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Die Sonne neigte sich am folgenden Tage den blauen Gebirgen im Westen zu, als Harry gebückt und hustend auf der Terrasse auf und nieder schlich und sich langsam nach dem Eingange in die Erdgeschosse des Gefängnisses bewegte. Da winkte ihm von dort her der eine seiner vertrauten Wärter; er trat schnell zu ihm in den düstern Raum, einen Holzstall, in welchem der Sarg mit dem Todten stand. Der Deckel des Sarges war bereits durch den Wärter beseitigt, er und Harry nahmen die Leiche aus dem Sarge hervor, begruben sie unter dem Holze und Harry legte sich an deren Stelle in den Sarg hinein. Der Wärter befestigte den Deckel, jedoch so leicht, daß ihn Harry ohne große Anstrengung abwerfen konnte, verließ dann eilig mit der Mütze Harry's den Holzstall und eilte über die Terrasse hin bis zu deren Brüstung über dem Abhange nach dem Flusse. Dort schrie er Hülfe, daß es weit hinschallte, und als man aus dem Gefängnisse herbeikam und nach der Ursache seines Rufs fragte, verkündete mit entsetzter Stimme, daß der Gefangene Harry Williams, dessen Kappe auf der Brüstung lag, sich in den Fluß hinabgestürzt habe. An eine Rettung war nicht entfernt zu denken, darum schaute man nur einige Augenblicke in den Strom hinunter und ging dann mit dem Bemerken: »Ihm ist wohl!« wieder seinen Geschäften nach. Bald darauf schritten zwei Männer mit einer Trage, auf welcher ein von leichtem Holz roh zusammengenagelter Sarg stand, über die Zugbrücke und trugen Harry Williams in demselben dem Kirchhofe zu, während der ihm vertraute Wärter selbst mit Schaufel und Hacke ihm nachfolgte.
Die Schatten, welche die nahen Gebirge warfen, hatten sich schon über den Fluß gestreckt und hüllten bereits die mächtigen Höhen an der östlichen Seite desselben bis zu ihren Spitzen hinauf, wo noch das letzte Licht des Tages sich zu halten suchte, in ihren Purpur, als der Leichenzug den Friedhof erreichte und sich zwischen den vielen alten und frisch aufgeworfenen Hügeln hin nach einer neugegrabenen Grube bewegte.
Dort setzten die Träger ihre Bürde nieder und machten Anstalt, den Sarg der Erde zu übergeben.
»Das Grab ist zu tief gegraben. Werft wieder einen Theil der Erde hinein«, hob der Wärter an, indem er an die Grube trat und in dieselbe hinabschaute. »Sie wollen es wohl dem Todten erleichtern, aus dem Grabe emporzusteigen, wenn dereinst die große Posaune zur Auferstehung geblasen wird?« sagte der eine der Männer und nahm einen Spaten, um dem Befehl des Wärters nachzukommen.
»Es ist ja Thorheit, so tiefe Löcher zu graben und so viel unnütze Zeit und Mühe dabei zu verschwenden. Ich habe mich schon oft dagegen ausgesprochen, die Leute wollen aber nun einmal nicht hören«, nahm der Wärter wieder das Wort, ergriff selbst die Schaufel und warf Erde damit in die Grube.
»Nun wird es aber wohl genug sein«, sagte der andere der Männer, »sonst kommt der Kerl ja gar nicht unter die Oberfläche.«
»Laßt den Sarg hinab!« befahl jetzt der Wärter, und schlang selbst eins der Taue um denselben.
Langsam glitt der Sarg mit Harry hinunter, die Stricke wurden heraufgezogen und die Erdschollen polterten auf den Sarg hinab, sodaß bald die Vertiefung ausgefüllt und der Hügel darüber aufgeworfen war.
»So ist's gut. Laßt uns gehen!« sagte der Wärter, indem er Hacke, und Schaufel auf die Trage legte, und von den beiden Männern gefolgt, rasch nach der
Zugbrücke und über dieselbe hin nach dem Gefängnisse zurückschritt.
