Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Fünfter Band.

Erstes Kapitel.

General Houston stand einige zwanzig Meilen weiter nördlich, ohne von Santa-Anna's so weitem Vorgehen unterrichtet worden zu sein. Sein kleines Herr war noch mehr zusammengeschmolzen und zählte kaum noch fünfhundert Mann, denn die Mehrzahl der Männer, aus denen es bestand, waren im östlichen Texas zu Hause, und viele von ihnen entfernten sich, um für Frau und Kind zeitig Sorge zu tragen. Ueberhaupt war die Stimmung unter ihnen eine sehr trübe und niedergeschlagene und alle feurigen, begeisterten Reden für Freiheit und Ehre, welche Albert Randolph ihnen wiederholt abends beim Lagerfeuer hielt, waren nicht im Stande, die Wirklichkeit vor ihren Augen zu verdecken, denn sie konnten es ja gar nicht wagen, dem so sehr überlegenen Feinde eine entscheidende Schlacht anzubieten. Kam aber Texas, woran ja nicht zu zweifeln war, wieder unter die Herrschaft Mexicos, so war ihres Bleibens nicht mehr in diesem

Lande und all ihr Eigenthum in demselben für sie auf immer verloren.

Es war am 20. April 1836, als die kleine Schaar stumm und ernst bei den Lagerfeuern saß und ein Jeder sich seinen eigenen finstern Gedanken hingab. Die Feuer brannten düster, denn es regnete und eine kalte Luft zog über die finstere Prairie und rauschte in den Bäumen der Waldinsel, um welche die Texaner sich gelagert hatten.

General Houston, ein kolossal gebauter schöner Mann mit kleinen glänzend blauen Augen, schien auch in schwere Gedanken versunken und dachte wohl gleichfalls an Haus und Hof, denn seine sehr bedeutenden Besitzungen lagen am Trinityfluß, an dessen Ufern hinauf auch seine Heerden von zehntausend Stück Rindvieh weideten.

Solange es möglich gewesen war, hatte er den Aufstand zu unterdrücken gesucht und bis zu dem Entwaffnungsbefehl Santa-Anna's für Verbleiben im mexicanischen Staatenverband gestimmt, beim Ausbruch der Empörung aber blieb ihm keine Wahl übrig, wollte er nicht sein ganzes Eigenthum aufs Spiel sehen, er mußte Partei für die Republik nehmen.

»Wo bleibt Randolph?« sagte er, sich in seinen Gedanken unterbrechend, zu einem Offizier an seiner Seite, der ein Stück Hirschfleisch an einem Stocke über die Kohlenglut hielt, um sein Abendessen daraus zu bereiten.

»Er müßte schon längst hier sein, er ist ja nur nach Lynchbury und San-Jacinto geritten, um zu sehen, ob unsere Vorräthe angekommen sind«, entgegnete der Offizier.

»Wenn dieselben noch nicht eingetroffen sind, so werden sie uns nichts mehr helfen können, denn wir müssen uns nach dem Trinityfluß zurückziehen. Dort tritt wohl noch mancher Mann zu uns unter die Waffen, um sein Eigenthum zu vertheidigen, hier laufen uns die Leute fort, wir werden täglich schwächer«, sagte Houston, indem er eine kleine Pfeife aus dem Rock hervorzog und sie anzündete.

Da wurde in der Ferne der Hufschlag flüchtiger Pferde laut, Houston horchte auf und bald sprengte Albert, von mehreren Reitern begleitet, ins Lager.

Die Eile, womit sie von ihren Pferden sprangen und zu General Houston schritten, und die Hast, mit welcher derselbe ihnen in das Dunkel der Bäume folgte, zeigten, daß die Reiter eine wichtige Meldung zu machen hatten. Der eine der Begleiter Albert's war ein Kundschafter, der die Nachricht brachte, daß Santa-Anna mit nur zweitausend Mann ein verschanztes Lager bezogen habe.

Es war ein Augenblick der Entscheidung für das

Schicksal von Texas, vielleicht der einzige, der für seine Selbstständigkeit noch eine Hoffnung bot. Gelang es, Santa-Anna zu überraschen, ihn zu überwältigen und seiner Person habhaft zu werden, so war Texas gerettet, wo nicht, so verfiel es unabänderlich in die tiefste mexicanische Knechtschaft.

