Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Drittes Capitel.

Während am Morgen Sonnenkamp den Staatskalender durchmusterte und ein Verzeichniß der zu erledigenden Besuche anfertigte, machte auch Erich sein Programm. Er wollte frei sein von persönlicher Beunruhigung, denn nur dadurch konnte er sich der erneuten schwierigen Aufgabe widmen.

Im großen geschlossenen Glaswagen, wo zwei in mächtige Pelze gehüllte Bediente auf dem Bock und der Jäger hintenauf saß, fuhr Sonnenkamp mit Frau Ceres in der Stadt umher. Es hatte große Ueberlegung gekostet, ob auch Roland Karten abgeben sollte; endlich entschloß man sich dazu.

Erich hatte für den heutigen Tag Urlaub genommen. Er traf mehrere Kameraden und ging mit ihnen auf das Militär-Casino; er wurde freundlicher begrüßt, als er erwartet hatte; er traf auch mehr tüchtige Naturen, als er eigentlich in Erinnerung hatte. Natürlich war von einer gestern Abend aufgelegten Bank, von Pferden, von Tänzerinnen die Rede, aber es herrschte auch ein großer Ernst unter manchen Kameraden. Die mächtige Bewegung in den Gemüthern der Zeitgenossen war am Militär-Casino nicht spurlos vorübergegangen; ja, ein Kamerad, der sich mit Erich in eine Fensternische setzte, beneidete ihn, daß er sich ein selbständiges Leben geschaffen.

Bei der Heimkehr traf Erich die Familie Sonnenkamp in guter Stimmung.

Für diesen ersten Tag waren der Cabinetsrath, seine Frau und die beiden Töchter zu Tische geladen. Die Pariser Kleider waren angekommen. Bei der Kleinheit der Residenz war dies schon allgemeines Stadtgespräch, denn die Zollbeamten hatten ihren Frauen und diese ihren Verwandten erzählt, es seien Kleider angekommen, wie selbst die Fürstin keine habe; die Kleider wurden von den Damen bewundert, und Alles war im besten Gange. Sonnenkamp hatte seine Whistpartie im vornehmen Clubhause, wo ihn der Cabinetsrath eingeführt, und als man von der Tafel aufstand, erschien als erster Besuch Bella mit ihrem Gatten.

Bella war äußerst belebt und bedauerte nur gegen Erich, daß seine Mutter auf dem Lande bleibe. Sie verkündete Herrn Sonnenkamp, daß Otto in den nächsten Tagen eintreffen werde, auch der Fürst Valerian käme; den Beiden seien Rollen zugetheilt in einem französischen Lustspiel, das die Gesellschaft bei Hofe ausführen wolle und wobei auch sie mitspiele. Sie ließ sich von Sonnenkamp eine namhafte Summe einhändigen zum Ankaufe von Gegenständen, die in dem Bazar zum Besten der Armen mit Beginn des nächsten Monats von den ersten Damen der Gesellschaft verkauft werden sollten. Sonnenkamp fügte hinzu, daß er auch Pflanzen aus seinen Treibhäusern zur Verfügung stelle.

Clodwig war etwas ermüdet, er bat im Voraus, ihn gesellschaftlich wenig in Anspruch zu nehmen. Die Landesvertretung war in beiden Häusern versammelt. Der Bruder des Fürsten, Prinz Leonhard, war zum Präsidenten der Kammer der Standesherren ernannt; Clodwig war Vicepräsident, hatte aber fast immer das Amt eines wirklichen Präsidenten zu übernehmen.

Während man beisammen war, kam eine Einladung des Herrn von Endlich zu einer großen Gesellschaft, und Bella konnte nicht umhin zu berichten, daß die Lästerchronik behaupte, Herr von Endlich gebe so schnell sein großes Fest, damit er nicht durch die Todesnachricht seines Schwiegersohnes verhindert würde. Die Familie war gerade noch zeitig genug gekommen, man war mitten im Strom der Saison. Es hieß, daß der Hof selbst bei Herrn von Endlich erscheine, jedenfalls konnte man den Bruder des Fürsten erwarten, der eine Verbindung mit der Gesellschaft außerhalb des Schlosses unterhielt. Auch Bella bewunderte im Nebengemache die Pariser Kleider, gab indeß Frau Ceres die Weisung, das Glänzendste erst bei der Gesellschaft zu verwenden, die Herr Sonnenkamp selber geben werde.

Der Abend bei Herrn von Endlich war genußreich. Der hohe Adel, obgleich tief verletzt über den Scherz, den sich der Fürst bei der Adelserhebung des reichen Weinhändlers gemacht hatte, besuchte die Gesellschaft in großer Anzahl. Der Fürst erkannte seinen Mißgriff, der ganz gegen seine sonstige Art war, da er die Hofverhältnisse stets mit einer gewissen priesterlichen Weihe behandelte; er sah es nun gern, wenn man ihn seinen Mißgriff vergessen machte. Man konnte sich seine besondere Gunst erwerben, indem man sich Herrn von Endlich freundlich erwies. So kam es, daß die Gesellschaft des Neugeadelten voraussichtlich wol die glänzendste der Saison war.

