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Nach Eleonorens Tod war Metternich ein untröstlicher Witwer. Kein Mensch in Wien zweifelte daran, daß er bald wieder heiraten werde. Er war, so paradox es klingen mag, zum Ehemann geboren. Nur daß er in den achtundzwanzig Jahren, in denen er mehr oder weniger an Eleonorens Seite lebte, sich dessen nie so recht bewußt werden konnte. Was er in dieser Zeit, halb unbewußt, von den Frauen verlangte, war aber doch immer, daß sie seine Frau wären. Daß die Frauen, denen er es abverlangte, so häufig wechselten, war in den meisten Fällen nicht seine Schuld. Er hatte im Grunde wirklich eine gewisse Neigung zur Treue, die er sich selbst freigebig zugestand; »ich war nie untreu«, schreibt der verheiratete Mann einmal treuherzig an seine Geliebte. Und wenn er dieser Neigung zur Treue nicht treu bleiben konnte, so waren es eben die Frauen, die ihn daran hinderten: durch das, was ihm die einen zu viel und die anderen, mit denen er eben verbunden war, zu wenig gaben.
Dorothy hatte ihm alles gegeben – eine Zeitlang. Sie waren in mündlichem wie in schriftlichem Verkehr ein Herz und eine Seele; sie verstanden sich bei Tag und Nacht. Die Lieven war 228 wirklich, wie er einmal schrieb, als Frau genau das, was er als Mann war und ebenso ehemännlich veranlagt. Sie bewies es mehr als einmal in ihrem Leben, zuletzt bei Guizot, mit dem sie die letzten zwanzig Jahre ihres Daseins zusammenblieb. Allein im Falle Metternichs wurde gerade diese allzu große Übereinstimmung der Charaktere das Verhängnis ihrer Verbindung. Die Ehe beruht ihrem Wesen nach auf Ergänzung, nicht auf Wiederholung zweier Individualitäten. Dies zeigte sich gegebenenfalls in dem Augenblicke, als seine und der Fürstin Lieven Wege sich politisch gabelten. Ihr idealer Herzensbund scheiterte – es klingt wie ein Witz und ist doch bitter ernst – an der russisch-türkischen Frage.
Politik hatte Pate gestanden an der Wiege ihres Verhältnisses. Sie kam als russische Botschafterin nach Aachen und er als österreichischer Kanzler und Außenminister. Sie lernten einander in einem politischen Salon kennen und lieben. In der Folge, wie ihre Beziehung sich organisch weiterentwickelt, bestand auch in politischer Hinsicht ein völliger Einklang zwischen ihnen, aristokratische Machtmenschen und überzeugte Europäer, wie sie beide waren, und wenn die Lieven etwa im Falle Neapels ihrem Herzensfreund von London aus zurief: Du mußt marschieren!, war er bereits auf eigenem auf dem Wege nach Neapel. So weit also war alles in schönster Ordnung. Und daß bei aller Übereinstimmung ihrer Ansichten die Luft, die sie in London und Wien umgab, grundverschieden war, dort nach zeitgemäßem Liberalismus und hier nach verstocktem Feudalismus schmeckte, übersah man fürs erste.
Aber mit der Zeit begann diese atmosphärische Verschiedenheit ihrer Umgebung sich fühlbar zu machen. Metternich ging in seiner Furcht vor Verschwörungen und in seiner Abneigung gegen Konstitutionen immer weiter und wollte schließlich in ganz Europa intervenieren, in Portugal, in Spanien, in Italien, zuletzt in Griechenland. England lehnte ab, den Polizeimann 229 Europas zu machen, und Frankreich folgte seinem Beispiel. Die Pentarchie brach in diesem Punkte auseinander, die Heilige Allianz, das Zwingherrenbündnis zwischen Österreich, Rußland und dem reaktionären Preußen blieb davon übrig. Nach dem Kongreß von Verona grenzten sich die ideologischen Fronten deutlich ab. Der liberale Westen stand gegen den autokratischen Osten Europas, welcher Gegensatz das Jahrhundert überlebte und noch heute das Schicksal des Erdteils überschwebt.
Von da angefangen standen Clemens und Dorothy in verschiedenen Lagern. Noch einmal versuchte sie den Gegensatz persönlich zu überbrücken, indem sie nach Italien fuhr und dort monatelang herumkutschierte, um mit dem Kutscher Europas, der es ihr versprochen hatte, zusammenzukommen. Er ließ sie monatelang in Florenz und Rom sitzen und kam dann doch nicht. Es wird Österreich in Rom sehr schaden! drohte sie, halb scherzhaft, mit dem Zeigefinger. Er ließ es darauf ankommen. Er hatte eine kranke Frau in Paris und in Wien seine überfüllte Staatskanzlei, die ihn Tag und Nacht in Anspruch nahm; er war nicht reiselustig. Zu regieren und dabei zu genießen ging auf die Dauer eben doch nicht. Metternich entschied sich endgültig fürs Regieren.
