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Der Herbst war gekommen und Harry's Ernte war eingebracht, als er sich auf die Bitte seiner Mutter entschloß, eine Reise nach den Vereinigten Staaten zu machen. Madame Williams hatte nämlich eine Gelegenheit wahrgenommen, ihre Besitzung auf der Insel Galveston zu einem sehr hohen Preise zu verkaufen, weil sie es ihrer Tochter schuldig zu sein glaubte, dieselbe in feinere Gesellschaft zu bringen als die, worauf sie in ihrem bisherigen Aufenthalt beschränkt gewesen waren. Die Tochter war fünfzehn Jahre alt und es fehlte ihr sowohl an der nöthigen Schulbildung als auch an dem gesellschaftlichen Benehmen, welches ihr Name beanspruchte.
Madame Williams war aus Natchez am Mississippi gebürtig, sie hatte dort noch Verwandte und Bekannte, und namentlich war dort in den letzten Jahren ein ausgezeichnetes Erziehungsinstitut für junge Mädchen gegründet worden, in welchem sie ihrer Tochter Gelegenheit zu weiterer Ausbildung geben wollte.
Harry, der anfing, sich nach einer Unterbrechung des alltäglichen Einerleis zu sehnen, war gern bereit, seine Mutter nach ihrem Geburtsort zu begleiten, zumal da seine Anwesenheit auf seiner Plantage augenblicklich nicht nothwendig war. Er übergab seinem Bruder Ashmore die Aufsicht über dieselbe, eilte nach Galveston hinab und schiffte sich von dort mit den Seinigen nach Neuorleans ein.
Dort hielt er sich nur einige Tage auf, vervollständigte seine Toilette auf das gewählteste, machte Besuche bei den vornehmsten Familien, die ihm noch von seinem frühern Aufenthalt her bekannt waren, und wurde von denselben jetzt als reicher Plantagenbesitzer mit doppelter Auszeichnung empfangen. In der That, sein Ruhm war ihm vorangegangen und man begegnete ihm allenthalben mit der größten Achtung.
Auf die Freude, seinen Freund Holcroft zu sehen, mußte er verzichten, da derselbe auf eine unbekannte Unternehmung ausgegangen war. Von vielen Freunden begleitet, begab sich Harry mit seiner Mutter und seinen beiden jungen Geschwistern an Bord eines prächtigen Dampfers und erreichte ohne besondern Aufenthalt das Ziel seiner Reise, Natchez.
Harry selbst bezog dort das erste Gasthaus, während er die Seinigen in einem Logirhause ersten Ranges einmiethete.
Eine so auffallende und zu gleicher Zeit so angenehme Persönlichkeit wie Harry Williams konnte nicht verfehlen, sofort Aufmerksamkeit zu erregen, zumal da er selbst Alles zu diesem Zwecke aufbot. Seine Empfehlungs- und Creditbriefe von Texas aus an die hiesige Bank und an die ersten Geschäftsleute bezeichneten ihn als einen der reichsten und angesehensten Männer jenes Landes, und aus seinen Unterhaltungen ging deutlich hervor, daß er ein sehr großes Vermögen besitzen mußte. Seine höchst elegante Kleidung, sein vornehmes und doch zuvorkommend artiges Benehmen und die Unbekümmertheit, mit welcher er bei jeder Gelegenheit viel Geld ausgab, machten ihn sehr bald in allen Kreisen der Gesellschaft bekannt und zum Gegenstand der Unterhaltung.
Harry war allenthalben zu sehen; in den Gasthäusern und Trinklokalen tractirte er freigebig seine Bekannten, auf den Promenaden begleitete er die schöne junge Welt, abends bei den Spazierfahrten trieb er einen prächtigen Schimmel in einem Cabriolet und im Theater oder Circus liebäugelte er mit den schönsten Augen.
Er besuchte auch täglich den Leseclub, in welchen ihn ein angesehener Kaufmann eingeführt hatte und wo alle die wichtigsten Zeitungen Amerikas und Europas ausgelegt waren. Eines Morgens hatte er noch nicht lange vor einem der vielen Lesepulte Platz genommen, als der Kaufmann, durch den er eingeführt war, mit einem ältlichen Herrn zu ihm trat und ihm denselben als den Rentier Herrn Dandon vorstellte.
