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Es waren vier schwere Tage, für Siegfried sowohl wie für Oda, die ihnen bis zu Albrechts sehnlichst erwarteter Rückkehr langsam dahinschlichen. Wenn sie sich auch beide einer ruhigen und ernsten Freundlichkeit zueinander befleißigten und den zwischen ihnen stattgefundenen leidenschaftlichen Auftritt mit keinem Worte berührten, so war doch diese Zeit, namentlich für Oda, außerordentlich peinlich und machte ihr den großen Abstand recht fühlbar, wenn sie dieselbe mit dem heimlichen Glück jener Tage verglich, die sie in Siegfrieds Abwesenheit mit Albrecht allein verlebt hatte. Siegfried bat sie gleich am ersten Mittag um Erlaubnis, den Ritter Bock, weil er jetzt einen so beschwerlichen Dienst hätte, an ihrem Mahle teilnehmen zu lassen, was sie, seine Absicht verstehend, um so lieber gewährte, als er damit auch ihrem Wunsche, ein Beisammensein unter vier Augen möglichst zu vermeiden, entgegenkam.
Bock führte die Unterhaltung bei Tische fast ganz allein, und da er Siegfrieds und Odas Befangenheit für Sorge um Albrecht hielt, so suchte er sie ihnen auszureden, indem er ihnen die Zeit vorrechnete, die derselbe zur Aufbringung genügender Streitkräfte und zum Anmarsch mit denselben gebrauchte und dabei die Umsicht und Erfahrung seines Herrn rühmte, womit er jeder Gefahr gewachsen wäre. Nur darüber konnte er sich nicht zufrieden geben, daß der Graf den alten Schuft, den Habernack hatte entwischen lassen, der nur gekommen wäre, um sie mit falschen Nachrichten in Sicherheit zu wiegen und dann den Feinden zu verraten, wie wenig sie auf dem Regenstein auf einen Angriff vorbereitet waren. Er schwur dem Verräter tödliche Rache.
Der Feind rührte sich nicht, sondern lag ruhig auf derselben Stelle, in der Hoffnung, die Burg durch Aushungerung zu Falle zu bringen. Vom dritten Tage an war auf der Höhe des Felsens Tag und Nacht ein Posten aufgestellt, der nach Annäherung des Entsatzes spähen und auf das mit Albrecht verabredete Hornzeichen lauschen sollte.
Endlich, am fünften Morgen, meldete dieser: Sie kommen! und die Hinaufeilenden erblickten einen anrückenden Heerhaufen, den sie in Anbetracht der Stärke des Feindes allerdings etwas größer wünschten. Sie wußten nicht, daß dies nur die Hälfte war und die andere Hälfte, die sie von hier oben nicht sehen konnten, den Regenstein südlich umging, um gleichzeitig den Feind auch von dieser Seite anzugreifen. Sofort sammelte Siegfried die Seinigen zum Ausfall, und als der Posten oben das Zeichen gab, daß er Albrechts Hornruf vernommen, brachen sie aus dem Tore heraus und faßten den Feind nun von der dritten Seite, ohne selbst von diesem Vorteil Kenntnis zu haben.
Trotz der tapfersten Gegenwehr der Angegriffenen, die in heißem Ringen das Gefecht eine Zeitlang zum Stehen brachte, war der Sieg der Regensteiner und ihrer Bundesgenossen ein vollkommener. Der Feind wurde mitsamt den ihm zu Hilfe kommenden Belagerern der Heimburg, denen Graf Bernhard mit seiner Besatzung auf dem Fuße folgte, geschlagen und versprengt, außer den Toten und Verwundeten, an denen es auch auf seiten der Angreifer nicht fehlte, eine beträchtliche Zahl Gefangener in den Händen der Sieger zurücklassend.
