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Carlyle, der Heldenverehrer, sagt einmal, daß man aus der Art, wie jemand singt, abnehmen könne, wie er kämpfen würde. Bei Metternich, der kein Held war, sondern ein Staatsmann und Minister, ist es umgekehrt: aus der Art, wie er sein Amt verwaltete, kann man Schlüsse ziehen auf seine Geschäftsführung in Liebessachen. Er war kein Pedant, aber ein Systematiker. Sein jüngster französischer Biograph, Constantin Grünwald, stellt mit jenem Vergnügen an Einteilungen, das den Historiker kennzeichnet, gewissenhaft fest, daß neun Frauen im Leben des österreichischen Staatskanzlers und Haus-, Hof- und Konferenzministers, welchen Titel er etwas später erhielt, eine Rolle spielten. Drei von den neun wären Französinnen gewesen: Constance, Caroline Murat und Laure Junot; drei Russinnen: Madame Bagration, Madame Sagan und Dorothy Lieven; drei Österreicherinnen: Eleonore Kaunitz, Antoinette Leykam und Melanie Zichy, seine zweite und dritte Frau. Fügt man hinzu, daß von diesen drei österreichischen Frauen eine deutscher Abkunft war, eine, nämlich Antoinette Leykam, halb italienisch und die dritte, Melanie Zichy, ganz ungarisch, so gewinnt dadurch die balance of power, 179 die Metternichs Herz wie sein staatsmännisches Konzept in Schwebe erhielt, eine noch breitere europäische Grundlage, so zwar, daß sie katholisch-allumfassend fast alle europäischen Nationen einbezieht. Denn auch die Fürstin Lieven war ein Mischblut, geborene Benckendorf, halb deutsch, halb russisch und in ihrem geistigen Habitus und ihrer gesellschaftlichen Haltung noch mehr Engländerin als Russin oder Deutsche. Auch über die Zahl neun wäre vielleicht noch etwas mehr zu sagen, obwohl sie ja gewiß eher global und nur beiläufig die Zahl der mehr oder weniger geliebten Frauen im Leben Metternichs umschreibt. Daß es just neun gewesen sind, welche Zahl derjenigen der Musen entspricht, mag den humanistischen Forscher befriedigen und schlägt in jedem Falle eine Brücke zum humanistischen Zeitalter. Allerdings, Julie Zichy ist da nicht dabei. Sie war die zehnte Muse und auch sonst, wie wir gesehen haben, in jeder Beziehung eine Ausnahme.
Spricht man von Musen, so entsteht die Frage, mit welcher von ihnen man Dorothy Lieven vergleichen soll. Sie war keine Terpsichore, aber auch keine Polyhymnia. Da sie ein Vierteljahrhundert lang in London lebte und als Frau des russischen Botschafters von dorther wiederholt in die geschichtlichen Entwicklungen des Erdballs eingriff, könnte man sie am ehesten mit Klio, der Muse der Geschichtsschreibung, vergleichen. Sie schrieb auch viel auf, allerdings mehr Randglossen zur Geschichte, und die boshaftesten Urteile über ihre Zeitgenossen kamen durch sie auf die Nachwelt. Wer aber sollte boshaft sein dürfen, wenn nicht Klio? Muß sie doch den Unsinn, den die großen Männer und leitenden Persönlichkeiten machen, miterleben und in umfangreichen Büchern für die später Geborenen aufbewahren. Könige sind große Kinder, äußerte die Lieven gelegentlich.
Metternich lernte sie auf dem Kongreß in Aachen kennen, Herbst 1818, in seinem sechsundvierzigsten Lebensjahr. Es 180 war drei Jahre nach dem zweiten Friedensschluß, in welchem, durch eben gemachte Erfahrungen gewitzigt, die Alliierten nun doch eine militärische Besetzung Nordfrankreichs durch eine national gemischte Sicherheitstruppe der Siegermächte unter dem Kommando des Herzogs von Wellington angeordnet hatten. Frankreich hatte sich seither vollkommen einwandfrei benommen und als ein »guter Verlierer« die vorgeschriebene Kriegsentschädigung pünktlich abgestattet; Napoleon aber, Diktator auf St. Helena, diktierte nur noch sein Tagebuch. Es war an der Zeit, die Sanktionen aufzuheben, und eben zu diesem Zwecke kam man jetzt in Aachen, der altertümlichen Stadt Karls des Großen, friedlich zusammen.
