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Man könnte ein Leben Metternichs in Spitznamen schreiben. Nach dem »Adonis des Salons« wurde er der »Comte de Balance«, der »Minister der Koalition«, der »Ministre Papillon«, der »Ritter Europas«, der »Großinquisitor Europas«, der »Kutscher Europas« und noch einiges andere, bis er zuletzt, nach einem schönen Worte des Dichters Hebbel, als die »Uhr Europas« zu schlagen aufhört. Man sieht, wie ihn in der zweiten Hälfte seines Daseins das Wort Europa nicht mehr verläßt. Die anderen Bezeichnungen verblassen, doch diese bleibt.
In jenen Jahren der politischen Badereisen und Kongresse, an denen Dorothy Lieven sentimentalen Anteil hatte, vollzog sich, zwischen Aachen und Verona, der Übergang vom Ritter zum Kutscher Europas. Der Besieger Napoleons war nachgerade fünfzig Jahre alt geworden, was auch Lieblinge des Schicksals, wenn ihnen Gott das Leben schenkt, auf die Dauer leider nicht vermeiden können, und die jugendliche Ritterrüstung verlor etwas von ihrem Maienglanz. Verona war der letzte Kongreß, an dem die Lieven aktiv und passiv nah beteiligt war. Aber auch schon zu ihren Zeiten führte der Kongreßort nicht immer 213 einen so romantischen Namen. Einmal hieß er Karlsbad, ein andermal Troppau, ein drittes Mal Laibach. Aachen und Verona waren Sonntage des Glücks gewesen; aber schließlich nahm der Wochentag seines Amtes ihn doch ganz in Anspruch.
Auf jedem dieser Kongresse wurde etwas anderes ausgekocht. In Troppau ging es um Neapel, in Laibach und Verona um Spanien. In Aachen wurde Frankreich in den Bund der Großmächte aufgenommen, die europäische Pentarchie, wie sie Metternich vorschwebte, verwirklicht. Aber auch in Karlsbad und Verona, überall setzte er seinen geschmeidigen Willen durch. Man glaubte ihm ein Kompliment zu machen, wenn man ihn den Kutscher Europas nannte; er war es wirklich. Es war in diesen Jahren seiner sanften Diktatur, daß sein guter, treuer, wenn auch zuweilen etwas bockiger Kaiser Franz in seiner immer spaßhaften Art von ihm sagte: »Wenn die Leut' ›Gott erhalte Franz den Kaiser‹ (die österreichische Volkshymne) singen, denk' ich immer bei mir selbst: Gott erhalte mir den Metternich!«
Die neue Machtfülle stellte ihn vor immer neue Aufgaben. Da war zunächst die deutsche Sorge, die ihn dauernd beunruhigte. Sie wuchs sogar nach Überwindung Napoleons, ja sie wurde in gewissem Sinne erst durch diesen ungeheuren Sieg hervorgerufen. Denn solang Deutschland in Ketten lag, genoß es die Begünstigung des Sklaven, sich über seine Zukunft keine Sorgen machen zu müssen, weil es nicht Herr seiner selbst war. Jetzt aber hatte es sich erhoben, und mit ihm erhob sich das deutsche Problem, das erst im Jahre 1870 durch Gründung des Deutschen Reiches eine, wie es scheint, vorübergehende Zwischenlösung fand. Das Problem bestand darin, daß ein Volk, das über Napoleon aus eigener Kraft gesiegt hatte, nun auch eine selbständige Nation werden wollte.
Im achtzehnten Jahrhundert war Deutschland ein Staatenbündel gewesen, über dessen Souveränitäten ein ohnmächtiger 214 Kaiser, mit den Landesherren zankend, stand. Der Kaiser war in den letzten vier Jahrhunderten stets der Habsburger gewesen, der in Wien saß und wenig Zeit zum Zanken hatte. Trotzdem machte dem von den Kurfürsten Gewählten der deutsche Reichstag nach Möglichkeit das Leben schwer.