Aber auch das Schicksal aller um Houston versammelten Streiter hing an diesem Augenblicke, denn alle hatten in Texas ihr Eigenthum, ihre Familie, oder sie hatten die Vereinigten Staaten unter Verhältnissen verlassen, die ihnen untersagten, jemals wieder ihren Fuß über deren Grenzen zu sehen.

Houston trat nach kurzer Unterredung aus dem Dunkel der Bäume hervor und verkündete der sich um ihn drängenden Menge, welche Nachricht ihm überbracht worden sei, kaum aber war die Kunde seinen Lippen entschwebt, als ein Sturm von Hurrahs durch die Nacht schallte und man einstimmig den Angriff auf Santa-Anna's Lager verlangte.

Alles war jetzt Leben. Der ganze für die Nacht gesammelte Holzvorrath wurde auf die Feuer geworfen, sodaß sie hoch aufloderten und den kampfgierigen Männern dazu leuchteten, ihre Waffen in Stand zu setzen, die Pferde wurden aus dem Grase geholt und gesattelt, die vier Geschütze bespannt, und ehe eine Stunde verflossen war, zog die schlachtmuthige Schaar von den hellen Feuern hinweg in die finstere stürmische Nacht hinaus dem Regen und Wind entgegen. Schweigend eilten sie dahin, die letzten Streiter der jungen Republik, mit dem eisernen, unumstößlichen Entschluß, zu siegen oder zu sterben, und als der Morgen graute, hatten sie das Lager Santa-Anna's bis auf die Entfernung einer halben Meile erreicht.

Das hohe Erlengebüsch auf den Ufern eines Bachs verbarg sie den Blicken der mexicanischen Posten. Houston ließ absitzen, die Pferde wurden an den Erlen befestigt, die Waffen zum Gebrauch bereit gemacht, und nun setzte sich die Schaar mit den Geschützen nach Santa-Anna's Lager hin in Bewegung.

Noch lagen einige tausend Schritte zwischen den Texanern und den Schanzen, als auf denselben Rauchwolken aufstiegen und mit dem Donner der dort abgefeuerten Kanonen deren Kugeln über den Köpfen der Heranziehenden hinbrausten; diese aber gaben keine Antwort darauf, sondern beeilten schweigend nur noch mehr ihre Schritte.

Bis auf Büchsenschußweite hatten sie jetzt das Lager erreicht, ihre Geschütze wurden gerichtet, dieselben schleuderten ihren Kartätschenregen über die Wälle und mit den Schreckensrufen: »Alamo, Goliad!« stürzten die

Freiheitskämpfer, mit Büchse, Pistolen und Jagdmesser bewaffnet, ihren Kugeln nach. Die Erdaufwürfe um das Lager waren hoch und die Gräben vor ihnen tief, doch was waren den Stürmenden in diesem Augenblicke Hindernisse und Gefahren!

Nach wenigen Minuten hatten sie die Wälle erklommen. Nicht wie Menschen, wie wuthschäumende Raubthiere stürzten sie sich in die dichtgedrängten Massen der Mexicaner hinein und schossen und hieben sie unter den nicht verhallenden Rufen: »Alamo, Goliad!« reihenweise nieder. Da half kein Befehlen, kein Wehren, kein Anfeuern der mexicanischen Offiziere, unaufhaltsam wie eine Windsbraut rasten die Stürmenden in allen Richtungen durch das Lager und nach fünfzehn Minuten des gräßlichsten Mordens und Schlachtens war der Sieg für Texas entschieden.

Das ganze Lager glich einer großen Blutlache, in der die Sterbenden und Verwundeten sich krümmten und die Besiegten sich vor den Siegern niederwarfen und um Gnade, um Erbarmen flehten.