Man: das waren die gekrönten Häupter Österreichs, Rußlands und Preußens, und die verschiedenen Delegationen der beteiligten, auf dem Kongreß vertretenen Länder, mit ihren Stäben und Damen. Es wäre zu traurig, wenn derartige Kongresse ganz ohne Damen stattfänden; es wäre zum Verzweifeln, dachte wahrscheinlich auch Metternich.
Eine dieser Damen, nicht die schönste, aber wie sich später herausstellte, die interessanteste, war die Gräfin Dorothy Lieven, Gattin Seiner Exzellenz des russischen Botschafters in London. Sie kam erst ganz zuletzt, lang nach den Souveränen, in Aachen an.
Von diesen war der König von Preußen der erste gewesen, der in der altdeutschen Krönungsstadt eintraf. Er fand sich kühl empfangen, die Stadt hatte ihren früheren Namen Aix-la-Chapelle noch nicht ganz vergessen, die Bevölkerung nahm ihre spätere Verpreußung noch nicht zur Kenntnis. Der König war ungehalten über den verdrießlichen Empfang, den er am folgenden Tage selbstherrlich richtigzustellen wußte. Er fuhr den nach ihm anlangenden Kaisern von Rußland und Österreich entgegen und stieg zu ihnen in den Wagen. Neben diesen weitaus beliebteren Majestäten sitzend, hielt er einen zweiten 181 Einzug und sah sich von Hochrufen begrüßt, die er leutselig auf sich bezog. Ein kleiner Schwindel überreizten preußischen Selbstgefühls.
Metternich kam in gehobener Laune von Johannisburg herüber, seiner neuen Besitzung, die ihm Kaiser Franz eben erst geschenkt hatte. Der alte Fürst, sein Vater, war kürzlich gestorben und Clemens als neuer Herr von seinen Untertanen – so was gab es damals noch – festlich begrüßt worden. Er hatte sein Schloß zum erstenmal betreten und sich zum erstenmal als Schloßherr betätigt, indem er einen Gast empfing. Es war der Kaiser von Österreich gewesen, der sich auf der Reise nach Aachen bei Metternich zum Essen einlud.
Metternich reiste, wie gewöhnlich, ohne seine Frau. Teils war sie krank, teils waren es die Kinder. Sie litten sämtlich an demselben Brustübel, dem auch die Fürstin Eleonore in verhältnismäßig noch jungen Jahren erliegen sollte. Bereits in der ersten Zeit ihrer Ehe waren zwei von den sieben Kindern, die ihm Eleonore schenkte, gestorben; die anderen starben später, fünf noch bevor er sein sechzigstes Lebensjahr erreichte. Nun kam zu dieser immer von Sterbefällen leicht geschwängerten Atmosphäre, die den lebenslustigen Mann zeitlebens zu Hause umgab, auch noch der sozusagen offizielle Tod des alten Metternich. Vielleicht war auch dieser Todesfall ein Grund für Madame Metternich gewesen, ihren Gatten nicht zu begleiten, oder für ihn, sie nicht dazu einzuladen. Die Familientrauer mochte in dieser Hinsicht als Entschuldigung dienen. Was freilich Metternich betrifft, so hinderte ihn diese Trauer in keiner Weise, an den Aachener Festlichkeiten und Unterhaltungen den lebhaftesten Anteil zu nehmen, weil ja die Teilnahme an Festlichkeiten und Unterhaltungen zu den dienstlichen Obliegenheiten eines Diplomaten und Staatsmannes gehörte.