An dem fernen Ende des Friedhofs saß Lucy hinter einem Busche vor der Mauer zusammengekauert und blickte mit freudestrahlenden Augen und hochschlagendem Herzen den Trägern nach, bis sie an der andern Seite der Brücke verschwanden, dann spähte sie, sich etwas erhebend, um sich und wandte wieder und wieder ihren Blick flehend gegen den dunkelnden Himmel. Die Sehnsucht, das Verlangen, den Geliebten zu erlösen, ihn zu befreien, ihn an ihr Herz zu drücken, wollte ihr die Brust zersprengen und krampfhaft preßte sie ihre gefalteten Hände gegen ihren Busen. Noch war es zu hell, um an das Werk zu gehen, und doch war jeder Augenblick der Verzögerung ja eine Ewigkeit für den Geliebten. Wie schlichen die Minuten, wie ewig langsam breitete heute die Nacht ihre Fittige über die Erde aus! Wollte denn der Himmel seine Lichter heute gar nicht anzünden?
Endlich, endlich begannen die Sterne zu blitzen, das Gefängniß verschwamm mehr und mehr in dem Schatten der Nacht und bald stand es wie eine schwarze Silhouette vor dem sternüberfunkelten Himmel.
»Ich komme, ich komme, mein Harry!« rief jetzt die Mulattin mit fieberischer Bewegung, ergriff den
Spaten und die Hacke, die vor ihr im Grase lagen, und sprang nun fliegenden Trittes über die Gräber hin nach dem Hügel, unter welchem der Geliebte ihrer Hülfe harrte.
Links und rechts flogen Schaufeln voll Erde von dem Hügel herab, Stoß auf Stoß schoß der Spaten in denselben hinein und dann schwer beladen zur Seite, der Hügel verschwand und die Vertiefung öffnete sich rasch unter der übernatürlichen Anstrengung des treuen Mädchens.
»Harry, mein Harry, gleich, gleich sollst Du befreit sein!« rief Lucy athemlos in die Grube hinein und immer geringer wurde das Gewicht der Erde, die sie mit ihren Schaufelstößen aus der Tiefe hob. Dennoch arbeitete sie fort und fort, obgleich sie kaum noch den Spaten heben konnte, da stieß sie mit dessen Eisen auf den Sarg und jubelnd neigte sie sich in die Grube hinab und rief:
»Hier bin ich, Harry! Deine Lucy ist es, Deine treue Lucy ist es, Geliebter, die Dich befreit!« Doch kein Laut kam ihr als Antwort aus dem Sarge entgegen.
»Harry, Harry!« rief sie jetzt wieder und eine unnennbare Angst goß ihr neue Kräfte in die Glieder. Wieder flogen schwere Schaufeln voll Erde aus der Grube, nach wenigen Minuten war der ganze Sargdeckel davon befreit und mit zitternder Stimme rief das zu Tode erschöpfte Mädchen in die Tiefe hinab:
»Harry, gib mir Antwort, um der Gnade Gottes willen gib mir Antwort, Harry!«
Kein Ton, kein Laut, keine Bewegung wurde in dem Sarge hörbar.
Da erfaßte Angst und Entsetzen die Mulattin. Sie neigte sich hinab in die Grube, zwängte die Hacke unter den Sargdeckel und riß ihn mit ihrer letzten Kraft empor. Sie warf ihn zur Seite und streckte nun bebend ihre Hände hinab zu dem Geliebten. Er rührte sich nicht, er gab ihr keine Antwort.
»Harry, mein Harry!« schrie sie wieder mit herzzerreißender Stimme, warf sich zu ihm hinab und hob seinen Kopf an ihre Brust. Harry aber gab ihr keine Antwort, Harry bewegte sich nicht.
Von wilder rasender Verzweiflung ergriffen, hob Lucy ihn jetzt in ihren Armen aus dem Sarge empor und zog ihn aus der Grube, klammerte ihre Hände um ihn und trug ihn halb schwebend in das Gras, dort aber sank sie mit ihm nieder und preßte ihre Lippen auf seinen Mund. Starr und regungslos lag er an ihrem Herzen; ihre liebenden Worte, ihre heißen Küsse wollten ihn nicht erwecken, seine Lippen wurden kälter und kälter, seine Glieder wurden starrer und kein Athemzug bewegte seine Brust. Harry war eine Leiche.
Die Angst- und Hülferufe der Mulattin verhallten in der Nacht, ihre Kräfte verließen sie, ihre Sinne schwanden und bewußtlos sank sie bei dem Todten hin.