Harry mit seiner gewohnten Höflichkeit erklärte sich sehr erfreut über dessen Bekanntschaft, da er seinen Namen schon vielfach auf das vortheilhafteste habe nennen hören.
Dandon verneigte sich darauf und sagte:
»Ich dachte mir, daß wir beide uns kennen lernen müßten, weil Leute von unsern Mittel und unserer Stellung im Leben nur durch eine kleine Zahl in der Gesellschaft vertreten werden und wir darum uns an einander anschließen müssen, wenn wir nicht allein stehen oder uns mit armen Teufeln auf gleiche Stufe stellen wollen.«
»Gleiche Verhältnisse, gleiche Ansichten ziehen einander an, und so habe ich schon von Anfang meines Hierseins auf eine Gelegenheit gehofft, mich Ihnen vorstellen zu lassen, Herr Dandon; doch da es mir nicht gleichgültig sein konnte, durch wen dies geschah, und weil mir Ihre nähern Freunde noch unbekannt waren, so unterblieb es bis jetzt; um so erfreulicher aber ist es mir nun, daß Sie mit so viel Artigkeit meinem Wunsche entgegenkommen.«
Bei diesen sehr höflich gesagten Worten verneigte sich Harry wiederholt, und Dandon that ein Gleiches, worauf er seine gelbseidene Weste glattstrich und durch eine drehende Bewegung seines Kopfes dem Hals in dem Hemdkragen wieder die rechte Lage zu geben suchte.
»Sie besitzen, wie ich höre, bedeutendes Grundeigenthum in Texas«, hob er dann an, indem er die Rechte auf den Rücken legte und mit seiner Linken an der Uhrkette spielte.
»Allerdings und unter den augenblicklichen Verhältnissen des Landes eigentlich mehr, als mir lieb ist«, entgegnete Harry. »Doch ich rechne auf die Zukunft; Texas besitzt unstreitig die besten Bodenverhältnisse auf unserm ganzen Continent.«
»Lassen Sie es sich nicht leid sein. Nach dem, was ich von Texas gehört habe, muß es über kurz oder lang eine große Rolle spielen; sein natürlicher Reichthum soll ja unberechenbar sein«, sagte Dandon mit einem wohlgefälligen Blick auf Harry.
»Diese Ansicht war es, die mich bestimmte, bei meiner zufälligen Anwesenheit in Mexico so viel Land von der Regierung zu kaufen, obgleich das Kapital für die ersten Jahre ein todtes ist«, fuhr Harry fort und setzte noch mit einem gleichgültigen Tone hinzu: »Ich mußte aber im Augenblick nicht, was ich mit dem vorräthigen Gelde machen sollte.«
»Da ist es Ihnen ergangen, wie es mir sehr oft geht; es dreht sich beim Anlegen der Kapitalien immer nur um die gewöhnlichen Procente, will man sie nicht irgend einem armen Teufel anvertrauen und Gefahr laufen, darum betrogen zu werden. Die Zeit großer Speculationen ist vorüber«, fiel Dandon ein.
»Nun, ich weiß nicht, es bietet sich doch mitunter noch Gelegenheit zu einer guten Unternehmung. Eben mit Land in Texas ist doch immer noch ein schöner Verdienst zu machen. Ich habe bedeutende Striche in Nacogdoches und San-Augustine nahe an der Grenze der Vereinigten Staaten, wovon ich jetzt noch den Acker zu fünf Dollars verkaufe, und wenn die Einwanderung so fortgeht, muß dies selbige Land in wenigen Jahren zwanzig Dollars der Acker kosten. Ich glaube, eine so schlechte Speculation wäre es doch nicht, jetzt zu kaufen. Wie gesagt, ich habe zu viel Land«, versetzte Harry leichthin.
»Wohl wahr, Herr Williams; wissen Sie aber wohl, was Texas fehlt, um sein Land werthvoll zu machen?« nahm Dandon das Wort.
»Sklaven«, antwortete Harry.
»Ganz recht«, fiel Dandon ein. »Wer aber kann Sklaven nach Texas führen, dort sind sie ja frei und gehen davon. Das ist ein großer Uebelstand.«
»Haben Sie die letzten Neuigkeiten aus Texas gelesen, Herr Dandon?« fragte Harry sinnend und schien einen wichtigen Gedanken zu verfolgen.