Dorothys Briefe werden seltener und bitterer. »Willst Du nicht der andere Baum sein?« Frage ohne Antwort. Und dann plötzlich erweitert sich die russisch-türkische Frage zwischen ihren beiderseitigen Standpunkten zu einem unüberbrückbaren Riß. Österreich ist gegen die griechische Unabhängigkeitsbewegung, obwohl die Griechen Christen sind und die Türken, die das Land so schlecht verwalten, Heiden. England tritt für die Schaffung eines selbständigen Griechenland geharnischt ein, obwohl es auf dem Festland nicht mehr hat intervenieren wollen. Lauter Widersprüche. Aber Cannings, der Metternich feindliche englische Premier, bringt ein Bündnis zustande zwischen 230 Frankreich, England und Rußland. Dorothy Lieven als russische Botschafterin steht natürlich zu Rußland, und Metternich gibt seinen verbohrten Standpunkt nicht auf. Wenn er, der Europäer, sich gegen die europäischen Griechen und an die Seite der asiatischen Türken stellt, ein doppelter Verrat in den Augen seiner großen Freundin, so tut er es, weil die türkische Herrschaft die »legitime« ist; aus purem Doktrinarismus also. Darüber kommt es schließlich zum Kriege, und die vereinigten englisch-französischen Flotten schlagen die von Österreich aufgepulverten Türken bei Navarino in die Flucht.
Am gleichen Tage heiratet Metternich in Wien ein blutjunges und bildschönes Mädchen, Antoinette Leykam. Jetzt bricht Dorothy los. »Der Ritter der Heiligen Allianz hat eine Mesalliance geschlossen«, spottet sie vom anderen Ufer und drückt in einem ihrer Briefe die Vermutung aus, daß es den vormals so »geschickten Minister« Metternich nicht mehr gebe, daß er durch einen Strohmann neuestens ersetzt sei, der in seinem Namen und an seiner Statt mechanisch weiterregiere. Und dann kommt ein schreckliches Wort. Den größten Gauner (scoundrel) von Europa nennt sie ihn; wobei sie natürlich, wie fast jede Frau in ihrer Lage, vergißt, daß, wenn er unter Umständen ein Gauner war, es ihr unter Umständen ganz recht, ja hocherwünscht gewesen ist, daß er einer war.
Metternich aber, der Neuvermählte, bleibt stumm, und bleibt es auch die folgenden Jahre und Jahrzehnte bis an sein seliges Ende. Kein Wort des Tadels oder der Bitterkeit über die einstmals so geliebte Frau. Seine tiefe Neigung zu ihr trägt das adelige Siegel jeder großen Liebe auf den Lippen: das Schweigen.
*
Wer waren diese Leykams? Man fragte es sich in allen politischen Salons des damaligen Europa, und in den adeligen 231 Wiener Kreisen gab man, der allzu schönen Braut ihre Abstammung nachrechnend, bereitwilligst Antwort. Der Vater kleiner Ministerialbeamter mit künstlerischen Neigungen, die väterlichen Vorfahren Angestellte der Thurn und Taxisschen Post – »Kutscher« sagt man in der immer wohlwollenden Wiener Gesellschaft. Die Mutter schlimmer als das, nämlich Opernsängerin; Italienerin aus Palermo, Pedrella mit Namen. Eine schöne Frau, ja natürlich. Singt und macht ein Haus. Aber nur Herren verkehren bei ihr, gar keine Damen; »keine einzige«, sagen die alten Fürstinnen und meinen sich selbst. Übrigens soll sie sogar rassenmäßig nicht ganz einwandfrei sein; Juden, sagt man.
Der Kaiser machte, um den Schaden auszugleichen, Antoinette Leykam noch vor der Hochzeit zur Gräfin Beilstein. Wahrscheinlich hat er vorher eine längere Aussprache mit seinem »Haus-, Hof- und Staatsminister« gehabt, der, nach Art älterer Herren in solchem Falle, von seinem Vorhaben nicht abzubringen war. Metternichs Mutter, die damals noch lebte, war entschieden dagegen; sie begünstigte eine Partie aus dem katholischen Hochadel, welche Richtung im Leben ihres Sohnes sie schon einmal erfolgreich eingeschlagen hat. Diesmal war es eine schöne junge Gräfin Melanie Zichy, Tochter der schönen Gräfin Molly Zichy, der sie sich sichtbar zuneigte. Aber Clemens wollte nicht. Er verlobte sich mit Antoinette Leykam, und Melanie Zichy reiste, wie man sich in Wien erzählte, am selben Tage mit ihrer Mutter auf ihre ungarischen Güter ab. Eine Liebeserklärung in Spiegelschrift und außerdem das Gescheiteste, was Melanie tun konnte.