An solchen Unterhaltungen und an der guten Absicht der Stadt Aachen, ihren Gästen allerhand zu bieten, fehlte es 182 mitnichten. Es gab Konzerte und Schaustellungen. Die Catalani sang, die berühmtesten Musikkapellen konzertierten schon um vier Uhr nachmittags und zwei Luftschifferinnen produzierten sich täglich. Auch ein viereinhalbjähriges Wunderkind trat auf und spielte – welch ein herziger Gegensatz – die Baßgeige. »Du kannst Dir vorstellen wie falsch«, schreibt Metternich ironisch an seine Frau. Und er erwähnt auch, mehr oder minder taktvoll, wie langweilig das gesellschaftliche Leben und Treiben in den tonangebenden diplomatischen Salons wäre. »Lauter Frauen zwischen fünfzig und sechzig«, stellt er verdrießlich fest.
Schließlich zog er sich griesgrämig ganz von diesem Welttreiben zurück, spielte abends Whist bei sich zu Hause und empfing nachher ein paar Gäste, die sich bereitwillig bei ihm einfanden. All das war nicht eben aufregend; wenn der Aachener Kongreß mit dem Wiener Kongreß wetteifern wollte, so mißlang ihm das gründlich. Schließlich aber kam Dorothy Lieven in Aachen an, und nun wurde alles anders. Wenn auch nicht gleich.
Denn es ist merkwürdig und nicht ohne Humor, daß dieses weltberühmte Liebespaar einander auf den ersten Blick mißfiel. Die Dame, eine sehr anspruchsvolle Dame übrigens, wie sie selber zugibt, fand den Fürsten gespreizt und wenig liebenswürdig. Er seinerseits beachtete sie so wenig, daß er nicht einmal bemerkte, daß er ihr schon einmal vor vier Jahren in London flüchtig begegnet war, woran ihn zu erinnern sie unterließ; möglicherweise, weil sie es gleichfalls vergessen hatte. Dorothy Lieven war eine große Dame und ein großer Snob. Was sich nicht unbedingt ausschließt. An den Umgang mit Königen gewöhnt, wie sie war, machten neuerworbene Fürstenkronen auf sie keinen überwältigenden Eindruck mehr. Anderseits war sie gar nicht besonders hübsch. Alles war etwas zu lang an ihr: die Beine. der Hals und die Nase. Schmal, hoch 183 und überschlank – hoffnungslos mager, sagten ihre fetten Zeitgenossinnen – stellte sie sich äußerlich durchaus als dasjenige dar, was man in Norddeutschland »eine lange Latte« nennt. Und Metternich schien für diesen mageren Giraffentypus zunächst wenig übrig zu haben: denn gerade die Neuartigkeit ihrer Erscheinung, die ihn ursprünglich befremdete, machte sie ihm später gefährlich; gerade daß sie schwer zueinander fanden, schloß sie später umso fester aneinander. Eine alte Erfahrung. Große Leidenschaften fangen klein an.
Dorothy Lieven war nicht gewohnt, übersehen zu werden. Es wurmte sie ein bißchen, und sie ließ Metternich durch ihren Landsmann und gleichrangigen Kollegen Nesselrode zur Rede stellen: warum er so unfreundlich gegen sie wäre? Es wäre allgemein aufgefallen, bemerkte auch Nesselrode verbindlich, ohne Vorwurf, und mit einem gewiß angenehmen Diplomatenlächeln. Oh, wirklich? entschuldigte sich Metternich: das täte ihm ungemein leid; und er erklärte sich bereit, mit den Lievens bei Madame Nesselrode demnächst wieder zusammenzukommen.