Der Ruf nach Santa-Anna machte dem Morden plötzlich ein Ende, sein Name tönte wie ein lähmendes Wort von Mund zu Mund, denn ohne ihn gefangen zu haben, war kein Sieg erfochten, sein Entkommen verhieß ganz Texas den Untergang. Nirgends war er zu finden, weder unter den Gefangenen, noch unter den Todten. Da ließ Houston ein Dutzend mexicanischer Generale vor sich bringen und drohte ihnen mit Erschießen, wenn sie nicht die Richtung der Flucht ihres Befehlshabers verriethen. Sie sagten aus, daß derselbe gleich beim Beginn des Kampfes mit mehreren Begleitern in einem leichten Wagen das Lager verlassen habe, und bezeichneten die von ihm genommene Richtung. Die frische Wagenspur bekundete die Wahrheit der Aussage, und nun hing Alles davon ab, den Flüchtling einzuholen. Houston ließ sofort zweihundert Mann ihre Pferde besteigen und trug ihnen auf, Santa-Anna womöglich lebendig einzufangen. Unter diesen Reitern befand sich auch Albert Randolph. Fort jagten sie in flüchtigem Galopp, der Wagenspur folgend, bis sie nach Verlauf von einer halben Stunde sich einer verlassenen Farm näherten. Schon von weitem sahen sie dort den Wagen stehen, aber ohne Pferde. Augenscheinlich hatte Santa-Anna mit seinen Begleitern die Thiere, welche ihn bis hierher gezogen hatten, bestiegen, um schneller und ungehinderter fortzukommen, und nach kurzem Suchen fanden die Texaner auch die Spuren der Pferde auf. Wieder folgten sie denselben mit möglichster Eile und erkannten, daß die Fliehenden immer schneller geritten waren. Das Grasland, durch welches sie zogen, ward bald vielfach von kleinen Bächen durchschlängelt und der Boden wurde immer sumpfiger, sodaß die Pferde oftmals bis an die Kniee einsanken.

Die Hoffnung, den Entflohenen einzuholen, steigerte sich mehr und mehr, denn die von seinen Rossen zertretenen Grashalme und Kräuter zeigten deutlich, daß dies erst so eben geschehen sei. Immer mehr trieben die Verfolger ihre Pferde zur Eile an, als sie plötzlich aus einem Erlengebüsch hervorritten und vor sich in dem Grase die drei Reitthiere Santa-Anna's ruhig weiden sahen. Er hatte also seinen Weg zu Fuße fortgesetzt; doch trotz aller Mühe und Anstrengung konnten die Streifschützen seine Fährte nicht entdecken.

Nach langem vergeblichem Spüren hielten sie eine Berathung und beschlossen, sich in kleinern Abtheilungen von einander zu trennen und in den verschiedensten Richtungen die Gegend zu durchsuchen.

Albert Randolph zog es vor, ohne zahlreiche Begleitung zu reiten, und nahm nur Mac-Coor mit sich. Dieser behauptete, Santa-Anna habe die gerade Richtung nach der Meeresküste eingeschlagen, weil er dort leicht eines Bootes habhaft werden könne, und auf diese Vermuthung hin wandten die beiden Reiter ihre Rosse nach Osten, wo sie aber bald so in Büsche und sumpfigen Boden geriethen, daß sie zu Pferde nicht weiter vordringen konnten. Sie hielten an einem kaum einen Schritt breiten, doch schnell fließenden, zu beiden Seiten mit Erlenbüschen bewachsenen Wasser und schauten durch eine Oeffnung zwischen denselben, als Mac-Coor plötzlich sagte:

»Bei Gott, hier sind sie durchgegangen! Sehen Sie da an der andern Seite des Wassers den zierlichen Fußtritt? Ich lasse mich hängen, wenn dies nicht Santa-Anna selbst gewesen ist.«

Er sowie Albert waren von ihren Rossen gesprungen und nahmen die Fährte genau in Augenschein, wobei sie einige Schritte weiter noch zwei Männerspuren fanden.

Es lag außer allem Zweifel, daß Santa-Anna mit zwei Begleitern hier durchgeschritten war, und fern konnte er unmöglich sein. Zu Pferde weiter vorzudringen ließ jedoch der sumpfige Boden nicht zu. Albert und Mac-Coor befestigten darum schnell ihre Thiere an die Erlenbüsche und eilten nun den deutlich ausgedrückten Fußtritten der Fliehenden nach. Wieder und wieder hatten sie Gebüschstreifen zu durchschreiten, die ihnen den Blick in die Ferne wehrten, doch plötzlich öffnete sich vor ihnen eine weite Grasfläche, an deren fernem Ende sie drei Männer, dem Anscheine nach Offiziere, erkannten, die dem dichten Gebüsche im Laufschritte zueilten.

»Da sind sie! Vorwärts!« schrie Albert und sprang

Mac-Coor voran, der eine Büchse trug, während er selbst nur mit Pistolen und Säbel bewaffnet war. Noch hatten sie aber kaum die Mitte der Grasebene erreicht, als die Fliehenden in dem Gebüsch verschwanden.

