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»Sie scheinen mir zu höherem Leben berufen,« sagte die Professorin, »da Sie schon in früher Jugend etwas so Schweres und den ganzen Zwiespalt der Menschen erfahren mußten.«
»Ich? Wie?« fragte Manna. Sie zitterte.
»Sie haben ja unter jenem Entsetzlichen gelitten, das Ihr großes und schönes Vaterland befleckt.«
»Mein Vaterland? Ich? Sprechen Sie deutlicher.«
»Es schmerzt mich sehr, wenn ich eine Wunde berühre, aber diese Wunde ist ein Ehrenschmuck für Sie und Sie sind ja unschuldig in diesen Zwiespalt des Lebens gesetzt.«
»Ich? Sagen Sie mir Alles, was wissen Sie?«
»Ich meine, es muß Ihr Empfinden erhöhen, daß Sie gerade diese Niedrigkeit der Gesinnung an sich selbst erdulden mußten.«
»So sagen Sie endlich deutlich, was wissen Sie?«
Es lag ein harter Ton in der Art, wie Manna scharf und zornig das ausrief, ihr mildes Auge funkelte unheimlich.
»Ich weiß nichts, als daß Sie bei Ihrem Eintritt ins Kloster Schweres erleiden mußten, da zwei Amerikanerinnen Sie für Halbblut hielten und nicht mit Ihnen sein wollten.«
»Ja, ja, das ist's! Jetzt weiß ich, warum Anna Sotway oftmals sagte, sie vermöge in den Augen und an den Nägeln zu erkennen, wer Negerblut in seinen Adern habe. Ich danke Dir, heiliger Gott, daß Du mich das erleben ließest. Nun verstehe ich erst recht, wofür ich das Opfer bin. Ich selbst . . . ich selbst sollte die Schmach erleben, wie ein Sklave ausgeforscht zu sein! Aber warum duldest Du Gott, daß sie Dich anbeten, und Dich in Deinen Geschöpfen verhöhnen? Also nicht weil ich gottesfürchtig und gehorsam sein wollte, nein, weil ich von reinem Blute bin, duldeten sie mich hier?«
Es schien ein fremdes Wesen, das hier sprach, und in den Wald hinein rief:
»Ihr Bäume, warum seid ihr ein jeder nach seiner Art, und blüht und grünt und wachset und Eine Sonne erwärmt euch und die Vögel singen. Wehe! wo bin ich?«
»Auf gutem Wege,« sagte die Professorin. Manna starrte sie an, als wäre sie ein Gespenst, die Professorin aber fuhr fort:
»Ein reiner Geist erneuert sich in Dir, mein Kind. Lessing ahnte nicht, da er das Wort aussprach: Ich will nicht, daß allen Bäumen Eine Rinde wachse – daß sich sein Geist hier im Kloster, in einem erwachenden Kinde neu offenbaren würde. Sein Geist ist jetzt zwischen uns, und ich glaube, er würde Dir sagen: Vergib ihnen, sie werden lernen, daß Gott allein beharrt und die Menschengeschlechter nur wandelnde, ewig sich erneuernde Erscheinungsformen sind.«
Manna schien sie kaum gehört zu haben, denn sie faßte jetzt die Professorin an und fragte:
»Sagten Sie mir nicht, daß Sie das besondere Vertrauen meiner Mutter hätten?«
»Ja.«
»Und hat sie Ihnen auch das . . . das Andere mitgetheilt?«
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Sprechen Sie offen mit mir. Ich weiß Alles.«
»Ihre Mutter hat mir kein Geheimniß mitgetheilt.«
Krampfhaft faßte Manna das Kreuz auf ihrer Brust und starrte lange lautlos vor sich hin.
Mit eindringlicher Herzlichkeit sprach die Professorin, wie sehr sie bedaure, Manna so erschüttert zu haben.
Diese gab noch immer keine Antwort.
Sie setzte sich auf eine Bank, die unter einer Tanne angebracht war, lehnte sich an die Tanne, schaute in den Himmel hinein und sagte vor sich hin:
»Warum kommt nicht mehr eine Stimme aus der Luft zu uns? Ach, ich möchte so gern, ich würde ihr folgen über Berg und Thal, in Nacht und Tod.«
Sie weinte. Die Professorin bat sie, recht ruhig zu sein, aber Manna erklärte, sie könne nicht, es thäte ihr so weh, daß man sie hier fortrisse, und fort müsse sie, sie könne hier nicht mehr wahr sein, denn die Menschen seien nicht wahr gegen sie gewesen.
Jetzt erst erfuhr die Professorin zu ihrem Schreck, daß Manna das Vorkommniß nicht gekannt habe. Sie klagte, daß sie es sich nie verzeihen könne, die junge Seele Manna's so verstört zu haben. Und nun wendete sich Manna und suchte sie zu beruhigen und zu trösten.
