Fedor von Zobeltitz
Besser Herr als Knecht
Fedor von Zobeltitz

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XIX

Allgemach kam Emich auch hinter die gutgemeinten Schliche des alten Veresco. Durch seine Agenten in Bukarest war der Marquis benachrichtigt worden, daß die Erzherzogin Marie dort bereits eingetroffen sei; aber die Diphtherie grassiere in Bukarest, und so hätte man die Prinzessin mit ihrer Begleiterin in tiefstem Inkognito in das kleine Bad Krotowo geschickt, wo sie verbleiben sollte, bis die Gefahr in Bukarest vorüber sei. Dann auch erst, etwa anfangs Oktober, sollte der Besuch des Fürsten von Illyrien am rumänischen Hofe erfolgen. Aber Veresco arbeitete vor. Er war plötzlich sehr für die Harun-al-Raschid-Reise eingenommen, von der er anfänglich gar nichts hatte wissen wollen; »Krotowo« stand auf dem Itinéraire des Fürsten, und dort konnte er unter der Maske des Inkognito seine Zukünftige besser und eingehender kennenlernen als am Hofe zu Bukarest. Ein gewandter Geheimagent – Stenko, der Führer – wurde ihm beigegeben, der Veresco auf dem Laufenden erhielt; zwischen Madedje, Garica und Bukarest flogen chiffrierte Depeschen hin und her; endlich erhielt auch die Gräfin Törky Aufklärung und den gemessenen Befehl, erst bei der Abreise des »Doktor Robertus« das Inkognito der Prinzessin zu lüften und auch nicht eher ihre Schutzbefohlene über Wahrheit und Dichtung in der Person des deutschen Gelehrten zu unterrichten. Daß schließlich die Liebe selber Maske und Schleier fallen lassen würde, erhoffte die Gräfin nach ihren Beobachtungen freilich; aber daß sich dies alles so rasch abwickeln würde, hatte sie nicht erwartet. Regen und Sturm waren in diesem Falle die Verbündeten Amors und Hymens gewesen.

Der Brief Verescos, den Sassenhausen als Kurier der Regierung nach Krotowo gebracht hatte, enthielt schlimme Post. Suevien hatte einen Gewaltstreich begangen und jenen Teil des Natschali-Passes, der seit Jahren das Streitobjekt der beiden Reiche bildete, besetzen lassen. Die Anwesenheit des Fürsten in der Hauptstadt war unbedingt nötig.

Die Prinzessin weinte und schluchzte, als sie von ihrem Vielgeliebten Abschied nehmen sollte, und wollte sogleich mit nach Garica. Das ging nun natürlich nicht. Über Krotowo war ein Hagel von Telegrammen herniedergeströmt. In Wien und Bukarest freute man sich, daß bei der geplanten Mariage nun auch die Herzen mitsprachen. Die Veröffentlichung der Verlobung sollte in den nächsten Tagen erfolgen. Vor allen Dingen aber sollte die Erzherzogin schnell nach Wien zurück, denn der Trousseau mußte beschafft werden. Und von Garica herüber erscholl die Stimme Verescos. Es ließ sich nicht ändern: man mußte scheiden.

In der Hauptstadt herrschte eine ungeheure Erregung. Der Gewaltstreich Sueviens hatte die Gemüter in Aufruhr versetzt. Als der Fürst vom Bahnhofe nach dem Palais fuhr, umwogten die Menschenmassen seinen Wagen, und in den Jubel, der ihn umbrauste, mischten sich wütende Drohungen gegen Suevien und den König Michael.

In der Tat – die Situation war kritisch, Emich wollte zunächst die Minister hören. Schon in der ersten Sitzung gerieten der Marquis Veresco und der General Berger, der Kriegsminister, scharf aneinander. Berger war unbedingt für die Kriegserklärung; Veresco wünschte ein Schiedsgericht anzurufen. Nur mit innerlichem Widerstreben stellte sich Emich auf des letzteren Seite. Die Herausforderung Sueviens war so unerhört, daß auch er sie am liebsten mit dem blanken Stahl beantwortet haben würde. Aber er dachte an zwei in Tränen verschwimmende Schlehenaugen, und sein Herz wurde weich.