Wohl kehrten ihre Sinne von Zeit zu Zeit zurück, doch der kalte Mund Harry's warf sie immer wieder dem Scheintod in die Arme, und so fand sie der neue Tag ohne ein Zeichen von Leben mit dem todten Geliebten in ihren Armen neben dem Grabe liegen.
In dieser Nacht war abermals ein Kranker in dem Gefängnisse gestorben und der Todtengräber begab sich am frühen Morgen nach dem Friedhof, um noch ein Grab neben dem gestern gemachten aufzuwerfen. Schon von weitem bemerkte er die Zerstörung desselben, er schritt rasch näher und sah nun in der Vertiefung zwischen den Hügeln die beiden Gestalten in dem Grase liegen. Er sprang hinzu, es war ein Sträfling in den Armen eines Mulattenknaben, es war der neue Sträfling Williams. Der Todtengräber erkannte ihn sofort, und als er seitwärts in das Grab hinabblickte, sah er, daß der Sarg in demselben offen und leer war.
Staunend schaute der Mann auf die beiden räthselhaften Gestalten nieder. Sie schienen beide entseelt zu sein, wenigstens der Sträfling trug deutlich die Farbe des Todes; er fühlte dessen Hand an, sie war kalt, doch die des Knaben war noch warm. Da warf er Spaten und Hacke hin und rannte, so schnell ihn seine Füße tragen könnten, nach dem Gefängniß zurück, um das Unbegreifliche dort zu verkünden.
Mehrere der Beamten eilten sofort nach demKirchhofe und ließen Harry und Lucy in das Gefängniß tragen. Der Arzt kam herbei und erklärte, der Züchtling Williams sei entseelt. In dem Mulattenknaben aber fand er noch Leben, öffnete dessen Rock, um nach seinem Herzschlag zu fühlen, und zu aller Umstehenden größtem Erstaunen erkannte man jetzt in der Knabenkleidung ein Mulattenmädchen.
Kräftige Mittel wurden angewandt, um sie ins Leben zurückzurufen, und bald schlug sie die Augen auf.
Wie aus einem schweren Traume erwachend, sah sie die Männer an und setzte sich mühsam auf. Da fiel ihr Blick auf Harry's Leiche und mit einem Schrei, als würde ihre Seele von ihrem Körper losgerissen, stürzte sie sich über den Leichnam hin.
»Mein Harry!« stöhnte sie, mit ersterbender Stimme und sank ohnmächtig bei ihm nieder.
Der erste Beamte des Gefängnisses ließ sie nun in das Haus tragen und übergab sie der sorgsamsten Pflege des Arztes, da nur von ihr Auskunft über die räthselhafte Begebenheit zu erwarten stand.
Lucy wurde abermals dem Leben wiedergegeben, und in stummer Verzweiflung verbrachte sie den Tag; weder gute, noch böse Worte konnten sie zu einer Antwort bewegen. Sie saß regungslos wie erstarrt aus ihrem Lager und blickte vor sich nieder, kein Wort der Klage, des Jammers, keine Thräne linderte ihren Schmerz. Und so saß sie während der ganzen folgenden Nacht, doch als am Morgen der Arzt zu ihr in das Zimmer trat, da faltete sie ihre Hände auf ihrer Brust und flehte ihn um die Erlaubniß an, dem entseelten Williams, ihrem Herrn, bei seiner Beerdigung folgen zu dürfen.
Mit freundlichem, wohlwollendem Tone sagte ihr der Doctor die Gewährung ihrer Bitte zu, wenn sie ihm das Versprechen gäbe, einen treuen Bericht über das Vorgefallene abzustatten.
Lucy gab das Versprechen, und bald darauf wankte sie, von dem Arzte unterstützt, hinter dem Sarge drein, in welchem Harry nach seiner letzten Ruhestätte getragen wurde. Ihre Kräfte reichten aber nicht weiter als bis an das Grab; da sank sie abermals bewußtlos zur Erde und erwachte erst wieder in dem ihr angewiesenen Zimmer auf ihrem Lager.
Noch an demselben Abend legte sie ein vollständiges
Bekenntniß über die Begebenheit auf dem Kirchhofe ab und schloß mit der Bitte, sie nach Natchez zu ihrer guten Herrin, der Madame Newberry, zu bringen, der sie entsprungen sei, um Herrn Williams nach Texas zu folgen.
