Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.
Kampf und Sieg


Ilse an Frida.

 

Ivy-Lodge, den 13. Juni 1877.

Mein Herzens-Fridchen!

Schon drei Wochen sind seit unserer Trennung verflossen, und noch immer bin ich Dir den ausführlichen Brief schuldig geblieben, den ich Dir neulich verhieß. Nicht, daß ich Deiner nicht gedacht hätte – ach, Frida, meine Gedanken sind nur zu oft daheim und bei Dir, und das Herz tut mir oft weh vor heißer Sehnsucht nach meinen Lieben. Geht es Dir auch so? ist Dir die Fremde auch so grenzenlos fremd und bedrückend? oder haben sich die ersten freundlichen Eindrücke bei Dir bewährt? Ich war doch immer die Mutigere, Sicherere von uns beiden, aber jetzt habe ich ein Gefühl, als schwankte der Boden unter meinen Füßen, als könnte ich keinen festen Schritt tun. Doch ich will nicht mit Klagen beginnen, sondern Dir vor allem ein Bild meiner Umgebung entwerfen, wovon viel Gutes und Schönes zu sagen ist.

Was »Komfort« ist, lernt man erst in England kennen, und da sieht man auch ein, daß sich das Wort gar nicht übersetzen läßt. Von dieser förmlich ausgeklügelten Behaglichkeit und Bequemlichkeit des täglichen Lebens hat man bei uns gar keinen Begriff, wenigstens nicht in den Häusern, die wir kennen. Vor allem hörst Du nichts im Hause; alles geht einen ganz geräuschlosen Gang, alle Treppen, Gänge, Zimmer sind mit dicken Teppichen belegt, die jeden Fußtritt dämpfen. Keine Tür knarrt – Fridchen, weißt Du wohl, wie in unserem geliebten Vaterhause in Seewalde jede Tür ihr eigenes, persönliches Geknarre hatte, so daß wir in unserem Stübchen oben genau unterscheiden konnten, welche geöffnet wurde? Hier gibt es nichts von solchen Geräuschen, sogar die große, alte Uhr in der Halle tickt ganz unhörbar. Und etwas von dieser Geräuschlosigkeit haben auch die Menschen an sich; sie sprechen in einem gleichmäßigen, gedämpften Ton, sie lachen niemals laut, sondern lächeln nur und zucken bei einem frischen Naturlaut zusammen, als ob ihre Nerven unsanft berührt würden. Auch die Dienerschaft bewegt sich lautlos; jeder kennt seine Pflichten so genau, und sein Wirkungskreis ist so scharf begrenzt, daß er kaum eines Winkes, selten eines Befehls bedarf.

Die Wohnräume sind mit großer Pracht eingerichtet. Das schönste Zimmer ist das drawing-room mit seinen Gardinen von dunkelrotem Seidendamast, die von vergoldeten Rebengewinden herabhängen und von schweren Goldquasten zurückgehalten werden. Die weißen stores darunter sind gewöhnlich zugezogen, aber die Fenster dahinter geöffnet, so daß immer eine frische Luft durchs Zimmer weht. Den Mittelpunkt der ganzen Einrichtung bildet der Kamin, und etwas Anmutigeres und Behaglicheres läßt sich gar nicht denken. Die Einfassung aus schneeweißem, schön gearbeitetem Marmor, das fender (Kamingitter) aus zierlichster Bronzearbeit, die mancherlei Geräte mit den spiegelblanken Stahlgriffen, die dicke, haarige Decke, der rug, davor – dann die bequemen, niedrigen Sessel, die hübschen Kaminschirme, der breite Spiegel darüber, die reizenden Figürchen, Leuchter und Urnen oben auf der vorspringenden Marmorplatte, dem chimney-piece – das alles ist ein wahres Ideal des häuslichen Herdes für die »obersten Zehntausend« im reichen England. Einen eigentlichen Sofaplatz, wie wir ihn überall als Hauptstück der Zimmereinrichtung haben, scheint man hier nicht zu kennen; in der Mitte des Zimmers steht ein runder Tisch, der mit Prachtwerken bedeckt ist, während auf den Seitentischchen eine solche Fülle entzückender kleiner Kunstwerke aus Elfenbein, Muscheln und geschnitztem Holz aufgestellt ist, daß man in einem Museum zu sein glaubt. Bequeme Sitzplätze gibt es in Menge, aber hauptsächlich Stühle aller Art, die einladende kleine Gruppen bilden. Herrliche Ölgemälde in kostbaren Rahmen schmücken die Wände, und noch immer, wenn ich dies Prunkgemach betrete, empfinde ich eine ehrfürchtige Scheu, als träte ich in die Wohnung eines Königs.