Als nach erzwungener Durchbrechung der feindlichen Macht die Eingeschlossenen des Regensteins mit ihren Befreiern auf dem Kampfplatze zusammentrafen und ihren heldenmütigen Herrn, den Grafen Albrecht, nach seinem gefährlichen Wagnis wiedersahen, jauchzten sie ihm zu und schwangen die Waffen; selbst Bock vergaß seine strenge Würde, hob sich im Sattel seines steifbeinigen Schecken und schrie aus Leibeskräften: »Viktoria! Viktoria!«
Mit herzlicher Freude begrüßten sich nach dem erfochtenen Siege die gräflichen Brüder, die außer dem Domherrn Ulrich nun wieder einmal alle beisammen waren, denn auch Günther und Poppo waren auf Albrechts Ruf mit ihren Knechten von Gersdorf und Crottorf zum Entsatz ihrer Stammburg herbeigeeilt. Bernhard, der ja selbst eingeschlossen gewesen war und daher Albrechts Erscheinen an der Spitze der Verbündeten nicht begreifen konnte, hörte nun mit Staunen den Bericht von seiner nächtlichen Fahrt vom Felsen hinab. Siegfried drückte dem Bruder von Pferd zu Pferd die Hand, konnte aber kein Wort zu Gruß oder Glückwunsch hervorbringen, und Albrecht, von Lärm und Gewühl umdrängt, nahm sein Schweigen und seinen brennenden Blick für sprachlose Freude des Wiedersehens nach solchem Abschied.
Die wenigen ritterlichen Gefangenen, unter denen jedoch leider kein Graf von Blankenburg oder Wernigerode und auch nicht Rudolf von Dorstadt war, ließ man gegen ein mäßiges Lösegeld, dessen Zahlung sie, sobald sie etwas hätten, – aber sie hatten nie etwas – auf Ehr und Eid gelobten, frei von dannen ziehen, weil Kampf und Fehde ihr Handwerk war und man ihnen ihr lustiges Reiterleben, das sie bald im Solde eines Mächtigeren, bald auf eigene Faust abenteuernd führten, nicht verkümmern wollte.
Als sich aber bei Musterung der gefangenen Knechte herausstellte, daß nicht allein Reisige des Bischofs, sondern auch der Städte Halberstadt, Aschersleben und Quedlinburg an der Belagerung teilgenommen hatten, wollte sich Graf Albrecht diesen gegenüber nicht zu der gleichen Großmut verstehen, sondern die unvermutete Entdeckung gründlicher prüfen. Da erfuhr er denn von einem mit der Sache vertrauten Halberstädter, daß der Bischof schon vor längerer Zeit ein geheimes gegen ihn gerichtetes Schutz- und Trutzbündnis mit diesen drei Städten geschlossen hatte. Albrecht war entrüstet darüber, aber am meisten ergrimmte ihn diese Heimtücke von der unter seiner Schirmvogtei befindlichen Stadt Quedlinburg, von deren Feindschaft er auf einem eiligen Ritt durch den Gau noch weit Schlimmeres erfahren hatte. Während daher die übrigen Gefangenen nach Ablieferung ihrer Rüstungen und Waffen ungekränkt entlassen wurden, war er nicht zu bewegen, auch die Quedlinburger freizugeben, ja, er wollte sie als Empörer und Verräter sämtlich über die Klinge springen lassen, und die Freunde hatte große Mühe, ihn davon abzubringen; aber frei gab er sie nicht, sondern ließ sie in die Felsenkammern des Regensteins sperren.
Im Lager des Feindes hatte man reiche Beute an Mundvorräten gemacht, die den Insassen des Regensteins sehr willkommen war. Das Kriegsvolk der verbündeten Grafen sowie das von Gersdorf und Crottorf wurde vorläufig in den nächsten Burgen und festen Häusern untergebracht, und was dort nicht Platz fand, lagerte sich unterhalb des Regensteins, denn es gab noch Arbeit für Schwert und Spieß.