Es war im Spätherbst, als in Natchez in dem Hause des Herrn Dandon die letzten Vorbereitungen zu seiner gänzlichen Uebersiedlung nach Texas gemacht wurden
Dieselbe war lange über die früher dazu bestimmte Zeit aufgeschoben worden, weil Dandon durch den Proceß gegen Harry Williams in den Vereinigten Staaten zurückgehalten worden war. Er hatte nach Neuorleans reisen müssen, um den Kassirer der Bank, der die zehntausend Dollars an Harry ausgezahlt hatte, nach Albany zu führen, damit derselbe Zeugniß gegen den Fälscher ablegen könne. Er selbst hatte dort den Gerichtsverhandlungen bis zur Verurtheilung Harry's beigewohnt und seinen Antheil an dem bei diesem vorgefundenen Gelde ausgezahlt bekommen.
Um so eifriger aber betrieb er jetzt den Umzug nach Texas und wurde dabei von Blancha und Madame Newberry auf das eifrigste unterstützt. Alles war gepackt und in einer Woche wurde das Dampfboot erwartet, welches sie nach Neuorleans tragen sollte.
Die Abende verbrachte Blancha immer in Gesellschaft der treuen Newberry, und so saß sie auch eines Abends bei ihr an dem Kaminfeuer, vor dem sie so manche glückliche und auch so viele traurige Stunden verlebt hatte. Jetzt aber war Alles Freude und Hoffnung und jedes Wort von Blancha's Lippen athmete Seligkeit.
Da wurde die Schelle an der Hausthür stürmisch gezogen. Madame Newberry wandte ihren Blick halb erschrocken nach der Zimmerthür, als diese aufflog und die Mulattin Lucy hereinstürzte.
»Tödte mich, Herrin! Tödte mich, die Verbrecherin!« schrie das Mädchen in wilder Verzweiflung und warf sich, ihr Haar zerraufend, vor Madame Newberry auf den Fußboden nieder, während diese sowie Blancha entsetzt auf sie hinstierten wie auf einen Geist, der der Ewigkeit entstiegen. Es war aber nur ein Augenblick der Erstarrung, dann stürzte Blancha mit einem wilden Freudenschrei auf die Mulattin zu und rief mit aufjauchzender Stimme:
»Lucy, Lucy, großer Gott, bist Du es wirklich? Bist Du nicht todt, bist nicht ermordet? O Allmächtiger, Deine Gnade, Deine Barmherzigkeit!«
Dabei riß sie das Mulattenmädchen an der Schulter vom Boden auf und schaute sie an, als traue sie noch immer ihren Augen nicht, und wieder warf sie sich ihrer treuen Newberry in die Anne, weinte und schluchzte laut und stammelte die Worte:
»Albert, mein braver, treuer Albert! Gott, der Grundgütige, ist uns gnädig!«
Lange Zeit konnte sie sich nicht fassen, ihrer Freudenthränen nicht Herrin werden, dann aber ergriff sie ihren Shawl und eilte fliegenden Fußes nach Hause zu ihrem Vater, um ihm die Glücksnachricht zu bringen.
Der alte Geldmann, als er die Kunde vernahm, war nicht mehr er selbst, er zitterte, bebte, weinte und schlang seine Arme um sein Kind und sagte, seine Hände faltend und zusammenpressend:
»O ewige Gerechtigkeit! O Gott, allmächtiger Gott, Deine Gnade, Deine Barmherzigkeit ist groß!«
Das Glück, womit dieser Sieg des Edlen über das Böse ihn beseelte, war mächtiger als alles Glück, welches sein Reichthum ihm gegeben, er erbebte unter dessen Gewalt und hatte lange Zeit keinen andern Ausdruck dafür, als Blancha wieder und wieder an seine Brust zu drücken. Plötzlich aber, als triebe ihn sein überwogendes Gefühl, selbst für das neue Glück zu handeln, ergriff er die
Hand seiner Tochter, preßte seine Lippen darauf und sagte stürmisch bewegt:
»Randolph muß hierher kommen. Hier, wo die Sünde ihn verderben wollte, hier soll er über sie, über seine Feinde triumphiren, und vor der Welt, vor der ich ihm feindlich gegenüberstand, will ich mein Unrecht bekennen und mir seine Vergebung erbitten!«
Dann wollte er forteilen, doch Blancha hielt ihn zurück, warf sich an seine Brust, küßte seine Lippen, seine Hände und benetzte sie mit Thränen der Freude, des Dankes.