Antoinette Leykam war etwas weniger gescheit, und das war in den Augen ihres Bräutigams, auf Grund seiner jüngsten Erfahrungen mit der allzu gescheiten Fürstin Lieven, wahrscheinlich ihr größter Vorzug. Er mochte es in diesem Punkte mit seinem Lieblingspoeten Heine halten, den er zwar 232 politisch verfolgen ließ, aber seinen späteren Gesponsinnen nach dem Essen gerne vorlas:
»Mit dummen Mädchen, hab' ich gedacht,
Nichts ist mit dummen anzufangen;
Doch als ich mich an die klugen gemacht,
Da ist es mir noch schlimmer ergangen.«
Bei Metternich freilich waren die Klugen zuerst gekommen. Wann und wo der Umschwung erfolgte, läßt sich dokumentarisch kaum erweisen. Wie merkwürdig: wir, die wir so genau über Metternichs illegitime Beziehungen unterrichtet sind, meist sogar von ihm selbst, wissen gar nichts über die innere Vorgeschichte seiner legitimen drei Ehen. Sogar von seiner ersten ist uns nur bekannt, daß die geborene Kaunitz sich für ihn entschieden hatte, noch bevor ihr Vater entschied, ein für das achtzehnte Jahrhundert in ihren Kreisen unerhörter Fall. Bei Antoinette aber tappen wir völlig im Dunkeln. Es gibt kaum ein Dokument über ihren Brautstand, der in eine Zeit politischer Hochspannung fiel. Während aber der Geschichtsschreiber von Tag zu Tag verfolgen kann, wie die orientalische Frage sich entwickelte, verstummt die gleiche Aktenlage, sowie er sie um die Entwicklung von Metternichs Herzensgeschichte befragen will. Der Gelehrte hüpft über diesen Punkt denn auch meist schweigend hinweg. Er versagt, weil die Quellen versagen. Hier wird, in Ermanglung eines Historikers, ein Dichter gesucht, der keine Quellen braucht, weil er selber eine ist.
Psychologisch läßt sich immer noch einiges erschließen, was auch physiologisch einleuchtet. Antoinette war bildschön und kaum halb so alt als Metternich. Sie war viel schöner als ihre Vorgängerin und auf eine ganz andere Weise schön. Ein Puppengesichtchen; ein Zuckermündchen; Ringellöckchen über einer Kinderstirn und ein schwärmerischer, vergißmeinnichtblauer 233 Augenaufschlag. »Une grâce lamartinienne«, rühmt ihr der Pariser Biograph Metternichs, Monsieur Grünwald, nach; eine schöne Odaliske nennt sie der zeitgenössische französische Botschafter am Wiener Hofe, Comte de St. Aulaire; ihre sanfte Unbedeutendheit, deutet er boshaft an, hätte der jungen Fürstin, nachdem sie es geworden war, bald alle Herzen gewonnen. Indessen entsteht die Frage, wie kam Clemens zu der Odaliske? Er kam zu ihr wie zu allen Frauen zeit seines Lebens, durch die Gesellschaft. Antoinettens Mutter, vom Ruhmeslicht eines ehemaligen Mitgliedes des St.-Carlo-Theaters in Neapel magisch umflossen, sah Gäste in ihrem Hause. Sie sang mit einer immer noch schönen Stimme, das zog auch Aristokraten ins Haus. Zwar die Damen aus diesen Kreisen erwiesen sich als musikalisch etwas weniger empfänglich, aber um so mehr waren es die Herren, deren Namen im Adelskalender verzeichnet standen. Metternich war einer von ihnen, was für ihn spricht. Eine der liebenswürdigsten Seiten seines Charakters und seiner Persönlichkeit war sein Verhältnis zur Kunst überhaupt – einschließlich die Literatur, worauf wir noch zu sprechen kommen – und ganz besonders zur Musik. Er spielte selbst das Cello. soll sogar einmal, in Rastatt, als ganz junger Mann, Cello spielend öffentlich aufgetreten sein, und konnte noch als alter Herr bei den Ouvertüren der Donizetti-Opern, die er besonders liebte, Tränen der Rührung vergießen. An die Fürstin Lieven, die selbst eine vorzügliche Pianistin war, wovon er sich in Aachen überzeugt haben mag, schreibt er einmal über die Musik: »Sie rührt mich über mein eigenes Wesen, sie tut mir wohl und wehe, und das Weh selbst ist Wohlsein.« Mag dies Geständnis auch nur ein vorzugsweise sinnliches Verhältnis zur Musik bescheinigen, so war es doch in jedem Falle eine tiefreichende Beziehung, die auch die Brücke zum Salon Leykam schlug. Da saß er nun, der schöne, reife Mann, von vielen Erfahrungen zurückgekommen, und hörte der Mutter zu, die aus 234 wogender Nachtigallenbrust ihre Lieder und Arien in den nach Honig duftenden warmen Kerzenschimmer schmetterte, während die Tochter neben ihm saß und lyrisch schwieg. »Mein holdes Schweigen«, spricht, bei Shakespeare, Cäsar seine Frau an. Übrigens brauchte Antoinette nicht zu singen; sie war selbst ein Lied.
