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1. Vom Menu.

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»... Ein Schaf weißwolligen Vließes
Schlachtet er; Freund' entzogen die Haut, und bestellten es klüglich,
Schnitten behend' in Stücke das Fleisch und stecktens an Spieße,
Brieten es dann vorsichtig an und zogen alles herunter.
Aber Automedon nahm und verteilte das Brot auf dem Tische,
Jedem im zierlichen Korb; und das Fleisch verteilte Achilleus.
Und sie erhoben die Hände zum lecker bereiteten Mahle!«

Also Côtes de mouton naturels und pain à discretion! Ein einfacheres Menü, wie das der homerischen Helden läßt sich nicht wohl aufstellen; selbst die spartanische Blutsuppe verlangte mehr Sorgfalt. Die Speisenfolge brauchte nicht notiert zu werden: als der erste und einzige Gang bis auf die letzte Schafshaxe abgenagt war, reichte irgendeine Schaffnerin die »schöngetriebenen Schüsseln« mit Spülwasser und man war fertig. Später wurde man freilich anspruchsvoller, und Baron Vaerst schildert in seiner Beschreibung eines athenischen Gastmahls den »Küchenzettel« weit umfangreicher; er wurde dem Hausherrn überreicht und begann mit allerhand Schaltieren und frischen Eiern, denen sich Wildpret, Meergetier und Gebäck in langem Reigen anschloß.

Die Schwelgereien der Römer sind zu bekannt, um auf sie hier zurückzukommen. Ihr Erbe traten die Franzosen und Italiener an. Hören wir, was der Koch Tirel, dit Taillevent, beim Bankett des Monseigneur de Foyes im 14. Jahrhundert den großen Herren vorsetzte:

1. Gang:
Kücken in Zucker, Häschen in Mandelpaste,
kalte Sauce, ein herber Wein und Wildsuppe.
2. Gang:
Gefüllte Rehkeule, Wasserhühner,
Pfauen in ihren Federn, gesüßte Wachteln.
3. Gang:
Crêmeschnitten, Rostscheibchen, Lendenstücke,
gebratene Birnen und Orangen, Gélée und Hasenpastete.

Als Nachspeise »Fruicterue«, als da ist Schlagsahne und Erdbeeren, Käsegebäck und Mandeln.«

 

Und 200 Jahre später setzt »L'École parfaite des Officiers de Bouche« ein Musterbankett für den Sommer folgendermaßen fest:

»Gefüllte Leberwürste, gepökelte Hammelzunge, Kuheuter Kückenbrüste, Hammelfüße in weißer Sauce, Mailänder Speck, Hühnerfrikassee mit Kornessig, eingelegte Hahnenkämme, Barbenfrikassée à la Robert, Ochsenschlund mit Johannisbeeren, Schalottzwiebelchen, eingemachte Wachteln sauce Camélin, gestovte Puffbohnen und noch zwanzigerlei.«

Man sieht, wie trotz größerer Mannigfaltigkeit und Kochkunst, der Geschmack ein wenig verwildert war.

Zur gleichen Zeit etwa war man in Italien auf der Höhe des Lebensgenusses angekommen. Zumal Venedig, dessen Seehandel die Schätze beider Welten an die Riva de' Schiavoni spülte, trieb unerhörten Luxus, auch im Essen. Bartolomeo Scappi, eine kulinarische Koryphäe Venedigs zu jener Zeit, wendet dem Menü in seiner »Kunst zu kochen« denn auch besondere Sorgfalt zu. Zu den aus der Küche gebrachten Gängen kam zu jener Zeit noch ein Büfett voller Vor- und Nachgerichte, das, vorher sorgsam hergerichtet, den Appetit der Gäste reizen sollte, ehe die Hauptmahlzeit gebracht wurde. Ich greife aufs Gradewohl die Vorschrift für ein Menü im April heraus:

»Servizio di credenza: Neapolitanische Maulschellen, gezuckerter Quark, Schinkenschnitten in Wein mit Pomeranzensauce.

Servizio di cucina: Heiße Eierkuchen mit Holundersaft,
gebackene Ziegenleber mit gepfefferter Zitronensauce, gratinierte Ziegenköpfe mit süßen Zitronenscheiben, Ziegengekröse im Einetz am Spieß gebraten mit Pomeranzen, Blätterteigpasteten mit Kalbsfüllung, Kalbsschnitzel naturell vom Spieß, gefüllte Turmtauben mit Pflaumen gestovt in einer Brühe von Oliven und Schinken u. a. m.«

Der Nachtisch umfaßte mehrere Torten, Artischockensalat, Äpfel und Birnen, geschnittenen Märzkäse und Parmesan, frische geöffnete Mandeln auf Weinblättern und Schlagsahne.