Das sollte jetzt ganz anders werden, wie die deutschen Idealisten glaubten, hofften, träumten; vor allem der Freiherr vom Stein, auch er vom Rhein wie Metternich, aber Metternichs ideologischer Gegenspieler. Stein knüpfte an die Volkserhebung an, die notwendig gewesen war, um Bonaparte zu Fall zu bringen. Wenn sich alle deutschen Stämme zusammengefunden hatten, so war damit der klare Beweis erbracht, daß sie zusammengehörten, und so sollten sie auch beisammen bleiben. Ein nationales Deutschland unter einer alles übergoldenden Kaiserkrone sollte aus dem Schutt und der Asche des brüchigen alten Ständestaates entstehen, und diesmal sollte auch die Nation an der Herrschaft Anteil haben: die Nation, die im Felde geblutet und sich dadurch das Recht erkauft hatte, im Kronrat mitzureden. Den Begriff der Nation in diesem Sinne, als eines anspruchsvollen Rechtssubjektes, hatte erst die Französische Revolution geschaffen.
Kaiser Franz witterte diesen Zusammenhang mit der Revolution und lehnte bauernschlau ab. Wieder sagte er etwas Spaßhaftes, das in seiner Nüchternheit den Nagel auf den Kopf traf. Er meinte in bezug auf seine beabsichtigte Rückverwandlung in einen funkelnagelneuen deutschen Kaiser: »Wenn S' mich wieder so machen wollen, wie ich früher war, da dank' ich recht schön. Und wenn S' mich anders machen wollen, da wär' ich neugierig, wie S' das anstellen werden.« Das hätte Metternich nie sagen können, weil er, eine ganz unnaive Natur, weder die Ursprünglichkeit noch die Simplizität seines Allerhöchsten Herrn besaß. Doch war es, so oder so ausgedrückt, im Grund auch seine Meinung. 215
Diese Meinung war keine deutschfreundliche im nationalen Sinne. Was auch dadurch zum Ausdruck kam, daß Franz zwar die deutsche Kaiserkrone ablehnte, aber trotzdem den Vorsitz im Deutschen Bund behielt – ohne ihn persönlich auszuüben. Gesamtdeutschland wurde dadurch zu einem Annex Österreichs herabgewürdigt, wie es dies ja auch in den letzten Jahrhunderten mehr oder weniger gewesen war. Auch hierin war Metternich bewußter Reaktionär. Ein ohnmächtiges Deutschland und eine starkes Österreich waren seines Dafürhaltens die beste Bürgschaft für eine ruhige Weiterentwicklung Europas.
Aber da war auch Preußen, die aufstrebende Großmacht, und da war der König Infinitiv, Friedrich Wilhelm III., der im Mai 1815, als es noch einmal gegen Napoleon ging, seinem Volke, nämlich den Preußen, höchst unüberlegt eine Verfassung, ja geradezu eine Konstitution versprochen hatte. Das Wort Konstitution allein verursachte Kaiser Franz Leibschmerzen. Man erzählte sich in Wien, daß er seinen Arzt, den Doktor Stift, als dieser einmal die gute Konstitution Seiner Majestät rühmte, angewiesen habe, doch lieber »Leibesbeschaffenheit« statt Konstitution zu sagen.
Hierin nun wieder war Metternich ganz seiner Meinung. Er wollte von einer wie immer gearteten »Charte« nichts wissen, nicht einmal in der Nachbarschaft, und Nationalismus war in seinen Augen nichts anderes als Jakobinismus avant la lettre. Worin er, wie sich ein Jahrhundert später in Deutschland herausstellen sollte, nicht so unrecht hatte.
Es handelte sich also darum, Friedrich Wilhelm dahin zu bringen, sein Versprechen rückgängig zu machen oder, noch einfacher, nicht zu halten. Aber das war nicht so leicht. »Nun einmal Königswort verpfändet haben!« sagte oder dachte der hartköpfige König Infinitiv.
Politik ist Ausnützung der Fehler, die der Gegner macht; das war auch Metternichs Politik im gegebenen Falle. Der 216 Nationalismus ist eine Dummheit; also kann man damit rechnen, daß er auch manchmal Dummheiten macht. Die Rechnung stimmte.
Es gab im deutschen Volke nämlich eine nachebbende Freiheitsbewegung und eine aufgeregte Jugend, die sich auf deren Wellenkämmen schaukelte. Zumal die Studenten in ihren »Burschenschaften« und schon damals antisemitischen Turnvereinen gefielen sich hierin; sie soffen und gröhlten und sangen »in tyrannos«. Der nationale Schwindel wird auch daran merkbar, daß die sogenannte deutsche Revolution sich zunächst von der Bildung hochtragen ließ, um sich dann, im nächsten Jahrhundert, gegen die Bildung zu wenden.