Hier hätten wir einige der zarten Fäden bloßgelegt, die den österreichischen Staatskanzler, den Fürsten Metternich, ins Haus Leykam zogen, wo er sehr zum Verdruß seiner neidischen Zeitgenossen eine Zeitlang wahrhaft glücklich wurde. Daß es kein Haus allererster Güte war, war vielleicht ein Grund mehr, es zu werden. Es war ein von musikalischer Atmosphäre erfülltes, aber sonst recht stilles Haus, das machte es nur um so anziehender für ihn. Wieder konnte er schon damals sagen, was sein Lieblingsdichter Heine zehn Jahre später in eigener Sache reimen wird:
»Unjung und nicht mehr ganz gesund,
Wie ich es bin zu dieser Stund',
Möcht' ich noch einmal liebend schwärmen
Und glücklich sein. Doch ohne Lärmen.«
Zwar die Gesundheit des Fürsten ließ nichts zu wünschen übrig. Bis auf ein kleines Augenleiden, das die Sehkraft des linken Auges dauernd geschwächt hatte, und eine beginnende Harthörigkeit, die aber mehr eine Charaktereigenschaft war, hatte er in dieser Richtung nicht zu klagen, und wenn auch nicht der Jüngste, so war er doch immer noch jung genug, um ein ganz junges Mädchen zu binden. Daß sie um volle dreiunddreißig Jahre jünger war als er, übersah er gerne; daß sie als gelehrige Schülerin bewundernd zu ihm emporblickte, war ein Zauber mehr. Sie hatte keine Ahnung von Politik, die ihm die schönsten Jahre seines Lebens verbittert hatte, sie fragte nicht, sie 235 riet nicht und maßte sich kein eigenes Urteil an. Es war nicht zu befürchten, daß sie ihm eines Tages schreiben oder sagen würde: »Marschiere nach Neapel!«, noch bevor er sich entschlossen hätte zu marschieren. Vielmehr würde sie in solchem Falle gefügig warten, ob er es täte, und ihn erst nachher dafür bewundern. Nichts ist oft so ausschlaggebend bei der Wahl eines Liebespartners als die schlechten Erfahrungen, die man mit seinem Vorgänger gemacht hat. Enttäuschung flüchtet gern zum Gegenteil.
Alles in allem war diese Verbindung eine von jenen, die im dritten Jahre an Langweile sterben. Aber soweit kam es nicht, denn Antoinette starb bereits nach anderthalb Jahren, nachdem sie einem gesunden Knaben, Richard, das Leben geschenkt hatte. Sie starb an Wochenbettfieber, wie es damals üblich war. Es war neben der Tuberkulose der andere Würgengel der damaligen Menschheit. In beiden Fällen handelte es sich um damals noch unbekannte Bakterien, die inzwischen entdeckt wurden. Wenigstens in dieser Beziehung also hat es die Menschheit, dank Koch und Semmelweis, seither etwas weiter gebracht.
Der Gattin beraubt, war Metternich Witwer. Und wieder schrieb er, ein Blaubart des schönen Nachrufs, einen erschütterten Brief, in dem er von der Dahingegangenen sagte: Sie war schön wie ein Engel und hatte engelhafte Eigenschaften. Aber noch ehe die Tinte über diesem Satze, den er seiner Zweiten widmete, trocken geworden war, tauchte die Dritte in Wien wieder auf. Sie hieß Melanie Zichy und schien nur das Verschwinden ihrer Vorgängerin abgewartet zu haben.
