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Walter Schulte vom Brühl

Das Rindenpfeifchen

Ach, manch Hoffen fällt zum Raube
Düstern Winters Ungemach!
Glücklich, dem der Frühlingsglaube
Wird im Herzen wieder wach!
Blumen sieht wohl jeder sprießen,
Hört die Lerch' am blauen Zelt,
Aber Frühling heißt: Genießen
Frohen Sinns die schöne Welt.

Wintersmüd bin ich gezogen
Aus der Stadt ins feuchte Land.
Schau! Ein Falter kommt geflogen
Suchend her am Straßenrand.
Dort der Vogel möcht' verkünden,
Daß die Knospe will erblüh'n,
Und es rieselt in den Gründen,
Und die Wiesen leuchten grün.

Stetes Gehen, stetes Kommen!
Hochzeitslieder, Grabgesang!
Und mein Herz fühlt sich beklommen
Bei des Frühlings Werdedrang.
Aber horch: im Weidenhage,
Der sich schmückt wie eine Braut,
Spottet aller stillen Klage
Altvertraut ein heller Laut.

Und die Flöte bläst ein Junge,
Die er eifrig selbst geschafft,
Und er spricht mit froher Zunge:
»Herr, die stehen fein im Saft!« –
Hei, da sah ich nur ein Sprießen
Unterm weiten Himmelszelt:
Frühling, Frühling heißt genießen
Frohen Sinns die schöne Welt.

Ueber die Höhen

Ueber die Höhen schreitet der Morgen:
Drunten, im Duft noch, der friedliche Ort,
Rauchende Essen – erwachende Sorgen,
Hasten und Jagen und Handeln und Borgen;
Ruhlos und friedlos schleppt sich das fort! –
Ueber die Höhen wandelt der Morgen.

Hoch auf dem Turm, über Bäumen und Talen
Grüßt uns die Freiheit, grüßt uns das Licht,
Ferne die nichtigen Freuden und Qualen,
Golden umweben dich himmlische Strahlen,
Und sie verklären dein holdes Gesicht
Hoch auf dem Turm, über Bäumen und Talen.

Frühling im Herzen und Frühling im Walde,
Blumige Wiesen, schimmernder Fluß. –
Blüten verwelken und bald, ach so balde
Tanzen die Blätter an Wegen und Halde.
Friert dich? – Komm, reich mir die Lippen zum Kuß.
Lenz noch im Herzen und Frühling im Walde!

Unter den Pinien

Es war ein heißer Sommertag. Ueber die Heide schritt ich dem Walde entgegen. Die wahre Erholung meiner Schulferien bedeutete für mich immer nur der Wald. Und nun winkten mir von ferne meine drei Vertrauten zu, drei alte Kiefern, Pinien des Nordens. Sie standen einsam zwischen Eichengestrüpp an einem wenig begangenen, sandigen Wege. Frei hatten sie sich entfalten können, und ihre mächtigen Kronen mit dem rötlichen, knorrigen Geäst schwebten königlich über dem Unterholz. Unter ihnen weilte ich so gerne; stundenlang konnte ich da auf den duftigen Nadeln und den armen Grashälmchen ruhen, auf dem Rücken liegend durch die Lücken im Gezweige nach dem blauen Himmel und den ziehenden Wolken schauen und dem Säuseln des Windes lauschen, und dem Summen der Insekten, und dem fernen Gurren der Holztauben.

Der Wald war mir stets ein Mysterium. Niemals war es mir möglich, darin umherzutollen und zu singen und zu johlen. Wie ein scheues Tier schlich ich mich dahin, damit kein Zweig knacke, kein Strauch rausche. Und so nahte ich mich auch diesmal wieder den einsamen Föhren auf der Anhöhe, plötzlich hörte ich ein eintöniges, seltsames Singen. Es war mir unangenehm, daß sich jemand bei meinen Bäumen aufhalten könne. Von Büschen gedeckt schlich ich mich näher. Da sah ich ein fremdartiges Bild. An einem der rissigen Stämme, vom Sonnenlicht umspielt, saß ein junges, braunes Weib, ein buntes Tuch um das schwarze Haar geschlungen. Es neigte sich über einen Säugling, der an der entblößten, bernsteinbraunen Brust lag und den mütterlichen Nährquell trank. Eine landfahrende Zigeunerin schien die Fremde zu sein. Und sie blickte liebevoll auf ihr Kindchen nieder und preßte die strotzende Brust mit ihren Fingern und sang ihr dunkles, summendes Lied. Ich war zu jung, um mir ästhetisch Rechenschaft über den Reiz des Bildes geben zu können, aber ich schwelgte in diesem Anblick und konnte meine Augen nicht fortwenden von der feingliederigen Bettlerin und ihrem Kinde. Und alles war so voller Harmonie mit dieser Gruppe: die einsam umherstehenden Gebüsche und die rauschenden Kronen, der harzige Duft und die zitternde Wärme des Sommertags.

Ich hielt mich ganz still. Und als endlich das Weib seine Kleidung wieder in Ordnung brachte und dann, den nun schlafenden Säugling im Arme, mit den nackten Füßen den sandigen Weg dahinschritt und im Walde verschwand, war mir nicht anders, als hätte ich einen schönen Traum geträumt. In stillen Erinnerungsstunden taucht noch manchmal das Bild der jungen, ihr Kindchen nährenden Mutter unter den alten Föhren in mir auf und dann fühle ich etwas wie eine Weihe in meinem Gemüt.

 


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