Unter den Bildungsanstalten waren es vor allem die Universitäten und unter diesen wieder diejenige von Gießen, wo man revolutionäre Lieder brüllte, und von Jena, wo man die Parole »Blücher und Weimar« ausgab, die ihr »Freiheit, die ich meine« am heftigsten in die Welt hinausgeschrien. Zu diesem Zwecke veranstalteten auch die Studenten von Jena das sogenannte Wartburgfest, das im Oktober 1817 die Erinnerung an die Schlacht bei Leipzig mit der Dreihundertjahrfeier der deutschen Reformation verband. Bei dieser Gelegenheit kam es zur ersten Bücherverbrennung in Deutschland, welcher Vorgang keineswegs eine originale Erfindung des Nationalsozialismus ist. Unter den verbrannten Büchern befanden sich auch die Schriften des Lustspieldichters Kotzebue, den man verdächtigte, als russischer Spion im Dienste des Zaren Alexander der deutschen Freiheitsbewegung den Weg zu sperren. Es ist gefährlich, inmitten einer Volksbewegung ein Lustspieldichter zu sein oder gewesen zu sein. Die bloße Tatsache, daß ein paar Schreier seinen Namen vom Theaterzettel her kennen, genügt, um ihn als Volksfeind zu verschreien und zu erschlagen.
Auch der arme Kotzebue wurde bald darauf ums Leben gebracht, nachdem die Bücherverbrennung den nationalistischen 217 Nachwuchs auf seine Spur gesetzt hatte. Ein fanatischer Jüngling erdolchte ihn zu Mannheim, nah dem Hause, in dem Schillers »Räuber« »in tyrannos« aufgeführt worden war. Ein Dolch für einen Lustspieldichter: es hieß ihn gewaltig überschätzen, indem man ihm das Schicksal Cäsars bereitete und das spitze Eisen in seine unbewehrte Brust senkte. Die Spitzen seines Dialogs, die er im Rampenlichte schliff, waren nie bis ans Blut gedrungen. Höchstens, daß er damit die menschliche Torheit ein wenig an der Nase gekitzelt hatte.
Carl Sand hieß der jugendliche Brutus. Er war der Horst Wessel jenes Zeitalters, ein »schwarzer Bruder« aus Gießen, wo man die verbotenen Lieder sang. Der amerikanische Historiker A. Herman hat in sein Metternich-Buch eines davon aufgenommen, das die demagogische Romantik jener Tage am besten wiedergibt – eine gärende Mischung von Eichendorff und Marseillaise:
»Brüder in Gold und Seid',
Brüder im Bauernkleid,
Reicht Euch die Hand.
Allen ruft Teutschlands Not,
Allen des Herrn Gebot:
Schlagt Eure Plager tot!
Rettet das Land!
Dann wird's, dann bleibt's nur gut,
Wenn Du an Blut und Gut,
Wenn Du Gewehr und Axt,
Schlachtbeil und Sense packst!
Zwingherrn den Kopf abhackst,
Brenn, alter Mut!«
Solche Haßgesänge bleiben nicht ohne brausendes Echo. Unzufriedene Nachkriegsjugend, die auch damals die treibende 218 Kraft hergab, auf der einen Seite, getäuschter Idealismus auf der anderen brüllten und klatschten Beifall. War jene in den Burschenschaften verkörpert, so dieser, der Idealismus, in den Professorenkollegien, und beide hielten überall in Deutschland dicht zusammen. Auch blieb die Tat, die nach Metternichs Wort »auf die Lehre folgte«, nicht ohne Nachfolge. Attentate beunruhigten den nach Lavendel duftenden Frieden der »Kongreßzeit«. Es blitzte in Deutschland und Frankreich, es wetterleuchtete in Italien, wo die Carbonari am Werke waren, zuweilen schlug es auch ein. In Nassau fand der Staatsminister von Ibell in einem gewissen Löning seinen Brutus, in Paris wurde der Duc de Berry im Theater von Freiheitsfreunden erdolcht. Dorothy Lieven begräbt ihn in einem ihrer Briefe an Metternich mit einer einzigen unbarmherzigen Zeile: »Er war niemand, aber er wurde ermordet!« Immerhin, es war das vierte Attentat im Verlaufe weniger Monate.