*
In diesem Falle wählte wiederum die Mutter Metternichs mit, obwohl sie jetzt bereits tot war. Die in ihrer stillen Art 236 bedeutende Frau, der Metternich seinen Charakter und der wir Metternich zu danken haben, starb hochbetagt, und bald darauf sank auch ihr Enkel Viktor ins Grab, der einzige Sohn Metternichs aus erster Ehe und sein Liebling. Er hatte zuletzt in Paris gelebt. Ein großer Frauenfreund wie sein Vater, aber nicht von dessen robuster Gesundheit, war er im letzten Stadium der Schwindsucht mit einer schönen Herzogin von Paris durchgegangen, die ihn dann in Italien zu Tode pflegte. Nach Italien durchzugehen und in Venedig in verliebten Gondeln über die Lagune zu schaukeln, war die zeitgemäße Form der Pariser Romantik. Musset brannte mit Georges Sand durch, Liszt mit Marie d'Agoult und der junge Metternich mit einer liebreizenden Herzogin, die nach seinem Tode die Mutter seines Sohnes Roger wurde. Metternichs Weg in diesem Abschnitt seines Lebens, seinem sechsten Jahrzehnt, war wirklich eine Friedhofsallee, Grab reihte sich an Grab. Zum Glück war schon wieder ein Sohn da, der kleine Richard aus zweiter Ehe, der sechzig Jahre später die Denkwürdigkeiten seines Vaters in zahllosen Bänden sammeln wird.
Aber nun setzt der Baum, herbstlich umwittert, noch einmal ein paar neue Blüten an, was bei Bäumen und auch bei Menschen vorkommt. Melanie Zichy taucht wieder auf in Wien, halb verlobt diesmal, mit einem jungen Baron Hügel, aber das wird kein Hindernis sein, im Gegenteil. Metternich muß sich diesmal rascher als vor zwei Jahren entscheiden, und er tut es mit Vergnügen. Denn er spürt an ihrer plötzlichen Rückkunft und überhaupt, daß Melanie ihn liebt. Wie reizend. Wieder ist ein junges Mädchen in ihn verliebt. Diesmal allerdings ist sie nur um zweiunddreißig Jahre jünger als er. Nun, das eine Jahr wird's nicht ausmachen. Er ist jetzt achtundfünfzig und Jahre sind nur noch eine kleine Münze für ihn.
Wieder ist das Verhältnis Metternichs zur Frauenwelt einen Augenblick einer heiteren Betrachtung würdig. Als er jung 237 war, wollten ihn die Frauen zum Liebhaber haben; jetzt, da er alt wird, begnügen sie sich damit, ihn zu heiraten. Es ist kein ganz alltäglicher Fall. Metternich hat viel Feindschaft auf sich gezogen, in und nach seinem Leben. Aber es muß doch etwas an ihm gewesen sein, da die weibliche und vielleicht sogar bessere Hälfte der Menschheit so nachdrücklich für ihn eintrat.
Zur selben Zeit, als Melanies Werbung – von einer solchen muß man wohl sprechen – sich zutrug, war Richard, Metternichs Söhnchen und Stammhalter, ein bis zwei Jahre alt. Es gibt eine überlieferte Szene aus diesem Abschnitt seines Lebens. Metternich und sein noch etwas älterer Freund und Famulus Gentz im Kinderzimmer Richards über ein Töpfchen Seifenwasser gebeugt, aus dem sie mit Strohhalmen Seifenblasen hervorholen und über die Patschhände des kleinen Richard hinwegblasen. Bedarf es weiterer Beweise für die Herzensanmut des Mannes und Menschen? In einem verschollenen Wiener Lustspiel sagt eine junge Frau, zur Männerwelt sich wendend: ». . . Was Euresgleichen liebenswürdig macht – wir Frauen ahnen es: die Kinder wissen's!«
Auch Melanie Zichy wußte, oder ahnte es zumindest. Sie war eine Schönheit, eine rassige magyarische Vollblut-Schönheit, leidenschaftlich, stürmisch, wenn sie an sich hielt, und wenn sie durchging, wie ein ungezügeltes Pußtapferd. Zu ihrer unmittelbaren Vorgängerin Antoinette verhielt sie sich, was ihre Gemütsart, ihre Tonart und ihr Tempo betrifft, ungefähr wie eine Lisztsche Rhapsodie zu einem Nocturno von Chopin, und war auch äußerlich ihr Gegensatz. Ein fleischiges Gesichtchen, überhaupt zur Fülle neigend, hatte sie nachtschwarzes Haar und blaue Augen, wie Constance Caumont seligen Angedenkens. Übrigens soll das eine Auge mehr grünlich-braun gewesen sein, was eine Variante bildete und einen nicht zu übersehenden Unterschied ausmachte.