Sie kamen zusammen und kamen nun erst wirklich zusammen, denn jetzt hatte ihr Gespräch einen Hintergrund, der ihm das erstemal gefehlt hatte. Der Hintergrund war, daß Dorothy Lieven von Metternich augenscheinlich bemerkt sein wollte. Was sie getan hatte, war nur ein kleines, snobbistisches Manöver gewesen, eine Koketterie par ricochet, die sich beleidigt stellt, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Metternich hätte kein Diplomat sein müssen, um das nicht zu durchschauen. Fragt sich nur, warum und zu welchem Zwecke sie auf sich aufmerksam zu machen wünschte? Als Frau oder nur als Botschafterin? Indem er sich diese Frage vorlegte, sah er sie wahrscheinlich mit anderen Augen an und sah sie infolgedessen anders: er sah nicht mehr ihren etwas zu langen Hals und die etwas zu großen Ohren, die die Damen vom diplomatischen 184 Set der arroganten Hopfenstange hinter ihrem Rücken ankreideten; er blickte tiefer in ihre, wie sich herausstellte, schönen Augen und neugieriger auf ihren küßlichen Mund. Die junge Frau, denn das war die Dreiunddreißigjährige im Vergleich zu ihm, begann ihn zu beschäftigen; noch nicht seine Einbildungskraft, aber bereits seinen Verstand und Appetit.
Es stellte sich im Gespräch alsbald heraus, daß auch sie Verstand hatte und den witzigsten, wenn auch nicht gerade wohlwollendsten. Nun, auch Metternich war kein Gemütsmensch (obwohl er es gerade im Umgang mit dieser Frau bis zu einem gewissen Grade werden sollte), auch er hatte keine allzu hohe Meinung von seinen lieben Mitmenschen und machte sich gerne über ihre Schwächen lustig. Wichtiger war, daß sie ein Urteil hatte und es in Worten auszudrücken wußte. Die Frau verstand zu reden, das war sicher. Aber sie verstand auch etwas, was noch schwerer und seltener ist als Reden. Sie konnte schweigen und aufmerksam anhören, was ihr der andere zu sagen hatte. Sie hatte nicht die gewisse fatale Weltdamenart, die nach etwas fragt und gleichzeitig, ohne die Antwort abzuwarten, schon wieder einen anderen nach etwas anderem fragt. Im Gegenteil schien es ihr von höchster Wichtigkeit zu sein, was der Partner zu sagen hatte; sie schlürfte es gierig mit ihren etwas zu großen Ohren ein, und vielleicht waren sie deshalb so groß. Entschieden, sie war keine Auster, die in dem eitlen Bewußtsein, eine Perle zu bergen, selbstgenügsam zwischen ihren verkalkten Klappen lebt.
In jeder Liebesbeziehung gibt es einen entscheidenden Augenblick, den man am besten vielleicht mit jenem Bruchteil einer Sekunde vergleichen könnte, in dem der Aeroplan über den Boden hinrollt und – hüpfend – plötzlich zu schweben beginnt. Nichts ist schwerer zu erhaschen als dieser Übergang von einem Medium ins andere, und am wenigsten darf man den Piloten danach fragen; denn dieser ist ganz und gar mit 185 dem Motor beschäftigt und sieht und hört nichts anderes mehr. Aber der unbeteiligte Fahrgast, wenn anders er gute Augen hat und scharf aufpaßt, merkt zuweilen, wie, zwischen zwei Pulsschlägen, das Wunder geschieht. Die Anlaufräder kreisen nur noch im Leeren und eine ganz neue Fahrt, eine wahre Himmelfahrt hebt jetzt an.