Die Herren wollten den Sieg nun mit einem guten Trunke auf dem befreiten Regenstein feiern und ritten zusammen hinauf. Es waren außer den fünf Brüdern die Grafen Burchard von Mansfeld, Bernhards Schwiegervater, Heinrich von Stolberg und Dietrich von Hohnstein und Geldrungen mit einigen ritterlichen Dienstmannen, denen sich natürlich der höfliche Ritter Bock von Schlanstedt anschloß.
Albrecht hatte noch mitten im Getümmel Odas gedacht und ihr sofort nach Entscheidung des Kampfes einen Boten gesandt, von dem sie auch erfuhr, daß er unverwundet war. Nun erwartete sie ihn mit sehnsuchtsvoller Ungeduld, aber in ihre Freude mischte sich ein Gefühl verschämter Bangigkeit, als wüßte er jetzt um ihre Liebe zu ihm. Nicht daß sie Siegfried zutraute, das Schweigen, das sie ihm darüber auferlegt, gebrochen zu haben, aber da das Geheimnis einmal ihrem Herzen entschlüpft und, wenn auch nicht von ihren eigenen Lippen, in deutlichen Worten ausgesprochen war, so meinte sie, es müßte dem Geliebten wie ein gezähmter, der widerwilligen Haft entflohener Falke über Berg und Tal nachgeflogen sein, ihn gefunden und sich bei ihm niedergelassen haben, so daß er es nun auch in seiner Brust trüge wie sie in der ihrigen. Der Gedanke erfüllte sie halb mit Schrecken und halb mit Seligkeit.
Nach langem Warten kam wieder ein Bote, der der Schaffnerin Albrechts baldige Ankunft und die Zahl der Gäste ansagte.
Oda war es nicht lieb, daß sie ihn in Gegenwart Fremder begrüßen sollte, und um ihn erst einmal ungestört und unbeobachtet, auch von Siegfried unbeobachtet, wiederzusehen, eilte sie zu jener von Gesträuch verdeckten Stelle, wo sie mit ihm zusammen die Ankunft der Äbtissin erspäht hatte.
Da stand sie nun mit klopfendem Herzen und lauschte. Endlich erklang das Horn des Türmers, und so schmetternd und jubelnd, wie sie es noch nie gehört hatte. Und da – da kam er vor seinen ritterlichen Gästen und seinem tapferen Kriegsvolk als Vorderster einher geritten, stolz wie ein Reichsfürst, glücklich wie ein Sieger. O wie herrlich sah er aus in seiner kraftvollen, blühenden Männlichkeit hoch zu Roß in bestaubter Rüstung mit lächelndem Munde und blitzenden Augen! Und diese Augen blickten umher in der Runde und suchten, – suchten – etwa sie?! Jetzt wandte er den Kopf nach der Seite hin, wo sie stand; schnell fuhr sie zurück, daß sich die Zweige am Strauche bewegten, da suchte er nicht mehr.
Graf Albrecht führte die Herren in den Palas und sagte fröhlich: »Günther und Siegfried, weist unseren edlen Gästen Saal und Gemach! Poppo, du sorgst für den Tisch und daß die Humpen nicht fehlen! und du, Bock, plünderst den Keller, denn darauf verstehst du dich am besten!«
Und, Albrecht, wohin willst du? wollte Siegfried fragen.
Albrecht stahl sich hinaus und ging, wie er vom Pferde gestiegen, in den Baumgarten hinüber zu der, die seiner dort harrte wie bei einem heimlichen Stelldichein.
Bald stand er vor ihr, und es fehlte wenig, so hätte er sie an seine Brust gezogen, so wäre sie ihm in die Arme gesunken.
»Oda! Oda!« sprach er nur mit bewegter Stimme und streckte ihr beide Hände entgegen. Sie zitterte und bebte, von Glut überströmt, und konnte nicht sprechen. Keiner wußte etwa von sich selbst, jeder sah nur den andern. Er hatte vergessen, daß er für Siegfried bei ihr geworben, und sie, daß ihre Liebe ohne Hoffnung war.