Auf das Herz des Verliebten rechnete Veresco. Seiner Überzeugung nach war die Zeit, mit Suevien abzurechnen, noch nicht gekommen. Auch schien ihm der Augenblick geeignet, einmal wieder dem Zaren die Freundschaftshand zu drücken, ohne daß man sich dabei etwas vergab, und ohne daß es etwas kostete. Rußland sollte der Schiedsrichter sein.

Die diplomatische Wendung, die man auf diese Weise der strittigen Angelegenheit gab, war einer der berühmten Schachzüge Verescos, war wieder einmal ein kleines Meisterstück politischer Kunst. Und um den Fürsten noch gefügiger zu machen und Emichs Kriegslust noch stärker abzudämpfen, war Veresco auf den Gedanken gekommen, die Heirat mit der Erzherzogin Marie nach Möglichkeit zu beschleunigen. Hatte der Fürst erst ein geliebtes Weib zur Seite, dann würde er es gewiß nicht so eilig haben, zur Waffe zu greifen.

Die offiziöse Zeitung Garicas verkündete triumphierend die einsichtige und maßvolle Haltung der Regierung in der schwebenden Frage. Das Kabinett von St. Petersburg hatte sich bereit erklärt, das Schiedsrichteramt zu übernehmen; aber es waren Berge von Karten und Plänen zu prüfen: daher konnten Wochen, vielleicht Monde verstreichen, ehe es zu einer Fällung des Urteils kam.

Inzwischen sorgte Veresco dafür, daß der baldigen Hochzeit des Fürsten keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt würden. Rußland, das eine Verbindung Emichs mit einer seiner Prinzessinnen lebhaft gewünscht, hatte sich beruhigt, als ihm als Dank für die Übernahme des Schiedsrichteramts eine Hafenstation zugesichert worden war. In Österreich fanden Verescos Bemühungen freundliches Entgegenkommen – und Emich selbst wünschte nichts sehnlicher, als eine baldige Verbindung mit seiner geliebten, kleinen, blonden Prinzessin.

In der Kathedrale fand die Trauungszeremonie durch den neuen Bischof statt. Das war nun einmal wieder ein Bild von herrlichster Farbenpracht! Der wunderbare Raum, im schlicht-großartigen Stil der alten Basiliken gehalten, gefüllt von einer unermeßlichen Menschenmenge. Ein Kerzenmeer in den duftigen Dunstschleiern des Weihrauchs: goldleuchtende Sterne, die aus durchsichtigen Wolken hervorschauen. Auf dem Podest vor dem Altar der Bischof in großem Ornat mit allen seinen Akoluthen; ringsum die Vertreter der römischen und griechischen Geistlichkeit in purpurroten, violetten, schneeweißen und schwarzseidenen Soutanen; dahinter die armenischen Geistlichen, die Muftis, die Rabbiner. Und dann, in weitem Halbbogen den Altar umspannend, die fremden Gäste: österreichische, preußische, russische und türkische Uniformen – helle Damentoiletten, das Flimmern der Brillanten und Ordensdekorationen. In der Mitte die Eltern der fürstlichen Braut; Erbprinz Heinrich von Schöningh-Stubbach, Gräfin Irmela Wiegel, auch der Prinz Waldegg in Gardekürassier-Uniform; eine Deputation der Königin-Kürassiere in weißen Kollern mit grünen Kragen und Brandebourgs; die hohen Gäste: ein russischer Großfürst (nicht Fedor Konstantin, der von Illyrien nichts mehr wissen wollte), das Königspaar von Rumänien, die Fürsten von Morawien und Mazedonien, der Herzog von Sparta, der Prinz von Brindisi, der Knees der Schwarzen Berge. Weiter zurück die Gesandtschaften, die bevollmächtigten Minister, der ganze Hof, die Generalität, die Vertreter der Regimenter und Behörden, der Städte und des flachen Landes – und auch des Volkes. Jede Zunft durfte einen Deputierten in die Kathedrale entsenden; das waren vierunddreißig Männer, die die Tribüne oberhalb der für die Hochschulen und das Parlament hergerichteten Estrade füllten. Aber einer fehlte: König Michael der Dicke. Selbst sein Gesandter war plötzlich heftig erkrankt; der suevische Konsul vertrat ihn, seines Zeichens ein Steinmetzmeister.