Ich kann Dir alle die anderen Räume nicht ausführlich beschreiben, obgleich sich von dem Speise- und dem Balkonzimmer oder der Bibliothek noch manches sagen ließe; ich führe Dich lieber gleich in mein eigenes Reich im oberen Stock. Es besteht aus einer kleineren und einer größeren Stube; in dieser schlafe, in jener wohne ich. Bei uns würde man es gerade umgekehrt machen, aber in England braucht man so viel Luft zum Atmen und so viel Wasser zum Waschen, daß diese Einrichtung natürlicher ist. Das riesige Bett mit den schneeweißen Gardinen und der umfangreiche Waschtisch mit seinem ganzen Zubehör brauchen viel Raum; die Fenster bleiben bei Tag und Nacht in die Höhe geschoben, so daß beide Räume immer frisch und luftig sind. Bei uns würde man sich den Zugwind manchmal höflichst verbitten, aber hier hält man ihn für gesund und macht sich nichts daraus. Auch hier oben ist der Kamin der Mittelpunkt, um den sich alles ordnet, und wenn auch weniger prächtig, so ist doch alles, was dazu gehört, ebenso sorgfältig sauber und blank gehalten wie unten. Wenn das Feuer im Kamin brennt, muß es wirklich ein trauliches Plätzchen sein.

Wunderschön ist der Park mit seinen herrlichen Baumgruppen, seinen weiten, saftigen Rasenflächen, auf denen schönes Vieh weidet, seinen Springbrunnen und Blumenbeeten, die das Haus umgeben. Nur scheint man wenig Wert auf hübsche Sitzplätze zu legen; außer den Bänken, die den Krocketplatz umgeben, findet man selten eine. Eine Mahlzeit wird niemals im Freien eingenommen, man sitzt auch nicht mit der Arbeit draußen; überhaupt spielt Handarbeit gar nicht solche bedeutende Rolle wie bei uns. Es ist eben alles ganz anders als daheim!

Doch es ist hohe Zeit, daß ich Dir unseren häuslichen Kreis vorstelle. Da ist zuerst Lady Jane Rivers, die die Stelle der Hausfrau vertritt, eine Dame von mittleren Jahren und sehr angenehmen Zügen. Sie könnte eine Fürstin sein, so würdevoll und von so ernster Freundlichkeit ist ihr Wesen, so schön ist sie immer gekleidet. In meiner Unwissenheit nannte ich sie anfangs Lady Rivers, da mir die Anwendung des Vornamens bei einer älteren Dame viel zu vertraulich erschien, doch wurde ich bald eines Besseren belehrt. Sie ist nämlich a lady in her own right, das heißt ihr Vater war ein Graf, und sie führte den Titel einer lady von ihrer Geburt an. Dieses Recht konnte sie auch durch ihre Verheiratung mit einem Manne bürgerlichen Namens nicht einbüßen; zum Zeichen aber, daß er ihr allein gebührt, führt sie lebenslang ihren Vornamen, und niemand darf sie anders nennen.

Maud Howard, mein Zögling, ist ein sehr großes, übermäßig schlankes Mädchen mit rötlichen Locken und langen Gliedmaßen. In Gegenwart ihrer Tante erscheint sie stets als eine gesetzte junge Dame, äußerst wohlerzogen und ohne eignen Willen; in deren Abwesenheit sprüht manchmal ein kleines Teufelchen aus ihr, dann ist sie übermütig, neckisch und eigenwillig, durchaus nicht geneigt, meine gehorsame Schülerin zu sein. In Gesellschaft ihres kleinen Vetters Harry wird sie manchmal ausgelassen lustig und tobt umher wie ein junges Füllen. Harry ist ein prächtiger Junge von zehn Jahren, eine Waise, die von dem verstorbnen Mr. Howard aufgenommen und erzogen wurde. Er hat einen Hauslehrer, Mr. Wilmot, der ein recht gescheiter Mann zu sein scheint.

Diese vier Personen nebst meiner Wenigkeit bilden gegenwärtig den Familienkreis von Ivy-Lodge, doch gehören zum Hausstande wenigstens noch zehn Personen. Da ist Mrs. King, die Haushälterin, eine sehr nette, freundliche – Dame, hätte ich beinahe gesagt, denn im ersten Augenblick hielt ich sie für Lady Jane selbst und hätte ihr bei einem Haar die Hand geküßt. Dann sind die beiden Jungfern da, die eine nur für Maud und mich – ich sage Dir, Fridchen, ich brauche keinen Finger zu rühren, um meine Sachen in Ordnung zu halten, und komme mir manchmal vor wie eine Prinzessin, so aufmerksam werde ich bedient. Diener und Stubenmädchen, Köchin und Scheuermädchen, Gärtner, Kutscher und Reitknecht bilden einen ansehnlichen Troß, und es ist ein stattlicher Anblick, wenn sie morgens und abends zur Andacht erscheinen und beim Gebet in langer Reihe hinknien, rechts die Männlein und links die Fräulein. Kommen und Gehen, Knien und Aufstehen, alles geht mit der geräuschlosen Regelmäßigkeit einer gut geölten Maschine vor sich; es ist alles höchst ehrbar und anständig – nur will mir das Herz dabei nicht warm werden.

