließe sich nur hören oder sehen, wenn Trauriges bevorsteht,« erwiderte er. »Er rumorte im Verlies auch an dem letzten Abend vor unserem Ritt zur Quedlinburger Fehde, und wer weiß, ob er nicht in der Nacht umgegangen ist, ehe Graf Siegfried fiel.«
»Du willst sagen, Bock, der Tempelherr verkündete meinen Tod?« sprach Graf Albrecht.
»Es muß ja nicht Euch betreffen, Herr Graf.«
»Wen sonst, Bock? doch nicht mein liebes Gemahl, meine Oda?« rief der Graf erschrocken.
»Ihr habt ja noch Brüder, Herr Graf,« erwiderte Bock. »Wir stehen alle in Gottes Hand; aber ich dachte, ich dürfte es Euch nicht verschweigen.«
»Nein, du treuer Freund, das durftest du nicht,« sprach der Graf. »Wir wollen auf unserer Hut sein. Sage niemand, was du gesehen hast, auch Eilika nicht, hörst du?!«
»Nein, Herr Graf! Niemand soll es erfahren,« gelobte Bock und legte seine Hand in die des Grafen.
»Verrate durch kein unbedachtes Wort, keine noch so entfernte Andeutung, daß wir etwas zu fürchten hätten,« fuhr der Graf fort. »Tu, als wäre nichts geschehen, wähle dir deine Behausung hier, richte dich ein nach deinem Gefallen und sage mir, wann du mit deiner Eilika in Michaelstein am Altar knien willst.«
Bock nickte bloß und ging schweigend ab. Aber nun war er nicht in der Stimmung, vor Eilika zu treten und seine Liebeswerbung bei ihr anzubringen. Kopfhängerisch schlich er umher, machte sich bald hier, bald dort zu schaffen, wo er jetzt eigentlich nichts zu suchen hatte, und fand nirgends Ruhe. Mehr als einmal begegnete ihm Eilika, die ihm heute recht absichtlich in den Weg zu laufen schien und ihn dabei stets mit fragenden und vorwurfsvollen Blicken ansah. Schon zu Weihnachten hatte sie seinen Antrag erwartet, hoffte nun heute, am Neujahrstage, mit aller Bestimmtheit darauf und wurde von Stunde zu Stunde betrübter, als er noch immer keine Anstalt machte, das entscheidende Wort zu sprechen. Zu Mittag war er der geladene Gast des gräflichen Paares, und zu seiner Verwunderung und Freude war Graf Albrecht heiter und wohlgemut und scherzte mit seiner Gemahlin und seinem ritterlichen Dienstmann in der gewohnten Weise, als wäre die Meldung des letzteren vom Umgehen des Tempelherrn aus seinem Gedächtnis völlig entschwunden.
»Nun, Bock, wie steht es?« frug ihn der Graf froh gelaunt, »hast du das Schlößlein erstürmt, und ist die Brücke gefallen? oder mußt du vor deiner Spröden erst noch einige Zeit lagerhaftig werden?«
»Noch bin ich nicht Sturm gelaufen, Herr Graf,« erwiderte Bock verlegen.
»Ja, worauf wartest du denn nicht, du blöder Knabe?« lachte der Graf. »Ist das Regenstein'sche Art, sich vor dem Feinde zu fürchten und nicht zuzugreifen, wo gute Beute winkt?«
»Kommt, trinkt Euch Mut, lieber Ritter!« lächelte Oda und füllte ihm den Becher mit feurigem Weine. »Auf Eilikas Wohl! und wenn mich nicht alles täuscht, so wird der Kampf so heiß nicht werden.«
»Wenn du aber Hilfe brauchst, Bock, so sag' es nur,« fügte der Graf hinzu, »mich hast du immer an deiner Seite.«
»Ich denke, den Strauß bestehe ich noch allein, Herr Graf,« erwiderte Bock und tat einen tiefen Zug aus seinem Becher.
Als das heitere Mahl beendet war, und Graf und Gräfin den Saal verließen, blieb Bock allein noch sitzen und blickte gedankenvoll vor sich hin.
Nach kurzer Zeit trat Eilika mit einem frisch gefüllten Kruge herein und sprach: »Herr Ritter, die Frau Gräfin schickt Euch hier noch einen Krug Wein; Ihr hättet es heute besonders nötig, sagte sie, und ich sollte Euch solange Gesellschaft leisten, bis er leer wäre.«
Da erhob sich der Held in seiner ganzen Länge, glättete sich das zimmetbraune, ledergestickte Feiertagswams, strich sich den Schnurrbart rechts und links von den Lippen und begann feierlich: »Herzliebste, holdseligste Jungfrau! Duftige Blume am dornigen Wege meines Lebens, blinkendes Sternlein am Himmel meiner einsamen Nächte! Der Augenblick ist gekommen, in welchem mein Herz den Helmsturz aufschlägt, um Euch mit den zärtlichsten Gefühlen, mit denen es von Kopf zu Fuß geharnischt und gepanzert ist, ebenso sanft wie unerschrocken entgegenzutreten. Euch ist gewiß längst unverborgen, hochachtbare Jungfrau Eilika, daß ich von der heftigsten Liebe zu Euch entzündet bin, und wie das Schlachtroß seinen Reiter nur noch den einen unbesiegbaren Gedanken trage, Euch mit Leib und Seele, mit Haut und Haar mein eigen zu nennen. So beuge ich denn hier in geziemender Weise das Knie vor der Dame meines Herzens und tue die dienstliche Bitte und höfliche Anfrage, ob Ihr, tugendsame Jungfrau, als mein ehelich und ritterlich Gemahl den Platz an meiner rechten Seite einnehmen, mich lieben und ehren wollt, wie ich Euch liebe und ehre, und mit ewiger Treue im Diesseits und im Jenseits bei mir ausharren wollet.«
Er war vor ihr niedergekniet, streckte ihr die Hand entgegen und sah sie mit einem seiner bohrenden Blicke an, den er, den Kopf etwas schief haltend, durch eine schmachtende Zärtlichkeit und ein süßes Lächeln so verführerisch wie möglich zu machen versuchte. Sie hatte ihn mit einem zur höchsten Freude verklärten Angesicht ruhig aussprechen lassen.
