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11. Das Gespenstermahl.

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Der Schlüssel klirrte leicht im Schloß, als der Hausdiener von draußen abschloß, nachdem er sorgsam die elektrischen Kronen gelöscht hatte. Gleichzeitig erloschen auch die zierlichen Flämmchen auf den elegant gedeckten, aber toteneinsamen Tischen. Nur die großen Monde der Straßenbogenlampen werfen noch einen gedämpften Schein in die leeren Säle. Der Schein tanzte über Glas und Porzellan, über die Blumen und das Silberzeug und blieb an den Lehnen der bereitgestellten Stühle haften; er zitterte ein wenig auf der oberen Rundung und glitt zum Sitz hernieder, von dem er wieder in die Höhe zu wachsen schien. Ein heller Kern bildete sich, der sich dehnte und wuchs und zu menschlichen Formen ausbaute. Der Schein glitt weiter auf den nächsten Stuhl, immer weiter, und bald saß eine luftige und sonderbare Gesellschaft um den gedeckten Tisch. Die Schemen rieben sich die leeren Augenhöhlen, bis so etwas wie ein Blick darin erglomm, und betrachteten einander höflich verwundert. Der am Kopf des Tisches erstanden war, zeigte das fette, glattrasierte Gesicht des antiken Römers; er ordnete die Falten seiner fluoreszierenden Toga und sah sich suchend um. Dann wandte er sich verbindlich an seinen Nachbar, der sich inzwischen ebenfalls zu einem Römer, wenn auch späterer Periode, entwickelt hatte. »Lukullus,« sagte er, sich selbst vorstellend. »Verzeih, wo bleiben wohl die Sklaven mit den Kränzen?« Der zweite legte grüßend die geschlossene Hand an die Stirn. »Ich nenne mich Coelius mit dem Zunamen Apicius. Ich war gelegentlich einer französischen Neuauflage meines Kochbuches ...« – »Unsterbliches Werk!« rief ein Schemen vis-à-vis im Schoßrock und Jabot. Der Römer dankte ernst. »Ich war also bei jener Gelegenheit kürzlich schon einmal wieder auf der Welt und glaube gehört zu haben, daß Kränze für Männer nicht mehr Usus sind.« Der mit dem Jabot war sofort bereit, Auskunft zu geben und rief noch einen anderen Herrn im Lockenkopfe an, den er seinen »cher compatriote« nannte. Man war augenscheinlich unter literarischen Kollegen. Die Herren stellten sich ebenfalls als Verfasser berühmter Kochbücher vor: Alexandre Dumas père und Brillat-Savarin. Als dritter Franzose schloß sich ein spitzbärtiger Herr mit elegantem Spitzenkragen an, der von den andern Sire genannt wurde und Heinrich IV. von Frankreich war. Er plauderte ausschließlich und intim mit der Königin Anna von England, neben der ihr feinschmeckerischer Leibarzt Dr. Martin Lister sich soeben erst fertig materialisiert hatte. Auf der andern Seite des Lukullus hatten zwei deutsche Edelleute Platz genommen: Graf Münster und Fürst Pückler-Muskau. Nach und nach waren alle Plätze gefüllt. Neben dem Fürsten saß eine winzige dicke Dame und unterhielt sich leise mit ihrem zweiten Nachbarn, der eine blau-weiß gestreifte Uniform trug. Niemand kannte sie, niemand sprach mit ihnen, während der zwölfte Gast, trotz seines reinen Berlinisch, von allen gekannt und gern gesehen schien.

Kunstgeübt glitten die blassen Geisterblicke über den feinmustrigen Damast des Tischtuches, die zarten Sèvresfiguren und das schwere Silber. Lukullus und Coelius zogen ihre eigenen Eßstäbchen aus den Togen, und Heinrich IV. griff zierlich mit den Fingern in den Teller. Er ließ es aber verstimmt, als Königin Anna ihn flüsternd auf die andern aufmerksam machte. Er war überhaupt leicht beleidigt. Die Geisterspeisen erstanden auf den Tellern, wie die Leute selbst auf den Stühlen entstanden waren: ein huschender Schein, ein feiner ätherischer Duft, und schon lagen die Delikatessen der Jahrhunderte auf dem realen Porzellan, ohne es zu beschmutzen. Am Geistermunde schmolz die luftige Speise ohne Kauen oder Schmatzen dahin. Man fühlte sich behaglich und fachsimpelte durch die Jahrhunderte hindurch.