Von den Menschen, die ich bisher kennen gelernt habe, hat mir nur Miß Robson einen tiefern Eindruck gemacht. Sie ist nicht mehr ganz jung und gar nicht hübsch, aber man merkt es gleich, daß sie ungewöhnlich gescheit und sehr gut ist, und was mir Lady Jane von ihr erzählte, nahm mich noch mehr für sie ein. Sie ist die Tochter eines frühern Geistlichen, der aus Gewissensbedenken seine Stelle aufgegeben und hier im Dorfe Thornton eine Erziehungsanstalt für Knaben gegründet hat. Seine Frau und die zweite Tochter leiteten den Haushalt, während Grace, eben die, von der ich spreche, auf das Girton-College in London ging, um dort ihren glühenden Wissensdurst zu befriedigen und vornehmlich Geschichte und alte Sprachen zu studieren. Aber die Verheiratung ihrer Schwester und der bald darauf folgende Tod ihrer Mutter nötigten sie zur Rückkehr, ehe noch ihre Studienzeit ganz abgelaufen war, und statt mit den klassischen Wissenschaften beschäftigt sie sich jetzt mit der Fürsorge für das leibliche Wohl von zwölf wilden Knaben. Das ist es, was mir eine so lebhafte Teilnahme für sie einflößt, daß sie diesen Umschwung mit gutem Mut ertragen hat und jetzt eine musterhafte Hausfrau und liebevolle Pflegemutter für ihre Zöglinge geworden ist. Daneben unterstützt sie ihren Vater beim Unterricht und nimmt lebhaften Anteil an der Armenpflege und der Sonntagsschule. Überhaupt scheinen mir die Engländerinnen einen Eifer in guten Werken und in der Betätigung ihres Christentums zu entwickeln, den man bei uns lange nicht so allgemein findet. Auch Lady Jane und Maud bringen viele Stunden des Sonntags damit hin, Kinder in der Religion zu unterrichten und arme und kranke Leute zu besuchen, denen sie neben leiblicher Speise auch geistige Nahrung und Trost spenden.

Das alles klingt recht schön und anziehend, nicht wahr, Fridchen? – und Du erwartest gewiß nicht, zu hören, daß ich mich trotzdem hier grenzenlos unglücklich fühle. Aber diese freien Engländer haben sich selbst in ein Netz von starren Sitten und Gebräuchen eingesponnen, und wehe jedem, der es sich nicht willenlos über den Kopf werfen läßt! Wäre er auch ein Musterbild jeglicher Tugend und Vollkommenheit, er würde dennoch zweifellos verächtlich über die Achsel angesehen werden. Wie oft habe ich es schon hören müssen: but that is not ladylike! und wieviel öfter noch habe ich den Ausdruck: shocking! in den Mienen meiner Umgebung gelesen! Wenn Du beim Essen zufällig das Messer zum Munde führst – wenn Du in ein Butterbrot einbeißest, statt Dir ein Stückchen nach dem andern davon abzubrechen, oder beim Nachtisch eine Feige in die Hand nimmst, statt sie auf dem Teller zu zerschneiden – wenn Du Dir gar einfallen läßt, eine Erdbeere aufzuheben, die dem Diener herabgefallen ist, damit sie nicht zertreten wird – so begehst Du in diesem Lande der Freiheit Verbrechen gegen die gute Sitte, für die es keine Vergebung gibt. Als ich an einem der ersten Abende mein Strickzeug herunterbrachte, um nicht ganz müßig dazusitzen, machte Lady Jane ein Gesicht, als beginge ich etwas Anstößiges, und flüsterte mir ganz entsetzt zu: »Ich hoffe, Sie werden in Gegenwart eines Herrn nicht an einem – Strumpfe stricken!« Natürlich lachte ich und sagte, das sei gute deutsche Sitte, und ein echtes deutsches Mädchen sei ohne Strickzeug gar nicht denkbar – aber da kam ich schön an! Nicht, daß Lady Jane heftig geworden wäre – dazu ist sie viel zu genteel und ladylike –, aber ihre ruhigen Augen blitzten vor Unwillen, und Maud bat mich nachher dringend, davon abzulassen, da ihre Tante es für völlig unpassend halte.

Ähnlich war es, als ich am ersten Sonntage meines Hierseins eine Beethovensche Sonate spielte und nachher Harry zu einer Partie Schach aufforderte. Wieder begegnete ich dem entsetzten Blick der Dame vom Hause, die mich in gedämpftem, aber sehr entschiednem Tone bat, den Tag des Herrn nicht durch weltliche Spiele zu entweihen. O Frida, waren unsere lieblichen, friedlichen Sonntagabende daheim eine Entweihung? Machten sie uns nicht gut und fromm, glücklich und dankbar? Ich besinne mich auf keine Zeit in unserem Leben, in der wir nicht gern in die Kirche gegangen wären, die uns immer wie ein zweites Vaterhaus erschien; aber wenn alle geistlichen Pflichten erfüllt waren, dann waren die Stunden der Erholung so süß, und sicher sah es der liebe Gott gern, wenn wir im Frühling und Sommer durch Wald und Flur wanderten und uns an seiner schönen Welt erfreuten, wenn sich unser Väterchen an unserem Frohsinn erquickte und in unsere heiteren Lieder einstimmte, oder wenn wir im Winter die Abendstunden durch Musik und fröhliche Spiele ausfüllten und dabei so harmlos froh, voll Liebe und Eintracht waren. Wenn ich daran denke, schwillt mir das Herz vor Heimweh und vor Widerstand gegen die hiesige engherzige Tyrannei – –