Der Trauung folgte eine Gratulationskur im alten Fürstenkonak. Da zog im großen gelben Saal mit seinen verschlissenen Gobelins und bunten, bleigefaßten Fenstern noch einmal der ganze Schwarm der Gäste an den Neuvermählten vorüber, die immer lächelten und dabei todmüde waren und auch noch die Galatafel über sich ergehen lassen mußten, ehe sie sich endlich oben in Schloß Monbijou zur Ruhe zurückziehen durften. Als letzte der Gratulierenden fand sich Gräfin Irmela ein. Sie hatte geduldig gewartet und sich in ihrem starren Seidenkleid mit den klirrenden Orden an der linken Schulter ruhig hinter eine Vorzimmertür gesetzt, bis die Kur beendet war. Dann erst hatte sie sich gezeigt.

»Kaiserliche Hoheit,« sagte sie zu der jungen Fürstin, deren entzückende Anmut sofort ihr Herz gewonnen hatte, »ich bitte um die Erlaubnis, Ihren durchlauchtigsten Gatten zum letzten Male abküssen zu dürfen. Zum letzten Male, denn ich werde ihn wohl nicht mehr wiedersehen. Man wird ja nicht jünger, und es ist doch eine recht weite Reise hier herunter und auch keine allzu bequeme: ich habe siebenmal umsteigen müssen.«

Darauf lachte die Fürstin, nahm Tante Irmela bei der Hand und führte sie zu Emich:

»Küssen Sie los, Frau Gräfin, aber ich bitte: einen Kuß lassen Sie für mich übrig! Ich kenne Sie besser, als Sie denken. Emich hat mir so viel von seiner lieben, treuen zweiten Mutter erzählt, daß ich in Stenzig schon so gut wie zu Hause bin – und vielleicht kommt doch einmal eine Zeit, da wir Muße zu einem Verwandtenbesuch in Deutschland finden, und daß wir dann auch in Stenzig vorsprechen, darauf können Sie sicher rechnen.«

»Ach, käm's doch so!« rief die Gräfin und umarmte Emich und überschüttete ihn mit Worten der Liebe, aber nur flüsternd, denn fast schämte sie sich ihrer Zärtlichkeit. »Dickerchen, Dickerchen – ach, du bist's nicht mehr – du bist so groß und schlank geworden und ein gekröntes Haupt und hast nun gar aus kaiserlichem Hause eine Erzherzogin zur Frau! Dickerchen, danken wir unserm Schöpfer, daß er das alles so gefügt hat! Mir ist ja im Leben manche Hoffnung zertrümmert worden – aber daß ich dich nun so – sozusagen auf dem Gipfel irdischer Ehren sehe, denn das kann man wohl ruhig behaupten, daß dem so ist – siehst du, das macht mich auch wieder unendlich froh ... Du warst doch immer mein Liebling – und auch dein niedliches Weibchen paßt besser zu dir, als die Ruth gepaßt hätte. Ich gestehe es selbst zu – so gern ich auch damals – ach, lassen wir das Damals sein!«