Metternich, der die Fälle zählte, schaute gelassen zu wie die Spinne im Netz. Nicht umsonst hatte er eine besondere Vorliebe für Spinnen; er konnte sie, wie er uns einmal verrät, stundenlang beobachten. Mag sein, daß er sich auch diesmal ein Muster an ihnen nahm; denn bald nach dem Anschlag des Carl Sand traf er sich in Teplitz mit dem König Infinitiv, den die Ereignisse um so mehr erschreckt hatten, als Gießen, wo die »Schwarzen Brüder« hausten, eine preußische Universität war. Was tun? Er habe keine Minister, auf die er sich verlassen könne, klagte der König, darum müsse er sich Rat bei Metternich holen. Metternich machte sich diese unkönigliche Haltung seines Gegenübers sofort zunutze, indem er dem König die Tatsache unter die Nase rieb, in diplomatisches Silberpapier gewickelt natürlich, daß Hardenberg, der Metternich Friedrich Wilhelms III., alt und taub sei und sich auf die Zeit nicht mehr verstehe. Der verschreckte Monarch gab seinen Minister nicht gleich preis; er sagte nur, daß er eine Zusammenkunft zwischen 219 Metternich und Hardenberg schleunigst veranlassen wolle, Fürst Metternich möge dann selbst seinem Kanzler die Richtung weisen. Es gäbe nur eine: keine Konstitution, sagte Metternich hart. Und der König fügte sich. Er brach sein dem Volke verpfändetes Wort.
Es ist ein Wendepunkt in der deutschen Geschichte. Denn mit dem Überwiegen der preußischen Reaktion war auch das Übergewicht des reaktionären Österreich im Deutschen Bunde für längere Zeit gesichert und die Gründung eines deutschen Einheitsreiches um ein weiteres halbes Jahrhundert vertagt. Zweifellos entsprach dies Metternichs Wünschen, vor allem seiner tiefen Abneigung gegen den deutschen Nationalismus, dessen turnerisch auftretende Bierbankbegeisterung ihm fürchterlich und widerwärtig war. Dennoch ist es höchst ungerecht und widerspricht der klaren Abfolge geschichtlicher Tatsachen, wenn man Metternich und ihn allein für eine Entwicklung verantwortlich macht, die Preußen zumindest in gleichem Maße wie Österreich verschuldet hat. Preußen war immer ein antidemokratisch regiertes Land und mußte es nicht erst unter Österreichs Einfluß werden. Am preußischen Herrengeist und Militärstiefel wurde auch damals, nach der Niederwerfung Napoleons, das dem Volke verpfändete Königswort zuschanden. Hätte Friedrich Wilhelm es halten wollen, so hätte er dies bereits 1815 tun können und hätte nicht bis 1817 warten müssen, um es schließlich unter Heranziehung eines Mitschuldigen zu brechen. Teplitz war nur ein scheinheiliger Vorwand für Berlin.
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Indessen kutschierte Metternich ruhig und besonnen auf geebnetem Wege weiter. Er straffte die Zügel wie in Deutschland, so in Italien und Spanien, da und dort die Ereignisse sich klug zunutze machend. Überall bekundeten die Könige neuestens 220 eine Neigung, ihre Völker als erwachsene Menschen zu behandeln, es war offenbar eine Nachkrankheit der Französischen Revolution, die sie befiel; überall mußte ihnen die Lust, Konstitutionen zu gewähren, erst ausgetrieben werden. Da und dort waren sogar bewaffnete Interventionen nötig, um sie davon abzubringen. Es waren leichte, rasche Kriege, im Ausland geführt, die dem Diktator Ehre machten. In Spanien überließ er es Frankreich, namens der Pentarchie zu intervenieren; in Neapel machte er selbst Ordnung und gleich darauf auch in Piemont, es ging in einem. Beide Könige mußten die von ihnen feierlich beschworenen Verfassungen wieder zurücknehmen, dann durften sie, gezügelt, weiterregieren. Alles ging wie am Schnürchen.