Die Sache entwickelte sich, wie Melanie es für richtig fand. 238 Der halbverlobte Herr von Hügel wurde in diplomatischer Mission nach Paris geschickt und blieb lange aus. In der Zwischenzeit verlobte sie sich mit Clemens Metternich. Der gute Baron Hügel, der sich später zu einem treuen Freunde Metternichs entwickelte, nahm es nicht krumm. Er schrieb nur, aus Paris noch, an seine stürmische Melanie, er werde nach Wien nicht früher zurückkehren, als bis er geheilt wäre. »Er wird nie zurückkehren«, sagte das schöne Mädchen gefaßt.
Es fehlte ihr, wie man schon aus dieser nicht einmal scherzhaft gemeinten Bemerkung ersieht, keineswegs an Selbstbewußtsein. Ihr Hochmut, den ihre Bewunderer Stolz nennen, war stadtbekannt. Die Zichys waren ältester magyarischer Uradel, Türkenblut, Hunnenblut, Awarenblut, weiß der Himmel was noch. Dazu nun Fürstin Metternich, Gemahlin des mächtigsten Mannes in Europa. Kein Wunder, daß sie, kaum hatte sie sich im Sattel zurechtgesetzt, es die anderen gehörig fühlen ließ. Reitgerte und Sporen mit Lust gebrauchend, setzte das schöne Weib über jede Hürde.
Die Wiener erzählten sich jahrzehntelang Geschichten von ihrem sagenhaften Dünkel und ihrer herrischen Taktlosigkeit. Einmal sah sie sich genötigt, Clemens zuliebe, beim Bankier Eskeles zu dinieren, der jüdischer Abstammung war. Sie brachte ihr eigenes goldenes Tischbesteck mit und legte es, dasjenige des Bankiers entfernend, neben ihr Gedeck. Dem Mailänder Archäologen Labus ward eine Tee-Einladung zuteil. Er erschien ohne die vorschriftsmäßigen weißen Handschuhe, was die Fürstin veranlaßte, ihm von ihrem Bedienten auf silberner Platte ein Paar solcher Handschuhe überreichen zu lassen. Der Gelehrte ließ sich zum Glück nicht spotten; er übernahm die Handschuhe und legte dafür, unter den Augen der Fürstin, drei Silberzwanziger auf die Platte – den üblichen Kaufpreis. Auch das Frage- und Antwortspiel mit Liszt ist nicht übel. Liszt klavierzauberte in Wien zugunsten der Donau-Überschwemmten. Die schöne 239 Fürstin kam nach dem Konzert auf ihn zu und wußte ihm nichts anderes zu sagen als, auf französisch natürlich: »Vous devez faire beaucoup d'argent, Monsieur Liszt!« – »Non, Madame, je fais de la musique!« war die rasche Antwort. Aber das Allerschlimmste, was sogar eine diplomatische Demarche der französischen Regierung zur Folge hatte, sagte sie zum Grafen St. Aulaire, der damals der französische Botschafter Louis Philippes in Wien war. Louis Philippe, der sich nach Absetzung seines unfähigen Vetters Charles X. zum »König der Franzosen« hatte wählen lassen, galt deshalb in der reaktionären Wiener Hofgesellschaft schlankweg als Thronräuber. Auf einem Balle, als die Fürstin Metternich ein herrliches Diamantendiadem im Haar trug, bewunderte es der Botschafter und glaubte ihr, nach Art galanter Franzosen, ein Kompliment zu machen mit den Worten: »Ihr Diadem, Fürstin, ist ja schon fast eine Krone.« – »Zumindest habe ich sie nicht gestohlen!« blitzte die gereizte Schöne zurück. Ein paar Tage später mußte Metternich sich beim Botschafter St. Aulaire, der zu diesem Zweck bei ihm vorsprach, in aller Form entschuldigen. Metternich, ein Diktator von Geschmack, tat es in allerbester Haltung, indem er lächelnd um Verzeihung bat, mit den Worten: »Ich bin für die Erziehung meiner Frau nicht verantwortlich.«
In dieser Wendung, so gut gewählt sie war, lag nun allerdings zum erstenmal ein Eingeständnis eigener Schwäche, die auch Grillparzer, der größte österreichische Dichter, Zeitgenosse und Gegner des großen Staatsmannes, ihm vorwirft, wenn er, auf die Ungleichheit der Jahre zwischen den fürstlichen Gatten deutend, die bösartige Bemerkung macht, daß Metternich, infolge seines Alters nicht mehr imstande, »die rüstige Magyarin« auf andere Art zufrieden zu stellen, sie durch kleine Geschenke entschädigen müsse. So hätte er ihr die Zulassung der Jesuiten als Geburtstagsgeschenk gemacht und das Verbot der Mischehen als Neujahrsgabe. Es ist dies, von der 240 Politik abgesehen, ein heikler Punkt, den man am besten umgeht, wenn man feststellt, daß der dritten Ehe Metternichs in den ersten fünf Jahren vier Kinder entsprossen. Schließlich fühlte der Hausarzt Dr. Jäger sich veranlaßt, der jungen Frau Vorstellungen zu machen, weil sie den Fürsten zu sehr anstrenge. Melanies lebenslängliche Feindschaft war der Lohn und wahrscheinlich auch das Honorar des allzu gewissenhaften Leibarztes.