»Sie meinen die Gefangennehmung Ihres Abgeordneten Austin? Es soll große Aufregung in Texas herrschen.«
»Eine Aufregung, die schließlich eine Lostrennung von Mexico zur Folge haben wird und möglicherweise eine Vereinigung mit den Vereinigten Staaten«, sagte Harry eifrig. »Was meinen Sie, wieviel dann der Acker Land in Texas kosten würde?«
»Allerdings, verehrter Freund, wenn die Zeit kommen sollte, würde viel Geld daran verdient werden, aber eine Speculation darauf wäre doch sehr für die ungewisse Ferne berechnet«, entgegnete Dandon ausweichend.
»Ei freilich. Es ist fern von mir, Jemand dazu zu rathen, aber ich, der ich nun einmal das Land billig gekauft habe, ich mag schon darauf speculiren«, versetzte Harry und gab dem Gespräch schnell eine andere Wendung; der Gedanke aber, daß Dandon der Mann sei, von dem er Nutzen ziehen werde, hatte feste Wurzel in ihm geschlagen.
Nach längerer Unterhaltung schaute Dandon auf seine Uhr, sagte Harry noch, er würde sich bald wieder das Vergnügen bereiten, ihn zu sehen, und schritt dann nach sehr freundlich genommenem Abschied aus dem Lesezimmer, während Harry ihm sinnend nachblickte und noch mehrere Minuten, nachdem die Thür sich hinter ihm geschlossen hatte, sein Bild vor seinen scharf berechnenden Gedanken festhielt.
Dandon eilte geraden Wegs nach Hause und trat mit den Worten zu seiner Tochter Blancha in das Zimmer:
»Da habe ich mich etwas verspätet über einer höchst interessanten Bekanntschaft, die ich im Leseclub machte. Wirklich, einer der liebenswürdigsten jungen Männer, denen ich jemals begegnet bin! Es ist ein Herr Williams aus Texas, ein sehr reicher Mann, der dort ungemessene Besitzungen hat. Ich denke, ich bitte ihn morgen zum Mittagsessen, damit auch Du ihn kennen lernst, denn ich weiß im voraus, er wird Dir ungemein gefallen. Er ist ebenso schön und angenehm, als er reich ist. Ich will es noch einigen Freunden und Bekannten sagen lassen, und dann könnte man ja wohl einmal wieder dem jungen Randolph die Ehre anthun; er ist zwar arm, aber ein famoser Kopf, der mir oder vielmehr Dir die zwanzigtausend Dollars gerettet hat, die Portman selbst schon für verloren hielt. Er kann einmal ein reicher Mann werden.«
Dandon sah nicht den freudestrahlenden Glanz der Augen Blancha's, denn er schritt ihr etwas voran aus der Thür, um sich nach dem Speisesaal zu begeben.
Der Proceß, in welchem Albert Randolph ein Gutachten für Dandon ausgearbeitet hatte, war nach diesem von Portman geführt worden und vor einem halben Jahre vor dem Gerichte in Natchez zur Entscheidung gekommen. Portman, stolz auf das Talent seines Zöglings, hatte es bewirkt, daß bei dieser Entscheidung Albert selbst die Vertheidigungsrede für das Recht Dandon's halten sollte, da ihm allein der Ruhm gebühre, wenn der Proceß von dieser Seite gewonnen würde. Das persönliche Interesse, welches man an dem geistreichen, allgemein beliebten jungen Mann in Natchez nahm, füllte das Gerichtshaus zum Erdrücken mit Zuhörern, und als Albert vor die Schranken trat, um seine Rede zu beginnen, wurde er mit stürmischem Beifall begrüßt. Sein seltenes großes Talent machte sich auch in der Lösung der ihm heute gestellten Aufgabe so über alle Grenzen der Erwartung hinaus geltend, daß er wiederholt durch den ungezügelten Beifall der Zuhörer zu langen Unterbrechungen gezwungen wurde, und als er endlich seine Rede schloß, da wollten die donnernden Hurrahs für Randolph und für den Dichter
Albert kein Ende nehmen. Portman selbst leitete ihn unter den Beifallsrufen der aufgeregten Menge an seiner Hand von den Schranken hinweg und wünschte ihm Glück zu dem großen Erfolg, welchen er sich errungen hatte.