»Gut, gut Kind! Nun laß mich aber gehen, jede Minute des Zögerns ist eine Sünde«, rief der alte Mann, ergriff seinen Hut und stürmte davon.
Ehe eine Stunde verging, war ein Kurier auf dem Wege zu Albert Randolph. Dandon hatte ihn mit der Weisung abgeschickt, Tag und Nacht zu reisen und kein Geld zu sparen, um in der kürzesten Zeit seine Mission auszurichten, und ihn reich mit Gold beschenkt.
Er sandte durch ihn die Nachricht von der Rückkehr der Mulattin Lucy an Albert und beschwor ihn, keine Minute zu verlieren, um an das Herz seiner Blancha und in die Arme seines väterlichen Freundes Apollo Dandon zu eilen.
Zwei Wochen vergingen nach der Abreise des Eilboten, die Zeit erschien, wo Albert seine Reise zurückgelegt haben konnte, und die Sehnsucht hatte in Blancha's Herzen ihren Höhepunkt erreicht; sie zählte die Stunden, die Minuten, bis sie den Geliebten sehen, ihm in die Arme fliegen würde, Tag und Nacht lauschte sie bei jedem Geräusch, jedem Fußtritt in der Straße, und bei jedem Ertönen der Schelle an der Hausthür fuhr sie mit beseligendem Schreck zusammen.
Es war Abend. Blancha hatte den Tag abermals in vergeblichem Hoffen und Sehnen hingebracht und die Freundin Newberry zu sich bitten lassen, um ihr ihre Ungeduld zu klagen. Die gute, theilnehmende Frau rechnete ihr vor, daß Albert ja unmöglich schon hier sein könne, auch wenn alle Zufälligkeiten günstig für die schnelle Reise des Eilboten gewirkt und die Umstände sowie die Verhältnisse Albert's seine sofortige Abreise zugelassen hätten, Blancha aber hatte eine ganz andere Rechnung gemacht, sie hatte die Meilen auf den Flügeln der Liebe, die Stunden mit dem Maße ihrer Sehnsucht gemessen.
»Ja, ja, beste Newberry, er könnte hier sein, wenn ihm nichts Hinderliches in den Weg gekommen wäre. Wenn es nur nichts Unangenehmes für ihn war, wenn ihm nur kein Unglück zugestoßen ist!« sagte sie in wachsender Aufregung.
»Ach meine liebe Blancha, es ist ja rein unmöglich; Es sind gegen sechshundert Meilen, die er zu reiten hat, wenn er über Land kommt. Ueber Galveston und Neuorleans kann man schon gar keine Rechnung machen, auf diesem Wege hängt man ganz von dem zufälligen Abgehen der Dampfboote a«B, antwortete Frau Newberry beruhigend und fügte noch lächelnd hinzu: »Die Liebe allerdings läßt solche Verzögerungen nicht gelten. Noch einige Tage, beste Blancha, müssen Sie Ihrem Herzchen Fesseln anlegen.«
»Aber er kommt ja über Land, gute Newberry. Wie können Sie denken, daß er sich dem Zwang einer Reise zu Wasser überlassen würde, solange er ein Pferd bekommen kann! Nein, nein, er kommt zu Land und hätte schon vorgestern hier sein können«, sagte Blancha, fuhr aber im nächsten Augenblick mit dem halberstickten Ruf: »Großer Gott, da ist er!« aus dem Stuhle auf, denn die Schelle an der Hausthür wurde gezogen.
»Beste Blancha!« rief die Newberry und wollte sie zurückhalten, doch fort sauste jene mit den Worten: »Er ist's, mein Albert, meine Seligkeit!« aus dem Zimmer und stürzte die Treppe hinab dem Geliebten entgegen, der mit ausgebreiteten Armen von unten zu ihr heranflog.
In stummer Wonne hielten sie einander umschlungen, ihre Lippen brannten wie zu ewiger Vereinigung fest aneinander, ihre Freudenthränen flossen und ihre Herzen schlugen in lauten Schlägen zusammen; der Ort, wo sie standen, ihre Umgebung war vergessen, und erst als Dandon zu ihnen eilte und sie mit den Worten umarmte: »Der Allmächtige hat Euch wieder vereinigt, er segne Eure Verbindung!« wandten sich ihre Seelen zu der Welt zurück und beide schlangen ihre Arme mit Liebe und Dankbarkeit um den glücklichen Alten.
