Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Scharf pfeift der Wind, rauh ist die Nacht,
Kein Himmelslicht ist angefacht,
Und einsam irrt durch Schnee und Wind
Stillweinend ein verwaistes Kind.
Verlassen in der fremden Welt,
Blieb eigen ihm das Sternenzelt,
Und jetzt vom Menschenkreis so fern,
Blickt tröstend ihm kein lichter Stern.
Erstarrt vor Frost, erschöpft vom Weh,
Kniet's nieder in den kalten Schnee;
Sein letztes Ach verhaucht im Wind:
»O Mutter, hör dein armes Kind!«
Die Aeuglein sinken thränenleer,
Die Stimm' erstirbt, es seufzt nicht mehr,
Die Hände faltet's, sinkt ins Grab
Der starren Winternacht hinab.
In die Waldnacht will ich gehen,
Auf das weiche Moos mich betten,
In der stillen Geister Wehen
Aus des Lebens Spiel mich retten.
Draußen zieht die Welt die Gleise
Und du treibst nach allen Winden;
Hier in diesem stillen Kreise
Wirst du selbst dich wiederfinden.
Wenn du in der Welt Gedränge
Gottes Stimme hast verloren,
Säuseln dir die Waldesklänge
Seinen Namen laut zu Ohren.
Und du fühlst im Wipfelwehen,
Das um dich herum sich reget,
Gottes Geist herniedergehen,
Dessen Geist sich selbst beweget.
Von dem Rauschen gibst du Kunde,
Lässest es zur Sprache werden,
Und es hallt aus deinem Munde:
Alles nur ist Gott auf Erden!
Es tönt im Wald ein stiller Laut,
Durch's Dunkel geht ein leises Säuseln;
Das Blatt am Zitterespenbaum
Wiegt sich wie leichtes Wellenkräuseln.
Urplötzlich braust ein tiefer Ton,
Die Waldeslüfte steigen, wehen;
Es rauscht im Laub, und drüber scheint
Ein Riesenschattenbild zu gehen.
Das ist des Waldes alter Geist;
Du kannst sein Ziehen fast erspähen:
Du siehst wie silbern fließt sein Bart,
Und sich des Kleides Falten blähen.
Der Ton, er klingt so tief, so voll,
In nie gehörten Melodieen;
Gebannt, bezaubert lauscht das Ohr
Dem Singen im Vorüberziehen.
»So hab' ich denn nicht Ruh, nicht Rast
Im Gang der alten, ew'gen Zeiten,
Und glaubt' ich mich den ew'gen Gast
In diesen Waldeseinsamkeiten.
Da ist der Stumpf des Riesenbaums,
Drinn meinen Sitz ich aufgeschlagen;
Den Stamm, den Wipfel und sein Mark,
Die haben sie hinweggetragen.
Sonst standen Reihe sie an Reih,
Die Riesen in den hohen Hallen;
Dem kleinen Menschen allzu hoch –
Und dieser letzte mußte fallen.
Und ich, der Geist von jenem Geist,
Von dem ein Fünklein er, ein Funken,
Ihm mußt' ich weichen, seiner Axt
Sind meine Tannen all gesunken.
Und will die neue gier'ge Zeit
Am guten Mark der alten zehren,
Und mir mein grünes heil'ges Reich,
Den tausendjähr'gen Forst verwehren;
Sie wird es nicht; wie sie es ist,
So bin ich ewig, werd' es bleiben,
Mein Wald wird fallen ihrem Beil,
Mich wird sie nimmermehr vertreiben.
Und wenn die Pflugschaar Furchen zieht,
Wo meiner Söhne Häupter blühten,
Sie wird zerreißen meinen Leib,
Verderben in den Gliedern wüthen;
Und doch zerstören wird sie nicht,
Und neu verjüngt werd' ich erstehen,
Und ewig wie die Ewigkeit
Als Geist durch diese Erde wehen.