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An der Landungsbrücke hielten zwei Gespanne. Sonnenkamp umarmte und küßte seine Tochter; sie ließ es geschehen, aber sie erwiderte es nicht. Wie erschreckt wendete Manna den Blick nach dem Dampfschiff, das, nachdem es rasch abgeladen, was nicht bleiben wollte, wieder davonfuhr.
»Die Mutter ist dort im Wagen,« sagte Sonnenkamp und bot Manna den Arm; sie legte schüchtern ihre Hand in seinen Arm und ging nach dem Glaswagen, wo Frau Ceres mit Fräulein Perini saß; sie umarmte die Mutter heftig.
Sonnenkamp stieg mit Roland in den andern Wagen und man fuhr nach der Villa. Er murmelte etwas vor sich hin, er hatte die Stimme Manna's noch gar nicht gehört.
»Wo ist Erich?« fragte Roland.
»Bei seiner Mutter im grünen Hause. Es ist rücksichtsvoll von dem Fremden, daß er sich mit den Seinen zurückgezogen, um die Familie sich allein zu überlassen.«
Roland staunte bei diesen Worten. Sind Erich und die Seinen denn Fremde?
Man kam auf der Villa an, auch Fräulein Perini zog sich schnell zurück; sie ging nach dem Pfarrhaus und von dort wanderte bald ein Bote nach der Telegraphenstation.
Die Eltern waren allein mit den Kindern, aber es war, wie wenn im Zimmer ein Luftzug wäre, der die Ruhe und geschützte Behaglichkeit verscheucht.
Sonnenkamp und Roland begleiteten Manna nach ihrem Zimmer, sie war erfreut, Alles in der alten Ordnung zu finden, und als sie den offenen Kamin mit schönen lebendigen Blumen ausgefüllt sah, wendete sie sich um und sagte:
»Ich danke Dir, Vater.«
Jetzt reichte sie dem Vater freiwillig die Hand, aber es durchschauerte sie, als sie den Ring am Daumen gewahrte.
Der Vater ließ die Geschwister allein. Roland drang in Manna, daß sie noch heute die Mutter und Tante Erichs besuche.
»Ach, Du mußt sie auch lieb haben,« drängte er.
»Ich muß? Man kann zu keiner Liebe zwingen. Laß Dir sofort sagen, Roland . . . doch nein, es ist nicht nöthig.«
Sie willfahrte endlich und ging mit Roland durch die neue Thür über die Wiese am Ufer entlang.
»Dort geht Erich. – Erich! Erich!« rief Roland laut.
Der Wandelnde kehrte sich nicht daran, ging weiter und verschwand im Weidengebüsch.
Roland und Manna kamen zur Professorin, die sie an der Treppe erwartete und Manna herzlich willkommen hieß.
»Er ließ mir keine Ruhe, ich mußte sogleich zu Ihnen,« sagte Manna.
»So? Also auch mit Ihnen macht er, was er will?« schalt die Mutter. »Er hat Ihnen gewiß viel von mir erzählt und wird Sie zwingen wollen, mich lieb zu haben. So sehr es mich freuen wird, wenn wir gute Freunde werden, so wenig wollen wir uns einander aufdrängen lassen.«
Manna erzählte vom Tode Heimchens, das die Professorin auch gekannt, und die Art, wie die Professorin den Schmerz der Jungfrau, die ein Kind bis zum Tode gepflegt, zu mildern suchte, bildete einen beruhigenden Uebergang.
Manna fühlte sich wohlig angesprochen von dieser ruhig gefaßten, in sich harmonischen Natur. Sie schaute sich um in der Stube, es fehlte jedes Heiligenbild. Als sie die Nähmaschine sah, bat sie die Professorin, ihr deren Handhabung zu zeigen; sie war sofort bereit. Nun kam auch Tante Claudine und begrüßte Manna freundlich.
»Du und die Tante,« drängte Roland wieder, »Ihr habt zwei Dinge mit einander gemein, sie ist eine Sternguckerin wie Du und spielt auch Harfe wie Du.«
Claudine ließ nicht lange bitten und spielte Manna etwas auf der Harfe vor.
»Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mich zur Schülerin annehmen,« sagte Manna und reichte Claudine die Hand.
Der Abend brach herein. Die Professorin und Claudine geleiteten die Geschwister auf den Heimweg, da begegnete ihnen Erich.
»Ach, endlich!« rief Roland. »Nun, Manna, das ist er!«
Erich zog den Hut ab, Manna verbeugte sich höflich.
»Warum sprecht Ihr denn nicht? Habt Ihr denn Beide das Sprechen verlernt? Erich, das ist ja meine Schwester Manna . . . Manna, das ist ja mein Freund, mein Erich.«
»Beruhige Dich, Roland,« sagte Erich. Manna schaute auf beim Ton seiner klangvollen Stimme. »Ja, Fräulein,« fuhr er fort, »zum zweiten Male nun sehe ich Sie in der Dämmerung . . .«
Manna wollte ihm sagen, daß sie ihn auch am Tage gesehen, damals als sie ihn nicht sprechen, aber so erhabene Töne singen hörte; sie unterdrückte jedoch diese Kundgebung. Es trat eine Pause ein.
Erich bemerkte scherzend, daß Roland nun zum zweiten Mal eigenmächtig davon gereist sei.
»Ja,« rief dieser. »Jetzt ist gerade die Stunde, da ich vor einem Jahr davon gelaufen bin, und ich bin so alt wie der Lachgeist, von dem mir der Fuhrknecht erzählt.«
Er berichtete nun die Geschichte, man hörte ihm willig zu. Als er geendet, sagte Erich, er wolle heut bei seiner Mutter bleiben und die Familie allein lassen. Roland wollte das nicht zugeben, aber Manna's Auge, das in der Dunkelheit glänzte, schien größer zu werden.
An der neuen Thür nahm Erich mit den Seinen Abschied. Roland ging mit seiner Schwester nach der Villa, Erich mit den Seinen nach dem grünen Hause. Zum zweiten Mal hatte er Manna gesehen und zum zweiten Mal fast nur ihr leuchtendes Auge.
Als Manna allein in ihrer Stube war, dachte sie: Wie wunderlich, daß dieser Mann Aehnlichkeit mit dem Bilde des heiligen Antonius haben soll! Es schien durchaus kein Vergleich möglich; es mochte ein Blick sein, der einmal Roland daran erinnert hatte, ein Ausdruck der Augen, denn auch sie hatte von Erich nur die hohe Gestalt und das Auge inne.
Sie kniete lange im Gebet auf ihrer Stube. Als sie sich niederlegte, zog sie eine kleine Schnur, die ihr eine Nonne als Bußgürtel übergeben hatte, fester um die Hüfte, so daß es ihr ins Fleisch schnitt.