Aber ich will mich nicht in das knechtische Joch fangen lassen, das sie hier den Menschen auflegen; ich will mir meine Freiheit bewahren, das zu tun, was Vater und Mutter und unzählige gute und fromme Menschen in meiner Heimat für recht und anständig halten! Und ich will diese Lady Jane, die von Herzen gewiß nicht böse ist, zwingen, mich meinen eigenen Weg gehen zu lassen, denn diese ängstliche Rücksicht auf fremde und unvernünftige Vorschriften raubt mir meine sichere Unbefangenheit. Ich glaube, Frida, Du würdest Deine tapfere, unverzagte Ilse gar nicht wiedererkennen, so schüchtern und ängstlich ist sie geworden. Aber so geht es nicht länger; ich künde der starren englischen Sitte den Krieg an und will einmal sehen, wer in dem Kampfe der Sieger bleibt! –

So weit hatte Ilse geschrieben, als der Klang einer Glocke durch das Haus tönte; es war die dressing-bell, die die Hausgenossen mahnt, sich zum dinner fertig zu machen. Unwillig warf das junge Mädchen die Feder fort und klappte ihre Briefmappe zu; diese Anforderung, täglich eine förmliche Gesellschaftskleidung anzulegen, war auch einer der Punkte, die sie ärgerten. Mit Mauds duftigen Sommerkleidern konnte sie doch nicht gleichen Schritt halten, obgleich sie schon tief in ihren Beutel gegriffen hatte, um ihre Ausstattung zu vervollständigen. Wozu solcher Luxus in dieser ländlichen Einsamkeit, wo der kleine, häusliche Kreis nur selten durch einen Gast vergrößert wurde?

Die Jungfer trat ein, um Ilse beim Ankleiden behilflich zu sein; sie war eine nette junge Person von feinem Betragen und sah so anständig aus, daß sich das deutsche Mädchen schwer entschließen konnte, sie kurzweg »Arnott« zu nennen, obgleich es die englischen Kammerjungfern als einen Vorzug betrachten, mit dem Vatersnamen angeredet zu werden, während man die tieferstehenden Stubenmädchen mit dem Vornamen ruft. Ilse war heute so tief in ihre unzufriedenen Gedanken versunken, daß sie es gar nicht beachtete, daß jene sich ganz besondere Mühe mit ihrem Anzug gab und ihr eine Rose in das volle Haar steckte. »Es ist alles umsonst,« sagte Arnott endlich ganz betrübt; »ich möchte Miß gern besonders hübsch machen, aber die dunkle Falte zwischen den Augenbrauen paßt gar nicht zu dem hellen Anzug und den Blumen.«

Ilse mußte lachen. »Warum soll ich denn heute so schön sein, Miß Arnott? Mr. Wilmot und Harry kennen mich doch schon auswendig.«

»Aber wir haben heute einen Gast zu Tische, einen jungen Lord, und ich habe Miß Maud ein neues weißes Kleid angezogen.«

Eben steckte Maud den Kopf in die Tür. »Fertig, Miß Stein?« fragte sie. »Wie gut Ihnen die Rose steht! Ich wollte, ich hätte Ihr aschblondes Haar statt meines fuchsigen.«

»Tun Sie ihm nicht unrecht, Maud; es sieht aus, als hätte sich ein Sonnenstrahl darin verfangen.«

»Für poetische Augen vielleicht, die ich leider nicht habe. Aber kommen Sie herunter – ich bin neugierig, ob Vetter Artur noch ebenso lustig ist wie vor zwei Jahren; damals war er ein netter Junge, der nichts als Unsinn im Kopfe hatte.«

Wenn Ilse nach diesen Worten einen Knaben erwartet hatte, so war sie überrascht, in dem jungen Lord Wyndham einen vollendeten Kavalier zu finden, der mit den leichten feinen Formen des vornehmen Engländers ein gutes Teil unbekümmerter Selbstgefälligkeit verband. Er war eben von einer längeren Reise auf dem Kontinent zurückgekehrt und wußte viel Ergötzliches, besonders aus Paris, zu erzählen. Lady Jane lächelte, Maud kicherte halb verstohlen, Ilse aber brach wiederholt in ein helles schallendes Gelächter aus. Dann ging Lord Wyndham zu seinen Erfahrungen in Deutschland über und ließ auch hier seinem Witz freien Lauf, aber da wurde Ilse ernsthaft; sie widersprach ihm lebhaft, als er viele Einrichtungen mit echt englischer Lust an Spott und Satire lächerlich machte, und zuletzt führten die beiden allein die Unterhaltung, die zuweilen in einen förmlichen Streit ausartete, da es dem jungen Manne offenbar Vergnügen machte, seine Gegnerin durch gewagte Bemerkungen herauszufordern. Sie bemerkte es nicht, daß Lady Janes Mienen immer ernster wurden, und daß sie die Tafel mit einem Gesicht aufhob, das nichts Gutes erwarten ließ.