»Und wie geht es Ruth, Tantchen?«

»Gott, Emich, wie soll's ihr gehen! Ich kriege sie selten zu sehen – aber sie ist ruhiger geworden und scheint sich ja so auf ihre Art ganz wohl zu fühlen in ihrem stillen Berufe. Und ist noch immer sehr schön. Das muß man sagen. Wo sie nur diese schöne Gestalt her hat? – von mir nicht, und Onkel August hatte doch auch so 'n bißchen schwippe Beine ... Rietzow hat verkauft – weißt du das? Gottlob, daß wir den aus der Nachbarschaft fort haben – er will um die Welt reisen oder ist schon drum 'rum – ich habe mich ewig lange nicht um ihn gekümmert ... Dickerchen, ich halte dich jetzt nicht länger auf, aber ich möchte – ich bleibe nämlich noch drei Tage hier und dann fahre ich mit Heinz Schöningh zurück – Gott, der arme Onkel Ferdinand, der ist ganz melancholisch geworden, seit Leo tot ist, und erholt sich auch nicht mehr – da möcht' ich dich gern nochmal in Monbijou besuchen ... Darf ich das – ja?«

»Ja, Tantchen – zum Frühstück – ganz allein – bloß Marie und ich sollen dabei sein. Und dann plaudern wir uns nach Herzenslust aus – jetzt geht es nämlich nicht, denn sieh einmal, da drüben der lange Herr in dem vergoldeten Anzug, das ist der Graf Döring, mein früherer Pagenoffizier und jetziger Zeremonienmeister, und der will mir eben sagen, daß es die höchste Zeit zur Auffahrt sei.«

»Na, denn fahr nur los ... O, Dickerchen, wie hübsch du aussiehst! ... Also auf Wiedersehn, vielleicht übermorgen! Ich wohne mit Heinz im Grand-Hotel – Zimmer Nummer siebzehn und achtzehn ...«

Die Gräfin warf Emich noch eine Kußhand nach und knickste erschrocken, als die Fürstin sich umwandte und ihr freundlich lächelnd zunickte. Und dann schritt sie nach den Vorzimmern, um den Erbprinzen Heinrich zu suchen, durch ein ganzes Spalier von Dienern, die regungslos dastanden und auf sie herabschauten. ›Was diese illyrischen Lakaien für infame Gesichter haben‹, sagte sich Gräfin Irmela. ›Wie verkleidete Spitzbuben. In diesem Lande würde ich mich nicht glücklich fühlen. Aber es genügt ja, daß mein Dickerchen glücklich ist ...‹

Nun war es Abend geworden, und der Cascadeo flimmerte im Glanze tausender von bunten Ballons, und auf den Bergen flammten die Feuerzeichen. Auf dem Acabane-Platze tobte, schrie, lachte und johlte das Volk, und von allen Forts an der Sareb stiegen Raketen und Leuchtkugeln auf und versprühten im Dunkel der Nacht. Oben aber, im Schlosse Monbijou, erloschen langsam die Lichterreihen der Fenster. Ein glänzendes Auge schloß sich nach dem anderen ... zwei Glückliche wollten allein miteinander sein.

Eine Zeit der Seligkeit! – Politisch war alles ruhig. Emich war froh darüber, daß man sich in Petersburg Muße zu lassen schien mit der Entscheidung in der Frage des Natschali-Passes. Er konnte seine Flitterwochen in Stille und Frieden verleben, fast ganz ungestört, denn nur dann und wann erschien Maffeo mit seiner Aktenmappe in Monbijou, um sich einige Unterschriften zu erbitten, und jedesmal schloß er seinen kurzen Vortrag: »In den auswärtigen Angelegenheiten nichts von Bedeutung. Mein Vater läßt den durchlauchtigsten Herrschaften seinen ehrfurchtsvollen Gruß zu Füßen legen ...«

Weihnachten kam, und der Schnee fiel auf die Berge. Das fürstliche Paar siedelte in das Palais über. Eine kurze Zeit der Lustbarkeiten begann: der Adel des Landes wollte seine neue Herrscherin kennenlernen. Aber mitten in das Schellenklingeln und die Pritschenschläge der Faschingszeit fiel eine bedrohliche Nachricht hinein. Vom Natschali-Passe wurde gemeldet, daß die Sueven dort mit der Erbauung eines neuen Forts auf jenem Teile begonnen hätten, dessen Zugehörigkeit zu Suevien oder Illyrien noch nicht entschieden worden war.