Der Proceß wurde zu Gunsten Dandon's entschieden. Dandon selbst hörte den Verhandlungen mit größter Aufregung und Spannung zu, und als ihm endlich das Recht zugesprochen ward, eilte er zu Albert hin, ergoß sich in Lobeserhebungen über seine Leistungen, wünschte ihm Glück zu der Geschäftsbahn, die er sich gebrochen habe, und bat ihn, mit nach seinem Hause zu gehen und bei ihm zu Mittag zu speisen. In der Freude seines Herzens vergaß der alte Herr so sehr seine Grundsätze und Vorurtheile, daß er Albert's Arm in den seinigen nahm und ihn so zur Verwunderung der Menge von dem Gerichtshause nach seiner Wohnung geleitete.
Die Freude Blancha's, als sie den Einziggeliebten ihrer Seele mit ihrem Vater Arm in Arm, über den Platz herankommen sah, entlockte ihren Augen beseligende Thränen, und nur der großen Bewegung, die den alten Herrn erfaßt hatte, verdankte sie es, daß sie ihr Glück vor ihm verheimlichen konnte.
Seit diesem Tage wurde Albert von Zeit zu Zeit von Dandon zu Tische geladen, und jedesmal, wenn sie bei Tafel saßen, sagte der Alte scherzend zu seiner Tochter, daß sie Herrn Randolph sehr dankbar sein müsse für die zwanzigtausend Dollars Nadelgeld, die er ihr gerettet habe.
Blancha konnte heute kaum den Abend erwarten, wo sie Albert bei ihrer Freundin und zugleich Beschützerin ihrer geheimen Liebe, bei Madame Newberry treffen würde, um ihm im voraus die Glücksnachricht zu bringen, daß ihr Vater ihn morgen zum Essen einladen wolle.
Nach Tische machte sie mit diesem eine Spazierfahrt in das Land, kehrte bei Sonnenuntergang nach Hause zurück und setzte sich dann auf ihren Lieblingsplatz auf den Balkon hinaus. Von dort aus hatte sie eine Zeit lang über den Platz geschaut, als sich die Hausthür in Albert's Wohnung öffnete und Lucy, des Mulattenmädchen der Madame Newberry, daraus hervortrat.
Lucy war siebzehn Jahre alt und von so ungewöhnlicher Schönheit, daß sie in ganz Natchez nur die schöne Lucy genannt wurde. Sie war eine schlanke, mittelgroße Gestalt, ihre Formen waren zierlich, doch üppig gerundet und ihre Bewegungen leicht und gefällig. Durch die braune Farbe ihrer zarten Wangen schimmerte ein warmer röthlicher Ton, der bei jedem Erglänzen ihrer großen tiefbraunen Augen wie verborgenes Feuer erglühte und ihr mitunter bis in die glänzenden schwarzen Locken schoß, die von ihren Schläfen herab auf ihren Busen wallten. Sie war sehr gut erzogen, geschickt in aller Arbeit und, was in den südlichen Staaten zu den Ausnahmen gehörte, recht gewandt mit der Feder. Madame Newberry hatte sie aufgezogen, und es hatte ihr Vergnügen gemacht, aus dem reizend schönen Kinde eine in jeder Weise tüchtige Dienerin für sich selbst heranzubilden. Lucy hing mit dankbarem Herzen an ihrer Herrin und kannte von den Freuden des Lebens noch keine andern als die, welche Madame Newberry ihr verschaffte. Sie war nach und nach in das Geheimniß der Liebe Albert's zu Blancha gezogen worden, indem sie oft Briefe und Bestellungen hinüber und herüber befördern mußte, und sie that dies mit Freuden, weil sie beiden von Herzen gut war und liebevoll von ihnen behandelt wurde.