Einen so angeregten Abend hatte Ilse in Ivy-Lodge noch nicht erlebt, und als sie heute zur Ruhe ging, meinte sie, es sei doch wohl möglich, sich allmählich in die englischen Verhältnisse einzuleben und mit ihren Eigentümlichkeiten auszusöhnen. Der junge Lord hatte augenscheinlich großes Wohlgefallen an ihrer Unterhaltung gefunden, obgleich sie sich zwanglos gegeben hatte, wie sie war. Sie durfte nur nicht zu schüchtern sein und immer ängstlich fragen, ob sie sich auch ladylike benähme; dann würden sich die Menschen hier wohl an ihre Art gewöhnen und sie in Ruhe lassen.

In dieser glücklichen Gemütsstimmung kam sie am nächsten Morgen in das Frühstückszimmer, wo die Morgenandacht abgehalten wurde. Lord Wyndham war nicht zugegen, und in der Haltung von Lady Jane lag etwas so Eisiges, in Mauds Wesen eine solche Zurückhaltung, daß es Ilse wie eine böse Ahnung beschlich.

Als man vom Tische aufstand, bat die ältere Dame sie mit kühler Höflichkeit, ihr in ihr Zimmer zu folgen, da sie Wichtiges mit ihr zu besprechen habe. Ilse bemühte sich auf dem kurzen Wege, ihre Gedanken zu sammeln, um sich zum Widerstande zu rüsten, aber ihr Herz klopfte zu heftig vor banger Erwartung. »Ich habe schon mehrmals die Notwendigkeit gefühlt, Ihnen einige Ratschläge über Ihr Benehmen zu geben, Miß Stein,« begann Lady Jane, indem sie sich in einen Lehnstuhl setzte und der andern winkte, auf einem Sessel Platz zu nehmen. »Ich bitte, hören Sie mich ruhig an,« fuhr sie in strengem Tone fort, als Ilse trotzig auffahren wollte. »Es ist möglich, daß die Gewohnheiten des Festlandes eine Freiheit des Betragens erlauben, die uns unangenehm auffällt – jedenfalls stellen wir höhere Ansprüche an die Manieren derer, die zu uns gehören sollen. Eine junge Dame der guten Gesellschaft darf sich nicht in dieser ungebundnen Weise der Heiterkeit überlassen, darf nicht mit einem fremden Herrn in so lebhafter Art lachen und scherzen – oder sie ist kein passendes Vorbild für meine Nichte, kein richtiges Glied eines Hauses, dem ich vorstehe. Es liegt mir um so mehr daran, daß Sie Ihre ungefesselte Lebhaftigkeit dämpfen lernen, Miß Stein, als wir nächstens nach Marscourt-Hall fahren werden, um Mauds Großmutter einen längeren Besuch zu machen. Mrs. Howard-Marscourt ist eine alte Dame von vornehmer Herkunft und strengen Grundsätzen, und ich wünsche dringend, daß Sie eine Prüfung vor ihren Blicken bestehn möchten.«

»Ich bitte um die Erlaubnis, zu Hause zu bleiben,« sagte Ilse mit einem schnellen Aufwerfen des Kopfes und in einem Ton, der vor Zorn bebte.

»Das ist unmöglich,« erwiderte Lady Jane, »denn Mrs. Howard-Marscourt hat ausdrücklich gewünscht, die Gefährtin ihrer Enkelin kennen zu lernen; auch würde es sich nicht schicken, Sie hier mit Mr. Wilmot allein zu lassen. Ich bitte Sie, mein liebes Kind« – der herbe Ton wurde etwas milder –, »meine Worte in ernste Erwägung zu ziehen, denn ich meine es aufrichtig gut mit Ihnen. Mein Neffe, Mr. Howard, hat Sie mir warm empfohlen, und es würde mir leid tun, wenn er uns bei seiner Rückkehr nicht im besten Einklang fände.«