Mit Blitzesschnelle folgte ihnen Albert mit seinem Gefährten; sie hatten nach wenigen Minuten die Büsche durcheilt, und vor ihnen auf einer kaum vierzig Schritte breiten Grasflur stürmten die drei Flüchtlinge dem nächsten Gebüsche zu.

»Steht, oder wir schießen!« schrie Albert ihnen auf Spanisch nach, doch noch ehe er es verhindern konnte, gab Mac-Coor neben ihm Feuer und einer der drei Offiziere stürzte zusammen. Die andern beiden fuhren herum, und während Albert und Mac-Coor auf sie zueilten, erhob einer von ihnen eine Pistole und gab Feuer. Zugleich aber schoß Mac-Coor eine Pistole nach ihm ab; der Mann wankte einen Augenblick und sank dann in das Gras nieder.

»Ich bin getroffen«, sagte jetzt Mac-Coor mit krampfhafter Stimme und hielt die Hand gegen seine Brust. »Eilen Sie, Randolph; lassen Sie mich liegen und fangen Sie den Hund dort, es ist Santa-Anna.«

Der Offizier jedoch sprang jetzt flüchtigen Schrittes davon und in die nächsten Büsche hinein, während

Albert seinen Gefährten in seinen Armen aufrecht zu halten suchte.

»Lassen Sie mich los, Randolph, mir können Sie nicht helfen, Texas aber können Sie retten. Eilen Sie, ehe er Ihnen entkommt«, stöhnte Mac-Coor und sank, sich den Armen Albert's entwindend, auf den Boden nieder. Dieser aber stürzte nun dem Flüchtlinge, so schnell ihn seine Füße tragen wollten, nach und stürmte spähenden Blicks durch das Buschwerk hin, bis er an dessen anderer Seite abermals eine offene weite Grasfläche erreichte. Santa-Anna war nirgends zu sehen. Er mußte sich in den Büschen versteckt haben. Schnell sprang Albert zurück durch das Dickicht bis auf den Platz, wo er den Fliehenden hatte in dasselbe eindringen sehen, nahm dort dessen Fährte auf und folgte derselben nun mit Pistole und Degen in den Händen Schritt für Schritt. Sie führte ihn seitwärts in dem dichten Gestrüpp hin, zwischen welchem der Boden so sumpfig wurde, daß Albert nur auf den Wurzeln der einzeln stehenden Büsche noch fußen konnte, auf denen er gleichfalls den Tritt des vor ihm fliehenden Mannes im Auge hielt. So drang er, immer eifriger spähend, vorwärts und war eben an einem sehr dichten Gebüsch vorübergeeilt, als er plötzlich den Fußtritt vor sich vermißte. Er blieb stehen, blickte rund um sich, nirgends eine Fährte; er wandte sich nach dem dichten Busche zurück, theilte das Laub mit seinen Händen auseinander und blickte plötzlich einem todtenbleichen Mannesantlitz in die Augen, welches ihn aus dem sumpfigen Pfuhl in der Mitte des Dickichts anstierte.

»Erbarmen! Schonen Sie mein Leben!« flehte der Mann jetzt mit bebenden Kinnladen und richtete sich aus dem schwarzen Sumpfwasser, in welches er sich der Länge nach niedergeworfen hatte, empor. »Retten Sie mich und ich will Sie fürstlich belohnen. Ich zahle Ihnen jede Summe, wenn Sie mich in Sicherheit bringen!«

Dabei hielt er Albert seine gefalteten Hände entgegen und zitterte am ganzen Körper. Es war ein ekelerregender Anblick, diesen großen, breitschulterigen Mann mit dem Säbel an der Seite in elender, nichtswürdiger Feigheit um sein Leben stehen zu sehen, und Albert trat mit Verachtung von ihm zurück, indem er sagte:

»Sie, Santa-Anna, der herzlose Mörder der Männer von Alamo und Goliad, der sieggekrönte Held so vieler Schlachten, mit der Kaiserkrone Mexicos in der Hand und dem Degen an der Seite, Sie schämen sich nicht, um Ihr Leben zu betteln, Sie scheuen sich nicht, einen Amerikaner durch Bestechung seine Ehre, seine Pflicht vergessen machen zu wollen! Treten Sie heraus aus dem

Pfuhl und geben Sie mir Ihren Degen, das ist der Preis, den ich für Ihre Gefangennehmung fordere.«