Herr von Endlich war auch klug genug, namhafte Mitglieder des Abgeordnetenhauses und sogar zwei von der schärfsten Opposition einzuladen, natürlich nicht ohne vorher bei Hofe angefragt zu haben, ob man dies nicht mißfällig aufnehmen werde. Der Hof selbst kam nicht, aber Prinz Leonhard erschien. Er hatte zwar von seinem Widerspruche gegen die Adels-Ernennung kein Hehl gemacht; als Untergebener seines Bruders jedoch besuchte er die Gesellschaft und unterhielt sich lange mit den Oppositions-Mitgliedern, am meisten mit Herrn Weidmann, der Präsident des Abgeordnetenhauses war.

Der Prinz repräsentirte seinen Bruder, von dem er stets mit großer Unterwürfigkeit sprach, es war ihm aber nicht unlieb, wenn man ihn merken ließ: Ja, wenn Sie regierten, wie ganz anders stünde es da, unser Land wäre ein Musterland. In Hofkreisen hatte man stets ein stilles Mitleid mit Prinz Leonhard, daß er sich der Mode wegen liberal zeigen durfte oder auch mußte . . . encanailliren nannte man es dort. Der Prinz beförderte Künste und Wissenschaften, ja in einer gewissen Weise auch die politische Bewegung; eine Zeitung galt als die heimlich von ihm unterstützte, und diese Zeitung machte leise Opposition.

Arm in Arm mit Clodwig ging Prinz Leonhard durch die Säle. Clodwig mußte von Erich gesprochen haben, denn dieser, der nicht in erster Reihe der sich zur Begrüßung Darstellenden stand, wurde von dem Prinzen angerufen, der laut sagte:

»Lieber Dournay, es freut mich, Sie wiederzusehen. Sie sollen ja ein großer Gelehrter sein? Sie hatten immer besonderes Talent dazu, schon in der Kindheit zeigte sich das. Wie geht es Ihrer verehrungswürdigen Mutter?«

Erich dankte verbindlich, es lag im Ausdruck seiner Worte ein Ton der Befreiung, daß die erste Begegnung mit Prinz Leonhard sich so freundlich gestaltete. Es war keine Kleinigkeit, da der Prinz sagte:

»Führen Sie doch auch Herrn Sonnenkamp zu mir. Wo ist er?«

Sonnenkamp war leider nicht zu finden, er war im Rauchzimmer. Er wurde gerufen; nun war es zu spät, der Prinz eröffnete mit Bella den Ball.

Herr von Endlich strahlte von Glück, Sonnenkamp aber machte eine seltsame Miene, da man ihm mittheilte, der Prinz habe den Hauptmann Dournay ersucht, ihn vorzustellen. Herr von Endlich war von großer Rührigkeit. Er war ein Mann von äußerst sicherem und selbstgefälligem Wesen, ohne damit Jemand zu verletzen. Wie er sprach und sich benahm, sagte sein Wesen immer: Ich kenne Alles. Mit Männern des verschiedensten Berufes knüpfte er ein Gespräch an und wußte überall sich geltend zu machen; daß er Finanzmann, National-Oekonom, Landwirth, Kaufmann und Schiffsrheder war und alles Einschlägige genau kannte, ließ er als selbstverständlich erkennen, aber er wußte auch von der strengen Wissenschaft mitzusprechen, wie nicht minder von allen Staatsmännern Europa's. Er hatte überall gut gehört und wußte es gut zu verwenden.

Sonnenkamp kam sich zum ersten Mal im Leben schülerhaft vor. Er stand bei einer Gruppe, in welcher Herr von Endlich die Bereitung des Gußstahls erklärte, da trat der Prinz hinzu; das Gespräch brach plötzlich ab, aber der Prinz sagte:

»Bitte, ich will nicht stören.« Er hörte dankbar zu, wie Herr von Endlich die Gußstahl-Fabrikation darlegte, als wäre er sein Lebenlang Werkführer in einer Fabrik gewesen.

Sonnenkamp wurde vorgestellt, und der Prinz fragte, ob er auch schon in Amerika Weinbau getrieben habe.

Sonnenkamp verneinte.

Ohne irgend eine Vermittlung fragte dann der Prinz wieder, ob er Theodor Parker gekannt habe, den er mit großem Vergnügen habe predigen hören.

Auch dies mußte Sonnenkamp leider verneinen.

Der Prinz suchte ihn auf ein Thema zu bringen, wo er gewiß gut reden könne; er fragte, ob er an einen friedlichen Ausgang in der Sklavenfrage glaube.

Die Umstehenden hörten aufmerksam zu, wie Sonnenkamp berichtete, daß die Ungeheuerlichkeiten, die man sich vorstelle, in der Wirklichkeit gar nicht vorhanden seien und daß die Abolitionisten es vielleicht gut meinten, aber sicherlich ihre Pläne schlecht ausführten.

»Sie müssen mir das einmal ausführlich darlegen, Sie müssen mich einmal besuchen.«

»Hoheit haben nur zu befehlen,« erwiderte Sonnenkamp; er war sehr glücklich, als hiermit das Gespräch endete.