Emich schäumte vor Grimm. In der schleunigst zusammenberufenen Ministersitzung wurde beschlossen, zunächst in Petersburg anzufragen, ob das Schiedsgericht noch immer zu keinem Resultat gekommen sei. Fast unmittelbar erfolgte die Antwort: das Schiedsgericht könne aus dem vorliegenden Material nicht ersehen, welche Partei im Recht oder Unrecht sei und richte an die Regierung von Illyrien die Bitte, es seiner Verpflichtungen zu entbinden.

Es lag klar zutage: Rußland wollte es auch mit Suevien nicht verderben und hatte eine Politik der Hinhaltung gespielt. Noch hielt sich Emich in der Gewalt. Man verzichtete höflichst auf eine fernere Intervention Rußlands, bedauerte aber zugleich, nach Lage der Sache der geplanten Errichtung einer russischen Station im Hafen von Bosnia nicht nähertreten zu können. Dann wurde eine besondere Mission an den König Michael geschickt, die ihm den Vorschlag unterbreiten sollte: die Entscheidung über den Natschali-Paß Deutschland, Österreich oder Italien anzutragen; doch müsse Illyrien darauf dringen, daß bis zum Rechtsspruche der strittige Teil des Passes als neutraler Boden angesehen werde.

Die Gesandtschaft brachte einen niederschmetternden Bescheid zurück. Sie war nicht von König Michael, sondern von dem Minister des Äußeren und dessen rechter Hand, dem Staatsrat Polzien, empfangen worden; man forderte: eine in der Hauptstadt Sueviens abzuhaltende Konferenz sämtlicher Balkanstaaten sollte über den Natschali-Paß entscheiden, bis dahin aber der strittige Landesteil mit suevischen Truppen besetzt bleiben ... Emich fluchte halblaut, als Maffeo ihm diese Meldung erstattete. Das kam einem Faustschlage gleich! Nicht die verlangte Konferenz berührte die Ehre Illyriens, wohl aber die kaltblütige Erklärung, daß Suevien den Fuß auf illyrischer Erde behalten werde. Suevien räumte nicht; es baute auch an seinen Forts lustig weiter. Suevien war sicher, daß die Balkan-Konferenz gegen Illyrien Partei nehmen, daß es Herr des Natschali-Passes bleiben würde. Und es mochte recht behalten, wenn Illyrien auch diese Demütigung einzustecken gewillt war. Denn an dem Ausgange der Konferenz ließ sich kaum zweifeln: auf Illyriens Seite stand nur Rumänien – alle anderen Lande, in erster Linie Rußland, waren Feinde des jung aufblühenden Reiches.

Der Telegraph rief die Minister zusammen. Der alte Veresco fuhr von Madedje auf einer Lokomotive nach Garica. Er trug ein Portefeuille mit Papieren bei sich, das er unter seinen verschossenen grauen Überzieher geknöpft hatte. Als er das Konferenzzimmer des Schlosses betrat, sah er gerade, wie die anwesenden Minister mit Begeisterungsrufen den Fürsten umringten und nach seinen Händen haschten. Von der Esplanade aus scholl das Geschrei des Volkes herauf; Extrablätter hatten soeben das Scheitern der illyrischen Mission am suevischen Hofe verkündet.

»Grüß' Sie Gott, Marquis Veresco!« rief der Fürst dem Eintretenden zu und streckte ihm die Rechte entgegen. »Sie sehen, wir haben bereits begonnen, und, dem Himmel sei Dank, wir sind einig! General Koskull versichert, daß die Mobilisierung in sechs Tagen beendet sein kann, daß unsere Magazine gefüllt sind und die Armee sich in schlagfertigem Zustande befinde. Daß der Generalstab wohlorganisiert ist, kann Ihnen Maffeo – kann besser ich selbst bezeugen. Finanzminister Sowojeß erklärt, keine Bedenken zu tragen, unter den gegenwärtigen Verhältnissen seine Reserven anzugreifen und zweifelt gleich mir keinen Augenblick daran, daß die für morgen zusammenberufene Volksvertretung uns den erbetenen Kredit einstimmig bewilligen wird. Zum Schutze der Häfen stelle ich aus meiner Privatschatulle eine Million zur Verfügung. Sollen wir auch noch das Volk befragen, ob wir den uns angetanen Schimpf einstecken oder mit dem Schwert in der Faust beantworten wollen? – Hören Sie, Veresco, wie das Volk spricht!?«

In der Tat schwoll in diesem Augenblick das tobende Geschrei auf der Esplanade wie Meeresrauschen im Sturme an.