Bei diesen Worten trat Albert zur Seite und Santa-Anna schritt aus dem Sumpfwasser, in welchem er noch bis an die Kniee stand, hervor. Dann reichte er Albert seinen Säbel und sagte mit derselben flehenden, bebenden Stimme:

»Retten Sie mich, junger Mann! Sie haben ein ganzes Leben vor sich, ich will Ihnen Schätze geben, um es genießen zu können, ich nehme Sie mit mir nach –«

»Schweigen Sie, ehrloser Mann«, fiel ihm Albert entrüstet ins Wort. »Wären Sie nicht in meiner Gewalt, so würde ich Sie für Ihre Beleidigungen züchtigen. Sie sind Eigenthum des Volkes von Texas, das Sie mit seinem Blute erkauft hat und dem Sie als Bürgschaft für seine Freiheit, seinen Frieden dienen sollen. Schreiten Sie vor mir hin auf dem Wege, den Sie gekommen sind!«

Dabei winkte ihm Albert verächtlich zu und Santa-Anna, der Dictator, der nach der Kaiserkrone von Mexico strebende Kriegsgott, ging mit bebenden Gliedern, schwarz mit Schlamm besudelt vor dem gefeierten Dichter Amerikas hin und rief murmelnd die heilige Jungfrau von Guadelupe um Beistand, um Rettung an.

Bald erreichten sie den Platz, wo die beiden Adjutanten Santa-Anna's entseelt im Grase lagen; letzterer sah kaum nach ihnen hin und schritt, nur mit seinem eigenen Schicksal beschäftigt, an ihnen vorüber.

Als sie sich aber Mac-Coor nahten, eilte Albert an dem Gefangenen vorbei zu seinem Gefährten und sank bei ihm auf seine Kniee; Mac-Coor lag regungslos und starr, das Leben war aus ihm gewichen.

Albert war tief ergriffen und vergaß, seines Retters kalte Hand in der seinigen haltend, für den Augenblick den Gefangenen, in welchem er das Schicksal von Texas zu hüten hatte. Er dachte an Blancha, an Mac-Coor's Hülfe und dankte ihm schweigend mit seinen Thränen. Darauf untersuchte er die Taschen des Todten, nahm dessen Börse und Brieftasche zu sich und winkte Santa-Anna, der ihm, ohne sich zu rühren, zugesehen hatte, den Rückweg zu verfolgen, wobei er ihm mit der Pistole in der Hand nachschritt.

Er hatte bald die Erlenbüsche erreicht, wo sein Pferd und das seines todten Gefährten befestigt war, band sie los, ließ den Gefangenen letzteres besteigen, nahm dessen Zügel in die Hand, schwang sich auf sein Roß und eilte nun, das Thier Santa-Anna's neben sich herleitend, im Trabe in der Richtung nach dem Lager davon.

Dort herrschte große Unruhe und Besorgniß unter den Siegern, denn alle ausgesandten Streifschützen wam bereits zurückgekehrt, ohne Santa-Anna aufgefunden zu haben. Hatte derselbe, wie anzunehmen war, die Meeresküste erreicht, so trug ihn wahrscheinlich jetzt schon ein Boot dem dort heranziehenden General Filasola entgegen, und wehe dann Texas, wenn er an die Spitze von dessen Truppen trat!

Die Sonne neigte sich schon; General Houston hatte die kleine Zahl der zu Gefangenen gemachten Mexicaner und die verwundeten Texaner nach Harrisburg bringen lassen und berieth jetzt mit seinen Gefährten die ernste Zukunft, die ihnen zunächst bevorstand.

General Viesca drohte ihnen von San-Felipe her und konnte sie jeden Augenblick mit seinem Corps überraschen, Filasola nahte sich ihnen von Süden und ihre eigene Zahl war auf weniger als vierhundert Mann zusammengeschmolzen.

Hier stehen zu bleiben, war nicht rathsam, denn sobald ihnen der Weg nördlich um die Galvestonbai durch Viesca abgeschnitten wurde, fielen sie vollständig in die Gewalt des Feindes.

Freilich blieben die zu Gefangenen gemachten Mexicaner als Geißeln in ihren Händen, was fragte Santa-Anna aber nach einigen hundert Menschenleben, wenn er seiner Selbstsucht, seiner Rache fröhnen konnte!

