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»Sie sehen ja so strahlend aus!« sagte die Hofdame Irma, die dem Leibarzt begegnete.
»Es mag wohl sein,« erwiderte der Leibarzt, »denn ich habe dem Göttlichen, ich habe einer reinen Menschenseele ins Antlitz gesehen – Entschuldigen Sie einen Augenblick!« unterbrach er sich, ging in das Nebengebäude und gab dem Telegraphisten den Auftrag, sogleich dem Hofarzt die Meldung zu machen, daß er sich zu einer achttägigen Reise vorbereiten und hieher kommen solle; dann trat er wieder hinaus zu der Hofdame, und erzählte ihr von dem, was vorgegangen.
»Soll ich Ihnen meine Meinung sagen?« fragte die Gräfin.
»Sie wissen, daß man darauf nie mit nein antwortet.«
»Nun denn, so muß ich Ihnen sagen: in alten Zeiten war's viel schöner! da wurden die Königskinder auf einer einsamen Pfalz geboren. Still wie ein Geheimnis –«
»Sie sind doch in allem,« unterbrach der Arzt, »das echte Kind Ihres Vaters. Mein guter Eberhard war in seinen jungen Jahren auch voll toller Laune, dabei hatte er aber eine Verschämtheit, die oft plötzlich überraschte.«
»Ach, erzählen Sie von meinem Vater! Ich weiß so wenig von ihm.«
»Ich ja auch seit vielen Jahren – Sie wissen doch, daß er völlig mit mir gebrochen, weil ich am Hofe lebe; aber damals, in der Zeit unsrer jugendlichen Schwärmerei –«
»Also auch Sie schwärmten einmal?«
»Aber nicht so sehr wie Ihr Vater. Wie ich Sie so sehe, da ist mir's, als ob sein Ideal von damals wirklich geworden. Wenn wir – ich war damals ein junger Militärarzt und er ein noch jüngerer Offizier – wenn wir damals von der Zukunft und ihren Erfüllungen uns Phantasiebilder ausmalten, dachte er sich nie das Ideal einer Geliebten, einer Frau aus; er übersprang die Mittelstufen und phantasierte immer nur von dem Ideal eines Kindes und besonders einer Tochter, wie frisch, wie zart das sei und unberechenbar zugleich! Wenn ich Sie nun so vor mir sehe, sein Ideal steht vor mir!«
»Also mein Vater hatte nur das Ideal eines Kindes?« sagte Irma nachdenklich und schaute dem Arzt voll in die Augen, »und doch ließ er seine Kinder unter fremden Leuten aufwachsen, und ich muß mir von ihm erzählen lassen, statt selbst von ihm zu wissen? Aber ich will jetzt nicht von mir reden. Lieber Herr Geheimrat, ich habe eine Ahnung von dem Geheimnis der Königin, ich glaube zu wissen, weshalb sie so still und in sich gekehrt –«
»Mein schönes Kind, wenn Sie eine Ahnung haben, und nun gar von einem Geheimnis der Fürstlichkeiten, so rate ich Ihnen: vertrauen Sie das nicht einmal dem Kissen, worauf Sie ruhen.«
»Wenn es der Königin aber nützen könnte, daß Sie davon wissen? Sie sollten ihr Führer sein!«
»Man ist nur Führer dem, der geführt sein will.«
»Ich möchte Sie nur bitten, auf gewisse Symptome ein Auge zu haben. Hat die Königin nichts gesagt, als sie hier draußen vor der Kirche die Messe hörte? Erschrak sie nicht bei einem Tone? Merkten Sie nicht eine gewisse Hinneigung –«
Der Arzt bedeutete mit der Hand, daß Irma nicht weiterreden solle, und setzte hinzu:
»Mein Kind, wollen Sie korrekt am Hofe leben, so rätseln Sie nicht an Dingen, die man Ihnen nicht auflösen will; vor allem aber lassen Sie sich nichts davon merken –«
»Korrekt und immer korrekt!« neckte Irma, und ihre schönen im Bogen geschnittenen Lippen bewegten sich zitternd.
»Sie sind eine produktive Natur und eine produktive Natur gehört nicht an den Hof,« setzte der Arzt hinzu. »Sie wollen an Stelle der gegebenen Formen Ihre Persönlichkeit setzen; das geht nicht. Sehen Sie,« fuhr er lebendiger fort »sehen Sie, dieser Legationsrat Schnabelsdorf verbraucht sich bälder als er glaubt; er bietet immer etwas, bereitet immer etwas zu, kocht und bratet und schmort alle Wissenswürdigkeiten für die Herrschaften, und sein Gedächtnis ist ein ewiges Tischleindeckdich. Geben Sie acht, ehe ein Jahr vergeht, ist man seiner überdrüssig. Will man gefällig sein und bleiben, so muß man sich erwarten lassen.«
Irma stimmte bei, sie merkte aber wohl die Ablenkung und leitete wieder auf das zurück, was sie sagen wollte. »Sagen Sie« – fragte sie schalkhaft – »nicht wahr, wenn man einen falschen Tritt thut und sich dabei verletzt, das nennt man ein Uebertreten?«
»Allerdings.«
»Nun denn, so wissen Sie, daß die Königin durch ein Uebertreten in Gefahr ist, sich Schaden zuzufügen, vielleicht unheilbaren –«
»Ich würde vorziehen –« fiel der Arzt ein.