Das Gesicht Verescos war unverändert geblieben, während der Fürst sprach. Nur einmal blitzte sein Auge nach der Stelle hinüber, auf der Maffeo stand. Er verneigte sich tief vor Emich.

»Ehe ich mir verstatte, meine Ansichten und Meinungen den Herren des Ministeriums vorzutragen,« sagte er, »möchte ich Euer Durchlaucht um die Gnade bitten, mir eine kurze Unterredung unter vier Augen gönnen zu wollen.«

Fast gleichzeitig erhoben sämtliche Minister die Köpfe; Sowojeß ließ ein leises Brummen hören, und Koskull schlug ärgerlich mit der Hand auf den Tisch. Maffeo biß sich auf die Lippen, und Falten der Sorge furchten seine Stirn.

Auch der Fürst war sichtlich überrascht, aber er öffnete sofort die Tür des anstoßenden Zimmers.

»Verzeihung, meine Herren«, rief er. »Exzellenz Veresco – darf ich Sie bitten! ...«

Die Tür schloß sich wieder: eigenhändig löste Emich die Tragbänder der Portieren und ließ, um den Schall der Worte zu dämpfen, die Vorhänge fallen.

»So, lieber Marquis – nun sprechen Sie!« Veresco knöpfte seinen Überrock auf und legte sein Portefeuille auf den Tisch.

»Durchlaucht,« sagte er, »ich bin mir der Tragweite dessen, was ich vorzubringen habe, wohl bewußt – auch bewußt, daß ich meinem teuren Herrn und Fürsten einen großen Schmerz bereiten werde. Aber ich kann nicht anders: ich erkläre mich gegen den Krieg!«

Emich war bleich geworden. Doch er schwieg. Er wartete auf die Begründung der ablehnenden Haltung Verescos.

Der Minister hatte seine Mappe geöffnet und legte dem Fürsten eine Reihe von Papieren vor. Sie enthielten eine Aufstellung über die Stärke der suevischen Armee, die in allen Teilen der illyrischen überlegen war. Doch das war noch nicht alles. So kriegsbereit war man jenseits der Grenze, daß das suevische Heer bereits in Illyrien einmarschiert sein mußte, ehe hier die Mobilisierung vollendet war. Und schon ein erster und zweiter suevischer Sieg würde die Vernichtung Illyriens bedeuten, seine Zermalmung. Die Skipetaren in Albanien warteten nur darauf, bei der siegreichen Armee Söldnerdienste zu nehmen; die Moravier würden folgen – beutelustige Banditen, zitternd nach Gold und Schlachten; längst eifersüchtig auf Illyrien wegen der Festungen im Rhodogas-Gebirge waren auch die Montenegriner; und neigte sich erst das Fahnenglück auf die Seite der suevischen Völker, so würde schließlich auch der Russe nicht zögern und seine Macht in die Wagschale werfen.

Der Fürst hatte ruhig zugehört. Nun nahm auch er das Wort.

»Haben Sie Dank für Ihre klaren Darlegungen, Marquis,« antwortete er, »Dank auch für Ihre ernste Mahnung, die ich, glauben Sie mir, wohl zu schätzen weiß. Aber ich muß Ihnen sagen, daß Ihre Gründe mich nicht überzeugen können. Oft genug hat eine kleinere Armee eine größere geschlagen. Wenn wir nun die ersten Siege feiern können – werden die Skipetaren und Moravier und Montenegriner sich nicht uns zugesellen statt den Sueven?! Und, Veresco, ich hoffe auf diese Siege! Haben die Sueven auch mehr Bataillone und Batterien als wir – in einem sind wir ihnen himmelhoch überlegen: der Kraft des Generalstabs. Ich bin in dem Augenblick, da ich den Thron bestieg, an die Spitze des Generalstabs getreten und weiß, was ich von ihm zu halten habe. Strategie und Taktik aber entscheiden in den Kämpfen von heute zuweilen gewichtiger als die Gewalt der Waffen.«

Der alte Veresco neigte den Kopf.

