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Vor dem Hotel Victoria in der Residenz stand eine Reihe von Droschken; Sperlinge umschwärmten die Fuhrwerke, und die Kutscher standen in Gruppen beisammen, trippelten vor Kälte hin und her, schlugen die Arme über der Brust auf und nieder und neckten sich gegenseitig.
Die Sperlinge zankten, sie fanden kein Futter mehr und flogen davon. Die Droschkenkutscher schwiegen, der Stoff war ihnen ausgegangen. Was auch soll man unternehmen und sagen am Winternachmittag in der schneebedeckten menschenleeren Straße der Residenz. Alles ist so stumm wie der hochselige Fürst, der in Stein gemeißelt auf der großen Säule steht, eine Mütze von Schnee auf dem Kopf und Epauletten von Schnee auf den Schultern. Drüben im Casino werden die Laden geschlossen, da man bei Licht besser Karten spielen kann. Die Ablösung kommt vom Palais des Prinzen Leonhard, die Soldaten haben große Mäntel an und Fäustlinge an den Händen. Der Abgelöste hat dem Eintretenden etwas ins Ohr gesagt, es muß nicht sehr wichtig gewesen sein. Ein Kanzleidiener mit einem Pack Acten kommt daher, er begegnet einem Hoflakai, der in einen langen, fast an den Boden reichenden Rock gekleidet ist; sie tauschen eine Prise aus und gehen vorüber.
Nun aber aufgeschaut! Es gibt etwas. Unter den Kutschern war Bewegung; der Courier Lutz kam mit dem großen Packwagen vorgefahren.
Jetzt hatte das Gespräch ein gutes Ziel. Richtig ist's, der »Goldklumpen,« der »König von Californien,« kommt in die Residenz.
»Renn hinauf zu Deinem Vater, dem Glöckner, er soll mit allen Glocken läuten,« rief der Eine.
»Du, laß mich einmal trinken, daß ich recht Hoch schreien kann,« sagte ein Anderer. »Jetzt fängt der lustige Winter an. Der Goldklumpen läßt mehr draufgehen als drei Prinzen und siebzehn Grafen, sieben Barone gebe ich drein.«
»Wißt Ihr was?« versetzte ein Dritter. »Wenn er ankommt, schicken wir eine Deputation zu ihm, der thut's, so etwas ist nach seiner Art. Ich habe einen Plan.«
»Heraus mit Deinem Plan.«
Der so Angeredete – es war ein kleines buckliges Männchen mit klugen verschmitzten Augen – ließ die Kameraden ein wenig warten, dann sagte er:
»Wir bitten Herrn Sonnenkamp, er soll jedem Droschkenkutscher täglich einen Schoppen Wein schenken; werdet sehen, er thut's. Wenn Ich siebzig Millionen im Vermögen hätte, ich thäte es auch.«
Ein etwas verkommener, breiter Kutscher sagte:
»Bin Wirth gewesen, weiß, was das ist. Der Victoriawirth kriegt einen Wintergast, der hält warm.«
Drin im Gasthof aber begegnete man lauter fröhlichen Gesichtern. Die schöne Wirthin war heut noch schöner, sie musterte nochmals die prächtige Zimmerreihe im ersten Stock und fand, daß Alles gut war; da und dort wurde noch eine Decke ausgebreitet, aber man hörte auf den Doppelteppichen keinen Schritt von den auf- und abwandelnden Kellnern, Knechten und Mägden; die prachtvollen seidenen Möbel, die die graue Hülle abgelegt hatten, glänzten und schimmerten wie dankbar, daß sie nun im Lichte erscheinen sollten.
Lutz war in voller Thätigkeit; bald von diesem, bald von jenem Sessel, bald von einem Sopha, bald von einer Causeuse – er schien alle Sitzgelegenheiten durchzuprobiren – bestimmte er noch, daß dies oder jenes anders gestellt würde; er schien geneigt, die Doppelbetten zu probiren, er begnügte sich indeß, die Sprungfedern ein wenig niederzudrücken. Ein Boudoir mit blauseidenen Tapeten und anmuthigem Erker wußte er mit Geschick besser zu ordnen.
Der Abend brach herein, das Treppenhaus war mit Blumen garnirt, die ganze lange Zimmerreihe beleuchtet, sämmtliche Lichter an den Kronleuchtern, auf Tischen und Schränken angezündet: nun konnten sie kommen.
Eine Cigarrette im Munde trat der Oberkellner vor das Haus und betrachtete sich vergnügt die erleuchteten Fenster der Zimmerreihe; doppelt vergnügt schaute er hinüber zum »Erbprinzen,« da war Alles dunkel und öde; die werden sich ärgern.
Ein Wagen kam mit den Dienern männlichen und weiblichen Geschlechts, bald darauf der Wagen mit Erich und Roland und zuletzt trabte ein Viergespann heran. Bertram parirte die Pferde, Herr Sonnenkamp, nach ihm Fräulein Perini und endlich, mit den kostbarsten Pelzen angethan, Frau Ceres, stiegen aus.
Die Droschkenkutscher vor dem Hause vergaßen die Verabredung, sie brachten kein Hoch auf Sonnenkamp; klanglos trat er mit den Seinen in die Vorhalle, wo der große bärtige Portier in einem Tressenkleide und breitem Hute den silberknöpfigen Stock präsentirte; fest, als wäre er gegossen, stand der Mann da, nur seine Augen funkelten. Man ging die durchwärmten und erleuchteten und mit Blumen bestellten Treppen hinan. Sonnenkamp zeigte einen zufriedenen Blick. Frau Ceres war nicht wohlgelaunt, denn sie hatte fast den ganzen Weg geschlafen; vor dem offenen Kamine sitzend, ließ sie sich erst nach und nach aus den Pelzen enthülsen.