Erich stand fast den ganzen Abend bei Weidmann, aber so gern er sich dem allgemein verehrten Mann widmen wollte, es gelang ihm nicht; er sah unwillkürlich beständig auf Bella. Sie hatte in ihrer Erscheinung etwas Junonisches, es war die Fülle, wie sie bei den Niederländern sich zeigt, sie hatte eine gewisse gemessene Ungezwungenheit, sah stolz und sicher aus, für den Einen hatte sie ein tiefes, für den Andern ein leichteres Wort; sie belebte die Alten und erheiterte die Jugend und Alles in der edelsten, unantastbarsten Weise.

Sie schwebte von Einem zum Andern, auf ihren Lippen lag oft ein gewaltsamer Ausdruck, aber sie spendete beständig ein belebendes Lächeln und ihre Freundlichkeit war bezaubernd; sie blieb räthselhaft, sogar in ihrer Erscheinung, denn Niemand wußte genau zu sagen, welche Farbe ihre Augen hatten, obgleich Jeder von deren Strahl entzückt war. Während sie zuhörte, machte sie immer den Fächer auf und zu und sprach dann mit vollendeter Leichtigkeit. Ganz unvermittelt nahmen aber oft ihre Mienen einen düstern und wilden Ausdruck an; es war etwas Räthselhaftes in ihr.

Bella war eine Erscheinung, die man hassen, aber nicht vergessen konnte.

Auch Doctor Richard hatte das erfahren müssen, und Erich fand, daß er ungerecht gegen sie war, denn die Haupttriebfeder im Wesen Bella's war Ehrgeiz, und dieser Ehrgeiz auf Großes gelenkt, wäre als Größe erschienen. Im Gedanken, daß auch er Bella ein Unrecht angethan, war er freundlicher und ehrerbietiger gegen sie. Bella schien zu fühlen, was in Erich vorging; sie nickte ihm bei jeder Begegnung huldreich und verständnißvoll zu.

Die Haltung Erichs beruhigte sie vollkommen, denn innerlich hatte sie doch manchmal gedacht: wenn solch ein Erzieher sich rühmen sollte – Pah! Niemand würde ihm glauben. Er ist aber auch zu edel, um sich zu rühmen.

Was war denn auch geschehen?

Aus der anfänglichen Zerknirschung hatte sie sich bereits einen Stolz gebildet; sie hatte sich zuerst eingeredet, daß die ganze Sache ein momentaner Uebermuth, ja nur ein leichtes Spiel gewesen.

Wer konnte ihr widersprechen?

Jetzt war die Beschönigung bereits so weit gediehen, daß sie ihr als Thatsache galt, der ganze Vorgang erschien ihr wie ein Roman, den sie einmal gelesen; er hatte sehr aufgeregt, der Schluß ist anders, als man erwartete, aber nun ist er ausgelesen, fertig, aus der Hand gelegt, vergangen, steht bestaubt in der Bibliothek. Bella lächelte darüber, daß sie noch so bewegt sein konnte; sie war fast stolz, daß sie noch so naiv empfinden, so hingerissen sein könne. Nun war Alles abgethan und es geht zu Neuem.

Sie sprach mit Erich und Weidmann einmal kurz, sie freute sich, daß die Beiden einander gefunden, und hoffte, daß Erich oft zu ihr und Clodwig kommen würde, damit man sich geistig erfrische und in diesem Strudel der Gesellschaft zum Bewußtsein seiner selbst komme; auch bat sie Erich, sie einmal in den Antikensaal zu bringen und sie dort etwas lernen zu lassen. Mit einer gewissen schwesterlichen Mahnung erinnerte sie ihn, daß er die entsprechenden Besuche machen müsse, um nicht außerhalb der Gesellschaft zu stehen.

Sie war erfreut, daß er dies theilweise bereits ausgeführt. Er berichtete, er habe sogar den Neger des Fürsten besuchen wollen, derselbe sei aber mit der kranken Prinzessin des fürstlichen Hauses während des Winters in Neapel.

»So?« fragte Bella, »hat Sie Herr Sonnenkamp in einem besonderen Auftrage zu dem Neger geschickt?«

Erich erwiderte, daß er diese Frage nicht verstehe; Bella lenkte rasch ab, sie bezeichnete ihre Frage als einen unzeitigen Scherz. Sie ging rasch davon, sprach mit Sonnenkamp und lachte viel, indem sie auf einen Mann in der Gesellschaft deutete, es war der Bruder des Herrn von Endlich, der das erste Modegeschäft in der Residenz hatte.

Herr von Endlich hatte es nicht umgehen können, seinen Bruder, der ein angesehener Bürger der Residenz war, in Gesellschaft zu laden. Man spöttelte darüber und sagte, daß der Mann, bei dem man gestern die Kleider gekauft, nun auch sehen wolle, wie diese heute seinen Kunden stehen.

Sonnenkamp war froh, daß, wenn er in den Adelstand eintrete, er wenigstens keine solchen Unzuträglichkeiten von einem Familienanhang zu befürchten habe.


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