Flüchtig wie ein Reh sprang sie jetzt über den Platz und hielt ihren Blick nach dem Balkon, auf welchem Fräulein Dandon saß, hinauf gerichtet; als sie aber über die Straße nach der Hausthür schritt, zog sie einen Brief aus ihrem Busen hervor und ließ ihn Blancha sehen. Diese empfing einige Augenblicke später die Mulattin an ihrer Zimmerthür und nahm ihr den Brief hastig mit den Worten ab:
»Ich danke Dir, liebe Lucy. Komm herein, ich will sehen, ob Du Antwort mitbekommst.«
Sie trat, den Brief öffnend, mit der Dienerin in das Zimmer, durchflog den Inhalt des Schreibens und sagte dann zu ihr:
»Es bedarf keiner Antwort, Lucy. Empfiehl mich nur Deiner Herrin und sage ihr, ich würde heute Abend zum Thee zu ihr kommen, mein Vater sei ausgebeten.«
Hiermit entließ sie die Mulattin, rief ihr aber an der Thür noch zu: »Warte einen Augenblick, Lucy!« und eilte in das Nebengemach, von wo sie sogleich mit einem bunten seidenen Tuch in der Hand zurückkehrte und es dem Mädchen mit den Worten reichte:
»Das ist für Dich, Lucy; damit sollst Du Dich putzen, wenn Du in die Kirche gehst und sollst immer an mich denken, wenn Du das Tuch umthust.«
»Ach, Fräulein Blancha, Sie sind gar zu gut gegen mich! Sie haben mir schon das schöne Kleid geschenkt und nun noch dies prächtige Tuch. Womit habe ich denn das Alles verdient?«
»Weil Du immer gut ausrichtest, was Dir aufgetragen wird, und weil Du überhaupt ein so braves Mädchen bist; ich werde immer für Dich sorgen. Nun aber eile und grüße Madame Newberry recht schön von mir«, sagte Blancha, klopfte der erfreuten Sklavin freundlich auf die Schulter und entließ sie. Kaum aber hatte sich die Thür geschlossen, als Blancha den Brief wieder aus ihrem Kleid hervornahm, ihn mit Innigkeit an ihre Lippen drückte und nochmals seinen Inhalt las.
Albert schrieb ihr darin, daß er wegen sehr vieler Arbeit nicht frühzeitig das Geschäftslokal verlassen könne, daß er aber hoffe, sie bei seiner Nachhausekunft bei Madame Newberry noch zu treffen.
Die Dunkelheit brach herein, die Lichter wurden angezündet und Blancha saß mit einem Buch in der Hand in dem Sopha, sie las aber nicht, sondern hielt ihre Aufmerksamkeit auf den Corridor geheftet und wartete ihres Vaters Tritt zu vernehmen. Bald ließ sich Dandon auch hören und trat in das Zimmer, um sich bei seiner Tochter zu verabschieden.
»Werde nur nicht ungehalten, liebe Blancha, daß ich Dich so oft abends allein lasse, es ist aber wieder eine Einladung, der ich nicht aus dem Wege gehen konnte. Stanton, bei dem ich speise, ist einer der reichsten Männer in der Stadt. Wenn nur mehr solche Familien hier lebten, damit es Dir nicht so sehr an Gesellschaft fehlte! Ich kann aber doch unmöglich aus meiner Sphäre treten.«
»Sei unbesorgt, lieber Vater, ich fühle mich sehr glücklich mit meinen wenigen Bekannten und im Nothfalle tröste ich mich immer mit der guten Newberry, die mir, seit meine liebe Anna bei ihr wohnte, immer so außerordentlich freundlich und gefällig gewesen ist; ich möchte wohl wissen, ob sie mir irgend etwas abschlagen könnte.«
»Ja wohl, sie ist eine sehr gute Frau, wenn ihr Mann auch ein armer Teufel ist. Nun muß ich aber gehen. Halte gut Haus!«
Hiermit reichte Dandon seiner Tochter die Hand und eilte aus dem Zimmer.
Kaum hörte Blancha unten die Hausthür öffnen und schließen, so schritt sie an das Fenster, sah ihrem Vater, der im eiligen Schritt über den Platz ging, noch einige Augenblicke nach und zog dann die Schelle.
Als ihre schwarze Dienerin eintrat und nach ihrem Befehle fragte, hatte Blancha schon den Shawl umgeworfen, eine Handarbeit aus dem Nähtisch hervorgenommen und eilte nun, von der Negerin begleitet, aus dem Hause und über den Platz zu Madame Newberry. Diese öffnete selbst für sie die Hausthür und hieß sie in der herzlichsten Weise willkommen.