»Ansicht gegen Ansicht, Durchlaucht. Sie sprechen Hoffnungen aus, ich habe Zahlen angeführt. Noch etwas möchte ich hinzufügen. Als bei der Revolution achtundsiebzig Rußland zu unseren Gunsten intervenierte, gab ich das Versprechen ab, in den nächsten zehn Jahren keinen Krieg ohne Einwilligung des Petersburger Kabinetts zu beginnen. Diese zehn Jahre sind noch nicht verflossen.«

»Wohl aber ist Illyrien inzwischen Fürstentum geworden, Veresco, und die Regierung der Monarchie als einer neuen Ordnung der Dinge kann unmöglich an die Versprechungen gebunden sein, die unter dem Drucke der Revolution hierhin und dorthin gegeben worden sind.«

»Das ist in gewisser Weise richtig, Durchlaucht, denn auch die Politik lacht zuweilen des Meineids der Verliebten. Aber vergessen Sie nicht, daß wir noch immer nicht so recht auf eigenen Füßen stehen gelernt haben, daß wir den Rückhalt an Rußland noch immer nicht völlig entbehren können. Ich habe auch meine Agenten hie und da in den Landen, und in meinem Geheimschrank schlummert mancherlei, was außer, mir nicht – viele wissen ...« Er lichtete sich straffer empor und erhob wie warnend die rechte Hand. »Durchlaucht, Rußland war Fürst Leopolds Freund, weil er ein Schwächling war – Ihnen aber grollt Rußland, weil Sie ein Charakter sind. Keine Hand wird der Zar rühren lassen, wenn Suevien Sie besiegt. Im Gegenteil – man wird sich im Winterpalais eine vergnügte Stunde bereiten, wenn König Michael in Garica einzieht, und wird es zu einer neuen illyrischen Revolution kommen lassen, um schließlich die eiserne Krone einem der Großfürsten auf das Haupt zu setzen, der dann nichts als ein Vasall Rußlands sein würde ... Durchlaucht, ich begreife, daß Ihnen die Fäuste zucken. Dennoch sage ich Ihnen: warten Sie noch zwei, drei Jahre, bis wir fester im Sattel sitzen, bis wir keine Rücksichten mehr zu nehmen haben – dann schlagen Sie los! Heute aber – beißen Sie die Zähne zusammen und schlucken Sie die Demütigung hinunter! Ich werde dafür Sorge tragen, daß die Natschali-Frage auf politischem Wege aus der Welt geschafft wird. Sparen Sie sich die Revanche auf später!«

»Nicht auf später, Veresco! Suevien bestiehlt uns und höhnt uns noch – sollen wir das schweigend dulden, weil wir uns fürchten vor seiner Übermacht?! Und sollen wir uns ewig am Gängelbande Rußlands leiten lassen?! Ich bin hergekommen, um mit ganzer Gewalt für die Freiheit Illyriens einzutreten. Das kann ich nur, wenn ich selber frei bin. Was nützt uns der Rückhalt an Rußland'?! Unser Konflikt mit Suevien hat es gezeigt. Ich lege meine Hände ins Feuer, Veresco: Rußland steht den Machenschaften in Suevien nicht fern! Ich glaube Ihnen, wenn Sie sagen, daß man mich im Winterpalais haßt, weil ich dem Zaren zu selbständig bin und die Reverenzen vor Fedor Konstantin vergaß. Glaube Ihnen, daß man in Petersburg auf mein Verderben sinnt. Nun denn, ich werde den Herren zuvorkommen! Ich werde auch das russische Joch abzuschütteln wissen – oder untergehen! ...«

Der Minister schaute in das Gesicht und das Auge des Fürsten. Da stand ein unbeugsamer Wille zu lesen, ein Wille, der nicht zu brechen war. Veresco versuchte keinen weiteren Einwurf; er wußte, es wäre unnütz gewesen. Sein Wort galt nicht mehr – er konnte gehen.