Aber auch die alten Engländer waren seßhafte Tischgenossen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts verheiratete ein Sir Névil seine Tochter. Jedes Gastmahl bestand traditionsgemäß aus drei »Gängen«. Ich will mich damit begnügen, den ersten hierher zu setzen:

»Schweinefleisch mit Senf und Malvasier gereicht.
Grünkernsuppe.
Eine Hirschkuh als Schaugericht.
Pfauen, je zwei auf die Schüssel.
Schwäne dito.
Hechtfilets.
Gebratene Kaninchen.
Geröstetes Wildbret.
Mast-Kapaune.
Krickenten.
Gebackene Pasteten mit Kaninchenfüllung.
Gebackene Orangen.
Ein ›Flampett‹-Gericht aus gewürfeltem Schweinefleisch in einer Eigelbpanierung.
Pfannkuchen.
Süßigkeiten.
Eine Torte.«

Und bei der Krönung Heinrichs IV. lautete der zweite Gang also:

»Wild in Grünkorn.
Gélée.
Spanferkel mit kräftiger Farce.
Pfauen, Kraniche, gebratenes Wildpret und Kaninchen;
Byttores, eine Art Rohrdommeln, also Kleingeflügel;
vergoldete Hühner, große Torten, gebratenes Schwein,
Lombardische Schnitten (das waren Wildschweinpasteten mit Rosinen und Wein) und endlich das übliche
›A sotelde‹, d. h. eine Sottility, ein künstlerisch ausgeführtes,
zum größten Teil eßbares, oft auch allegorisches Schaugericht.«

Schon um des Vergleichs willen dürfte es interessieren, was es um die gleiche Zeitwende am Vorabend der Hochzeit des Kurfürsten Joachim von Brandenburg mit einer sächsischen Prinzessin in Dresden am Fürstentisch zu essen gab:

»Erster Gang:
Hasen-Wildbret, Gebratenes,
Äpfel in Butter,
geröstete Vögel und ebenfalls ein Schaugericht.
Zweiter Gang:
Schmerlen, Gebratenes,
Torten von Quitten und Birnen,
Pasteten von Hasen, übergoldet als Schaugericht.
Dritter Gang:
Karpfen mit Drapes (Behängen?) und süßer Wein,
geronnene Milch mit Reis,
Schauessen mit Gebacknem.«

Am Hochzeitstag ging es etwas üppiger zu. Im Malortie, dem klassischen Menübuch, finde ich ein Menü, auf das Friedrich der Große 12 Tage vor seinem Tode Bemerkungen geschrieben hat. Es lautet: Soupe aux choux à la Fouqué, du Boeuf au panais et carottes, des poulets en cannelons ect. (an deren Stelle sich der König »côtelettes dans du papier« – er meinte »en papillotte« – bestellte), petits pâtés à la Romaine. Gebratene junge Couleussen (Hoden augenscheinlich), du saumon à la Dessau, des filets de volaille à la Pompadour avec des langues de boeuf et des croquettes, Portugiesischer Kuchen (statt dessen vom König: »gaufres«, d. h. Waffeln). Grüne Erbsen. Frische Heringe. Saure Gurken. Die Reihenfolge der Gerichte ist hier ganz willkürlich durcheinander gewürfelt und die alte Genußregel des Apicius, daß man mit dem Schwersten beginnen und zum Leichtverdaulichsten aufsteigen solle, völlig außer acht gelassen.

Köstlich in ihrer revolutionären Beklemmung ist die »carte dinatoire pour la table du Citoyen-Directeur et Général Barras«: alle Speisenamen, die irgendwie Anstoß erregen könnten, sind nicht etwa ausgemerzt, sondern mit dem Wörtchen »ehemals« wie mit einem Leichenstein versehen. Da gibt es eine Suppe à la ci-devant minime (denn die Minoriten-Orden waren aufgehoben); einen Steinbutt à l'homme de confiance, ci-devant maître d'hôtel (denn es gab keine Haushofmeister mehr); Linsen à la ci-devant Reine u. a. m. Und als Schlußbemerkung handschriftlich der Befehl des grausen Barras für die citoyennen Tallien, Talma, Beauharnais u. a. Kissen auf die Stühle zu legen. So begann die Verweichlichung auch bei den »eisernen« Revolutionären Einzug zu halten.