Ilse erhob sich. »Gestatten Sie mir, Mylady, mich auf mein Zimmer zurückzuziehen und über Ihre Worte nachzudenken,« sagte sie förmlich; in ihrer Haltung und auf ihrem Gesicht war keine Spur von Demut oder Nachgiebigkeit zu erkennen. Nach einer steifen Verbeugung verließ sie hochaufgerichtet das Zimmer; aber kaum hatte sie ihre eigene Tür verriegelt, als der Sturm losbrach. Mit flammenden Augen und geballten Fäusten durchmaß sie den beschränkten Raum, bald in zornige Tränen, bald in laute Worte voll Groll und Bitterkeit ausbrechend. Wer durfte sie eines unfeinen Betragens zeihen? Hatte sie nicht von frühester Jugend an für ein Muster gegolten? War nicht ihre glänzende Begabung, ihre heitere Lebhaftigkeit, ihre anmutige Erscheinung hundertmal gelobt worden? Hatten sie ihre Mitschülerinnen nicht »die Prinzessin« genannt? Und sollte, was in Deutschland gut und löblich war, hier völlig zuschanden werden? »O Mutter, Frida und ihr andern alle,« schluchzte sie, »wie habt ihr mich durch eure Liebe und Zärtlichkeit verwöhnt, und was würdet ihr sagen, wenn ihr eure Ilse so behandelt sähet?! Aber ich will es nicht dulden! Ich werde diese engherzige Frau, die nie über die chinesische Mauer ihrer kleinlichen Vorurteile hinweggesehen hat, zwingen, mir eine Ehrenerklärung zu geben, und dann will ich mir einen Ort suchen, wo man weitherziger und duldsamer ist!«

Mitten in diesem Aufruhr tief gekränkten Selbstgefühls machte sich plötzlich eine andere Strömung geltend; ihr war es, als sähe sie ihren Vater vor sich stehen, wie er vor ihrer Einsegnung die Hand auf ihr Haupt legte und mit seiner milden Stimme sagte: »Meine Ilse, viele gute Gaben hat unser himmlischer Vater dir frei geschenkt und dich vor anderen reich bedacht; nun strebe du mit allem Fleiß nach denen, die Er deiner Natur versagte, nach Sanftmut und Demut!« Aber sie war ja äußerlich ganz sanftmütig geblieben, und die Demut gegen Menschen hatte ihre Grenzen; Unwürdiges durfte sich niemand gefallen lassen, der sich selber achtete.

Ilse hatte keinen Begriff davon, wie in diesem Sturm der Gedanken die Stunden verrannen; ein Klopfen an der Tür schreckte sie auf, Mauds Stimme fragte, ob sie nicht zur deutschen Stunde in die Bibliothek käme. »Ich habe heftige Kopfschmerzen,« stammelte Ilse, und es war kein bloßer Vorwand; sie fühlte sich wirklich elend an Leib und Seele. Nach einiger Zeit klopfte Arnott an die Tür und bat dringend um Einlaß; sie erschrak, als jene den Riegel zurückschob und vor ihr stand, leichenblaß, mit verschwollenen Augen und zitternden Gliedern. »Miß ist krank!« sagte die Jungfer besorgt; »bitte, legen Sie sich zu Bett, ich will Ihnen kalte Umschläge machen.« Ilse fügte sich ohne langes Sträuben; sie hätte heute weder Lady Jane noch Lord Wyndham begegnen mögen, und dies war der einfachste Ausweg. Das verdunkelte Zimmer tat ihr wohl und beruhigte ihre erregten Nerven; sie bat, sie ganz still liegen zu lassen, sie brauche nichts weiter.

Aus einem Schlummer erwachend, fühlte sie, ohne noch die Augen zu öffnen, daß sich jemand über sie beugte und mit linder Hand die kühle Binde auf ihrer Stirn erneuerte. Wer mochte es sein? Sie war mit dem Gedanken an Miß Robson eingeschlafen, als der einzigen Person, der sie hier ihr Vertrauen schenken, deren Rat sie erbitten könnte. War sie es, die jetzt so liebreich um sie bemüht war? hatten ihre leidenschaftlichen Gedanken sie herbeigezogen? Sie ergriff die Hand und zog sie an ihre Lippen; dann schlug sie die Augen auf, und ihr Blick fiel auf – Lady Jane. Erschrocken ließ sie die Wimpern wieder sinken, und eine heiße Blutwelle überflutete ihre Wangen. »Fühlen Sie sich ein wenig besser nach dem Schlaf, mein armes Kind?« fragte die Dame in sanftem Ton. »Ich freue mich, daß das fieberhafte Pochen in den Schläfen nachgelassen hat; vielleicht können Sie jetzt etwas genießen, das würde Ihnen guttun.«

»Wie spät ist es?« fragte das junge Mädchen, das kaum wagte, der andern ins Gesicht zu sehen.

»Sechs Uhr; fühlen Sie sich kräftig genug, aufzustehen und an unserem Mittagsessen teilzunehmen?«

»Ich danke; bitte, gestatten Sie mir für heute völlige Ruhe.«

»Gern, liebes Kind; tun Sie ganz nach Ihrem Belieben. Arnott soll Ihnen etwas Fleisch und Wein bringen.« Sie legte ihre kühle Hand wie liebkosend auf Ilsens Stirn und verließ mit geräuschlosem Schritt das Zimmer; gedankenvoll sah jene ihr nach. War das dieselbe Frau, die heute früh so herbe Worte zu ihr gesprochen und diesen ganzen Sturm in ihr entfesselt hatte? War die liebreiche Teilnahme, die sie eben gezeigt hatte, eine Abbitte – oder nur christliches Mitleid mit einer Kranken?

