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3. Ostreophagen.

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Gibt es wohl noch so opferfähige Menschen wie Sergius Orata, der die Kosten nicht scheute, ein Haus am Lukriner See zu bauen, um die Austern recht frisch zu haben? Denn Austern sind zartbesaitete Wesen, seßhaft und ohne Drang in die Ferne, so sehr mit sich selbst eins in voller Harmonie, daß sie keine Ehehälfte brauchen, um Elternfreuden zu erleben. Haben sie die genossen, in horrendem Ausmaß genossen, dann ziehen sie sich in ihr Innenleben zurück, lehnen jeden Verkehr mit der Welt ab – und schmecken schlecht. Abgemagert von Zeugung und Geburt ihrer Hunderttausende von muschelbegabten Sprößlingen, widmen sie sich einzig und allein dem Sport des Fettansetzens – sie nähern sich dem Menschen wieder – sie schmecken – –

Tatsächlich ist die Austernverspeisung eine der ältesten Schlemmereien. Sie geht weiter zurück als die Kochkunst überhaupt, die urältesten Pfahlbaureste weisen Berge von Austernschalen auf, in Höhlen findet man sie, wo nie Austern, wohl aber Austern verspeisende Menschen gehaust haben, denn schon im Morgengrauen der Zeiten wußte man ihren Nährwert zu schätzen und ihre bei Tieren einzig dastehende Eigenart, roh genießbar zu sein.

Wie bald die Menschen nach der Entdeckung der Verwandelbarkeit der Nahrung durch Feuer und Wasser auch versuchten, die Auster küchenchemisch zu verändern, ist unbekannt. Jedenfalls tobt der Kampf: »Hie roh, hie gebacken« bis zum heutigen Tage unentschieden zwischen den Ostreophagen beider Hemisphären.

Egyptens Obeliske und Friese zeigen unter ihren Opfergaben meines Wissens keine Austern – doch gewisse an den Deltastauungen ausgegrabene Muschelgreise, »die der Nilschlamm decket und der arabische Sand«, bekunden ihre kolonisatorischen Bestrebungen. Von den alten Griechen jedoch ist es historisch bezeugt, daß sie massenhaft die Schaltiere futterten, in der etwas leichtsinnigen Art, mit der sie zu genießen pflegten, ohne an den Nachruhm guter Rezepte zu denken – und die Schalen zu Abstimmzwecken benutzten, ein Prinzip, das sich auch heutzutage sehr zur Bekämpfung der Wahlfaulheit bewähren dürfte. Man stelle sich vor den Wahllokalen statt der Zettelträger Männer in der Tracht der Waterkant vor, in den Fäusten Weidenkörbe mit der staatlichen Gratisauster – – welch schöner Gedanke ...

Aber die Römer brachten als Erste Prinzip in die Sache. Sie legten zum Beispiel in Bajä die ersten Austerbassins an, in denen die lieben Pensionäre sorgsam gepäppelt wurden. In dem berühmten Kochbuch des Apicius heißt es, daß man sie konservieren könne, indem man sie in ein Essigfäßchen legt, mit feingemahlenem Salz bestreut und nach Möglichkeit die Luft abschließt. Neuere Forscher dagegen behaupten, daß Kochsalz ihrer Zartheit nicht zuträglich sei und raten zu einer komplizierten Mischung von schwefelsauerer Magnesia, Chlorinpotassium, kohlensaurem Kalk und andern giftigen Chemikalien mehr, über die die Auster ihre Schalen vor Verwunderung zusammenklappen würde, wenn sie Ohren hätte zu hören.

Aber auch die frühen deutschen, englischen und französischen Kochbücher bringen gar sonderbare Behandlungsarten. Ein »Cookerybook« aus dem 15. Jahrhundert rät, die Auster mit Mandelmilch, Wein und Fischbrühe aufzukochen und allerhand Gewürze nebst gehackten Zwiebelchen beizufügen. Dazu gibt es ein delikates Saucenrezept, »Gravy bastard«, bestehend aus Austernwasser, Ale und Brotstreifen, dick mit Saffran und Ingwer bestreut, in die zuletzt die Austern geworfen werden. In der »Forme of Cury«, einer Manuskriptrolle aus dem 14. Jahrhundert, gibt es eine Art Blankmanger von Austern, die durch ein Sieb getrieben und mit Mandelkern, Reismehl und Gewürzen zu einem heißen Brei vereint werden sollen. Kräftiger noch sind die »Oysters in Cynee«, die in ihrem eigenen Saft gestovt, mit Brotkruste eingedickt und mit Essig, Minze, Zwiebeln und allerhand Kräutern gewürzt wurden. Heute sind die Engländer Meister im Braten »on the shell«, besonders was ihre größeren Sorten anbetrifft. Die liebliche kleine Blue-point wird als Venus anadyomene genossen.