Mit Spannung hatten die Minister im Konferenzsaal die Rückkehr des Fürsten erwartet. Sowojeß, der Finanzminister, der alte heimliche Gegner Verescos, lächelte hämisch: ein Ahnungsgefühl sagte ihm, daß sich da drinnen im Nebenzimmer der Beginn einer neuen Ära vorbereite. General Koskull stand am Fenster und trommelte mit den Fingern wütend gegen die Scheiben. Schweigend, mit übereinandergeschlagenen Beinen, den Kopf auf die Brust gesenkt und das Antlitz finster, saß Masseo in einem der hochlehnigen Sessel am Tische. Auch durch seine Seele zogen bange Ahnungen; er fühlte etwas von den Schauern des Kampfes, der ihm bevorstand.

Da hörte man nebenan die Portieren rauschen – die Tür öffnete sich. Der Fürst und Veresco traten in den Saal zurück, beide blaß und mit harten Gesichtern.

»Meine Herren,« sagte der Fürst, »ich habe Ihnen zu meinem schmerzlichen Bedauern mitzuteilen, daß Seine Exzellenz der Ministerpräsident Marquis Veresco sich von heute ab aus dem Staatsdienst zurückziehen will. Wie schwer es mir wird, die bewährte Kraft dieses großen Patrioten und ruhmreichen Bannerträgers der Freiheit Illyriens gerade in einer so verhängnisvollen Stunde verlieren zu müssen, brauche ich nicht noch besonders zu betonen. Aber ich ehre die Gründe, die den Marquis Veresco nötigten, um seine Entlassung zu bitten, und ich trage mich mit der Hoffnung, daß er auch in der Einsamkeit seiner Berge an der Fortentwicklung Illyriens mit Rat und Tat Anteil nehmen wird. Meine Herren, ich bitte Sie, die Häupter zu neigen vor dem Scheidenden: ein Großer geht – aber die Spuren, die er gewandelt hat, verweht kein Sturm. Marquis Veresco, als äußeres Zeichen meiner Dankbarkeit ernenne ich Sie zum Herzog von Madedje.«

Er umarmte den Alten und küßte ihn auf beide Wangen. Stumm zog Veresco die Hand des Fürsten an seine Lippen. Dann wollte er sprechen, aber es schien, als versagten ihm die Worte. Er stammelte nur, kaum hörbar:

»Gott schütze Illyrien! ...«

Nun wandte er sich zum Gehen, während die Minister in ehrfurchtsvollem Schweigen am grünen Tisch stehengeblieben waren. Aber noch einmal stockte der Fuß des Alten.

»Maffeo«, sagte Veresco, und Frage und Bitte und fast auch Drohung lagen im Ton seiner Stimme.

Maffeo sprang an seinen Vater heran und ergriff dessen Hände.

»Vater, laß mich auf meinem Platz!« rief er. »Das Land und der Freund halten mich fest. Du kannst nicht wollen, daß ich verleugne, was mir teuer ist! ...«

Es zuckte und wetterte über das lederbraune Gesicht des Alten, doch er erwiderte den Druck der Hand seines Sohnes.

»So bleib!« hauchte er.

Hinter ihm fiel die Tür ins Schloß. Tiefe Stille im Zimmer, aber draußen, auf der Esplanade, erneuter tobender Volkslärm.

Der Fürst reckte sich.

»General Koskull,« sagte er, »an Stelle des Marquis Veresco übernehmen Sie den Vorsitz im Ministerium. Formulieren Sie den Text der Kriegserklärung und lassen Sie die Pässe für den Gesandten bereithalten. Die übrigen Herren kennen ihre Funktionen. Ich bin für die Minister jederzeit ohne Anmeldung zu sprechen. Und nun an die Arbeit! ...«


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