Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Erster Band
Berthold Auerbach

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Siebentes Kapitel.

Die beiden Aerzte und der Gemswirt verließen das Haus. Das Gespiel brachte die Suppe und den Braten zum Taufschmaus herein und stellte sie auf den Tisch. Die Großmutter erhob sich und sprach das Gebet, die andern beteten mit und man setzte sich zu Tische. Walpurga nahm zuerst einen Löffel voll aus der gemeinsamen Schüssel, aber niemand wollte essen. Da füllte sie nochmals ihren Löffel und sagte:

»Hansei, thu deinen Mund auf, so, ich will dir zu essen geben, nimm das, und gesegne dir's Gott! und wie ich dir hier zu essen gebe und es mir besser schmeckt, als wenn ich's selbst genieße, so denk auch, daß ich in der Fremde keinen Bissen über die Lippen bringe, den ich nicht lieber dir und dem Kind geben möchte. Und ich gehe nur fort, damit wir alle miteinander in Friede und Wohlstand uns ernähren können; Tag und Nacht sind meine Gedanken bei dir und unserm Kind und bei der Mutter, und ich kehre ja, will's Gott, in Glück und Gesundheit wieder heim! Und denkt doch auch dran, daß mich Gott in der schweren Stunde hätte zu sich nehmen können und ihr lebenslang ohne mich hättet sein müssen. Eine Frau, die ein Kind gebärt, steht mit einem Fuß im Grab – das hast du oft gesagt, Mutter. Jetzt geh' ich nur auf ein Jahr fort, und ihr wißt, ich komme wieder, und ganz so, wie ich gewesen bin. Und jetzt ist's genug! Mach mir den Abschied nicht zu schwer, Hansei, hilf mir; du kannst mir helfen und du thust's auch! Du bist mein Halt und meine Hilfe! Und halt' dich ordentlich, wenn ich fort bin. Zieh du nur jetzt deine guten Hemden Sonntags an, die im blauen Schrank oben links; brauchst sie jetzt nicht mehr aufzusparen. Und jetzt iß ordentlich, und so wie du issest, so ess' ich auch. Wir brauchen Kräfte. Morgen früh wirst du dich schon drein finden, und ich auch. Jetzt iß! Allemal, wenn du einen Löffel nimmst, nehme ich auch einen – so – nicht so schnell! ich komm' sonst nicht nach!« .... Unter Thränen lächelte sie und aß.

»Und du, Mutter,« begann sie wieder, »jetzt wirst nicht mehr sagen, daß du uns zur Ueberlast bist! Wenn ich fort bin, nimm dir die zwei Kissen aus meinem Bett, daß du mit dem Kopf recht hoch liegst; das thut dir gut. Wenn wir dich nicht hätten, da könnt' ich und dürft' ich nicht fort. Verwöhne mir meinen Mann nicht so arg! und wenn ich wiederkomm', da richten wir dir ein Stüble her, drin sollst du leben, wie die erste Altbäuerin im ganzen Land.«

Die andern alle ließen ihr das Wort, und als sie sagte: »Hansei, sprich doch auch was!« – erwiderte er: »Sprich du nur noch. Meine Stimme kann ich immer hören, aber die deine lange Zeit nicht mehr, wer weiß –«

Er wollte eben ein Stück Braten zum Munde führen, legte aber die Gabel mit dem Braten wieder auf den Teller, er konnte nicht mehr essen, und die andern auch nicht mehr. Die Großmutter stand auf und sprach das Nachgebet.

Die Zeit verfloß rasch. Eine Kutsche kam vor das Häuschen gefahren, der Lakai allein saß darin; die Herren wollten nachkommen. Der Lakai schloß schnell Kameradschaft mit Hansei. Die erste Vermittlung war eine gute Zigarre. Baum beneidete Hansei um sein Geschick, solch eine Frau zu haben und solch ein Glück zu machen. Hansei fühlte sich sehr geschmeichelt. Auf Anordnung des Hofarztes wurden einige Bettstücke in den Wagen gebracht, damit Walpurga recht bequem sitze und in der Nacht gut warm habe.