Frankreichs Küchenkultur ist nicht nur die beste, sondern auch seine Küchenliteratur die erste der Welt. Ein »Traité vers 1300« erzählt von einem »Civé d'oistres« mit Zwiebeln, Pfeffer, Saffran und Mandeln, während Taillevent, der Koch Eduards VI., selbiges Civé in Öl gebraten, mit Brot in Erbspurée oder süßem Wein, Fleischsaft, Ingwer und Zimmet herstellte. Denn dazumal konnte man sich kein fürnehmres Gericht ohne die teuren Spezereien des Orients denken, wie heute von manchen Köchen an jedes Gericht Trüffelwürze gegossen wird – wenn man sie hat. Im 17. Jahrhundert nahm in Frankreich der Mißbrauch der heißen Gewürze ab. In der »École parfaite des Officiers de bouche« wird das Civé ebenfalls mit Erbspurée bereitet, aber an Stelle des Saffran kommt ein anderes Reizmittel dazu, das schon im alten Rom eine große Rolle spielte, der »verjus« oder Sauerwein. Bei Austern »à la l'éstudée« wurde die Kunst, im geschlossenen Kasserol zu dämpfen, angewendet, es entstand unter mancherlei Zusätzen eine Art Pastete. Eine andere Pastetenform erreichte etwa zu der gleichen Zeit der Koch La Varenne, indem er die Mollusken in der Pfanne mit Champignons und Butter schmorte und sodann in verführerischer Weise mit harten Eiern, Artischockenböden, Morcheln und Brechspargeln garnierte. Das war 1654! Zur gleichen Zeit litt Deutschland unter den Folgen des 30jährigen Krieges, und man hatte andere Sorgen, als Austernsuppen zu dichten, in die Beignets mit Krebsbutter geworfen wurden (La Varenne). Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Gastronomie zur Gastrosophie wurde, ward über kein Gericht soviel philosophiert, wie über die Auster. Der »Code des Gourmands«, das »Journal des Gourmands et des Belles« beschäftigten sich mit dem Seelenleben der Auster, mit der Form, sie zu genießen, mit ihrer Anzahl, ihren »dates propices«, wann, wo, womit, warum ... was ihr den Weg ebnen und was den Beschluß machen sollte. Nicht zu vergessen des erwählten Tropfens. 1825 veröffentlichte Martin sein »Manuel des Amateurs d'huîtres«. Grimod de la Reynière rät zur Auster Montrachet, Grave, Pouilly zu trinken; der »edelste, liebenswürdigste Kollege der Auster sei jedoch der Rheinwein«. Er kommt seltsamerweise auf die altenglische Vorschrift zurück, Mandelmilch nach allzureichlichem Austerngenuß in Suppenform zu nehmen. Zu jener Zeit war das berühmteste Pariser Austernrestaurant das zum »Rocher de Cancale«, dessen Pate in der Normandie liegt. Der Austernkonsum war damals schon recht beträchtlich. Wir wissen, daß beispielsweise im Jahre 1833 für eine Million Austern in Paris verzehrt wurden, allerdings 48 verschiedene Sorten. Von Crébillon fils, dem lockeren Literaten, erzählt man, daß er bis zu 100 Dutzend in einer Sitzung – schlingen konnte.

Das Paradies der Austern aber ist Amerika, dort sind sie wahrhaft Volksnahrung geworden. In besonderen Oystersaloons kann man sie in jeder beliebigen Form gebraten, gebacken, gedörrt, gepfeffert, in Aspic und in Suppe, mit Salat und mit Tomaten, süß, sauer, kalt, heiß zu jeder Tages- und Nachtzeit erhalten und stehenden Fußes mit der landesüblichen Hast verzehren.

Für Deutschland ist Hamburg das Austernherz – war es vor dem Kriege wenigstens. Und auch heute – wenn überhaupt ein schmackhaftes Schaltier aus Schleswig-Holstein meerumschlungen herausfindet – so landet es gewiß in Cöllns Austernstube. Aber auch, als ein Austernessen noch keine epochale Seltenheit war, lag ein gesammelter Ernst auf den Zügen des Deutschen, so sich zur Tat begab. Er prüfte lange und sorgsam die Weinkarte, während der Eingangstrunk bräunlichen Porters schon im Silberbecher schäumte und die »Reiterchen« des Chesterbrotes kerzengrade ausgerichtet standen. Wenn das erste Dutzend erschien, hatte er sich entweder für den soliden Rüdesheimer oder den leichtsinnigen Chablis entschieden – letzteres ließ auf Anwesenheit einer Dame schließen, denn weißer Bordeaux ist süß und macht zärtliche Augen. Dann wurde ernsthaft gearbeitet, immer ein Dutzend warm, ein Dutzend kalt, damit der Erfrischung die Erwärmung folge und umgekehrt, bis ein englisches Beefsteak als klangvoller Schlußakkord die Glissandoarie der sentimentalen Seebewohner abschloß.

Ja, das war einmal, und der Leser wird mir unbedingt recht geben, wenn ich behaupte, daß trotz des hohen Fischereitarifs die Miesmuschel keinen vollwertigen Ersatz für die Auster darstellt.

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