Es ging auch sonst wie am Schnürchen, nur daß man mählich älter wurde; daran durfte man nicht denken. Hin und wieder gab es ja noch hübsche Augenblicke, die es einen vergessen ließen, auf Schloß Herrenhausen in Hannover zum Beispiel, wo eines Tages der König von England in Begleitung seiner Damen, darunter auch Dorothy Lieven, von der einen Seite, Fürst Metternich von der anderen Seite ankamen. Ein russisch-türkischer Krieg sollte verhindert werden und wurde glücklich verhindert. Übrigens kam auch Graf Lieven erst acht Tage später an, weil er mittlerweile in Petersburg den Zaren hatte bearbeiten müssen. Es war nach jeder Richtung hin ein voller Erfolg. Beim Abendempfang saß Dorothy neben dem Zaren auf dem Kanapee der Fürstlichkeiten, so daß ihr sogar die Prinzessinnen von Geblüt im Range weichen mußten, und beim Abschied umarmte der König von England den Fürsten Metternich dreimal nacheinander, ein, wie man behauptete, in der Geschichte des englischen Hofes unerhörter Fall, und flüsterte ihm dabei einen Schiffskatalog von großen Männern ins Ohr, deren Namen er den seinen anreihte: Minos, Themistokles, Cato, Cäsar, Gustav Adolf, Marlborough, Pitt und Wellington. 221 Besonders über den Cato mag Metternich mit Dorothy gelacht haben, als sie einander ein paar Tage später in Frankfurt noch einmal trafen und bei Rothschild speisten. Auch nicht übel.
Ganz ähnlich wird Metternich ein paar Jahre später auch in Paris gefeiert werden, von Charles X. Er konnte sich jetzt schon eine ganz hübsche Sammlung von königlichen und kaiserlichen Trabanten anlegen, zu denen auch Alexander von Rußland gehörte. Er, der sich im Kongreß hatte mit ihm duellieren wollen, war jetzt ganz und gar Metternichs Geschöpf geworden und verleugnete ihm zuliebe mit Passion seine vormaligen Grundsätze eines mystisch verstiegenen Liberalismus. Als Metternich einmal im Gespräch mit ihm sich respektvoll darüber wunderte, begründete der Zar seine Wandlung mystisch damit, daß seit 1813 sieben Jahre vergangen wären. Er hatte siebenjährige Überzeugungen.
Diese ersten Jahre der Metternichschen Diktatur waren seine besten. Die Genugtuungen der Macht waren noch in Lebenslust gebettet, der Staatskünstler und der Lebenskünstler hielten einander die Waage. Was Goethe im »Faust« seinem jungen Kaiser warnend zuruft: »Du willst regieren und dabei genießen« (das Wort stammt von Maria Theresia), das brachte der bedeutend ältere Metternich um diese Zeit, da Politik und Liebe Hand in Hand gingen, tatsächlich manchmal zuwege. »Epaphroditus« sprachen die späten Römer den mit Rosen bekränzten Cäsar schmeichelnd an. Er war es in diesen anakreontischen Jahren im Nachgenuß seiner Triumphe: »Epaphroditus« . . . Trotzdem, Politik und Liebe ergeben ein ungleiches Gespann und immer ist es die Politik, die schließlich die Liebe überrennt. Das sollte auch dieser Fürst des Lebens mit seinen »Four-in-hand« früh genug erfahren. Die Rosen welkten. Enttäuschung belauerte die Erfüllung. 222
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Mittagshöhe eben noch, und schon fallen die Schatten schräger über seinen Weg. Metternich, der in allem Glück – »ein unverschämtes Glück« hatte, drückte sich Madame Rémusat aus –, hatte es nur in seinem eigenen Hause, in seiner Familie, nicht. Vielleicht war es ihm da versagt, weil er zuviel in fremden Häusern, in fremden Familien es suchte; vielleicht war es umgekehrt, daß er eben darum dem Glück außer Haus so eifrig nachjagte, weil zu Hause das Unglück auf ihn wartete. Zwei von den sieben Kindern, die ihm die kuhäugige Eleonore mit den Ringellöckchen – kuhäugig im homerischen Sinne – gebar, starben noch ganz klein in seinen jüngsten Ehejahren, und jetzt, da er sich den Fünfzig näherte, folgten zwei erwachsene nach. Zuerst machte sich die sechzehnjährige Clementine – nicht zu verwechseln mit jener anderen Clementine aus der Dresdener Zeit, der Tochter von Madame Bagration – still und lieblich davon, traurig-süß und schauerlich-hold, wie die Töne von Schuberts »Der Tod und das Mädchen« sich verflüchtigen. Das schöne Kind wußte noch nicht einmal, wie schön es war, und Metternich erzählt gerührt, wie sie zusammen spazierengingen und die Männer seine Clementine anstarrten und sie nichts anderes zu sagen wußte als: »Diese Leute müssen noch nie einen Hut gesehen haben wie den meinen.