Raoul Auernheimer
Metternich
Raoul Auernheimer

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Das Erlebnis der französischen Revolution

Die Mainzer Rokoko-Idylle war doch nicht ganz Idylle. Zunächst mußte sie der neunzehnjährige Metternich für eine Weile unterbrechen, um nach Brüssel zu reisen, wo sein Vater unversehens Gouverneur der österreichischen Niederlande geworden ist. Aber auch schon früher war das galant gepuderte, kurfürstliche Hofleben in Mainz zeitweise unterfüttert gewesen mit einem nicht minder bedenklichen Hinterhaus-Verkehr, in den der Student Clemens sich neugierig hineingezogen, wenn auch nicht geradezu verstrickt fand. Da war der Buchhändler Georg Forster, ein interessanter Mann, der vor Jahren den Weltreisenden James Cook begleitet hatte und der jetzt in Mainz verbotene Bücher und revolutionäre Schriften feilhielt; da war Kotzebue, der ein liederlicher Lustspieldichter war und für einen Jakobiner galt; da waren die »Illuminati« und die politischen Schwarmgeister, Glühwürmchen der Französischen Revolution auch sie, vielleicht sogar Feuerflocken, die von ihrem Brandherd Paris herüberwehten. Und wann immer der Jüngling seine entzündliche Einbildungskraft vor ihnen in Sicherheit brachte, sah er sich im Schwalle der Emigrés wieder, deren haltloses Wesen und gespenstige 20 Frivolität ihm die Französische Revolution in verzerrtem Spiegelbilde wiesen. Das Leben selbst sorgte dafür, daß der Student Metternich nicht einseitig wurde. Auch war er seiner ganzen Veranlagung nach ein Student, der nicht nur im Hörsaal studierte.

Dazwischen fand auch schon wieder eine Kaiserkrönung statt. Der bedeutende Leopold, ein Habsburger von großem Format, Kaiser Josephs und Marie Antoinettens würdiger Bruder, war gestorben, und sein Neffe Franz, mit dem Metternich bereits in Straßburg zusammengetroffen war, wurde, sechsundzwanzigjährig, Leopolds erst halb vorbereiteter Nachfolger. Metternich, der den mittelalterlichen Pomp einer Kaiserkrönung in Frankfurt kaum zwei Jahre vorher zum ersten Male sich aus den Augen gerieben hatte, sah sich in kurzem Abstand ein zweites Mal solchem Schauspiel gegenübergestellt. Diesmal durfte er sogar schon, seinen Jahren entsprechend, mitwirken, das schöne Bild zu verschönen. In seiner Eigenschaft als Präsident der Jungmannschaft der katholischen Edelleute eröffnete er, ein schlanker Cherubin, in blaßgrüner Seide mit Silbertressen, den Ball an der Seite eines Fräuleins in rosa Satin, das durch seine ungewöhnliche Lieblichkeit allgemein auffiel. Es war die nachmalige Königin Louise von Preußen, damals noch Prinzessin von Mecklenburg. Und zur selben Zeit, während das bildhübsche Paar in Schnallenschuhen und Seidenstrümpfen an dem schwunglos blickenden jungen Kaiser vorüberschwebte, wurde, an eben demselben Tage, zu Paris Ludwig XVI. gefänglich eingezogen. Eine bedeutungsvolle Gleichzeitigkeit, die erst im geschichtlichen Rückblick in Erscheinung trat und dem tanzenden Paar im Krönungssaal des Frankfurter Römers noch lang ein vom Kerzenflimmer verschleiertes Geheimnis blieb.

Einstweilen wurde die ganze Krönungsgesellschaft vom Kurfürsten nach Mainz eingeladen, wo ahnungslos weiter jubiliert wurde. Aber alsbald sehen wir den jungen Metternich 21 auf der Reise nach seiner Geburtsstadt Koblenz begriffen, allwo es ernster zugeht. Dort sammelt sich unter dem Kommando Brunswicks ein österreichisch-preußisches Heer, das einen großen Schlag gegen das aufständische Frankreich ruhmredig ankündigt. In dem Heer befindet sich auch ein gewisser Goethe, ein Schriftsteller von Talent, der seinen Herzog ins Feld begleitet hat und einige Wochen später, nach der Schlacht von Valmy, in der die Revolution siegreich blieb, den bedeutungsvollen Satz zu Papier bringen wird: »Von hier und heute hebt ein neues Zeitalter an, und wir können sagen, wir sind dabei gewesen.« Auch Metternich war dabei, wenn auch schon mehr in der kugelsicheren Diplomatenloge. Er wußte nichts von Goethe, noch Goethe etwas von ihm. Ahnungslose Begegnung in der Weltgeschichte.