»Fahrt ihr denn die ganze Nacht durch?« fragte Hansei.

»O nein, bis Mitternacht sind wir in der Residenz. Es sind durch den Telegraphen bereits auf allen Stationen Pferde bestellt, wir fahren vierspännig.«

»Das schnelle Fahren kann aber meiner Frau schaden.«

»Da sei ohne Sorge. Deine Frau wird jetzt gepflegt wie die Königin selber.«

»Wenn ich den Herrn so höre und sehe,« sagte Hansei, und schaute Baum starr an, »da weiß ich gar nicht, wie mir ist.«

»Ja wie denn? Hab' ich so was Schreckliches an mir?«

»Behüte! Gar nicht; aber der, den ich meine, das ist ein nichtsnutziger Bursch gewesen. Nichts für ungut, ich will dich nicht beleidigen, gewiß nicht. Aber droben die Zenza auf der Windenreute – sie steht da am Gartenzaun und schaut immer auf uns – die hat Zwillinge gehabt, der eine heißt Thomas, und der andre hat Jangerl geheißen, wie man bei uns sagt, eigentlich heißt's Wolfgang, und der Jangerl ist Soldat geworden und ist in das Amerika hinein, es sind gewiß schon ein Jahrer dreizehn, vierzehn, und niemand hat wieder etwas von ihm gehört, und schau – aber nicht wahr, du nimmst mir's nicht übel?«

»Nein, gar nicht, was denn?«

»Ja, der Jangerl, der hat dir aufs Haar ähnlich gesehen, heißt das, aufs Haar nicht, er hat rote Haare gehabt und auch kein so feines Gesicht; aber wenn man's überhaupt nimmt, wie der Teufel die Bauern,« Hansei lachte sehr über seinen Witz und der Lakai lachte auch, »wenn man's so insgemein nimmt, da könnt' man sagen, daß ihr einander ähnlich seht. Aber nicht wahr, du nimmst mir's nicht übel?«

»Gar nicht,« sagte Baum, nahm seine Uhr heraus, drückte daran, daß der Deckel aufsprang, es schlug gerade fünf auf dem Kirchturm, und er sagte: »Eure Uhr hier geht gradaus um eine Stunde der in der Hauptstadt nach. Ist das dein elterliches Haus?«

»Nein, das Haus hab' ich mit meiner Frau angeheiratet, heißt das, wir sind noch zweihundert Gulden drauf schuldig, aber der Leithofbauer drückt uns nicht.«

»Jetzt kann dir deine Frau ein ander Haus kaufen, und du kannst von Glück sagen, so eine schöne Frau zu haben.«

»Ja, drum geb' ich sie eben nicht gern her!« klagte Hansei. »Nun, gottlob, das Jahr hat doch nur 365 Tage – freilich, das sind viele Tage.«

»Und Nächte auch!« lachte Baum. Dem armen Hansei schauderte es vor diesem Menschen.

»Ja freilich – Nächte auch!« sagte er, er mußte doch ein höflicher Mann sein, und auf alles Red' und Antwort geben.

Unterdes hatte Walpurga die Mutter und das Gespiel gebeten, sie ganz allein mit ihrem Kinde zu lassen. Drin in der Kammer lag sie auf den Knieen neben der Wiege und bedeckte die Kissen mit ihren Thränen. Hier weinte sie sich aus. Sie küßte das Kind, küßte die Decke, küßte das Holz der Wiege, richtete sich auf und sagte: »Leb wohl! leb tausendmal wohl!« Sie trocknete sich das Gesicht und wollte gehen, aber die Thüre wurde von außen aufgemacht und die Großmutter kam herein.

