Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Neuntes Capitel.

Bella saß still im Wagen neben ihrem Gatten, als sie heimwärts fuhren. Clodwig sagte:

»Es ist eine Wonne, eine Frau zu sehen, die bald sechzig Jahre alt und der nie ein Gedanke durch die Seele gezogen, den sie zu bereuen hat.«

Hastig schaute Bella um sich. Was ist das? Ahnte er, was mit ihr vorgegangen?

Es kann nicht sein, er hätte sonst das nicht gesagt. Vielleicht aber ist es doch seine Weise, durch Hindeutung auf ein unbeflecktes Leben Richtung zu geben.

»Diese Frau ist sehr glücklich durch ihren Sohn,« erwiderte sie.

Jetzt schaute Clodwig um, wie wenn an ihm gerissen worden wäre. Konnte Bella eine Ahnung haben, daß ihm flüchtig der Gedanke durch die Seele gezogen: wie wäre es, wenn diese Deine Frau . . . und dann Erich Dein Sohn.

So fuhren die Beiden still dahin; Jedes hatte schwere Gedanken für sich. Der Wagen klirrte so seltsam, die Räder knirschten und die Kammerfrau und der Kutscher da droben erschienen Bella wie ungeheuerliche Gestalten, die vorüberfliegenden Schatten im Mond, die der Wagen mit seinen Insassen bildete, erschienen wie Traumgebilde.

Zorn, Beschämung, Stolz, Verwerfung, Alles durcheinander bestürmte das Herz Bella's. Sie war tief ärgerlich auf sich, sie war fertig mit dem Leben gewesen, nun war noch einmal solche unreife, wahnsinnige Bewegung über sie gekommen; denn unreif und wahnsinnig nannte sie es jetzt wieder. Und war nicht ihr Selbstgefühl verletzt? Sie hatte die Hand ausgestreckt und diese Hand wurde nicht gefaßt.

Es wurde ihr klar, Erich hatte seine Liebe zu ihr übertrieben, um ihr die Beschämung zu erleichtern, ja, sie glaubte jetzt in der Erinnerung, daß in seinem Ton etwas Gezwungenes, gewaltsam Geschraubtes war. Sie faßte sich. Gut, Du hast nun auch das kennen gelernt; Du, die Starke, hast ein kühnes Spiel getrieben, hast versucht, einen jungen Mann vor Dir auf die Kniee zu werfen, und hätte er sich dazu bringen lassen, Du hättest ihn von Dir gestoßen. Ja, so ist's, so muß es sein, so muß es gewesen sein.

Sie schaute um nach Clodwig. Er lag in der Ecke des Wagens, er schlummerte. Der Mond schien in sein Antlitz, es sah so leichenhaft aus, wie das eines Todten. Wie? Wenn sie mit einer Leiche dahinfuhr . . . Sie hatte ein Gefühl, als müsse sie aus dem Wagen springen, hinaus in die weite Welt, in den Strom.

Clodwig schlug die Augen auf.

Als man den Berg nach Wolfsgarten hinanfuhr, überfiel sie wieder eine Empfindung der Gefangenschaft; sie meinte, ihre Hände wären gefesselt, sie that sie unter dem Mantel hervor. Clodwig glaubte, daß sie seine Hand suche, er faßte die ihre und drückte sie still.

So waren sie schweigend auf Wolfsgarten angekommen.

Es war Bella, als müßte sie vor Clodwig niederknieen, seine Hand fassen, Alles bekennen und um Verzeihung bitten, aber sie blieb still.

Als sie auf ihr Zimmer ging, küßte sie Clodwig auf die Stirn und sagte:

»Deine Stirn ist heiß.«

Ein Jedes ging zur Ruhe . . .

Unterdeß wanderte Erich noch lange in der stillen Nacht umher.

Es gibt ein seelisches Wundfieber, das nicht minder heftig und schonungsbedürftig ist, wie das des Körpers. Aber wie sich der Thau auf Baum und Gras legte und auf das Angesicht Erichs, so legte sich auch ein Thau auf seine Seele. Er fragte sich nur noch: wie wird es Bella tragen? Hat er ihr seine Liebe zu heftig geschildert? Es war doch frei schön von ihr, daß sie nicht sagte: Du täuschest dich . . . Genug! Es ist vorbei.

Erst spät kam er heim und in der Nacht im Traume war es ihm, als kämpfe er mit den Fluthen des Rheins und könne die Wellen nicht bewältigen. Er schrie, aber ein Schleppdampfer übertönte sein Schreien und vom Steuer eines Schiffes schaute die Steuermännin spöttisch auf ihn nieder – und plötzlich war es nicht die Steuermännin, sondern eine Mädchengestalt mit einem Flügelpaar und zwei leuchtenden flammenden Augen.


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