Die Sitzungen, die überhaupt mehr gesellschaftliche Zusammenkünfte waren, fanden bald ein Ende: die Konzerte wurden immer langweiliger, und um ihnen zu entfliehen, unternahm man Ausflüge in die herbstlich schöne Landschaft. Einmal fuhr man nach Spa hinüber und blieb dort über Nacht. Fürst Metternich, der mithielt, saß in dem einen Wagen und die Gräfin Lieven – sie war damals noch Gräfin – in einem anderen. Aber in einem bestimmten Augenblick, wer weiß wo, stieg er zu ihr in den Wagen; wahrscheinlich aus keinem anderen Grund, als weil er sich mit seiner Fürstlichkeit allein langweilte. Dann, auf der Rückfahrt, am nächsten Vormittag, lädt er sie ein, doch lieber in seiner Kutsche Platz zu nehmen; wahrscheinlich, weil er sich tags zuvor in der ihren unterhalten hatte. Zwischen diesen beiden Wagenfahrten also löst sich das Flugzeug vom Boden, was wir auch unmittelbar erschließen können. In einem aufgeräumten Brief, den Metternich tags darauf an seine gute Eleonore richtet, rühmt er den Zauber der herbstlichen Landschaft zwischen Aachen und Spa, zwischen Spa und Aachen. Ja er schwärmt geradezu von ihr und nennt sie »charmant«; nämlich die Landschaft. Alter Landschaftsschwärmer, mag die kluge Leonore gedacht haben.
Jetzt aber geht es rasch, wirklich wie im Flug. Am 28. Oktober macht er der interessanten Frau seinen ersten Besuch, oder, wie er es einen Monat später in einem vertraulichen Brief an sie, halb scherzhaft, im besten Ambassadeur-Stil ausdrückt: er sitzt ihr eine Stunde lang zu Füßen und findet, daß das ein guter Platz wäre. Nüchterner gesprochen, sie gefällt ihm und 186 er beschließt, ihr den Hof zu machen. Dabei verfängt, verstrickt, verliebt er sich im Handumdrehen. Er sieht nicht mehr die etwas großen Ohren, die etwas zu spitze Nase, den etwas zu langen Hals, die etwas zu hohe Stirn: er sieht nur noch den Schmeichelblick ihrer schwarzen Augen, das volle seidenweiche Haar und den küßlichen Mund, der in hundert Künsten unterhaltender Rede schwelgt und schwelgen macht. Ihr im Grunde liebloser Geist sprüht und funkelt ihm zuliebe. Daß er lieblos ist, dieser Geist, merkt er zunächst gar nicht; sie ist amüsant und macht ihn amüsant. Die große Welt, die Welt der Großen, verbindet sie, die sie beide kennen, beide beherrschen, beide belächeln. Sie erzählt ihm etwa von dem alten englischen König, der seit neun Jahren verrückt ist. Außerdem ist er blind und dabei der glücklichste Mann in seinem Königreich. Er wandert ruhelos in seinem alten Schloß umher, redet mit Schatten, spielt auf der Orgel und nimmt – der Glückliche – in einem Traume webend die Gegenwart nicht mehr zur Kenntnis. Auch hat er sich im Verlauf der neun Jahre einen schönen langen weißen Bart wachsen lassen, bis tief auf die Brust herunter, und der Herzog von York findet, er sähe aus wie der schönste alte Rabbiner. Metternich lacht. Dann stellt er sein Lachen ein und betrachtet sie prüfend von der Seite. Der Herzog von York, der solche Vergleiche im Gespräch mit ihr gebraucht, ist sicher ihr Hofmacher, vielleicht ihr Liebhaber, denkt er welterfahren, während das langgedehnte Frauenzimmer ihm gegenüber lustig weiter plaudert. Er ist nicht von gestern.
Aber auch er, Metternich, kann was erzählen. Er erinnert sich, vielleicht nicht gerade das erste Mal, aber sicher das zweite Mal, als sie ihn danach fragte, an seinen Besuch bei Napoleon, im Marcolini-Palast zu Dresden, Juni 1813. Da wird die beredte Frau mit einemmal ganz still, die großen Augen brennen auf, die hundert Spottgeister, die ihren Mund umhüpfen, kommen zur Ruhe; er sammelt sich; er ist nur noch ein Kuß. 187
»Sie liebte mich, weil ich Gefahr bestand – ich liebte sie um ihres Mitleids willen«, sagt Othello.
Zwar von Mitleid konnte bei der Gräfin Lieven keine Rede sein, dazu war sie zu amüsant, und Metternich ein zu verwöhntes Glückskind, das auf Mitleid nicht den geringsten Anspruch hatte. Aber sonst stimmte es so ungefähr. Erzählend gewann er sie; wie Othello die Desdemona oder wie Äneas Dido.