« Oder verlegen an ihrem Kleide zu zupfen begann, ob auch alles daran in Ordnung wäre . . . Clementine starb im Mai, und schon im Juli des gleichen Jahres folgte ihr die dreiundzwanzigjährige Marie, verehelichte Gräfin Esterházy. Es war diejenige, mit der Metternich im Kongreß lebende Bilder gestellt hatte, während zwei Botschafter im Vorzimmer vergeblich auf ihn warteten, was ihm der preußische Gesandte so sehr verübelte. Sie war seine Lieblingstochter, seine Kameradin, Freundin, sein besseres Selbst, wie er sagte; kein Gedanke ging durch ihr Köpfchen, den er nicht hätte denken, kein Wort über ihre Lippen, das er nicht hätte sagen mögen. Er widmet ihr anläßlich ihres 223 Hinscheidens Worte der größten Zärtlichkeit, wie wir ja überhaupt, wenn wir von der Beziehung zu seinen Kindern reden, die wärmste Stelle in Metternichs Gemüt berühren. Er war kein guter Gatte, ein besserer Liebhaber, ein guter Vater und bei Marie war er der beste. In dem Briefe, den er anläßlich ihres Ablebens schreibt, wird er beinahe zum Dichter, wie auch die im Grunde gemütlose Gräfin Lieven – auch sie eine vortreffliche Mutter übrigens – es in ihrem Beileidsschreiben wird. Zwar spricht sie bereits in der fünften Zeile von was anderem, nämlich von der Revolution in Neapel, die ihr großer Freund niederzukämpfen im Begriffe steht, aber am Schluß ihres Schreibens findet sie sich und ihn und sein Herz wieder mit der frauenhaft schönen Wendung: »Ich erleide Ihren Schmerz, wie ich Ihren Ruhm genießen werde.«
Die Todesursache war in beiden Fällen das ererbte Lungenleiden. Auch Eleonore war davon befallen, auch sie sollte ihm in verhältnismäßig jungen Jahren erliegen, wozu die zahlreichen Kindbetten das ihre beigetragen haben mögen. Zur Zeit war sie bereits krank, und auch die drei Kinder, die von den sieben noch blieben, waren anfällig und von einem schleichenden Übel bedroht, dem damals die Hälfte des Wiener Nachwuchses zum Opfer fiel. Nicht umsonst nannte die ältere medizinische Schule die Tuberkulose den »morbus Viennensis«, die Wiener Krankheit. Der Granitstaub des Wiener Straßenpflasters begünstigte ihre Entwicklung ebenso wie die mangelnde Gesundheitspolizei und die Ahnungslosigkeit der Herren Ärzte. Man behandelte die Lungenschwindsucht, statt ihre Ursache zu bekämpfen, mit Hustenpulvern und Molkenkuren. In dem erleuchteten Metternichschen Kreise war man um einen halben Schritt weiter. Der Hausarzt empfahl die Übersiedlung in ein milderes Klima. Noch im selben Jahre nahm die Fürstin mit ihren drei Kindern in Paris ihren Aufenthalt, wo sie bis zu ihrem wenige Jahre später erfolgten Ableben verblieb. 224
So war Metternich plötzlich allein. Die Frau in Paris, die Freundin in London: ihm blieb nichts als seine geliebte Staatskanzlei, von der er sich nicht trennen durfte. Einsamkeit begann ihn zu umgeben, die letzte Gefährtin der Diktatoren, die alle Freundschaft, alle Liebe überlebt.
Doch sprach sie in seinem Falle wenigstens nicht das letzte Wort. Sie bildete nur eine Art Übergangszustand, der seine Regententugenden zur letzten Reife brachte: seinen Fleiß, seine Wachsamkeit, seine Zähigkeit und seine hohe Kunst der Menschenbehandlung. Man darf sagen, daß sie nie schöner im Flore standen als in diesen stillen Jahren, um sein fünfzigstes herum, in denen er eine ungeheure Machtfülle geräuschlos verwaltete und nur noch hin und wieder einen Mitternachtsbrief an Dorothy Lieven schrieb.