Der berühmte Koch und Memoirenschreiber Carême zählt viele Menüs des ersten Napoleon auf; man weiß, daß Koteletten und heiße Pastetchen nie fehlen durften und daß er unsagbar launisch im Bestellen wie im Genießen war, ja, daß manches Gericht ungegessen, aber zornig geschleudert dem aufwartenden Unglücksraben auf dem Rücken folgte.

Ein Menü aus der Zeit des zweiten Kaiserreichs (Tuilerien 1868) bietet nichts des Originellen. Es gab zwei Suppen, 15 Gänge und sechserlei Süßspeisen: man muß sehr naschhaft gewesen sein.

Zufällig besitze ich das Menü des letzten Festessens, das Kaiser Wilhelm I. mitgenoß; es fand am 19. Februar 1888 statt. Es mag zum Vergleich dienen: »Potage lié aux pointes d'asperges, Saumon du Rhin grillé, sauce anchovis, Boeuf salé à l'anglaise, légumes, Poulardes au consommé, sauce béarnaise, Faisans et perdreaux rôtis, salade, Talmousses au fromage de Parme, Oeufs à la neige, Meringues à la crême. Glaces. Compotes. Dessert.«

Dem Kenner fällt neben der Schlichtheit des Materials – wer gibt Sahnenbaisers zu einem Festessen! – auch die fehlerhafte Zusammenstellung auf. Der Gemüsegang fehlt, denn die derbere Garnitur zum Rindfleisch ersetzt das feine Gemüse nicht. Sodann ist die Béarnaise eine nur zu Schwarzfleisch gehörige Sauce; ferner stehen zwei Geflügelgänge hintereinander und endlich gibt es im Februar gar keine frischen Rebhühner; es werden wohl Birkhühner gemeint sein, coq de bruyère. Was »Talmousses« sind, weiß kein Lexikon. Heute (2024) schon. Aus dem Dictionnaire portatif de cuisine:
»TALMOUSE
pâtisserie qui se fait avec du fromage blanc, bien gras, avec un peu de beurre & de poivre bien broyés, une poignée de farine, quelques jaunes d'œufs, un peu de lait, le tout pétri: on en met sur des abaisses de pâte fine, en relevant les bords. Dorez d'un œuf battu, & mettez au four.«
(Quelle: https://fr.wikisource.org/wiki/Dictionnaire_portatif_de_cuisine,_d%E2%80%99office,_et_de_distillation/TALMOUSE)P.G.

Da komme ich zu einem heiklen Thema: dem berüchtigten Küchenlatein der Menüs. Wer hat sich nicht schon über die »Kontelets«, die »Roßbief«, die »grünen Harigower« amüsiert? Derlei kommt natürlich nur in kleinen Nestern vor, aber auch auf den Speisefolgen erster Hotels, vornehmer Familien findet man falsche Pluralendungen, unrichtige Inversionen, fehlerhafte Ausdrücke, und es brauchte überhaupt nicht vorzukommen! Denn wir haben ja eine deutsche Sprache, die über einen ausgiebigen Wortschatz verfügt. Man hat auch seit Jahren eine Verdeutschung des Menüs angestrebt. Aber kaum war der alte Zopf abgeschnitten, als uns lustig ein neuer wuchs: es sollte nun jedwedes Fremdwort vermieden werden. Wie bei den Amerikanern nach farbigem Ahnenblut, schnüffelte man bei den eingebürgertsten Worten nach der romanischen Herkunft und ersetzte sie durch ungelenke Germanismen, an deren Gewaltsamkeit man sich nie gewöhnen wird. Worte wie Sauce, Beignets, Filet, Crême kennt jeder und weiß sie zu schreiben. Ebenso steht es mit gewissen attributiven Bezeichnungen wie »à la matelote«, »à la paysanne«; diese kommen in der Ausführung sowieso nur für ein Publikum in Betracht, dessen Bildung internationale Fachausdrücke beherrscht. Aber es ist nicht nur unnational, sondern auch großsprecherisch und lächerlich, Salzkartoffeln zum Zander »pommes à la maître d'hôtel« zu nennen, Rosenkohl »choux de Bruxelles« und Schweizerkäse »Gruyère«. Ich halte es dagegen durchaus nicht für stillos, wenn in einem deutschen Menü gewisse geläufig gewordene Ausdrücke wie »Chateaubriand«, »Aspic«, »Chaudfroid« gebraucht werden. Für manches, wie »chartreuse«, »beignets«, »macédoine« haben wir tatsächlich keine deutschen Originalausdrücke.