Das Wohnzimmer, in das sie eintraten und welches sehr einfach, aber sehr sauber ausgestattet war, wurde außer durch eine große Lampe, die auf dem Tische stand, noch durch ein Flackerfeuer in dem Kamine erleuchtet. Der Hauptgrund zu solchen Abendfeuern, wie sie in den südlichen Staaten Gebrauch sind, liegt darin, daß sie die Luft in dem Zimmer reinigen und gegen herrschende Fieber schützen sollen, nebenbei aber liebt man abends dabei zu sitzen und sich durch ihr Flackern und Knistern unterhalten zu lassen, während die Wärme, die sie ausströmen, zu unbedeutend ist, als daß sie lästig werden könnte.
»Wollen wir uns an das Kamin setzen, liebe Blancha? Ich meine, es wäre traulicher bei dem Feuer«, sagte Madame Newberry zu dieser und winkte dann Lucy herbei, damit sie ihr helfe, den Tisch mit der Lampe näher nach dem Kamine zu schieben.
»So, jetzt haben wir das Licht von beiden Seiten und es ist hell genug, um die feinste Perlenarbeit zu machen«, fuhr die freundliche Frau fort, nachdem sie Lucy aus dem Zimmer gesandt hatte. »Nun setzen Sie sich an Ihr altes Plätzchen, beste Blancha, und lassen Sie uns plaudern. Schade nur, daß unser lieber Albert noch nicht kommen kann, wir wären heute Abend so ganz ungestört beisammen, da mein Mann gleichfalls wie Ihr Vater auswärts essen wird.«
»Albert hat mir ja geschrieben, daß er sehr viel zu thun habe«, fiel Blancha ein und setzte lächelnd noch hinzu: »Er kommt aber doch ein wenig früher, als seine Arbeit es eigentlich erlaubt.«
»Nur ein so streng gewissenhafter Mann wie Albert kann sich durch seine Pflicht von einem so lieben Engel wie Sie fern halten lassen«, versetzte die Frau mit innigem, liebevollem Ausdruck.
»Einem Engel, liebe Newberry?« entgegnete Blancha herzlich auflachend. »Dazu fehlen mir alle Erfordernisse. Aber Albert ist gut und brav, das ist wahr.«
»Wenn nur Ihr Vater –« hob die Frau an.
»Mein Vater hat mich sehr lieb, beste Newberry, und wird schließlich meinem Glück nicht in den Weg treten«, fiel Blancha ihr in das Wort, »nur muß man ihm Zeit geben, daß die gute Meinung, welche er von Albert hat, nach und nach stärker wird als seine Vorurtheile; Sie wissen es ja, daß nur reiche Leute sein Mitgefühl besitzen. Er ist aber Albert gut, achtet und schätzt ihn hoch, und wenn derselbe sein eigenes Geschäft hier gegründet hat und eine Frau selbst ernähren kann, dann werde ich meinem Vater unsere Liebe gestehen und ihn um seine Einwilligung zu unserer Vereinigung bitten.«
»Und wenn er nun seine Zustimmung nicht geben sollte?« warf Madama Newberry ein.
»Dann werde ich doch Albert's Frau«, entgegnete Blancha entschlossen, fügte aber schnell hinzu: »Er wird es aber thun. Ich will Ihnen etwas anvertrauen, liebe Newberry, es muß aber unter uns bleiben: Albert hat mir gesagt, Portman wolle sich bald zur Ruhe setzen und ihm sein Geschäft abtreten.«
»Nun, wenn dies geschieht, dann kann er wohl eine Frau ernähren«, versetzte die Newberry mit freudigem Tone; »dann wird er auch bald den Ruf des alten Portman bekommen und für einen der größten Advocaten des Südens gelten.«
»Namentlich aber wird dann seine Stellung bei meinem Vater der beste Fürsprecher für uns sein«, bemerkte Blancha und rückte mit ihrer Handarbeit der Lampe etwas näher.
»Gott gebe es, daß Sie bald ein Paar werden und daß der Himmel Sie mit eben so vielem Glück segne, wie es unserer lieben Freundin Anna zu Theil geworden ist«, sagte die Frau, heftete ihren Blick wohlgefällig auf Blancha's Arbeit und fuhr fort: »Sie sticken aber die Weste gar zu schön! Wie wird sich Albert darüber freuen! Weiß er es denn schon, daß sie für ihn bestimmt ist?«
Blancha lachte bei diesen Worten der Frau hell auf und sagte:
»Nein, nein, er hat keine Ahnung davon, was ich arbeite. Denken Sie sich, ich habe ihm weiß gemacht, es wäre ein Mieder für mich selbst, und er meinte, dieses matte Gelb müsse mir außerordentlich gut stehen. Was meinen Sie zu einem solchen seidenen Mieder?«
Hierbei lachte Blancha abermals recht herzlich und die Newberry stimmte mit ein, indem sie sagte:
»Ja, ja, es ist spaßhaft, wie wenig die Männer von unserer Toilette verstehen; sie fühlen es wohl, wenn wir geschmacklos gekleidet sind, wissen aber niemals, wo der Fehler liegt.
