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Ein Strandgut der Französischen Revolution, wurden die Metternichschen in Wien ans rettende Ufer gespült. Zweck der Reise, zu der man sich im Düsseldorfer Familienrat entschloß, war, den grollenden Kaiser zu versöhnen; er grollte, weil Papa Metternich, den er zum Gouverneur der Niederlande gemacht hatte, ohne die Niederlande zurückkam. Aber leider war nicht einmal eine Einladung zur Rechtfertigung in diesem Punkte vom Hofe ausgegangen. Weder der Kaiser noch die beiden Staatsminister Thugut und Kobenzl, noch Graf Trauttmansdorff, der dem Grafen Metternich besonders aufsässig war, schienen neugierig zu sein, was er ihnen zu sagen hatte. Also mußte man nach einem schicklichen Vorwand suchen, um nach Wien zu kommen, wo sich dann erst alles Weitere ergeben mußte. Man fand ihn in dem vernachlässigten böhmischen Gut Königswart, dem nun auch, nach dem Verlust der linksrheinischen Besitzungen, eine höhere wirtschaftliche Bedeutung zukam. Das Gut lag so ungefähr in der Mitte zwischen Düsseldorf und Wien, so daß es sich von selber machte, wenn man den jungen Clemens dorthin abzweigen ließ, während der schiffbrüchige Gouverneur und seine Frau die Fahrt in angemaßter 27 Eile fortsetzten. So hatte alles eine Form und man konnte sich in Wien notdürftig einrichten, bevor der schon von seinen Londoner Erfahrungen umwitterte Herr Sohn, an dem das Herz der Gräfin Mutter viel mehr als an ihrem Manne hing, etwa vierzehn Tage später nachkam.
Es war Ende November 1794, als die Familie Metternich, ihr Schicksal bebrütend, zu Wien in trübseliger Stimmung wieder vollzählig versammelt war. Der November ist kein kleidsamer Monat für Wien, das übrigens damals noch keine schöne Stadt wie Paris oder London war; es hatte Schönheiten, aber es war nicht schön. Sein größter Reiz, die Umgebung und die großen Gärten der Randbezirke, kamen im Winter nicht zur Geltung. Die »Innere Stadt«, in der »man« wohnte und wo sicher auch die Metternichs zunächst abstiegen, war gartenlos, eng und unsauber. Die Straßen und Sträßlein labyrinthisch verstrickt; das Pflaster holprig, von Unrat bedeckt. Die feinen Leute, die man in Wien die »besseren« nannte, setzten keinen Fuß auf den schmutzigen Boden, der nicht einmal durchaus gepflastert war. Sie schwebten in ihren Karossen und Sänften über den Unrat hin. Und bei Nacht liefen ihren Wagen fackelschwingende Bediente voran, die ganze Straßenbeleuchtung zu jener Zeit. Wenn gerade niemand vorüberfuhr oder mit einer Laterne in der Hand daherstolperte, war es stockdunkel.
Es ist die Frage, ob die Metternichs um jene Zeit fackelschwingende Bediente hielten. Aber dafür hatten sie einen Sohn, der sie ihnen vielleicht wieder würde verschaffen können. Gräfin Marie Beatrice mag in diesen Tagen öfter und verliebter noch als sonst in seine blauen, klugen Augen geblickt haben und auf das hintergründige Lächeln, das seinen jungen Genießermund neuestens sichtbar umspielte. Dieses weltmännische Lächeln hatte er aus England mitgebracht, wer weiß, welche schöne Lady es ihm aufgeküßt hatte? Jedenfalls, Constance, von der die Mutter natürlich wußte, wie von allen seinen 28 Liebschaften, war jetzt nicht mehr die einzige, das sah man ihm deutlich an. Um so besser, wenn sie nicht die einzige war, dachte die zärtliche Mutter. Welch ein Glück, dachte sie, daß die Frauen, was sie in der Mehrzahl anstellen, in der Einzahl immer wieder gutmachen können. Und sie schaute kummervoll und etwas bitter zu ihrem Mann hinüber, der den Wiener Hübschlerinnen und Graben-Nymphen, wenn er zum Weine ging, nicht ungern nachstieg.