Wenn noch der Koch Boucher sich rühmt, für den Fürsten von Talleyrand Diners von 48 Gängen angerichtet zu haben, so ist seitdem die Zahl der Gerichte nicht nur aus Sparsamkeitsgründen stark eingeschränkt worden. Baron Vaerst, der große Gastrosoph aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, erwartet, wenn er zu einem Diner geladen ist, Fisch, Geflügel, Wild, ein »gros morceau de résistance« und ein Ragout. »Ohne diese Hauptsachen stehe ich nicht zufrieden auf: sie sind die fünf Akte des Dramas, dazu ebenso notwendig, wie die berühmten Einheiten der französischen Tragödie.« Nun, die Literatur hat mit diesen, wie die Tafel mit jenen gebrochen, und die heutige Tendenz geht dahin, wenig Gänge gesund ausgebaut und ohne Ersatzmittel auf den gastlichen Tisch zu bringen. Auf »Ersatz« ist man seit dem Krieg sehr scharf. Als oberste Richtschnur sollte stets das Portemonnaie dienen: nur das, was in vorzüglichster Qualität zu beschaffen uns möglich ist, sollen wir auf unser Menü setzen, und zwar muß es reichlich vorhanden sein. Im übrigen diene uns als Vorbild das Lob, das Lady Morgan den Menüs des berühmten Koches Antonin Carême zollte: »Der Charakter des Essens war der Jahreszeit angemessen und entsprach dem Zeitpunkt, Geist und Wesen des Festtages«; fehlt noch das Wort »und der Geladenen«. Denn es ist ebenso geschmacklos, Menschen bescheidener Lebensführung Delikatessen vorzusetzen, die den Wert eines Monatseinkommens für sie repräsentieren, wie nach feierlicher Ladung eine grobe Hausmannskost aufzutischen. Für kommende Geschlechter will ich auch ein Kriegsmenü ohne Schleichhandelsbeihilfen festnageln, wie es für vieles Geld zu günstiger Stunde im Kohlrübenjahr 1917 vielleicht zu beschaffen war. Da gab es Graupensuppe, Salzfisch mit Tomatensauce, Gänseleberpastete in wallnußgroßen Portionen, Rotkohl (nach siegreich bestandenem Gefecht beim Grünkramhändler), Hühner mit vielbestaunten wirklichen Kartoffeln und eine buntfarbige, aus irgendeinem Gelatinepräparat geschlagene Crême, die der berliner Volksmund so bezeichnend Geisterspucke nannte. Ja, das war ein feines Diner und sehr teuer. Die Freunde sprachen noch lange nachher davon.

In der Form der Einladung prägt sich ungefähr die zu erwartende Speisenfolge aus, abgesehen von anmutigen Phantasien, wie sie ein Oster- oder Weihnachtsschmaus, eine Johannisbowle oder ein Frühlings-Krebsessen eingibt. Jedes Kochbuch enthält Speisefolgen jeden Grades zur Auswahl, und jede Hausfrau weiß, daß man weder zwei weiße Saucen, noch zwei schwarze Fleische gibt; daß auf den großen Braten ein leichterer Gang folgen muß, ehe die Süßigkeit ihr Recht behauptet, daß der Fisch vor das große Fleischstück gehört, wenn es kein Geflügel gibt, aber nachher serviert wird, wenn ein Zwischengang und Geflügel, resp. Wildpret folgen. Macht sie es anders, so hat sie vielleicht ebenfalls recht, angenommen ihr Essen ist ein »Erfolg«. Denn beim Zusammenstellen eines Menüs kommt es wie bei der Kunst einzig und allein auf ein richtiges Ausbalancieren der Einzelheiten an, die den Gesamteindruck hinterlassen. Eine Steigerung im Geschmack, eine Erleichterung im Gewicht, so müssen die Stadien eines Menüs den ästhetischen Menschen darüber hinwegtäuschen, daß sich die Philosophen noch heute nicht darüber einig sind, ob es erhebend oder erniedrigend ist, den materiellen Freuden der Tafel so große Aufmerksamkeit zuzuwenden.

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