»Da bin ich wieder,« sagte er endlich, um doch etwas zu sagen.
»Seid willkommen, Herr Graf!« hauchte sie, »und alles Glück und Heil zum Siege! ich danke Euch, daß Ihr mir Botschaft gesandt habt.«
»Seid Ihr mir auch nicht böse,« frug er, »daß ich ohne Abschied von Euch den schlimmen Weg da oben ging?«
»Hättet Ihr's mir gesagt, so hätt' ich's nicht gelitten,« erwiderte sie leise.
»Ich ging ihn für Euch, liebe Oda!« sprach er, »und für Siegfried, den ich Euch nicht nehmen wollte, denn man konnte doch nicht wissen –«
Und für Siegfried! Der Name weckte sie wie ein kalter Wassersturz aus ihrem Augenblickstraume. Sein Leben hatte Albrecht gewagt, um das Siegfrieds zu schonen und zu erhalten – für sie! O wenn er wüßte –! Sie konnte ihm für seinen Opfermut nicht danken; beklommenen Herzens sagte sie: »Kommt zu Euren Gästen, Herr Graf!«
Während sie miteinander nach dem Palas gingen, begann er: »Nun muß ich Euch doch noch selber das Gastrecht kündigen. Wie ziehen alle wieder zu Felde, und Ihr könnt nicht allein auf dem Regenstein bleiben. Ist es Euch recht, wenn wir Euch nach Quedlinburg zur Äbtissin geleiten? Sie wird Euch gewiß freundlich aufnehmen, hat Euch ja selber eingeladen, und ich hoffe, Euer Aufenthalt bei ihr wird nicht lange dauern. Auch Siegfried hofft das,« schloß er mit gepreßter Stimme.
Wieder fuhr sie wie fröstelnd zusammen. »Mir ist alles recht, was Ihr über mich beschließt, Herr Graf,« gab sie äußerlich ruhig zur Antwort.
»So haltet Euch übermorgen bereit; dann müssen wir fort,« sagte er noch.
Im Saale trat Oda etwas bedrückt den Herren entgegen, die sie alle ritterlich begrüßten, und zog sich dann bald zurück. Siegfried hatte gesehen, wie sie mit Albrecht aus dem Baumgarten kam. Sie war sehr bleich.
Nun saßen die Grafen und Ritter um den Tisch herum und labten sich aus vollen Humpen und Krügen. Albrecht trank aus dem silbergetriebenen Mundbecher seines Vaters und merkte nicht, wie Siegfried ihn immerfort ansah. Aber in diesen Blicken lag nichts von Neid und Groll der Eifersucht, sondern ein schwermütig gedankenvolles Forschen und Raten, öfter unterbrochen durch Hinabstürzen eines vollen Kruges.
Die Herren unterhielten sich von den einzelnen Zügen und Wendungen des eben bestandenen Kampfes, vertieften sich immer mehr in Waffen- und Fehdegespräche, und wie nun Reiten und Streiten, Stechen und Schlagen ihres Lebens Höchstes war, so wurde das siegesfrohe Trinkgelage unversehens zu einem pläneschmiedenden Kriegsrat, in dem sie die Unternehmungen der nächsten Tage und Wochen beredeten, denn nun waren sie einmal beisammen, nun wollten sie auch Bischof und Städte und wer ihnen sonst noch Feind war, ihre Macht fühlen lassen.
Graf Burchard von Mansfeld war dafür, da sie sich zunächst der Grafschaft Falkenstein bemächtigen sollten; die beiden Grafen aus dem Helmgau rieten, zuerst an den Blankenburgern und Wernigerödern Rache zu nehmen, während Albrechts Brüder lieber dem Bischof zu Leibe wollten.
Albrecht schüttelte den Kopf, stieß seinen Becher auf den Tisch und sagte grimmig: »Erst Quedlinburg! – abbrennen will ich das Nest, wenn sie nicht zu Kreuze kriechen, und blechen sollen sie, daß ihnen die Augen übergehen! Denkt Euch: während ich hier fest saß, haben sie die Gunteckenburg überfallen, erstürmt und in einen elenden Schutthaufen verwandelt.«
Ausrufe des Unwillens, Drohungen und Verwünschungen unterbrachen ihn.