Ilse fühlte sich vollkommen wohl; sie stand auf, zog einen Morgenrock an und legte sich auf das niedrige Ruhebett, das am Kamin stand. Arnott, die auf Zehenspitzen hereingeschlichen kam, um die Leidende nicht zu stören, war sehr erstaunt, sie im vorderen Zimmer zu finden; sie sah mit Beruhigung, daß die mitgebrachte leichte Krankenkost erstaunlich schnell verschwand, und daß die Patientin gar nicht abgeneigt war, sich eine zweite kräftigere Auflage gefallen zu lassen. Abends kam Maud und setzte sich zu ihr. »Gott sei Dank, daß Sie so weit hergestellt sind, Miß Stein!« sagte sie. »Ich hätte nicht gedacht, daß der Tag mir ohne Sie so lang werden würde. Ich habe redlich versucht, zu arbeiten und zu lesen, aber es war alles schal und langweilig ohne Ihre Erklärungen, die den toten Dingen immer solch ein merkwürdiges Leben geben. Bei Tische war es nicht halb so lustig wie gestern, und Vetter Artur hat wenigstens sechsmal nach Ihnen gefragt. Er läßt sich Ihnen empfehlen, denn er hat uns gleich nach dem Mittagsessen verlassen; ich glaube, es erschien ihm unter uns zu öde ohne Ihr helles Lachen und Ihre Streitlust. Tante Jane sagt zwar, es sei gar nicht ladylike, laut zu lachen, und hat mich dringend gewarnt, solche continental manners nachzuahmen, aber es hat entschieden Erfrischendes an einem heißen Tage.«

So plauderte Maud, und ihre Worte gaben Ilse viel zu denken, ohne daß sie mit ihren Überlegungen heute schon zum Ziele gekommen wäre.

Der nächste Tag war ein Sonntag, und alle Bewohner von Ivy-Lodge, mit Ausnahme einiger unentbehrlicher Dienstboten, gingen oder fuhren nach der Kirche im nahen Dorfe Thornton. Der englische Gottesdienst hatte Ilse zuerst wenig angesprochen; zwar die zahlreiche Gemeinde, die das hübsche Kirchlein erfüllte, und in der man immer die ganzen Familien mit allen Kindern vertreten sah, der kräftige Gesang und die rege Beteiligung aller Glieder an den verschiedenen Teilen des Gottesdienstes – das machte einen schönen Eindruck, denn man hatte das Gefühl, als wären die Leute in ihrem Gotteshause heimisch und nicht nur gekommen, um eine unvermeidliche Pflicht zu erfüllen. Aber des Singens und Vorlesens war doch gar zu viel, auch die kurze Predigt wurde abgelesen, und wenn Ilse an die herzenswarme Predigtweise ihres Vaters dachte, so wollte ihr hier alles nüchtern und ermüdend vorkommen. Doch heute war es ihr ganz recht, sich ihren eigenen Gedanken überlassen zu können, die durch die Heiligkeit des Ortes eine ganz andere Richtung erhielten. Wie, wenn Gott sie gerade hierher geführt hätte, um sie Sanftmut und Demut zu lehren? Sollte sie Ihm widerstreben und aus der Schule laufen? War es nicht immer ihre Freude und ihr Stolz gewesen, daß ihr keine Aufgabe zu schwer erschien, daß sie mit allem fertig wurde, woran andere erlahmten?

Beim Verlassen der Kirche traf sie mit Miß Robson zusammen. »Haben Sie einige Minuten für mich übrig?« fragte sie mit schnellem Entschluß, »oder halten Sie es für eine Entweihung des Sonntags, mir in einer ganz weltlichen Sache Ihren Rat zu erteilen?«

»Ich stehe zu Ihrer Verfügung,« erwiderte Miß Robson, »Zweifel zu lösen und Unruhe zu stillen ist ein echtes Sonntagswerk.«

Ilse schob ihren Arm zutraulich in den der Engländerin und führte sie in einen menschenleeren Winkel des Kirchhofes; dort strömte sie alles aus, was ihr das Herz bedrückte, aber sie tat es mit mehr Mäßigung, als sie selbst es gestern für möglich gehalten hätte. Miß Robson ließ sie ungestört ausreden, dann sagte sie in ruhigem, fast geschäftsmäßigem Ton: »Sie sind von einem Irrtum ausgegangen, Miß Stein; sobald dieser aufgeklärt ist, wird das ganze Gebäude Ihrer Klagen zusammenstürzen. Wenn Sie eine fremde Sprache lernen wollen, müssen Sie sich mit ihren Regeln und Ausnahmen bekannt machen; es hilft Ihnen nichts, wenn Sie manches widersinnig finden, die Sprache kehrt sich nicht an Ihre Ausstellungen, sie bleibt, wie sie ist. Jeder Verein gibt sich seine Satzungen; wer ihm angehören will, verpflichtet sich, sie zu achten, oder er wird ausgestoßen. Auch die englische gute Gesellschaft hat sich eine Anzahl strenger Vorschriften gegeben, deren genaue Beobachtung für jeden unerläßlich ist, der dazu gezählt werden will. Kein Widerstand, mag er anscheinend noch so berechtigt sein, wird diese Vorschriften aufheben, kein einzelner wird das umstoßen, was Tausende in langen Jahren als unumstößliche Regel aufgestellt haben. Ist das nicht vollkommen folgerichtig?«