Er war jetzt tatsächlich der Kutscher Europas. Aber um welchen Preis? Der Diktator des Erdteils, war er zugleich der Sklave seines Kutschbocks geworden.
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Wie Talleyrand noch auf seinem Sterbebette, vierundachtzigjährig, einen letzten Staatsvertrag machte – nämlich mit dem lieben Gott –, so gewann der zu seinem sechsten Jahrzehnt ansteigende Metternich noch eine letzte Geliebte: die Politik. Er blieb ihr treu bis an sein Ende, obwohl sie ihn später bitter enttäuschte.
Er regierte und tat nichts anderes mehr. Wo waren die Zeiten, da er von sich hatte sagen können: Mein Kopf gehört der Welt, mein Herz gehört mir allein und ich kann darüber verfügen. Jetzt hatte er kein Privatleben mehr. Sogar bevor er ans Sterbebett seiner Frau nach Paris fuhr, mußte er bedenken und bedachte er, ob dieser Schritt nach Paris nicht vielleicht als eine versuchte Annäherung an das englische Kabinett politisch 225 mißdeutet werden könnte. Und er verschiebt die Reise, »bis sie unumgänglich werden sollte«. So hat er auch an dem Tag, an dem seine überaus geliebte Tochter Marie starb, wie er brieflich bezeugt, einem sechsstündigen Ministerrat vorsitzen und dann noch weitere vier Stunden den Verhandlungsstoff im Büro aufarbeiten müssen. Wo blieb sein Herz? Es blieb ausgeschaltet.
Schließlich ließ sich die Reise nach Paris, die er nur im Falle unbedingter Notwendigkeit antreten wollte, nicht länger vertagen. Die Notwendigkeit wurde wirklich unbedingt; denn Eleonore, mit der er achtundzwanzig Jahre lang verheiratet gewesen und sieben Kinder hatte, starb. Er kam ein paar Tage vor ihrem letzten Seufzer in Paris an, wo er seit 1815 nicht mehr gewesen war, saß an ihrem Sterbebette und widmete ihr, als es so weit war, einen schönen brieflichen Nachruf. Er nennt sie eine schöne Seele und die beste Mutter. Dem Tod mit christlicher Fassung entgegengehend, verwendete sie den kleinen Rest von Atem, der ihr noch blieb, dazu, ihren Kindern Ratschläge für ihre Zukunft zu geben und ihrem Mann zu danken für alles, was er ihr »gegeben oder nicht gegeben habe« (for what I have done or not done for her). Ein Reuelaut, den er rasch wieder unterdrückt, um gefaßt fortzufahren in der Beschreibung ihrer letzten Stunden. Sie hätte nicht geklagt und in ihrer tiefen Gottgläubigkeit zu ihrem Vater heimgefunden. Er hätte einen unersetzlichen Verlust erlitten; die Vorsehung hätte es so gefügt . . . Er spricht wie im Ministerrat.
Und nicht der Gatte, nicht der Vater, der Politiker hat das letzte Wort in diesen schweren Pariser Tagen. Das von ihm Befürchtete wenigstens sei gottlob nicht eingetreten, im Gegenteil, die Reise hätte den besten Eindruck gemacht; nämlich auf Cannings. »Ma présence ici ne manquera pas d'avoir des bons résultats.« Wir atmen auf. Auch schildert er alsbald mit etwas primadonnenhafter Eitelkeit, wie er sich umworben sieht: 226 »Minister, Stellenjäger, Ultra-Legitimisten, Bonapartisten, Jakobiner und Jesuiten – ein wahres Tal von Josaphat« – drängen sich in seinem Vorzimmer. Der Erzbischof von Paris macht ihm seine Aufwartung. Der König lädt ihn zum Essen ein und verleiht ihm den Orden vom Heiligen Geist; er versichert ihn seiner Dankbarkeit und bietet ihm seine Freundschaft an. »Le Roi, le ministère et tous les gens bien pensants sont venus au devant de moi, d'une façon qui indique la position élevée que l'Autriche occupe aujourd'hui«, berichtet er an Kaiser Franz, sich und Österreich identifizierend. Ein andermal bedient er sich der bezeichnenden Wendung: »Notre pays ou plutôt nos pays.« Denn schon hat der Kutscher Europas, wenn er etwas entscheidet oder vollbringt, »wir« sagen gelernt, wie alle Diktatoren. Oder soll man sagen: wie alle Kutscher? 227