»Luchard mußte sich mit den Knechten, soviel noch am Leben waren, in das Wipertikloster flüchten,« fuhr er fort; »aber auch dahin verfolgten ihn die Rebellen, zerstörten die von mir erbauten Ringmauern und hätten das Kloster bis auf den Grund verwüstet, wenn sich nicht die Äbtissin mit ihrem ganzen Ansehen ins Mittel gelegt hätte.«
»Woher weißt du das alles?« frug Graf Burchard.
»Als ich zu dir nach Mansfeld trabte, holte ich unterwegs einen von Luchards Knechten ein, der verwundet und abgeschnitten, sich nach der Lauenburg durchschlagen wollte; der hat mir's erzählt,« erwiderte Albrecht. »Dann haben sie in Quedlinburg auf dem Markte geschrien und getobt und sich von meiner Vogtei losgesagt. Dazu noch das geheime Bündnis mit dem Bischof – o! das Maß ist voll zum Überlaufen! Ich will ihnen für die Gunteckenburg ihr Rathaus zerbrechen, und von denen, die sich darin spreizen wie die Pfauen, müssen ein paar Köpfe von ihren Hälsen herunter!«
Dem widersprach niemand, und Albrecht fuhr fort: »Aber den Tanz mit Quedlinburg können wir Regensteiner allein besorgen; nehmt unterdessen den Falkenstein für uns, und nachher stürzen wir uns alle zusammen auf den Bischof von Halberstadt.«
»Er wird sich tüchtig wehren, denn er hat Bundesgenossen,« sagte der Graf von Stolberg. »Aber ich hoffe, die Askanier werden dann auch mit ihm anbinden wegen Aschersleben, und wenn dann nicht Harzgau und Schwabengau wie ein einziges großes Turnierfeld von Kriegsgeschrei erfüllt ist, so liegt es an unserem guten Willen nicht.«
»Vielleicht können wir uns ein Stück Arbeit ersparen,« meinte der Graf von Mansfeld, »wenn wir den Halberstädtern einen gemeinsamen Fehdebrief schreiben wegen des Bischofs; ich weiß, sie lieben ihn nicht, und er hat auch Feinde in seinem eigenen Domkapitel.«
»Einverstanden!« sprach Albrecht. »Poppo, schreibe den Brief gleich hier am Tische; du weißt, wo du Pergament und Schreibzeug findest.«
Poppo holte sich das Nötige herbei und schrieb hier zwischen den Bechern den Fehdebrief, dessen herkömmlicher Wortlaut den ritterlichen Herren so geläufig war wie das Vaterunser.
Die anderen setzten dabei die Beratung ihres Feldzugsplanes fort. Die Grafen von Mansfeld, Stolberg und Hohnstein sollten in die Grafschaft Falkenstein einrücken, die Burg nehmen, den Grafen Hoyer mit Glimpf oder Gewalt daraus vertreiben und eine Besatzung auf dem Falkenstein zurücklassen, bis die Regenstein'schen Grafen freie Hand hätten und ihn selber behaupten könnten. Graf Albrecht sollte alle seine Streitkräfte zusammenziehen, um mit der Stadt Quedlinburg ins Gericht zu gehen. Während der vielleicht längere Zeit in Anspruch nehmenden Belagerung sollten auf den Burgen nur die nötigsten Wachen bleiben, aber ein scharfer Beobachtungsdienst eingeführt werden, damit keine derselben vom Feinde eingeschlossen würde, ohne daß es die Grafen erführen. Es sollten durch den ganzen Umkreis des Regenstein'schen Gebietes von Burg Botfeld bei Elbingerode bis Schlanstedt und Westerburg und von Benzingerode bis Ditfurt und Gersdorf, fortwährend einige Reiter zwischen den einzelnen Burgen einherstreifen und über Sicherheit oder Gefahr Meldungen miteinander austauschen. So war denn alles abgemacht, übermorgen wollten die Herren aufbrechen.