Wie ging es weiter? Es ging weiter, wie es gehen mußte und nicht durfte. Der Kongreß neigte sich immer sichtbarer seinem Ende zu, und die Lievens, wie sie als die letzten gekommen waren, schienen als die ersten abreisen zu wollen. Allerdings fuhren sie fürs erste nur bis Brüssel, wo die Kaiserinmutter, Mutter des Zaren Alexander, sie erwartete. Unmöglich, sich dieser Einladung zu entziehen, die Maria Feodorowna auf der Durchreise in Aachen an sie hatte ergehen lassen. Dorothy war ihr Patenkind, Mama war bei ihr Hofdame gewesen. Als sie starb, hatte die hohe Frau sich der Frühverwaisten angenommen, sie im Kloster erziehen lassen und nachher mit dem Grafen Lieven verheiratet. Dank ihr hatte Dorothy auch bei ihrem Sohn, dem Zaren Alexander, einen Stein im Brett.
Metternich sah die neue Freundin – my friend of great days, my friend for life, wie er sie alsbald anredete – höchst ungern aus einem Kreise scheiden, der sich rasch gebildet hatte und nun ebenso rasch wieder auseinander floß. Anderseits machte es wahrscheinlich Eindruck auf ihn, daß sie bei Hof so hoch angeschrieben war. Würde die Verwöhnte trotzdem in die Aachener Kongreß-Niederungen zurückkehren? In dieser höchst zwiespältigen Lage, zwischen der Hoffnung, sie zu gewinnen, und der Angst, sie entgleiten zu sehen, schmerzlich eingeklemmt – einer Lage, alles in allem, wie sie sich eine Frau, die Bescheid weiß, und ein reifer Mann auf Liebespfaden reizvoller und 188 perspektivenreicher gar nicht wünschen können –, macht er, ein paar Stunden vor ihrer Abreise, seinem Herzen in einem aufgewühlten Briefe Luft, einem richtigen Mitternachtsbrief. Keine große Liebe ohne Mitternachtsbrief.
»Ich kann Sie nicht abreisen lassen, ohne Ihnen zu sagen, was ich empfinde. Die Geschichte unseres Lebens faßt sich in ein paar Augenblicken zusammen. Ich habe Sie nur gefunden, um Sie zu verlieren. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft vielleicht, alles enthalten diese wenigen Worte. Der Tag, an dem ich Sie wiedersehe, wird der glücklichste meines Lebens sein.
Ein Abschnitt meines Lebens fand in kaum acht Tagen seinen Abschluß. Wäre ich meiner nicht so sicher, ich fände keinen anderen Ausdruck dafür, daß mir alles nur geträumt hat. Mir bedeutet eine Frau entweder alles oder nichts; halber Gefühle und halber Gedanken weiß ich mich nicht fähig. Wenige Wochen nur in Ihrer Nähe zu verbringen, war mir vergönnt; kaum konnte ich zu Ihnen sprechen und doch sind Sie heute ein Teil meines ganzen Lebens. Viel, was andre lockt, macht mir keinen Eindruck. Ich weiß nicht, ob ich mehr verlange, aber ich weiß bestimmt, daß, was ich brauche, grundverschieden ist. An dem Tage, an dem unsere Gedanken zusammenklangen, als kein Zweifel mehr bestand, daß ich von Ihnen verstanden war, daß Ihr Kopf und vor allem Ihr Herz die Richtung einschlugen, die ich als die mir innerlich vorgeschriebene erkannt habe: an diesem Tage fühlte ich, daß ich Ihr Freund werden könnte, und es ward mir klar, daß mein Empfinden, Sie zu lieben, nicht auf Selbsttäuschung beruhte. Ja!, ich muß Ihnen gestehen, was Sie Ihrerseits längst erraten haben. Sie wissen es bereits und doch drängt es mich, es Ihnen zu sagen, meiner Freundin großer Tage, meiner Freundin fürs Leben!