Hin und her wurde berathschlagt und schließlich der Entschluß gefaßt, am folgenden Morgen nach Harrisburg und von da ohne Aufenthalt nach dem Trinityflusse zu marschiren, um sich im Nothfall an die Grenze der Vereinigten Staaten zurückzuziehen und sich unter den Schutz von deren Truppen, welche in Texas eingerückt waren, zu stellen.

»Unbegreiflich, daß Colonel Randolph noch nicht zurückgekehrt ist. Wer hat ihn denn begleitet?« sagte General Houston zu den bei ihm stehenden Männern.

»Mac-Coor allein ist mit ihm geritten, Randolph wollte Niemand außer ihm bei sich behalten«, entgegnete einer derselben.

»Wenn ihm nur nichts zugestoßen ist, er setzt immer Kopf und Kragen ein«, fuhr Houston fort und trug dann den Offizieren auf, die gefallenen Kameraden begraben zulassen.

»Dort kommt Randolph mit Mac-Coor angeritten«, rief jetzt einer der Soldaten und zeigte nach der schon in der Dämmerung verschwindenden Ferne, wo zwei Reiter wie zwei schwarze Punkte erschienen.

»Gott Lob, ich fing schon an, um ihn besorgt zu werden«, sagte Houston, seinen Adlerblick auf die beiden

Reiter heftend, und setzte nach einer kurzen Pause hinzu: »So ist denn auch die letzte Hoffnung auf Santa-Anna's Gefangennehmung verschwunden.«

Er wandte sich nun mit verschiedenen Befehlen an die Offiziere, blickte aber immer wieder nach den beiden Reitern hin, die ziemlich rasch näher kamen.

»Verdammt, wenn das Mac-Coor ist, den Randolph bei sich hat«, sagte jetzt einer der Soldaten. »Der Kerl ist ja noch einmal so groß als Mac.«

»Nein, Mac-Coor ist das nicht«, fuhr ein anderer fort und alle richteten jetzt ihre gesteigerte Aufmerksamkeit auf die Nahenden.

»Hängen lasse ich mich, wenn Randolph nicht einen Gefangenen bringt. Bei Gott, er hält ja den Zügel von dessen Pferd«, schrie jetzt einer aus der Menge und sprang über mehrere todte Mexicaner hin auf den Wall des Lagers hinauf, um deutlicher sehen zu können.

»Sollte er Santa-Anna bringen?« sagte Houston halblaut in einem Tone, der die große Bewegung verrieth, die ihn in diesem Augenblick ergriff. Alle um ihn verstummten in dem Hoffnungsgedanken, den er in ihnen wachgerufen, und alle Blicke hingen, als ob die nächste Minute über Leben und Tod entscheiden müsse, an den beiden Heraneilenden.

In raschem Trabe kam Albert jetzt näher; augenscheinlich hatte er eine gute Botschaft, denn er trieb beide Pferde zur Eile an.

Noch lagen wohl fünfzig Schritte vor ihm bis zu seinen Kameraden, als er sich hoch im Sattel emporhob und mit jubelnder Stimme ihnen zurief:

»Es lebe die Republik Texas! Hier bringe ich Santa-Anna!«

Mit einem Donner, als ob die Welt zusammenstürze, begrüßten mit stürmischen Jubelrufen die Sieger von San-Jacinto die Freudennachricht und jauchzend und frohlockend schaarten sie sich um Albert und seinen Gefangenen.

Ein Bild des Entsetzens saß der mexicanische Gott Santa-Anna in Todesangst zusammengekauert auf dem Pferde und schreckte bei jeder Bewegung der sich um ihn drängenden Menge auf. Dennoch wagte er es nicht, seinen Blick zu erheben; er ließ sein langes, breites Kinn auf die mit Schlamm beschmuzte goldgestickte Brust herabhängen und hielt seine Hände vor seinem Leib gefaltet.

»Das ist also der Hund, der meine beiden Brüder vor Goliad ermorden ließ?« rief ein Soldat, rasch durch das Gedränge zu dem Gefangenen hinschreitend, und zog ein langes Messer aus seinem Gürtel.