Nun las Poppo den Fehdebrief vor: »Wisset, Bürgermeister und Rat von Halberstadt, daß wir, Graf ... (folgten die Namen) mit unseren Helfern um Albrechts Grafen von Regenstein willen euch und den eurigen offenbare und abgesagte Feinde sein und euch allen Schaden tun und tun lassen wollen, wo er auch herkommen und wie er sich auch benamsen möge, so ihr nicht anders binnen drei Tagen auch von eurem Bischof gänzlich ab- und lossaget. Damit wollen wir unsere Ehre zu rechter Zeit bei euch verwahret haben und tun uns hiermit in dem obengenannten Grafen seinen Frieden und Unfrieden. Geschrieben unter des Grafen Albrecht von Regenstein beigedrucktem Insiegel.«
Sämtliche Herren setzten ihre Namen darunter, und Poppo drückte das Wappen mit der vierendigen Hirschstange in Siegelwachs dazu.
»So!« sprach Albrecht, »das wäre gemacht! Nun kommt her und stoßt an: auf gute Verrichtung! Jetzt wollen wir trinken und fröhlich sein!«
Das gelang ihnen denn auch. Die hohen Kannen wurden immer wieder gefüllt und auch immer wieder geleert, und die Gäste wurden immer lebhafter und lauter. Es waren freimütige Gesellen, starkherzige Männer, gesund und dauerhaft, die im Sattel immer wußten, wo sie hinschlugen, aber beim Becher nicht fein überlegten, was sie sagten.
»Auf Eure schöne Gefangene, Albrecht!« rief Graf Dietrich von Hohnstein, den Humpen schwingend. »Donner und Hagel! Das war kein schlechter Fang, Ritter Bock von Schlanstedt!»
»Und nicht bloß die schöne Gefangene, auch die schöne Grafschaft mit dem Falkenstein, die Euch dabei zufällt!« sagte Graf Heinrich von Stolberg.
»Noch ist sie nicht gefallen, Freund!« erwiderte Albrecht.
»Haha! dafür laßt uns sorgen!«
»Sagt mal, ihr Regensteiner,« frug Graf Burchard, »wer von euch, die ihr noch ledig seid, wird denn die schöne Gräfin nun eigentlich ins Brautbett tragen, der älteste oder der jüngste?«
»Ich glaube, sie sind alle vier in sie verliebt; wie? gesteht mal!« sagte Graf Dietrich.
»Ich gesteh' es, ich bin's!« lachte Poppo.
»Ich auch!« folgte ihm Günther.
»Albrecht und Siegfried schweigen; also die sind's am meisten,« neckte Graf Heinrich.
»Nun kommt es bloß darauf an, wen von uns sie liebt,« sagte Poppo. »Albrecht, ich glaube, sie liebt dich!«
»Wieso?« frug Albrecht erschrocken.
»Ich habe vorhin einen Blick von ihr gesehen, einen Blick auf dich –!«
»Dummes Zeug!« unterbrach ihn Albrecht ärgerlich, »schweig still!«
»Hoho! ruhig Blut!« mahnte Burchard.
»Wenn ihr nicht Brüder wäret,« sagte Graf Dietrich, »so wäre es das einfachste, ihr kämpftet um die Gräfin so lange miteinander, bis nur einer von euch übrig bliebe, dem sie dann von selber zufiele. Jetzt ist einer dem andern im Wege.«
»Aber wir sind Brüder!« sprach Bernhard streng und finster, »und keiner von uns ist dem andern im Wege.«
»Nun, nun, so bös war es wohl nicht gemeint,« begütigte Burchard.