Natürlich fehlte es nicht an der üblichen Nachrede; der Unterschied der Jahre war ja auch wirklich zu groß. So glaubte man aus der Tatsache, daß der Halbverlobte von ehemals, Baron Hügel, in späteren Jahren das Ehepaar Metternich auf allen Reisen begleitete und in Gesellschaft stets hinter dem Fauteuil der Fürstin Melanie stand oder in ihrer nächsten Nähe saß, Schlüsse ziehen zu dürfen, die sicher ganz unbegründet sind. Baron Hügel mag ganz oder halb geheilt nach Wien zurückgekehrt sein und seinen Dienst in der Staatskanzlei wieder aufgenommen haben: die Fürstin Metternich war jedenfalls mit Leib und Seele Fürstin Metternich und sonst nichts. Im Anfangsstadium ihrer Ehe war sie rettungslos in ihren Clemens verliebt. Sie wollte immer neben ihm am Schreibtisch stehen, wenn er seine Depeschen revidierte, »weil es so ungeheuer interessant wäre«, ihm beim Schreiben zuzusehen. Als Anfang August 1830, wenige Monate vor ihrer Verheiratung, die Nachricht vom Ausbruch der Julirevolution unvermutet auf Schloß Königswart eintraf und den Staatskanzler sichtlich erschütterte, kniete die junge Komtesse, wie ein Augenzeuge zu berichten weiß, neben seinem Lehnstuhl nieder und küßte seine von ihren Tränen heiß überströmten Hände. Derlei spricht Bände, und erspart uns Bände, auch die von der Fürstin selbst geschriebenen ihrer sehr umfangreichen Tagebücher, in denen sie ihn immer nur »ce pauvre Clément« nennt. Auch das wieder, soweit es nicht ihrem Bedürfnis, Gnaden zu erteilen, entsprang, 241 nur ein Beweis ihrer Verliebtheit. Sie fühlte sich gedrungen, den so ziemlich glücklichsten und glückverwöhntesten Mann im damaligen Europa auch noch zu bemitleiden und ihn als eine Art Märtyrer seines hohen Amtes hinzustellen. Sie dichtete ihm eine Dornenkrone an, um seiner Fürstenkrone noch ein paar Zacken mehr hinzuzufügen. Andere Schlüsse aus dem wiederkehrenden »ce pauvre Clément« zu ziehen, wäre unstatthaft. Ursprünglich in ihn verliebt, hat sie ihn später nur noch vergöttert, das aber bis zu ihrem letzten Atemzug. Was nicht ausschloß, daß es eine zeitweise etwas stürmische Ehe war und daß ihm ihr ungezügeltes Wesen allerhand zu schaffen gab und ihn oft in Verlegenheit brachte; nicht nur wenn sie, nach einem Besuch beim alten Baron Rothschild, boshaft berichtet, Rothschild habe ihnen seine Kasse gezeigt, »das interessanteste Möbel im Hause«. Ihrem aus Ungarn mitgebrachten etwas lärmenden Gesellschaftsbegriff entsprach auch eine gleichfalls ungarische Großzügigkeit der Geldgebarung, die ihn zuweilen in arge Mitleidenschaft zog. Dann blieb sie ihre Rechnungen bei den Wiener Geschäftsleuten, die nicht zu mahnen wagten, länger, als erlaubt war, schuldig. Oder sie versuchte, sich ihren Putz etwas wohlfeiler zu verschaffen, indem sie Shawls und Spitzen, mit Umgehung der Zollbehörde, durch den diplomatischen Kurier von Paris nach Wien schmuggeln ließ. Metternich hat dies sicher mißbilligt und Melanie sich ebenso sicher über seine Mißbilligung hinweggesetzt.