»Ich will dir helfen,« sagte sie, »du bist, wenn du wieder heimkommst, zweifach glücklich oder zweifach unglücklich und machst uns auch dazu.«

Dann faßte sie ihre linke Hand und fuhr im gebieterischen Tone fort: »Leg die rechte Hand auf das Haupt deines Kindes!«

»Was soll das, Mutter?«

»Thu, was ich dir sage. Du schwörst auf das Haupt deines Kindes und in die Hand deiner Mutter, daß du brav und rechtschaffen bleiben willst, was auch für Versuchungen über dich kommen. Denke, du bist eine Frau, eine Mutter und eine Tochter! Schwörst du das in deinem Herzen?«

»Ja, Mutter, so wahr mir Gott helfe! Aber solch ein Eid ist nicht nötig.«

»So,« sagte die Mutter, »jetzt gehst du dreimal um die Wiege herum, mit abgewendetem Gesicht, ich führe dich; stolpere nicht – so, jetzt hast du deinem Kinde das Heimweh genommen und ich will schon für dein Kind sorgen, verlaß dich darauf!«

Dann führte die Mutter ihre Tochter in die Stube, reichte ihr den großen Brotlaib hin mit dem Messer und sagte:

»Schneid noch ein Stück ab! Gesegne dir's Gott, und da, wo du angekommen bist und bleibst, issest du das Brot von daheim zuerst, das tötet die Fremde. So, jetzt leb wohl!«

Mutter und Tochter standen still und hielten einander an der Hand.

Es war Walpurga wunderbar, daß Hansei, ihrer vergessend, mit dem Lakai im Garten umherging. Jetzt stieg er die Leiter hinauf und holte ihm Kirschen herunter, und dabei rauchte er beständig; und dann ging er mit ihm in den Stall, wo die Kuh stand.

Die beiden Aerzte kamen, Hansei mußte in die Stube gerufen werden, denn nur hier, nicht draußen, wo die vielen Menschen standen, wollte die Frau von ihrem Mann Abschied nehmen. Der Hofarzt steckte Hansei eine Rolle Kronenthaler in die Tasche, und nun hielt Hansei die Hand in der Tasche und wollte sie gar nicht mehr herausthun.

»Gib mir deine Hand, Hansei!« sagte Walpurga.

Er ließ die Geldrolle los und gab ihr die Hand.

»Leb herzlich wohl, Hansei, und bleib ein braver Mann, ich will auch eine brave Frau bleiben .... und nun behüt' euch Gott, alle beisammen!«

Sie küßte die Mutter und das Gespiel, ging durch den Garten nach dem Wagen, setzte sich ein, und schaute nicht mehr auf.

Die Kuh im Stall brüllte und jammerte, aber das Jammergeschrei wurde übertönt, denn jetzt blies auf Geheiß des Lakaien der Postillon eine lustige Fanfare.

Die alte Zenza stand während der ganzen Zeit an den Zaun gelehnt, manchmal fuhr sie sich mit der Hand über das Gesicht und rieb sich die Augen, die so stark glänzten und blitzten. – Als jetzt der Lakai vorüberging, schaute sie ihn wieder starr an und er fragte halb barsch, halb zutraulich:

»Wollt Ihr etwas, altes Mütterchen?«

»Ja, alt bin ich, und ein Mütterchen auch! hi, hi, hi!« lachte die Alte und die Umstehenden gaben dem Lakaien zu verstehen, sie sei manchmal nicht ganz recht im Kopf.

»Wollt Ihr was?« fragte der Lakai wieder.

»Wenn Ihr mir was geben wollt, freilich!«

Der Lakai zog einen großen Beutel aus der Tasche. Der Beutel schwankte in seiner Hand. Er öffnete ihn und faßte ein Goldstück. Aber nein, das kann ihn verraten – er wühlt lange in dem Gelde, endlich gab er der Alten doch das Goldstück und sagte:

»Das schenkt Euch der König!«

Er stieg auf, schaute nicht mehr um, und der Wagen rollte fort.

Die Leute kamen auf Zenza zu und sagten, sie solle zeigen, was sie bekommen habe: sie hielt aber die Faust krampfhaft geschlossen. Sie gab keine Antwort und ging an ihrem Stocke weiter.

Die Menschen, die ihr begegneten, hörten sie unverständliche Worte vor sich hinsprechen, und dabei sah sie immer auf die Wagenspuren. In der Rechten hatte sie den Stock, die Linke war fest geballt, und darin hielt sie das Goldstück.


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