Die schrecklichen Drohungen im deutschen Armeebefehl, den der Herzog von Brunswick vor der Schlacht herausbellte, hatten sich in diesem Falle, wie in späteren Fällen, als ein prahlerisches Indianergeheul erwiesen. Auf Valmy folgten Schlag auf Schlag Jemappes und die Einnahme von Mainz – lauter verlorene Schlachten für Brunswick. Dort war es Dumouriez, der siegte, hier Custine, der einzog; schließlich kamen noch Carnot und Moreau. Die Französische Revolution hatte Generale, die sich sehen lassen konnten, Napoleon, der später kam, war nur einer von ihnen, nicht anders als Shakespeare nur einer war unter den großen Dramatikern seines Zeitalters. Er war wie Napoleon größer unter Großen. Es gibt eben Zeiten, die an sich gehoben sind und gleichsam schon einen Sockel bilden für künftige Denkmäler. Auf einem solchen zu fußen, war auch der junge Metternich begnadet, wo immer er stand. Aus einem Gewitterhintergrund der Weltgeschichte tritt uns seine junge Gestalt erwartungsvoll entgegen.

Nach Jemappes war auch seines Vaters Bleiben nicht länger in Brüssel. Der Herr Gouverneur trat einen eiligen Rückmarsch 22 nach Koblenz an, und sein Sohn und Sekretär begleitete ihn. In dem alten Kasten, als welcher der Koblenzer »Metternich-Hof« auf einem Bildchen aus der Zeit sich darstellt, versammelte sich die Familie, vermutlich in trüber Stimmung, da ihre linksrheinischen Besitzungen bereits bedroht waren. Dann wechselte das Kriegsglück noch einmal, und der Gouverneur kehrte mit seinem Stabe nach Brüssel zurück. Aber Brüssel war auf die Dauer nicht zu halten; weder durch Zugeständnisse, wie es Papa Metternich versuchte, noch durch Unnachgiebigkeit, wie es die rückständige Wiener Regierung vorschrieb. Schließlich machte der in die Enge getriebene Gouverneur der Zentralregierung einen verzweifelten Vorschlag. Er wollte die Bauernschaft im südlichen Belgien gegen die herüberflutende Revolution bewaffnen, eine Art Heimwehr bilden, wie dies die österreichischen Faschisten in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts taten. Aber da kam er schön an bei seinem Vorgesetzten, dem Minister Thugut, der genau so leimsiederisch dachte, wie er hieß. Dem Volk Waffen in die Hand geben! Das wäre noch schöner.

Der Feuereifer, mit dem Jung-Clemens diesen Heimwehrgedanken seines Vaters aufgriff und später zu einer Flugschrift verdichtete, läßt vielleicht darauf schließen, daß er geistig daran beteiligt war. Bald darauf entfloß seiner Feder die erste politische Kundgebung. Marie Antoinette hatte in Paris »in den Korb geniest«, wie die Sansculotten es nannten, wenn sie jemand den Kopf abschlugen. Eine entrüstete Koalition formte sich zwischen Österreich, Preußen, England, Holland und Spanien, um diese Schandtat zu rächen, und der Gouverneur hatte ein Manifest an das belgische Heer abzufassen, was zu tun der gemächliche Mann lieber seinem Sohn überließ. Clemens tat es mit allem gebotenen Schwung, in dem sich die natürliche Entrüstung eines jungen Menschen wangenrot kundgibt. »Das Blut Maria Theresias, das Blut Österreichs, ist über das 23 Schafott geflossen! Rache! schreit seine Stimme. Himmel und Erde verlangen danach! Auf, Soldaten . . .!« Bezeichnend, daß es eine Frau war, die dem Staatsmann Metternich diesen ersten geschichtlichen Aufschrei entlockte.