Vom Erotischen abgesehen, wenn man davon bei einem Manne wie Metternich absehen kann, entsteht für den Erzähler seines Lebens die Frage, inwieweit der »öffentliche Charakter« des Staatsmannes von dem gefährlichen Altersunterschied in seiner dritten Ehe beeinflußt war. Es ist richtig, daß im siebenten Jahrzehnt seines Lebens klerikale Neigungen bei ihm deutlicher hervortreten, zweifellos unter Melanies Einfluß. Sie entstammte jenen bigotten Adelskreisen, die sich mit dem 242 Katechismus ebenso gut vertragen wie mit dem Gotha und, einem dogmatischen Kirchenglauben demütig-gebieterisch von Jugend auf ergeben, aus Herrschsucht fromm sind und aus Frömmigkeit herrschen wollen. So gelang es ihr, wie Grillparzers böser Blick richtig herausfand, den schwächer werdenden Mann zur Duldung der »Gesellschaft Jesu« zu vermögen. Auch gewöhnte sie ihn in seinen Greisenjahren daran, täglich die Messe zu hören, ihn, den Sohn der Aufklärung, der noch zehn Jahre, bevor sie die seine wurde, den Kopf gehoben hatte mit dem verbrieften Wort: »Ich mißtraue dem Lampenschein der Sakristei.« Aber eben darum war seine scheinbare Wandlung um des häuslichen Friedens willen keine ganz ernst zu nehmende. Metternich war viel zu sehr Sohn des vernunftgläubigen achtzehnten Jahrhunderts, um mit Überzeugung klerikal zu werden, wenn er sich auch dem Verdacht, es zu sein, zeitweise aussetzte. Von einer Herrschaft der Kirche über den Staat wollte er nichts wissen, in welcher Grundauffassung er mit Kaiser Franz wie auch noch mit seinem Nachfolger auf dem österreichischen Kaiserthron übereinstimmte. Noch der vierundachtzigjährige Kaiser Franz Joseph wies den Erzbischof von Trient von der Türe, als ihn dieser im zweiten Jahr des Weltkrieges zur freiwilligen Abtretung Südtirols an Italien zu bestimmen versuchte. Und doch war der Rat in diesem Falle der denkbar beste gewesen, den auch ein nichtkirchlicher Politiker dem Kaiser hätte erteilen können.
Hingegen kann man Metternichs dritter und letzter Frau den Vorwurf nicht ersparen, daß sie ihn, der nie volkstümlich gewesen war, dem Volke völlig entfremdete und schließlich ganz in seine Kaste einschloß. In ihrem Salon, der jetzt der Salon Metternichs war, verkehrten nur Adelige, und wenn sich einmal ein Bürgerlicher hin verirrte, so wurde er auf Wiener Art als Herr »von« angesprochen, um ihn durch Verleihung dieses Trinkgeldadels wenigstens für die Zeit seiner Anwesenheit 243 seines mitgebrachten Bürgerrechtes zu berauben. Das hatte böse Folgen noch bei Lebzeiten Metternichs, als die Achtundvierziger Revolution über ihm zusammenschlug. Damals und in den folgenden Jahren der Verbannung wurde die Rechnung präsentiert, und wieder war es eine der Gemahlin höchst unerwünschte Rechnung, obwohl sie selbst sie verschuldet hatte. Dennoch muß man der bis zur Hemmungslosigkeit rassigen Frau zugestehen, daß sie sich den Ehrenplatz an Metternichs Seite erst in diesem Abschnitt ihrer Ehe voll, auch vor der Geschichte, verdient hat. In den Jahren des Glückes eine Zumutung für ihre nichtadelige Mitwelt und eine immerwährende Geduldprobe für ihren Mann, bewährte sie sich völlig erst im Unglück. Sie hätte ihn auf ihren Armen aus einem brennenden Hause getragen, sie wäre für ihn ins Wasser gesprungen, um ihn zu retten oder mit ihm zu versinken, und sie hätte sich buchstäblich in Stücke hauen lassen für »ce pauvre Clément«. Je mehr sie ihn bemitleiden konnte, desto lieber hatte sie ihn.
Drei Ehen, alle drei mit Nachkommenschaft gesegnet, füllen, wie sie aufeinanderfolgen, sechzig Jahre im Leben dieses Frauenlieblings. Drei Frauen, die als Charakterbilder kaum mehr miteinander gemein haben, als daß sie alle drei eben Frauen waren. Mit welcher war er am glücklichsten? Wahrscheinlich mit der zweiten, der Gattin. Welche war die beste von den dreien? Wahrscheinlich doch die erste, die Frau. Sie hatte etwas vor den anderen und auch vor denjenigen, mit denen er nicht verheiratet gewesen war, voraus. Sie alle wußten, was sie ihm geben konnten, und gaben es. Nur sie, die gute Eleonore, wußte noch etwas mehr. Sie wußte auch, was sie ihm nicht geben konnte. Und zog sich beizeiten zurück. Und hat sich still davongemacht, selbstlos und klug. 244