»Zurück, Kerney, wenn Euch Euer Leben lieb ist!« rief Albert ihm zu und richtete seine Pistole auf ihn. »Santa-Anna ist mein Kriegsgefangener und Niemand soll ihm ein Haar krümmen. Außerdem hängt das Schicksal von Texas an seinem Leben.«

Dann wandte er sich an General Houston und sagte:

»General, ich übergebe Ihnen hiermit den Gefangenen und bitte ihn mit einer Schutzwache zu versehen.« Hierauf sprang er von seinem Pferde und wandte sich zu Santa-Anna mit den Worten:

»Steigen Sie ab, Herr, und beschimpfen Sie sich nicht noch mehr durch Ihre Feigheit und Todesangst. Ihr Leben wird nicht gefährdet werden.«

General Houston übergab Santa-Anna einer von einem Offizier befehligten Wache und verkündete laut unabänderliche Todesstrafe über denjenigen, welcher dem Gefangenen ein Leid zufügen würde. Dann öffnete er seine Arme, um Albert Randolph an seine Brust zu drücken.

»Kommen Sie, Sie unser aller Retter, Sie Retter von ganz Texas, lassen Sie mich den ersten sein, der Ihnen im Namen der Republik, im Namen ihrer ganzen Bevölkerung dankt.«

Dabei umarmte er Albert und schloß ihn an sein Herz, und als er ihn aus seinen Armen entließ, drängten sich alle zu ihm heran, um ihm die Hand zu schütteln und ihm ihren Dank auszusprechen.

Mit Jubel und Jauchzen führte ihn die frohlockende Schaar fast schwebend nach einer Gruppe von uralten Lebenseichen, unter welchen für General Houston und dessen Stab das Lager aufgeschlagen war, und dort mußte er nun berichten, in welcher Weise es ihm gelungen sei, den mexicanischen Feldherrn gefangen zu nehmen.

Mac-Coor's Tod wurde allgemein bedauert.

Houston versammelte darauf die Offiziere um sich und berieth mit ihnen, wie man den Besitz Santa-Anna's für das Wohl des Landes ausbeuten solle. Während dieser Berathung wurde Albert's Stimme oft gehört und seiner Ansicht stimmten alle bei. Er rieth, mit dem Gefangenen im Namen Mexicos einen Vertrag abzuschließen, wonach dieses die Provinz Texas aus seinem Staatenverband entlassen und als selbstständige Republik anerkennen solle. Ferner empfahl er, Santa-Anna so lange gefangen zu halten, bis Texas von allen mexicanischen Truppen befreit wäre, und ihn dann gefangen nach Washington an die Regierung der Vereinigten Staaten abzuliefern, damit diese Mexico verantwortlich dafür mache, den Vertrag zu halten, den sein Dictator mit Texas abgeschlossen habe.

Nachdem man sich über die zu thuenden Schritte geeinigt hatte, befahl Houston den Feldherrn vorzuführen.

Santa-Anna saß in kurzer Entfernung unter einer dichtbelaubten Eiche auf einer wollenen Decke, welche man dort für ihn ausgebreitet hatte. Um ihn her lagen die Männer, deren Aufsicht er übergeben war, ein Wachtposten schritt Gewehr in Arm um den Baum und hielt die texanischen Reiter ab, sich zu dem Gefangenen zu drängen. Wenn diese nun auch den Befehl Houston's ehrten und dem verhaßten Manne nicht thätlich zu nahe traten, so hielten sie sich doch nicht davon zurück, ihn mit Beschimpfungen aller Art zu überhäufen und durch Worte ihrem Ingrimme gegen ihn Luft zu machen. Er aber saß regungslos mit gefalteten Händen da und schien zu beten.

Bei der Aufforderung, sich zum General Houston zu begeben, schrak er zusammen, erhob sich aber schnell um dem Befehl Folge zu leisten.

Er trat mit kriechender Höflichkeit in den Kreis der Offiziere, verneigte sich zuerst tief vor Houston und dann vor diesen und erklärte sich gern bereit, Alles zu thun, was in seinen Kräften stände, um sich ihrer Gnade werth zu zeigen. Es mache ihn glücklich, sagte er, solchen hochherzigen, wahrhaft edlen Helden in die Hände gefallen zu sein, und dabei verbeugte er sich wieder und wieder nach allen Seiten.

Die Männer um ihn aber sahen mit Verachtung auf ihn hin und würdigten ihn keiner andern Antwort.

Aus Santa-Anna's Zelt in dem eroberten Lager war ein Feldtisch und ein solcher Stuhl herbeigeholt worden, auf welchem erstern man Schreibmaterial ausgelegt hatte, und Houston ersuchte Santa-Anna jetzt an demselben Platz zu nehmen, welcher Aufforderung dieser schnell nachkam.