»Nun noch etwas Neues«, fiel Blancha wieder ein. »Morgen will mein Vater Albert zum Mittagsessen bitten. Ich freue mich sehr darüber, denn ich weiß, wie es ihn beglücken wird. Es ist nämlich ein sehr reicher junger Mann aus Texas hier, dessen Bekanntschaft mein Vater heute gemacht hat und den er morgen bitten will; er sagte mir, derselbe wäre ebenso schön und liebenswürdig, wie er reich sei. Ich werde ihn aber darum sehr liebenswürdig finden, weil er die Veranlassung dazu gab, daß mein Albert gebeten wurde. Vater nannte mir auch seinen Namen, ich habe ihn aber vergessen.«
»Es ist unbegreiflich, wie die Leidenschaft für Geld alle andern Gefühle beherrschen lann. Ihr Vater würde sich nicht bedenken, einem so reichen Manne aus Texas seine einzige geliebte Tochter zur Frau zu geben und sie mit ihm in ein solches wüstes, wildes Land ziehen zu lassen, während er sie hier in seiner Nähe so glücklich sehen und sich selbst dadurch beglücken könnte. Der Geldstolz ist wahrlich der thörichtste von allen«, sagte Madame Newberry und warf ein Stück Kienholz auf das Feuer.
»Nun, er soll doch noch recht glücklich durch uns werden«, sagte Blancha so recht aus tiefem Herzen und ließ ihre Arbeit in den Schooß sinken, »und dann soll er auch wissen, wie sehr er Ihnen, liebe Newberry, dafür zu danken hat.«
»Gebe Gott, daß ich diese Freude erlebe«, versetzte die Frau und erzählte Blancha dann, wie sie Lucy durch das schöne Halstuch hoch beglückt habe.
So plauderten sie bald ernst, bald scherzend und lachend, Blancha hielt aber immer ihr Ohr nach der Hausthür gerichtet und lauschte jedem auf dem Trottoir vorüberziehenden Tritt. Da schlug es acht Uhr und Lucy trat ein, um zu melden, daß das Abendessen bereit sei.
»Wollen wir nicht noch ein wenig warten? Albert kommt vielleicht bald«, wandte sich Madame Newberry zu Blancha.
»Ach ja, noch ein Viertelstündchen, es wäre doch hübsch – Ha, da ist er!« rief diese mit freudigem Schreck, warf ihre Arbeit auf den Tisch und sprang aus dem Zimmer nach der Hausthür, wo eben die Schelle gezogen wurde.
»Mein Albert!« sagte sie zu ihm, als sie die Thür geöffnet hatte und er hastig eintrat, und schlang ihren Arm um seinen Nacken. »Dank, Dank, tausend Dank, daß Du schon kommst. Nicht wahr, meine Sehnsucht nach Dir hat Dir keine Ruhe gelassen?«
»Nein, nein, es war meine Sehnsucht, die Deine Gedanken zu mir zog. Du angebetetes, einziges Mädchen, o wie versüßest Du mir jeden Augenblick durch Deine Liebe!« entgegnete Albert, preßte Blancha mit einem innigen Kusse an sein Herz und führte sie dann von seinem Arm umschlungen in das Zimmer, wo Madame Newberry ihrer harrte.
»Das ist ja prächtig, Herr Randolph, daß Sie so früh kommen«, sagte diese ihm entgegentretend. »Nun führen Sie Ihre schöne Braut auch gleich in das Eßzimmer, denn das Abendbrod ist bereit.«
Dann ergriff sie die Lampe und schritt den beiden Glücklichen voran nach einem kleinen Gemach in dem hintern Theile des Hauses, wo der Tisch gedeckt stand und Lucy eben die einfachen Speisen auftrug.