Wie zwei Blitze von Augen zu Augen hatte sich unwillkürlich bei Dietrichs Worten Albrechts und Siegfrieds Blicke getroffen. Was jeder dabei empfunden und gedacht, erriet keiner. Siegfried verhielt sich schweigsam, und Albrecht bemerkte nun erst sein düsteres, schmerzverstörtes Gesicht. Auch ihm war das Gespräch von Anfang an peinlich gewesen, und etwas erregt sagte er: »Genug damit, Freunde! die Gräfin Oda ist so gut Gast des Regensteins wie ihr; ich will kein Wort mehr über sie hören. Wenn wir übermorgen nach Quedlinburg reiten, so nehmen wir sie mit und bringen sie zur Äbtissin aufs Schloß, denn allein kann sie hier nicht bleiben.«
Das Gespräch nahm eine andere Wendung, und schnell war die allseitige Fröhlichkeit wieder hergestellt, bei der sie noch lange beisammen saßen, bis Graf Burchard als Gast seines Schwiegersohnes mit diesem und seinen ritterlichen Dienstmannen nach der Heimburg aufbrach. Die anderen blieben auf dem Regenstein, wo sie jeder ein bescheidenes mit unverglastem Fenster und sehr notdürftigem Hausrat versehenes Kämmerlein erhielten.
Als sich Albrecht seit fünf Nächten zum ersten Male wieder in sein eigenes Bett legte, wollte ihm der sonst so getreue Schlaf selbst nach den gehabten Anstrengungen nicht kommen. Er dachte nicht mehr an die Not der Belagerung, nicht an den grausigen Weg, auf dem er ihr entronnen, und seinen langen Ritt nach Mansfeld, auch nicht an den heute erfochtenen Sieg oder die nun bevorstehenden Kämpfe, er dachte einzig und allein an Oda. Sie war ihm bei dem Wiedersehen so schön, so hold und herrlich erschienen, daß die schwer unterdrückte Leidenschaft nach der kurzen Trennung aufs neue und mit doppelter Gewalt in ihm aufglühte und es ihn unmöglich deuchte, von der Geliebten zu lassen. War es denn etwas so Undenkbares, daß sie ihn wiederliebte? Seine Bewerbung für Siegfried hatte sie so gut wie abgewiesen und war manchmal, wenn er mit ihr allein sprach, in eine seltsame Verwirrung geraten; wie oft hatte er ihre Wangen sich röten, ihre Blicke leuchten gesehen und liebe, herzige Worte aus ihrem Munde gehört!
Aber mitten in diese freundlichen Gedanken hinein schoß wie ein vergifteter Pfeil das häßliche, sündhafte Wort des Hohnsteiner Grafen: ›Einer von euch ist dem andern im Wege‹.
Dietrich hatte sich dabei sicher nichts Arges gedacht. Er hatte es in Siegesfreude und Zecherlust übermütig hervorgesprudelt als einer, der gewohnt war, um das Größte wie um das Kleinste zu stechen und zu streiten, zu wetten oder zu würfeln. Aber einmal ausgesprochen, war es nicht mehr zurückzunehmen und klang nun Albrecht fort und fort grauenhaft in den Ohren. »Verdammtes Wort!« murmelte er und warf sich jach auf die andere Seite, als wollte er ihm den Rücken zukehren, »ich will es vergessen, als hätte ich es nie gehört!«
Endlich schlief er ein, aber nun schlich sich ein böser, ein fürchterlicher Traum in seine Seele. Er erstürmte eine Burg, um die darin gefangene Oda zu befreien. Da kam ein Trupp Reiter gesprengt, der eroberten Burg zu Hilfe, und er rief seinem Bruder Siegfried zu: »Halte sie auf, bis ich Oda habe!« Siegfried warf sich mit einer Handvoll Knechten den Reitern entgegen und kämpfte mit ihnen; aber als Albrecht Oda gerettet in Armen hielt, sah er, wie Siegfried, von einer Lanze durchbohrt, vom Pferde sank. Siegfried war nicht mehr, und Oda war sein.