»Schreiben Sie, Herr Dictator, an Ihre Generale Viesca und Filasola, daß sie sich sofort aus den Grenzen der Republik Texas zurückziehen sollen, und sagen Sie ihnen, daß Ihr Leben von der Ausführung dieses Ihres Befehls abhinge, da ich im Weigerungsfalle Sie würde hängen lassen«, sagte Houston, indem er sich an dem Stamme einer Eiche auf ein Lager von Büffelhäuten niederließ, während auf seinen Wink zwei Soldaten mit Kienfackeln in der Hand zu Santa-Anna traten und mit deren Flammen den Tisch beleuchteten.

Santa-Anna ergriff rasch die Feder und schrieb mit zitternder Hand die beiden Befehle. Er unterzeichnete sie und fügte mit dem Petschaft an seiner Uhr sein Siegel darunter.

»Die Befehle werden sofort vollzogen werden, Eure

Herrlichkeit«, sagte er aufstehend und hielt Houston die Papiere hin; Albert Randolph aber nahm sie ihm ab und las sie beim Lichte der Fackeln.

»Sie sind in Ordnung. Wer soll sie den Generalen überbringen, General Houston?« sagte Albert zu diesem gewandt.

»Die Obersten Gardon und Jack will ich damit beauftragen; ich glaube, sie zählen zu den wenigen unserer Offiziere, welche heute ohne Wunde davongekommen sind, obgleich sie dort kämpften, wo die meisten ausgetheilt wurden«, antwortete Houston mit einer Verneigung gegen die genannten Männer.

Diese traten vor, empfingen die Depeschen, nachbem Houston's Schreiber dieselben versiegelt hatte, und ehe eine halbe Stunde verging, ritten sie, von Abtheilungen Streifschützen gefolgt, davon.

Die Nacht war für die Texaner seit langer Zeit die erste Nacht der Ruhe, des sorglosen, glücklichen Schlafes. Alles schlief im Lager fest und regungslos, nur Santa-Anna konnte die Augen nicht schließen; die Schreckensdrohung Houston's, daß er ihn unter Umständen werde hängen lassen, tönte ihm in den Ohren und verscheuchte den Schlaf von seinem Lager.

Am folgenden Morgen wurden die letzten gefallenen Texaner beerdigt, unter denen sich auch Mac-Coor befand, welchem Albert Randolph an dem Orte, wo derselbe sich verblutete, die letzte Ehre erzeigte.

Am Abend mit sinkender Sonne langten die sieggekrönten Helden von San-Jacinto vor Harrisburg an und wurden von der Einwohnerschaft im Triumph empfangen.

Hier wurde der Vertrag mit Santa-Anna im Namen Mexicos in Bezug auf die Freiheit von Texas ausgefertigt und abgeschlossen und von hier aus wurde der Dictator unter Bedeckung nach Washington an die Regierung der Vereinigten Staaten gesandt, welche die junge Republik anerkannte und ihr ihren Schutz zusagte. Erst im folgenden Jahre kehrte Santa-Anna nach Mexico zurück.

Wenige Tage nach dem Einzug in Harrisburg zeigte Albert der Mutter Mac-Coor's, welche in Baltimore lebte, den Tod ihres Sohnes an und übersandte ihr die Börse und die Brieftasche desselben, welche letztere die Werthpapiere enthielt, die er von Blancha Dandon erhalten hatte.

Texas war nun frei, jede Gefahr war von ihm gewichen, das abgelebte, verkommene spanische Element verschwand wie verpestete Luft vor einem frischen Winde aus seinen Grenzen und das lebenskräftige amerikanische Blut ließ es wie durch einen Zauberschlag zum reichsten, gesegnetsten Lande dieses Continents erblühen.

Zu Tausenden strömten Einwanderer aus allen Staaten der Union in seine paradiesischen Gefilde, die Ufer seiner Gewässer schmückten sich mit Baumwollen- und Maisfeldern, seine Prairien bedeckten sich mit zahllosen Viehheerden und Handel und Gewerbe belebten seine Städte, seine Straßen.

Albert Randolph war der gefeierte Retter der Republik und eine der beliebtesten Persönlichkeiten im Lande, doch sein Ruhm als Dichter war Niemand bekannt.

Nach Beendigung des Kriegs ging er an die schöne Guadelupe nach Gonzales zurück und ließ sich dort als Advocat nieder.


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