Arm in Arm erstiegen sie nun die Höhe der Treppe, wo die treue Freundin ihrer harrte und gleichfalls ihrem überströmenden Glücksgefühl Ausdruck gab.
Mit Staub bedeckt trat der edle Jüngling Albert Randolph, von dem Arme der schönen Blancha umschlungen, in den hell erleuchteten Salon, wo das liebende Mädchen ihren wonnetrunkenen Blick über seine kräftige Gestalt gleiten ließ und mit Thränen der Freude im Auge sagte:
»Ja, ich wußte, mein Albert, daß Du zu Lande kommen würdest, und fühlte es an diesem Abend deutlich, daß Du mir nahe warst.«
Madame Newberry aber warf noch einen freudestrahlenden Blick auf das glückliche Paar und schlich sich dann aus dem Zimmer, um ihrem Gatten und durch diesen dem alten Portman die Glückskunde von Albert's Ankunft zu überbringen, während auch Dandon den Salon verließ, um Albert's Satteltasche aus dem Hotel, vor welchem derselbe vom Pferd gesprungen war, in sein Haus holen zu lassen, denn er sollte unter keinem andern Dache wohnen als unter dem seinigen.
Den ersten Gruß, den Albert am folgenden Tage empfing, brachte ihm sein väterlicher Freund Portman. Derselbe stürmte schon in sein Zimmer, als er sich kaum von seinem Ruhelager erhoben hatte, und unter Thränen machte der Alte der Freude seines Herzens Luft.
Bald aber ging die Kunde von der Rückkehr der Mulattin Lucy sowie die von der Ankunft des einst so hochgefeierten und doch so sehr mißhandelten Albert Randolph von Mund zu Mund durch die Stadt. Der Platz zwischen den Häusern der Herren Newberry und Dandon füllte sich Kopf an Kopf mit Menschen, die den unschuldig Verurtheilten bewillkommnen und das ihm angethane Unrecht sühnen wollten, sein Name ertönte aus tausend Kehlen und die Hurrahs für ihn wurden immer dringender, immer stürmischer, bis Albert endlich mit seiner Retterin, seiner Blancha, auf den Balkon hinaustrat und dankend die Jubelgrüße empfing, die aus der aufgeregten, wogenden Menge zu ihm emporstiegen.
»Hier bleiben! Hier bleiben!« schrie es jetzt von allen Seiten zu ihm hinauf, wieder erschallten donnernde Hurrahs und wieder schwenkte die begeisterte Volksmenge die Hüte über sich durch die Luft.
Da trat Albert an die Brüstung des Altans vor, winkte mit der Hand und jeder, auch der letzte Laut war verhallt.
Mit lauter kräftiger Stimme dankte er in poetischer Begeisterung mit aller Gewalt seiner edlen blütenreichen Sprache für die Freundlichkeit, für die hochherzige Theilnahme, die man ihm durch diesen Empfang kund gegeben, und erklärte sich mit Freuden bereit, der Einladung zu willfahren, wenn es die Verhältnisse gestatten würden.
Kaum aber hatte er den Balkon verlassen und war mit Blancha zu dem glücklichen Dandon in den Salon zurückgekehrt, als ein Dutzend der angesehensten Bürger von Natchez, an deren Spitze sich der alte Portman befand, sich bei ihm anmelden ließen und im Namen der Einwohnerschaft der Stadt ihn baten, seinen Wohnsitz unter ihnen zu wählen.
Portman selbst erklärte, daß er ihm nicht nur seine ganze Praxis übergeben werde, sondern daß er ihm auch als treuer Helfer und Rathgeber zur Seite stehen wolle.
Tief ergriffen gab Albert seinem Dankgefühl Worte, wandte aber seinen fragenden Blick zu Blancha und ihrem Vater, doch diese beiden erklärten unter Freudenthränen, daß nur er allein seinen Wohnort zu bestimmen habe und daß sie, wo dieser auch sein möge, alles gehoffte Glück finden würden.
Die Uebersiedlung nach Texas wurde aufgegeben und wenige Wochen später standen Albert und Blancha in dem Hause Gottes vor dem Altare und empfingen zu ihrer Vereinigung den kirchlichen Segen, während Tausende von Zuschauern in das Gebet für das Glück des edlen hochgefeierten Paares einstimmten.