Sonnenkamp besichtigte alle Zimmer, und als er in das Boudoir seiner Frau zurückkam, saß Frau Ceres noch immer regungslos auf einem bequemen niedrigen Stuhl vor dem Kamin.
»Was fangen wir heut an?« fragte sie gähnend.
»Es wäre noch Zeit, ins Theater zu gehen.«
»Mich umkleiden? Ich will nicht.«
Zu gutem Glück wurde die Cabinetsräthin gemeldet, die Herr Sonnenkamp von seiner Ankunft voraus benachrichtigt hatte.
»Sehr willkommen,« hieß es und sie war es in der That. Sie entschuldigte sich, daß sie, durch einen Besuch der Gräfin Graben aufgehalten, die lieben Freunde und Nachbarn nicht bereits in ihren Zimmern erwartet habe, wie ihre Absicht gewesen. Man dankte und war entzückt über die große Zuvorkommenheit.
Erich und Roland wurden in den Salon gerufen, da auch der Cadett mitgekommen war.
»Wo ist Ihre Frau Mutter?« fragte die Cabinetsräthin. »Sie kommt wol nach?«
Erich antwortete nicht und Sonnenkamp setzte schnell hinzu, die Professorin wolle das Stillleben auf dem Lande nicht aufgeben.
»Das wird allgemeines Bedauern erregen,« lächelte die Cabinetsräthin so heiter, als ob sie etwas besonders Lustiges gesagt hätte. »Die Gesellschaft hat sich darauf gefreut, die liebenswürdige, geistreiche und allgemein verehrte Dame wieder eine Saison in ihrer Mitte zu sehen.«
»Sie muß nachkommen,« sagte Frau Ceres.
Sonnenkamp war mißgestimmt. Besteht denn der Glanz seines Hauses nur in dieser Frau?
Seine Verstimmung wurde noch gesteigert, als die Cabinetsräthin in leisem Zwiegespräche sagte: Der Plan werde sich viel langsamer und schwerer verwirklichen ohne die Professorin. Sie selbst werde es an eigenen Bemühungen nicht fehlen lassen, aber sie vermöchte nicht entfernt das Gleiche, was die Geborne von Burgholz zu Wege bringe.
Sonnenkamp war es, als ob die vielen Lichter im Empfangssalon dunkler brennen; er war indeß genug Herr seiner Laune, um die Mißstimmung nicht kundzugeben.
Der Cadett machte den Vorschlag, daß Roland bei einer Quadrille, die zu Ende dieses Monats von den ersten Cavalieren des Hofes im großen fürstlichen Reithause geritten würde, mit reiten solle; es würde sich noch eine Stelle finden, wo er mit den anderen bürgerlichen Cadetten als Knappe sich aufstellen und einige Evolutionen mitmachen könne.
Roland war ganz glücklich darüber, aber Herr Sonnenkamp schnitt das kurz ab, indem er sagte:
»Nein, Du thust nicht mit.«
Er gab keinen Grund an; er hatte nicht nöthig, zu sagen, daß er seinen Sohn nicht unter dem vornehm geduldeten bürgerlichen Troß zum ersten Mal erscheinen lassen wolle.
Die Cabinetsräthin wußte viel zu erzählen, wer bereits Gesellschaft gegeben und bei wem solche noch ausstehe; auch mancherlei vor den Kindern nur halb angedeutete pikante Geschichten aus der Lästerchronik wurden berichtet. Der älteste Sohn des Herrn von Endlich, dessen glänzendes Haus gerühmt wurde, solle sich auch nächstens verloben; man sei nur bange, daß nächstens eine Todesnachricht aus Madeira komme, wohin sich das junge Ehepaar begeben habe, dessen Hochzeit man im Sommer gefeiert.
Der Cadett bat Roland, mit ihm nach dem Theater zu gehen, wo heute ein großes Ballet gegeben würde. Erich sah verlegen auf Sonnenkamp, dieser aber sagte:
Zum ersten Mal sah Erich seinen Zögling von sich weg zu einer Vergnügung und in einen Kreis gehen, wohin er ihn nicht begleitete.
Roland hatte gebeten, daß auch Erich mitgehe, aber der Cadett erklärte, daß kein Platz mehr zu haben sei; er habe seinem Freunde nur mit großer Mühe einen vorbehalten. Und so ging Roland davon, indem er zu Erich sagte:
»Sobald es zu Ende ist, komme ich zu Dir.«
Erich ward ruhiger; er konnte ja nicht verhüten, daß Roland Anschauungen gewann und in Gesellschaften gerieth, welche die schöne Richtung seines Wesens abzulenken drohten. Er mußte vertrauen, daß Roland Kraft und Gewissen genug in sich habe, um Gefahren zu bestehen.
Halb stolz, halb bedauernd erzählte die Cabinetsräthin, wie durchtrieben und frühzeitig auf Abenteuer begierig ihr Söhnchen sei; in demselben Athem bedauerte sie, daß Manna diese Saison, die so glänzend werde, in der Einsamkeit des Klosters verbringe; sie habe es sich so schön ausgedacht, in Gemeinschaft mit der Mutter die liebliche Tochter in die Gesellschaft einzuführen.
Sonnenkamp erwiderte, daß es dazu im nächsten Winter noch Zeit habe.