Coelius deklamierte aus seinem Kochbuch: »Man brate einen Hasen auf einer Schüssel mit Öl; halbgar übergieße man ihn mit einer Sauce aus gestoßenem Pfeffer, Dosten, Raute, Eppichkörnern, Liquamen, Benzoin, Öl und Wein ...« Lukullus schwärmte von einer bestimmten Wurst aus Seekrebsen, Austern, Pfauen und Ingwer. »Nachtigallenzungen,« kicherte die Königin Anna, »oder Kranichbeine!« Lukullus ärgerte sich über das alte geschmacklose Märchen und sagte spitzig zu dem französischen Herrscher: »Nun, Sire, was das Huhn im Topf anbetrifft, sind Sie ja wohl Autorität!« Da fuhr Heinrich IV. auf. Es wäre geradezu lächerlich; er habe die berühmte Sauce Mousseline zum Argenteuilspargel erfunden; bei ihm hätte man die besten Bretagner Hammelrücken mit »Navets à la paysanne« bekommen, und er sei verurteilt, durch die ganze Weltgeschichte mit dem albernen Huhn im Topf zu laufen. Das käme von den verdammten Federfuchsern. Er sah böse zu Dumas und Brillat-Savarin hinüber, die aber so sehr in die Bereitung eines Ganges von Trüffeln in Burgunder auf Artischockenböden vertieft waren, daß sie nicht hörten; der eine wollte das Werk durch Langustescheiben, der andere durch Medaillons von Hühnerbrust krönen. Schließlich mischte sich Graf Münster hinein und schlug vor, einmal originell zu sein und eine Schnitte Ananas zu versuchen. Der berlinische alte Herr – den die andern Dressel nannten – ergriff das Wort und sagte: »Ick weeß nich, for so'n Gepantsche bin ick nich. Grünzeug for sich und Obst for sich und Fleisch ooch for sich. Und denn die Hauptsache: ein guter Droppen Rotspon, meine Herren Geister, dadervon hab' ick mein Lebdach was verstanden!« »Ah,« sagte Dumas, »Champagner ist Seele, Rotts-ponn ist Herz.« Und Königin Anna erinnerte sich gern an den herben englischen Sekt, während die Römer behaupteten, über den Falerner und Picener ginge nichts, man müsse allerdings schon im Mischkrug Gewürz zusetzen. Dr. Lister aber erzählte von den kulinarischen Vorbeugungsmitteln, den köstlichen Weinmischungen mit Narden, Absinth und Ysop, von denen man bis zu seinem hundertsten Geburtstag trinken konnte, ohne die böse Gicht zu bekommen. Und hierbei nickten alle verständnisinnig. Man war sich ganz klar: heutzutage verstand niemand mehr etwas vom Essen. Fürst Pückler meinte, nur im Tischarrangement habe man seit seiner Zeit Fortschritte gemacht, während sowohl das Königspaar wie die Römer behaupteten, zu ihrer Zeit habe man viel mehr Pracht und Geschmack entfaltet. Schließlich redeten alle zehn Schemen auf einmal.

Nur zwei saßen still und stumm. Sagten nichts, sondern aßen nur eifrig von jedem Gericht.

Schließlich konnten die Franzosen ihre Neugier nicht mehr beherrschen. »Wer sind die Herrschaften eigentlich?« fragt Dumas über den Tisch hinüber.

Da tat der Blau-weiße den Mund auf und sprach mit hohler Stimme:

»Ich bin Aschinger mit den Zehnpfennigbrötchen und die Dame ist Lina Morgenstern von den Volksküchen!« Da stießen die gastronomischen Gespenster einen gellen Schrei des Entsetzens aus und zerstoben in die dämmernde Luft.

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