Mag sein, daß uns eine Wiederbegegnung beschieden ist. Ich werde dann sein, der ich heute bin. Selten beglückt mich eine 189 neue Bekanntschaft; tut sie es, dann ist's fürs Leben. Bewahren Sie mir ein freundliches Gedenken, vielleicht etwas mehr, indem Sie mich vermissen. Ich darf weder hoffen noch verlangen, daß mir zuteil werde, was ich biete. Aber gönnen Sie mir wenigstens den Trost, zu glauben, daß Sie, kennten Sie mich besser, mehr für mich empfänden, als worauf ich heute Anspruch habe. In meiner Qual, Sie sehen, klammere ich mich an was immer mich vor dem Untergehen bewahren kann. So der Schiffbrüchige, der an der rettenden Planke vorbei nach dem ersten besten Gegenstand greift – bevor er versinkt.«
Metternich war nicht immer aufrichtig; in diesem Briefe im Balzac-Stil, gegen dessen bilderreiche Phrasenhaftigkeit sich einiges einwenden ließe, war er es ohne Zweifel. »Den Mann hat's!« heißt es in einem verschollenen Vers des »Trompeters von Säckingen«, und das mag auch die Empfängerin empfunden haben, ehe sie, tief aufatmend, das gefährliche Schriftstück im dunkelsten Grund ihrer Putzschachtel unter ihren Seidenbändern und Spitzen verschwinden ließ.
Was Dorothy Lieven auf dieses redselige Schreiben geantwortet hat, wissen wir nicht; wahrscheinlich war ihre Antwort eine, wie die Diplomaten sagen, dilatorische; vermutlich zögerte sie noch ein bißchen. Sicher aber ist, daß sie von Brüssel doch wieder nach acht Tagen zurückkam, um den Schluß des Kongresses in dem befreundeten Aachen zu erleben. Jetzt erst fanden, unter dem Vorsitz des Zaren, die entscheidenden Sitzungen statt, Metternich führte das große Wort und hatte plötzlich alle Hände voll zu tun. Nun, das war etwas für die Lieven, solchen Männern gegenüber war sie, wie sich auch später noch wiederholt herausstellen wird, nahezu widerstandslos. »Ich liebe die geschichtlichen Ereignisse«, gesteht sie selbst einmal in einem ihrer Briefe. Und so wurde sie selbst unversehens ein solches geschichtliches Ereignis im Leben des Fürsten Metternich, wie er im ihrigen. 190
Zweifel sind hier völlig ausgeschlossen. Der österreichische Staatskanzler selbst, in seiner pedantischen Art und mit jenem Zug hofrätlicher Genauigkeit, der ihn auch in Liebessachen auszeichnete – er mußte es immer in den Akten haben, sonst glaubte er sich's nicht – gibt uns darüber in einem anderen Brief, den er vier Wochen nach jenem Mitternachtsschreiben zu Papier brachte, die erwünschteste Auskunft. Wann es geschehen und sie zu ihm gekommen sei, – »quand tu es venu dans ma loge« – versichert er treuherzig, könne er sich nicht mehr erinnern (obwohl er es sicher nicht vergessen hat); und er fährt fort, sie im Du-Ton neckend, wie dies Liebende gerne tun: »Tu as eu la fièvre, mon amie, tu m'as appartenu!«
Diese »Loge«, wo sie ihm angehört hat, machte die bürgerlichen Feuilletonisten ein halbes Jahrhundert lang – nicht länger kennt man Metternichs Briefwechsel – schaudern und träumen. Sie dachten bei der Loge an eine Theaterloge und wurden nicht müde, ihren bürgerlichen Lesern, die sich vor einem solchen Abgrund von Frivolität lüstern bekreuzten, diese Geschichte aufzutischen. Man stelle sich nur vor, Fürst Metternich, Plenipotentiär des Kaisers von Österreich, und die Frau des russischen Botschafters in einer Loge! In Wirklichkeit war es nur halb so arg. »Loge«, wie Strachey in seinem auch sonst goldhältigen Essay über die Fürstin Lieven ausdrücklich feststellt, steht hier für »logement«; altertümliches, vielleicht auch inkorrektes Französisch, wie es in den Briefen des österreichischen Staatsmannes zuweilen unterläuft. Gemeint war jedenfalls seine Wohnung; das Haus, das er einer Mademoiselle Brammertz in Aachen für die Dauer des Kongresses abgemietet hat. Daß er freilich, vielmehr der österreichische Staat, zwanzigtausend Francs Miete zahlte für dieses prächtige Logement, in dem er die Gräfin Lieven, als sie »das Fieber hatte«, erstmalig empfing, ist eine Sache für sich und gehört auf ein anderes Blatt – dasselbe Blatt, auf das die Gesandtschaftsauslagen von 191 Metternichs jetzt verewigtem, aber in seinem Blute rüstig weiter lebenden Vater gehörten. Loge oder Logement: der Staat bestritt die Kosten.