»Das mag für die Eingeborenen gelten,« erwiderte Ilse lebhaft, »aber wie soll ein Fremder alle diese wunderlichen Ge- und Verbote begreifen? Wem sie nicht im Blute liegen, der lernt nie daran aus, und wenn er sich bis an sein Lebensende daran abmühte.«

Miß Robson lächelte ein wenig. »Ich wette, mit offnen Augen und redlichem Willen lernt man diese einfachen Vorschriften bald kennen; sie sind im Grunde gar nicht schwer, Hunderte vor Ihnen haben sie gelernt und nachher nicht mehr davon lassen mögen.«

»So meinen Sie also, Lady Jane habe ein Recht gehabt, mich so scharf zu schulmeistern?«

»Gewiß. Ich kenne Lady Jane länger, als Sie sie kennen, Miß Stein, und weiß, daß sie eine wohlwollende Frau und aufrichtige Christin ist. Aber sie betrachtet das Sittengesetz der guten Gesellschaft als ebenso verbindlich wie die zehn Gebote und würde es für eine ebenso schwere Pflichtverletzung halten, wollte sie es geschehen lassen, daß jemand an ihrem Tisch mit dem Messer äße, als daß er den Sabbat entheiligte.«

»Und Sie finden dies nicht entsetzlich engherzig, Miß Robson?«

»Ich finde es echt englisch, und da Sie sich aus freien Stücken entschlossen haben, in England zu leben, so müssen Sie auch unsere nationale Eigenart mit in den Kauf nehmen, Miß Stein.«

Ilse schwieg eine Weile, und ihre Gefährtin überließ sie geduldig ihren Gedanken. »Ich fürchte, Sie haben recht, Miß Robson,« sagte das junge Mädchen endlich mit einem tiefen Seufzer, »und es bleibt mir nur übrig, mein widerspenstiges Herz unter diese Erkenntnis zu beugen.«

»Gott helfe Ihnen dazu!« sagte die Engländerin, und nach einem kräftigen Händedruck entfernte sie sich mit schnellem Schritt. Sie hatte der Fremden die einzige Stunde geopfert, über die sie in ihrem arbeitsreichen Leben frei verfügen konnte, aber sie hatte es gern getan, denn sie hatte einer Zweifelnden den rechten Weg weisen können; für höfliche und empfindsame Worte hatte sie keinen Augenblick übrig.

Die völlige Stille des englischen Sonntages war heute für Ilse äußerst wohltätig; sie hatte noch manches in sich durchzukämpfen, ehe sie Lady Jane in ihrem Zimmer aufsuchte. »Ich habe mir Ihre Ermahnung überlegt, Mylady,« sagte sie mit der freimütigen Offenheit, die ihr so gut stand, »und bin bereit, mich danach zu richten. Wollen Sie ein wenig Geduld mit mir haben, bis es mir gelingt, mir alles zu eigen zu machen, was die feine Sitte Ihres Landes verlangt? Ohne Mißgriffe und Irrtümer wird es wohl nicht abgehen, aber an meinem guten Willen sollen Sie nie wieder zweifeln dürfen.«

Lady Janes Gesicht drückte eine große Befriedigung aus; sie berührte mit ihren Lippen Ilsens Stirn und schüttelte ihr die Hand. »Ich freue mich Ihrer Einsicht, mein liebes Kind, und will Ihnen gern mit meinem Rat zu Hilfe kommen. Ich schätze Sie aufrichtig und hoffe, daß wir fortan in voller Harmonie miteinander leben werden.«

So war der Friede geschlossen, und Lady Jane bewies sich von dieser Stunde an als eine wahre mütterliche Freundin. Als Ilse ihren Brief an Frida noch einmal durchlas, wollte sie ihn zuerst zerreißen, doch besann sie sich eines Besseren und schrieb darunter: So dachte ich vorgestern, aber inzwischen ist eine große Wandlung mit mir vorgegangen. Ich habe den Kampf aufgegeben, der doch nicht zum Siege führen würde, und statt meine Kräfte in stetem Widerstreit zu vergeuden, will ich sie lieber dazu anwenden, mich den hiesigen Ansprüchen anzupassen. Ich habe mir fest vorgenommen, Lady Jane, deren wahren Wert ich jetzt erst erkannt habe, zufrieden zu stellen und das viele Gute, das sich mir hier bietet, dankbar zu genießen. Kommt Dir Deine streitbare Ilse sehr verändert vor? Sie ist allerdings dabei, eine schwere Aufgabe zu lernen, nämlich Sanftmut und Demut, aber wenn es ihr gelingt, wird ihr der Erwerb sicher zum besten dienen. Gott behüte Dich und mich, mein Fridchen! Denke in treuer Liebe und Teilnahme an

Deine
Ilse.


 << zurück weiter >>