Aber Brüssel war ein verlorener Posten. Vater Metternich sah es schließlich langsam ein und traf Vorkehrungen. Er ließ das Söhnchen noch schnell zum Gesandtschaftsattaché im Haag ernennen und schickte es gleichzeitig in Begleitung eines Grafen Desaudrouin, der eine belgische Anleihe negotiieren sollte, nach England. Dort blieb Clemens fast ein halbes Jahr stecken. Er lernte den großen Pitt kennen, den König und den Thronfolger; er machte die Bekanntschaft des Modekönigs Brummel; er wohnte dem Prozeß gegen Warren Hastings bei und zwei Flottenparaden, die ihm nachhaltigsten Eindruck machten. Er war von England sehr entzückt und ließ sogar den englischen Parlamentarismus gelten, was die österreichischen Reaktionäre seither mit der Einschränkung taten, daß er sich für Österreich nicht eigne. Schließlich, da es auf dem Festlande schon wieder drunter und drüber ging, mußte er doch wieder abreisen. Aber wohin? Die Gesandtschaft im Haag, der er attachiert war, bestand nicht mehr, Brüssel war besetzt und von dem alten Metternich längst geräumt, die Besitzungen der Familie am linken Rheinufer, die einen Ertrag von jährlich fünfzigtausend Gulden abwarfen, waren endgültig verloren; aber auch Koblenz befand sich in der Hand der siegreichen französischen Armee, und der Metternich-Hof, die bisherige Zuflucht der Familie, war unzugänglich. Es blieb nichts übrig, als sich in Düsseldorf, vermutlich in einem Gasthof, zu treffen. Was für ein Wiedersehen mit Vater und Mutter und dem geistig minderbemittelten Bruder Pepe! Der trübste Augenblick im Leben des Einundzwanzigjährigen. Erst mehr als ein halbes Jahrhundert später, als ein fast Achtzigjähriger, wird er sich wieder in einer ähnlich verzweifelten Lage befinden. 24

Damals freilich war er jung und schön, und damit vor allem scheint die Mutter gerechnet zu haben, als sie im Familienrate zustimmte, das Hauptquartier nach Wien zu verlegen. Er ist jetzt ein Mann! mag sie bei sich erwogen haben, als sie ihm am ungedeckten Tische gegenübersaß und seine neuesten halbenglischen Manieren auf sich wirken ließ: er gefällt den Frauen . . . er wird seinen Weg machen in Wien! Und: »Auf nach Wien!« redete sie den anderen zu, während der Gatte, ratlos und gefaßt, wie es seine Art war, daumendrehend wieder einmal sich darauf verließ, daß »diese Affäre wie jede Affäre schließlich irgendwie enden würde«.

Als sie dann alle zusammen, in die wappengeschmückte gräfliche Kutsche geklemmt, von Düsseldorf nach Wien rollten, war es das große Erlebnis der Französischen Revolution, das, den anderen unsichtbar, Clemens im Wagen deutlich gegenüber saß und ihm die Richtung ins Künftige wies.

Der schiffbrüchige Gouverneur hatte durch diese Umwälzung ebenso wie er selbst seine Stelle verloren, seine Besitzungen und fast seinen Namen, jedenfalls aber, für den Augenblick, allen seinen Einfluß. Er, Clemens, hatte von Mainz nach Koblenz flüchten müssen, von Koblenz nach Brüssel, von Brüssel nach London, von London nach Düsseldorf, immer und überall vom Wolfsrachen der Französischen Revolution hinterrücks bedroht. Diese neue politische Tatsache der Revolution war die Feindin aller seiner Freunde, denn nur unter den Emigrés hatte er bisher welche gefunden, sie hatte ihn um sein Liebesglück betrogen, sie hatte der Tante seines Kaisers den schönen Kopf gekostet. Schließlich hatte sie ihn selbst landflüchtig gemacht und hetzte jetzt hinter ihm her, als Erinnerung an unauslöschliche Bilder des Grauens und der Verwüstung. Ist es nicht begreiflich, ja sogar selbstverständlich, daß er diese verabscheuungswürdige Entwicklung zur Grundtatsache seines Lebens machte und ihre Abwehr zu seiner Sendung? 25

Es ist unendlich aufschlußreich für seinen Charakter und das Schicksal, das sich aus ihm entwickeln sollte, daß Metternichs erste Bewegung eine Gegenbewegung war. Nicht daß er etwas wollte, sondern daß er etwas nicht wollte, machte ihn produktiv. Nicht mit einem Ja, sondern mit einem Nein trat er, zunächst noch innerlich, die ihm vorgeschriebene große Laufbahn an. Was er verneinte, war der Umsturz. Das war sein politisches Programm, das er sich zunächst, ohne nachzudenken, rein gefühlsmäßig zu eigen machte. Die dazugehörige Ideologie schaffte er sich, wie dies Diktatoren auch nach ihm getan haben, erst später an. 26

 


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