»Sie müssen den Herrn vom Hause vorstellen, Herr Randolph; mein Mann ist ausgebeten«, sagte Madame Newberry, sich am Tische niederlassend.
»Um diesem Platz Ehre zu machen, muß man unter liebender Leitung erst einige Erfahrung sammeln; ich werde sehr unbehülflich erscheinen, will aber mein Bestes thun«, entgegnete Albert lächelnd und versorgte dann die Teller der beiden Damen mit gebackenem Huhn, gebratenem Schinken, mit Eiern und gekochtem Mais, während Madame Newberry Kaffee und Thee einschenkte und Lucy das glühheiße Brod und dampfende süße Kartoffeln herumreichte.
»Nun rathe aber, Albert, welche Freude unser morgen harrt«, sagte Blancha, mit glänzendem Blick zu ihm gewandt, und legte ihre kleine Linke auf seinen Arm.
»Welche Freude? Für uns gibt es nur eine Freude, die unseres Zusammenseins. Wird diese mir zu Theil werden?«
»Ja wohl. Aber wo?« fragte Blancha lächelnd.
»Am liebsten hier bei unserer besten Freundin und so ungestört wie heute Abend«, entgegnete Albert, Blancha's Hand küssend.
»Nein, ich will es Dir nur sagen – in unserm Hause. Vater wird Dich morgen zum Essen bitten lassen.«
»Du guter, lieber Engel, das habe ich doch nur Dir zu danken!«,
»Nein, nein, ich habe nichts dazu gethan. Vater zeigte mir nur an, daß er morgen einen Herrn aus Texas, dessen Namen ich vergessen habe, zum Mittagsessen laden würde, und bemerkte dabei aus freien Stücken, daß er es auch Dir sagen lassen wollte. Du bist der einzige Mensch ohne großes Vermögen, dem er diese Artigkeit erzeigen würde«, antwortete Blancha, ergriff
Albert's Hand und setzte mit Begeisterung noch hinzu: »Es ist der große Reichthum Deines Geistes, mein Albert, den mein Vater anerkennt.«
»Und wie klein und unbedeutend ist dieser Reichthum gegen den Deiner Seele, Du Engelsmädchen!« erwiderte Albert im überwallenden Gefühl seines Glücks.
»Sie müssen aber Ihren Dienst wahrnehmen, Herr Randolph. Fräulein Blancha nimmt vielleicht noch etwas Fleisch oder Mais«, fiel Madame Newberry ein.
»Ich danke, ich danke, beste Newberry. Ich habe Ihrer Küche alle Ehre angethan«, entgegnete Blancha herzlich.
»Nun, so lassen Sie uns wieder zu unserm Kaminfeuer gehen, dort ist es doch traulicher«, sagte die Frau, in welchen Vorschlag ihre Gäste gern einstimmten und ihr sogleich nach dem Wohnzimmer folgten. Dort ließ sich Albert an Blancha's Seite nieder, die ihre Arbeit wieder ergriff und zu sticken begann.
»Sieh Dein schönes Mieder; ich freue mich schon, Dich darin zu sehen«, hob Albert an und betrachtete die für ihn bestimmte Weste, worauf Blancha zu lachen begann und sich vergebens bemühte, ernsthaft zu bleiben, denn Madame Newberry stimmte jetzt mit ein und beide lachten nach Herzenslust.
»Ach liebster, bester Albert, werde nicht böse über unsere Kinderei«, begann Blancha immer noch lachend.
»Die Newberry war daran schuld, weil sie auch zu lachen begann. Ich will es Dir aber gestehen, was uns dazu brachte.«
»Nein, nein, Blancha, das dürfen Sie nicht thun. Herr Albert wird es noch zeitig genug erfahren und uns beiden unsere Unart dann recht gern vergeben«, fiel die Frau ein. »Nicht wahr, Herr Randolph, Sie wollen es jetzt noch gar nicht wissen? Um unserm Lachen aber ein Ende zu machen, will ich mich entfernen und noch einige Haushaltsangelegenheiten besorgen. Sie entschuldigen mich für eine kurze Zeit.«
Hiermit erhob sich Madame Newberry und eilte aus dem Zimmer, Blancha aber legte die Arbeit auf den Tisch, rückte näher zu Albert heran und schmiegte sich von seinem Arm umschlungen an seine Brust.