In dieser Hinsicht waren für Vater und Sohn in Wien Bekanntschaften leicht gemacht, aber ansonsten ließ es sich ziemlich schwierig an, den notwendigen Anschluß zu finden. Die Gesellschaft, die in den Augen der Gräfin Metternich wie ihresgleichen mit dem Adel identisch war, schloß sich ab, wie die Innere Stadt sich hinter ihren Basteien verschanzte, Wälle schnürten sie ein, durch die nur wenige Tore wie Wespenlöcher hindurchführten, und ganz ähnlich verhielt es sich auch wieder mit der Gesellschaft. Man mußte in Wien die Wege und Durchhäuser kennen, und der Fremde kannte sie naturgemäß nicht. Auch war man in diesen Kreisen nicht allzu liebenswürdig gegen die Fremden, zumal solche, die aus Deutschland kamen. Man machte es genau, wie Metternich selbst es fünfzig Jahre später machen wird: katzenfreundlich gegen Franzosen und Engländer, blieb man gegen Leute, die ein gutes Deutsch sprachen und sich darauf etwas zugute taten, eher etwas kratzbürstig; »hoppetatschig« hieß es im Gretzel. Der Verlust von Schlesien war noch nicht verschmerzt, und auf die Preußen hatte man eine Wut in der Gesellschaft, die sich »G'sellschaft« nannte und fühlte. Es ist wahr, die Metternichs waren Rheinländer und katholische Grafen. Aber das war, aufs Gesellschaftliche hin angesehen, auch so ziemlich alles, was man von ihnen wußte. Sie waren eben »Zugewanderte« und, wie die Gesellschaft gleich herausfühlte, nicht eben freiwillig, sondern weil es ihnen schlecht ging, Zugewanderte. Das hat man nirgends gern, und 29 schon gar nicht in Kreisen, die sich auf ihre Exklusivität etwas einbilden und untereinander eine einzige große Familie bilden, zu der man gehört oder nicht gehört. Und die Metternichs gehörten eben nicht dazu. Sie waren nicht »liiert«, sie hatten keine »Attachen«, ja nicht einmal Verwandte hatten sie, mit denen man, wenn auch nur von fern, aber doch »irgendwie« verwandt gewesen wäre. Wenn man das in den Anfangsstadien einer Bekanntschaft so beliebte Spiel des »Stammbaumkraxelns« spielte, das heißt, die Familien- und Geschlechterleiter im Gespräch gewandt auf- und abturnte, um schließlich erfreut festzustellen, daß der Vetter von der einen Seite mit der »Tant'« von der anderen »ums Eck« verschwägert war – so schaute auf diesem Weg und Umweg bei den kürzlich »Zugereisten« leider soviel wie gar nichts heraus. Allenfalls erfuhr man oder wußte auch schon, daß sie ein paar Fürstbischöfe in der Familie und sechzehn Quartiere hatten. Aber sogar das machte keinen entscheidenden Eindruck. Die Wiener Aristokratie, die hochmütigste der Welt, kocht am liebsten im eigenen Saft und findet sich dabei äußerst schmackhaft. Also ließ man den abgetakelten Gouverneur »in Ungnade« links liegen und sparte fürs erste mit Dusagen und Einladungen, Auszeichnungen, wie sie sonst einem, der »dazug'hört«, leicht zuteil werden. Man »schaute sich«, wie man in Wien sagt, »nach ihnen nicht viel um«.
Aber indem man sich zu dieser wegschauenden Haltung bequemte, hatte man außer Betracht gelassen, daß der abgetakelte Gouverneur in Ungnade auch eine Frau besaß. Die nahm den Kampf auf und setzte sich zur Wehr. Ohne viel überflüssige Besuche zu machen und auf Einladungen zu warten, die nicht kamen, erinnerte sich Gräfin Marie Beatrice in diesen ersten Wiener Wochen, woran sie sich vermutlich schon in Düsseldorf erinnert hatte: daß sie mit einer Schwiegertochter des Staatskanzlers Kaunitz, jetzt Fürstin Ernest Kaunitz, zusammen die Schule besucht hatte, die sicher eine Klosterschule gewesen war. 30 So was bindet, so was hält, auf so was läßt sich in späteren Jahren bauen. Und Gräfin Marie Beatrice baute. Die Schulfreundin hatte eine Tochter, die neunzehn Jahre alt, nicht besonders hübsch, aber gut gewachsen, ausgezeichnet erzogen, gar nicht dumm und – Hauptsache! – die einzige Enkelin des jüngst verstorbenen großen Kaunitz war. Clemens war gerade zweiundzwanzig, gut geboren, bildhübsch und über den Durchschnitt begabt. Die Mutter nahm ihn an der Hand und führte ihn in das Haus der Jugendfreundin. Die schaute sich den jungen Menschen an, dann rief sie ihre Tochter Eleonore herein, die vor der Gräfin Mutter einen tiefen Knicks machte, bevor sie dem Sohn errötend die Hand reichte. Es gab Gottseidank auch ein paar Schwierigkeiten. Leonores Vater, der Fürst, fand, daß der junge Herr ein bißchen zuviel Erfahrungen mit Frauen habe; auch war er arm und Eleonore reich. Was lag daran? Sie konnte sich doch »alle zehn Finger abschlecken«, wie man in Wien sagte, als er um ihre Hand anhielt. Fürst Ernst Kaunitz sagte zögernd Ja. Als er es sich abrang, stellte sich heraus, daß seine Tochter schon vor ihm Ja gesagt hatte. Sie wäre mit Clemens durchgegangen; und später wohnte sie mit ihm im Palais Kaunitz, der späteren Staatskanzlei am Wiener Ballhausplatz.
Als dieser Handel sich abspielte, denn von seiten Metternichs war es ein Handel, eine »Vernunftehe«, wie er Jahre nachher selbst zugestand, besserte sich die gesellschaftliche Stellung der vom Rheinland Zugereisten im Handumdrehen. Die aufsässigen Minister Trauttmansdorff und Kobenzl versöhnten sich mit dem Grafen Franz Georg, Thugut wurde wieder gut mit dem ehemaligen Gouverneur und der Kaiser gewährte ihm eine Audienz zuerst, dann eine Gnadengabe von vierzigtausend Gulden als Entschädigung für seine linksrheinischen Besitzungen und am Ende sogar ein Ruhegehalt von achttausend Gulden jährlich bis zur etwaigen Wiederverwendung. Der 31 Kaiser war bekannt sparsam; und wenn er es in diesem einen Falle nicht war, so konnte man daran das hohe Ansehen der Familie Kaunitz ermessen. Gräfin Marie Beatrice hatte richtig kalkuliert und mit einem einzigen Schachzug die Partie gewonnen. Sicher suchte sie sich die Leute, die sie nicht gleich eingeladen hatten, bereits im Gotha zusammen, um sie nun auch ihrerseits, nach einem bestimmten Turnus, nicht einzuladen. 32