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Unsere schwarzen Menschenbrüder halten die Kopfwolle für die gottgewollte Fingerabwischstelle, unsere primitiven weißen Menschenbrüder den Hosenboden. Beides hat sich bewährt. Weitere Varianten liefert die Sittengeschichte der Kelten, die mit allen Zehnen in das Heubündel fuhren, das ihnen als Sitz diente. Von den Samojeden heißt es, sie benutzten Birkenrinde, von den Spartanern – Brotkrumen. Sicher ist, daß die antike Welt wohl eher Handtücher als Mundtücher gereicht bekam. Wegen ihrer Unzuverlässigkeit in Eigentumsfragen waren die römischen pp. Gäste gehalten, ihre eigene Tischwäsche mitzubringen. Martial erzählte einmal, daß auch hierbei die Herren für ihren Besitz fürchteten und daß ein gewisser Hermogen das Tischtuch stahl.
Dann kam auch für Europa die Zeit des Brotteigs zum Stippen und Wischen, während schon die hochkultivierten Chinesen ihre Papierwischerchen hatten. Leinene Servietten in ihrer heutigen Gestalt, nur etwas größer, sind historisch beglaubigt zuerst in Reims gewebt worden, und zwar als Geschenk für Karl VII. In Bürgerkreise drangen sie erst etwa zur Zeit Montesquieus, der davon berichtet.
Der Krieg hätte sie uns beinahe wieder geraubt.
Der Hauptreiz der Serviette besteht in ihrer Unberührtheit. Das Tischzeug soll so ahnungslos seiner Schüssellast entgegenträumen, daß der erste Fleck wie ein Sakrilegium wirkt. Das Mundtuch muß ein unbeschriebenes Blatt sein. Es gab eine Zeit, da hielt man es für einen eleganten Schmuck, wenn die Festtafel durch allerhand groteske Gebilde verunziert wurde. Da hatten die Servietten ihre Jungfräulichkeit in den warmen, kniffenden, zerrenden Händen der Tafeldecker zurückgelassen, um als Schwan, als Bischofsmütze oder als Fächer zu wirken. Setzte man sich und öffnete das Kunstwerk, so bot sich eine ganz zerknüllte, unappetitliche Fläche dar.
Die Künstelei beherrschte ja nicht nur die Speisenbereitung, deren höchstes Lob es war, wenn niemand mehr wußte, was er aß. Da gab es ganze Vorschriftenbücher über die Kunst, Äpfel und Birnen in die allersonderbarsten und scheußlichsten Façons zu schnippeln, aus Zitronen Wappenvögel, Skorpione und Schildkröten zu machen, Hühner zu vergolden und Fische in allen Regenbogenfarben schillern zu lassen. Über Serviettenkniffe gibt es eine ganze Literatur. Im Jahre 1674 erschien in Paris – natürlich – die »École parfaite des Officiers de bouche«, die auch eine ausführliche Anleitung »pour bien apprendre à plier toutes sortes de linges de table et en toutes sortes de figures«. Da gibt es Muscheln und Melonen, Hühner und Hähne, auf einem Körbchen brütende Tauben, Rebhühner, Fasanen, Hasen, Fische jeder Art, nur keine Menschen. Die Vorschriften sind geheimnisvoll wie Kultvorschriften. Vom Hahn z. B. heißt es: »Die Serviette wird in der Mitte gefaltet, so daß die beiden Säume zusammen kommen. Dann wird die ganze Länge ganz eng geknifft und gleichsam plissiert, indem man scharf aufdrückt. Nun werden die Falten bis etwa eine Daumenbreite von der Mitte geöffnet und auseinandergelegt. Ein dickes Rundbrot legt man auf den Mittelkniff und befestigt an ihm die Serviettenränder (womit?). Nun zieht man Kopf und Schnabel des Hahns aus der Mitte der Serviette heraus, Kamm, Lappen, Augen werden aus rotem Stoff zugefügt, die Schnabelspitze besteht aus einem Federkiel, der mit Dragant angeklebt ist, Orangenblütenessenz gibt dem Klebemittel einen guten Geruch. Am entgegengesetzten Ende wird ein Stück Serviette so hoch als möglich gezogen und bildet den Schwanz.« Ich habe es genau so gemacht, es ist aber kein Hahn draus geworden, eher der Haufen, auf dem er kräht. Doch davon steht nichts in der Vorschrift.
Leichter ist nach einem der neueren deutschen Musterbücher zu arbeiten, zum Beispiel nach dem mit fabelhafter Gründlichkeit jeden »Zustand« der Serviette wiedergebenden Buch von Charlotte Wagner »Der festlich gedeckte Tisch« (Erfurt 1871), wo man vom Füllhorn bis zur Victoria regia die Auswahl hat. Noch neuer ist das bekannte Werk über das Serviettenbrechen von Jordan (Basel 1904), das heute bei jeder Kochausbildung herangezogen wird.
Ich gebe zu, daß das schmucklose Weiß des klassischen Mundtuchs eine große Versuchung für den Spieltrieb des Menschen, der sich so nah der Kunst verwandt dünkt, ist. Sie hat zu Fransen geführt, die an den Manschettenknöpfen hängen blieben, und zu Spitzen, die die Lippen scheuerten, zu spannenden Monogramms und purpurnen Säumen. Wenn wir die Definition festhalten, daß wahrhaft schön nur ist, was seinem Zweck wahrhaft entspricht, so müssen wir sagen: nur ein Serviettenkniff ist erlaubt: der nämlich, der das Damast in ein handliches Viereck verwandelt.