»Glauben Sie mir,« rief sie und hob die gefalteten Hände zu ihr empor, »ach ich weiß, daß die Wahrheit allein befreit, und das ist ja das Entsetzliche, daß der Park und das Haus und der Glanz gelogen sind . . . Nein, das wollte ich nicht. – Nur Eins bitte ich, bedauern Sie nicht, daß Sie mir das gesagt; es schadet nichts, es hilft mir. – Gewiß, es hilft mir. Ich mußte auch das noch kennen und es ist gut.«
Die Professorin fühlte, wie schwer sie es dem Mädchen gemacht, und sie erklärte, daß die Oberin wie ein Arzt geheilt habe, ohne dem Kranken sein ganzes Leid zu sagen. Die Professorin berichtete ihr dann, daß der Vater drüben am Ufer auf sie warte und hoffe, sein Kind werde mit ihm heimkehren.
»Kommen Sie mit mir zur Oberin,« rief Manna plötzlich.
Sie faßte die Professorin an der Hand und ging mit ihr nach dem Kloster.
Jetzt aber kam Heimchen und rief:
»Nein, Manna, Du darfst nicht fort, Du darfst mich nicht allein hier lassen.«
»Komm mit,« entgegnete Manna und nahm das Kind an der Hand.
Sie ging zur Oberin und bat um die Erlaubniß, im Geleite der Professorin zu ihrem Vater zu gehen, der drüben am Ufer auf sie warte.
»So laß ihn doch hieher kommen.«
»Nein, ich möchte zu ihm.«
Es wurde gestattet. Nur schwer ward es, Heimchen zu beschwichtigen und abzulösen.
Manna kam mit der Professorin in den Garten am Gasthofe; dort im Schatten der Laube saß noch Sonnenkamp mit Prancken.
»Du gehst mit uns heim?« rief Sonnenkamp seiner Tochter entgegen.
Sie duldete seine Umarmung, aber sie erwiderte sie nicht. Prancken war erfreut, Manna zu begrüßen, und als sie ihm die Hand reichte, sagte er lächelnd:
»Ich habe eine harte Hand bekommen, aber mein Herz ist noch weich, vielleicht zu weich.«
Manna schlug die Augen nieder. Es gab bald heitern Scherz über die Art, wie sich Prancken hier in der Nähe angesiedelt hatte. Er wußte mit Lustigkeit zu erzählen, wie er sich in das neue Leben finde; es war eine frische Kraft in seiner Erscheinung und ein heller Ton in seinen Worten; er sah nicht ohne Befriedigung, welchen Eindruck sein Verhalten auf Manna machte. Diese sagte endlich: sie glaube offen sprechen zu dürfen, sie habe eigentlich ein Verlangen, sofort das Kloster zu verlassen, oder noch besser, gar nicht mehr in dasselbe zurückzukehren; der Vater oder die Professorin sollten hinüber fahren und an ihrer Statt Lebewohl sagen und, wenn es möglich sei, Heimchen mitnehmen.
»Ist einem Freunde erlaubt, ein Wort drein zu reden?« fragte Prancken, als Sonnenkamp seine Freude kundgab.
Manna bat, daß er spreche, und er erklärte nun, wie er als Freund darauf halten müsse, daß sie correct handle. Was auch vorgekommen sei, es bleibe die Pflicht Manna's, ein so inniges und reines Verhältniß, wie sie es zum Kloster und namentlich zur Oberin gehabt, nicht schroff zu lösen; Härte und Undankbarkeit, die man gegen Andere übe, lasse eine Schwere und Bitterniß in der Seele zurück. Er glaube daher, daß, wie Manna aus freiem Entschluß ins Kloster gegangen, sie nun dasselbe eben so in Güte und Verträglichkeit verlassen müsse. Zurückkehren und noch einige Zeit verweilen, von den Genossinnen und den frommen Schwestern mit ruhigem Bedacht sich ablösen, das erscheine ihm angemessen. Er wiederholte, daß auch ihm nichts erwünschter sein könne, als wenn Manna so bald als möglich und so voll als möglich ins bewegte Leben zurückkehre, aber es sei die Pflicht des Freundes, demjenigen, dem man nahe stehe, jede nachfolgende Reue und innere Unruhe zu ersparen.
Es war mehr als eine vornehme, es war eine edle Haltung in der Art, wie Prancken das Alles sagte.
»Sie haben Recht,« rief Manna, reichte Prancken die Hand und hielt sie eine Weile fest. »Ich danke Ihnen und folge Ihnen.«
Sonnenkamp war außer sich, daß sein liebster Wunsch wieder vereitelt wurde; aber auch die Professorin stimmte bei.
Die beiden Frauen gingen, von den Männern begleitet, nach dem Ufer und fuhren nach der Insel.
Heimchen, das immer geweint hatte, war bereits zu Bette gebracht und klagte, daß Manna fort sei; sie mußte noch zu dem Kinde, sie traf es weinend, das Kissen war naß; sie trocknete ihm die Augen und redete ihm zu, bis es einschlief.