»Ah, Sie würden vorziehen? Wenn Sie das sagen, haben Sie immer etwas zu tadeln.«
»Erraten. Ich würde vorziehen, wenn Sie der Königin überließen, selber ihre Geheimnisse mitzuteilen. Ich glaubte, Sie seien die Freundin der Königin –«
»Ja, das bin ich.«
»Gut, und da ich heute einmal Ihr Frühprediger bin, so will ich Sie noch vor etwas warnen. Sie sind in Gefahr, eine jener Damen zu werden, die nur Freunde, aber keine Freundin haben.«
»Ist das eine Gefahr?«
»Allerdings. Sie müssen eine Freundin haben, Sie müssen, sonst liegt ein Fehler in Ihrer Natur. Solche Isolierung gibt dem ganzen Wesen eine falsche Richtung, eine unbewußte Ueberhebung oder eine bewußte. Wenn Sie unter den vielen Damen hier nicht eine Freundin gewinnen können, so liegt der Fehler an Ihnen.«
»Aber einen Freund darf ich doch haben? einen Freund, wie Sie?«
»Ich wünsche Ihnen keinen besseren.«
Irma ging still neben dem Arzte her.
Sie kamen wieder auf den Wiesenhang vor dem Schlosse.
»Wissen Sie schon, daß diese Wiese jeden Samstag mit falschem Heu frisiert wird?« begann Irma.
»Bitte um weniger Esprit und mehr Klarheit.«
»Hu – wie offizinell!« scherzte Irma. »So erfahren Sie denn: die Königin sagte einmal, der Heugeruch sei ihr lieb – und nun läßt der Gartenintendant wenigstens jede Woche einmal hier den Wiesenhang mähen; da aber die eigensinnige Natur nicht so schnell Heu gibt, wird in der Nacht fremdes Heu von irgend einer entlegenen Wiese zum Dörren hieher gebracht – Und da sagt man noch, die Fürsten werden in unsern Tagen nicht mehr betrogen?«
»Ich sehe an der Sache nichts Unrechtes oder Lächerliches. Der Intendant gehört zu denjenigen, die sich als die Vergnügungsvorsehung der Herrschaften betrachten und –«
»Vergnügungsvorsehung – ein köstliches Wort! Das gebe ich nicht wieder her! Das behalte ich! Und Sie wollen noch behaupten, Sie hätten keinen Witz? Sie sind ja voll frischer Bosheit! O, Vergnügungsvorsehung!« Irma lachte von ganzer Seele, und sie war neu schön, wenn sie lachte.
Der Arzt hatte viel zu thun, sie wieder in das Geleise des Gespräches zurückzuführen. Sobald er ernst sein wollte, sah sie ihn immer so schelmisch an und lachte so herzlich, daß er auch lachen mußte. Nur als er ihr endlich sagte, er habe ihr bisher die Kraft zugetraut, einer Erörterung zu folgen, nicht bloß einen Witzfunken zu haschen, ließ sie sich wieder wie ein Schüler von der Hand des Meisters willig führen und der Arzt verstand es, sie in treuer Folge zum Nachdenken seiner Gedanken zu bringen.
»Gnädige Gräfin,« sagte ein herzutretender Lakai, ein großer, stattlicher Mann mit starker Habichtsnase und kohlschwarzen Haaren, »gnädige Gräfin, Ihre Majestät die Königin erwarten Sie im Musiksaale.«
Irma verabschiedete sich und der Arzt schaute ihr bedeutungsvoll nach. Bald hörte man vom Schlosse her den Berghang hinab und weit ins Thal hinaus die volle metallreiche Stimme der Gräfin Irmengard von Wildenort.
»Auch Eberhard sang einst bezaubernd schön,« sagte der Leibarzt und lenkte seine Schritte nach dem Schlosse. Er stutzte aber, da er den Domherrn, der heute die Messe gelesen, ebenfalls in den Musiksaal eintreten sah.
Der Morgen war so schön und lind, die weite Natur so selig in sich; alles grünt und wächst und gedeiht in seinem Grunde, darin es wurzelt, und die Menschen allein schaffen sich neue Plagen. Wäre es möglich, daß die mutwillige Gräfin recht gesehen? Warum sollte aber die Königin ihren angestammten Glauben verlassen wollen?
Der Leibarzt setzte sich in eine Laube und las seinen Horaz.
Bevor es zur Mittagstafel ging, war der Hofarzt bereits da, und als man sich zur Tafel setzte, fuhr er in einem Hofwagen ab, dem Gebirge zu.
Am Abend – er war mild und sternhell – fuhr der Hof nach der Residenz, denn andern Tages sollte mit großem militärischem Pomp der Grundstein zum neuen Zeughaus gelegt werden.