Nun nahm sie seine Hand und sprach mit züchtig niedergeschlagenen Augen in einem zierlichen und verbindlichen Tone: »Hochedler Herr Ritter! ich fühle mich durch Euren höflichen und dankenswerten Antrag dermaßen geehrt und gerührt, daß mein entzücktes Herz das Geständnis seiner brennenden Liebe zu Euch nicht länger zurückzuhalten vermag. Ich beantworte Eure sanftmütige Frage mit einem ebenso unerschrockenen Ja! ich will Euch dienstlich und huldvoll mit Leib und Seele, mit Haut und Haar zu eigen sein, Euch als meinen ritterlichen Herren und Gemahl lieben und ehren mit grenzenloser Hingebung und Treue bis an Eures Lebens Ende.«
»Ich danke Euch, liebwerteste Jungfrau,« erwiderte er schwärmerisch; »gebe Gott und die lieben Heiligen, daß Ihr es niemals bereuet! Schenket mir jetzt den bräutlichen Kuß als unverletzliches Siegel unseres feierlichen Gelöbnisses.«
Sie umschlang ihn und küßte ihn auf den Mund. Dann erhob er sich von den Knien, hielt sie aber in seinen Armen fest, und sie schmiegte sich innig an seine sie weit überragende Gestalt.
»Nun bist du mein Bräutchen, liebe Eilika!« lispelte er und zwinkerte mit verliebten Augen. »Bist du denn auch recht glücklich?«
»O mein – ja, wie nenn' ich Euch denn, mein lieber –«
»Du! Du! Dich! nicht mehr Euch!« unterbrach er sie.
»Also du, du herzlieber Mann,« lächelte sie, »wie heißt du denn?«
»Wie ich heiße?«
»Ja, wie ich dich nennen soll, wie dein Rufname ist, meine ich.«
Da blickte er sie ganz erschrocken an und faßte sich mit der Hand nach der Stirn. »Daß dich der Bock stößt!« rief er aus, »ich weiß es nicht, ich habe meinen Namen vergessen! seit dreißig Jahren wohl habe ich ihn nicht gehört, ich kann mich nicht mehr darauf besinnen, und hier weiß ihn niemand.«
»Ja, was machen wir denn da?« frug Eilika lachend. »Bock mag ich dich nicht rufen; so werde ich dich wohl noch einmal taufen müssen.«
»Nein, nein, warte mal!« sprach er in seinen Gedanken suchend. »Ich habe da unter meinen hundert kleinen Erinnerungsstücken ein altes Breviarium, das mir meine Mutter – Gott hab' sie selig! – hierher nachgeschickt hat, als sie hörte, daß ich auf dem Regenstein Dienste genommen hätte. Dahinein hat sie von einem Mönche einen frommen Spruch und meinen Namen schreiben lassen. Komm, mein Herz! komm mit nach meiner Klause, wir wollen es suchen; aber freilich –« er stutzte plötzlich und sah Eilika mit einem zagenden, fragenden Blicke an – »ich kann nicht lesen.«
»Aber ich!« jubelte Eilika, »komm!«
Nun gingen sie beide Arm in Arm über den Burghof zu Bocks Behausung, und sie gingen sehr langsam und blickten stolz erhobenen Hauptes nach rechts und links, ob sie auch wohl als neu verlobtes, glückliches Paar gesehen würden. Vor dem Weichhause, in welchem sich Bocks Felsenkemenate befand, sagte er: »Warte hier, meine geliebte Eilika! es geziemt sich nicht für eine jungfräuliche Braut, das Gemach eines ledigen Mannes und gar ihres Bräutigams zu betreten; ich hole das Büchlein heraus.«
Sie lächelte verschämt und schritt, während er im Innern des Hauses verschwunden war, auf dem glitzernden Schneepfade auf und nieder. Bald kam er zurück und brachte das Buch.
»Hier ist es!« rief er erfreut, »nun lies mir vor, wie ich heiße!«
Eilika schlug den Deckel auf und las. Dann warf sie, sich auf den Zehen hebend, die Arme um seinen Hals und jauchzte: »Benjamin heißt du!«
»Benjamin!« wiederholte er schmunzelnd, »richtig! Benjamin heiß ich! und das Sprüchlein?«
»Das ist lateinisch, das versteh' ich nicht,« erwiderte sie. »Aber nun komm! komm zum Herrn und zur Herrin, mein lieber, süßer Ritter Benjamin Bock von Schlanstedt!«