*
Nach jenem fieberhaften ersten Besuch entwickelte sich alles logisch weiter. Während in Aachen die Aufräumearbeiten des Kongresses bereits begannen, fuhren die Lievens noch einmal zur Kaiserin Maria Feodorowna nach Brüssel hinüber. Dorothy hatte es der Kaiserinmutter, die dort immer noch Hof hielt, wahrscheinlich versprochen, und vielleicht tat sie es auch aus Klugheit, um das Gerede in Aachen nicht allzu sehr herauszufordern, und aus Rücksicht für ihren Mann, der ja bisher Gott sei Dank nichts gemerkt hatte. Sicherlich war auch Metternich mit diesem kleinen Manöver durchaus einverstanden, wie sich aus einem kurz darauf geschriebenen Billett erschließen läßt. Nichts läge ihm ferner, versichert er darin mit bemerkenswerter Kühnheit, als eine Ehe stören zu wollen. Und er gibt seiner Geliebten den verteufelt logischen Rat, bei dem einem allerdings ein wenig schaudert, mit ihrem Manne »lieb, sehr lieb, besonders lieb zu sein (sois bonne, douce, excellente pour lui)«. Das war für eine Frau, die, wie Dorothy Lieven, einen diplomatischen Text zu lesen verstand, deutlich genug gesprochen, und sie erfaßte sofort, wie es gemeint war. Sie hatte zwei Kinder mit ihrem Mann, und einige Monate später, schon von London, teilte sie Metternich mit, daß ein drittes unterwegs wäre.
Damals aber in Brüssel, anläßlich ihres zweiten Besuches, blieb sie nicht lange allein. Nach vier Tagen bereits hielt es ihr neuer Herzensfreund nicht länger aus in dem plötzlich freudlos gewordenen Haus der Mademoiselle Brammertz, und er entschloß sich gleichfalls zu einem Abstecher nach Brüssel. 192 Vielleicht, sicher, gab es mit seinem illustren russischen Kollegen noch allerhand zu besprechen.
Diese Reise blieb natürlich kein Geheimnis. Das staatserhaltende Journal des Debats meldete sie sofort seinen Lesern und fügte wohlerzogen-gewissenhaft, wie ein staatserhaltendes Blatt sein muß, hinzu: der Zweck der Reise des österreichischen Regierungschefs wäre nicht bekannt.
Dorothy, die gerne lachte und gerne lachen machte – wenn auch nicht gerade ihren Mann –, mag über dieses Sätzchen im täglichen Kongreßbericht sich königlich unterhalten haben. Trotzdem waren ihre Tage in Brüssel leider gezählt. Eine Woche später war sie mit ihrem gewissenhaft auf die Einhaltung seiner Amtspflichten bedachten Gatten wieder in London, während Metternich in Begleitung des Herzogs von Wellington das Schlachtfeld von Waterloo besuchte. Er fand aus seinem Abenteuer den Weg zurück zur Geschichte. 193