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Als der Morgen bleigrau heraufdämmerte, schlug eine grobe See die Whiteoak vor einer schärenreichen Küste hin und her. Lars erwachte, verklammt und mit steifen Gliedern in großem Schreck. Die Notfock hatte sich losgerissen und flatterte wild wie eine Fahne. Er riß das Steuer herum, band sich los, rollte nach vorn.
Mit letzter Kraft bekam er die Fock zu fassen, legte sie wieder fest. Das Boot stampfte schwer, dann nahm es langsam Fahrt auf. Was nicht festgezurrt war auf Deck, war weggewaschen worden. Er selber war naß bis auf die erstarrte Haut. Der Wind war nach Norden gegangen, es war ungemein kalt. Irgendwann mußte Lasö in Sicht kommen, steuerbord oder backbord oder auch voraus.
Lars legte das Ruder wieder fest und ging nach unten. Wenn alles gut ging, konnten sie über einen Tag in Deutschland sein.
Peter lag zusammengekrümmt auf dem Boden der Kajüte. Er fieberte schwer, Lars mußte ihn mühsam aufheben. Der linke Fuß war unförmig geschwollen, als Lars den rechten Arm Peters berührte, stöhnte der Kranke leidvoll auf. Es war deutlich, daß er so bald nicht wieder genesen würde. Lars hatte im Augenblick keine Zeit zu erschrecken. Er mußte Peter im Logis festbinden, damit er nicht aus dem Bett fiel, bei dem Stampfen und Überholen der Yacht, er mußte den gebrochenen Arm schienen, so gut es ging, er mußte die fieberheiße Stirn kühlen, mußte irgend etwas zu trinken finden, mußte den geschwollenen Fuß verbinden. Es war harte Arbeit für den einzelnen Mann, der selber so lange nicht aus den Kleidern gekommen war, aus Kleidern, die zudem von Seewasser nur so troffen.
Dennoch gelang das alles. Lasö tauchte auf steuerbords und später Anholt backbords. Der Kurs lag geradeaus auf den Belt. Dort wurde der Wind schwächer, auch die See lief weniger hoch, wenn sie auch mit aller Macht in die Straße hineindrückte. Als die beiden Landzungen von Kalundborg an Backbord achteraus geblieben waren, konnte Lars es wagen, ein gutgerefftes Großsegel zu setzen. Es war hart, dies allein zu vollbringen, aber er schaffte es. Rauschend lief die Whiteoak mit raumem Winde durch den Belt, zwischen Seeland und Falster durch, ohne aufzusetzen oder zu stranden. Lars setzte den Kurs allein nach der Küste, eine Seekarte für diesen Teil der Ostsee hatte er in der Kajüte nicht gefunden. Als es wieder Nacht wurde, lag die Yacht querab Hiddensee, vor dem steifen Nord nach Süden laufend.
An Warnemünde war nicht mehr zu denken, Lars hatte sich gründlich verkreuzt. Mit sinkendem Licht kam er an Hiddensees Südspitze, warf die Yacht dicht an der Insel herum, südwestlich nach Barnhöft, dann ließ er den Anker auslaufen. Der Bronzeanker biß in den Grund, es ruckte und zerrte, dann schwang im Windschatten der Festlandsspitze die Whiteoak dümpelnd hin und her. Es war nicht allzu weit vom Strande, der dunkel herübersah. Lars schätzte die Strecke, vielleicht, daß einer in der Nacht herüberschwamm? Aber er war zu ermattet, noch einmal den Liegeplatz zu wechseln. Wie auch hätte er allein es tun sollen? Er barg die Segel, dann ging er taumelnd nach unten. Er wechselte noch Peters Verband, dann sank er um.
Als er erwachte, ging die Sonne bereits wieder westlich dem Untergange zu. Peter saß in seinem Bette, er hatte sich losgeschnallt, der gebrochene Arm lag schmerzend vor der Brust, das verletzte Bein hatte er senkrecht nach vorn gestreckt auf einen Schemel gelegt. So saß er und aß Kakaopulver. »Armer Kerl«, sagte er, als Lars taumelnd und verschlafen hochkam. »war es sehr schlimm die letzten Tage?«
Mit zwei Sätzen war Lars bei dem Kameraden.
»Bist du wieder gesund?« stieß er hervor.
Peter lächelte schwach. »Gesund ist gut.« Er deutete auf seinen Arm, auf den Fuß.
»Ich meine doch, ob du kein Fieber mehr hast«, verteidigte sich Lars und langte in die Tüte mit dem Kakaopulver. »Kannst du humpeln?«
Ja, das könne er wohl, und Fieber habe er keines; wenn Lars es so meine, dann sei er ganz gesund. Peter lachte. Wo sie denn seien?
»Zu Hause«, schrie Lars, »ohne Lotse und Kompaß und Karte in Deutschland.«
»In Warnemünde?«
»Nein, in Warnemünde nicht, aber sicher nicht weit davon. Südlich Hiddensee, hinter einer Festlandspitze, Barnhöft.«
»Ah, Barnhöft«, meinte Peter. Aber er hatte keinerlei Ahnung, wo das wohl sein könnte. Immerhin, sie waren an der deutschen Küste, das genügte. Nun mußte nur der verdammte Fuß wieder in Ordnung kommen, dann konnte die Reise losgehen.
»Wie sieht es dort, an der Küste, aus?« fragte er.
Lars mußte gestehen, daß er das so ganz genau gar nicht wisse. So eine Spitze eben, ein Haus stehe auch da.
»Soll ich dich hinauftragen an Deck, damit du dir alles ansehen kannst?«
Er käme schon allein hin, wenn Lars ihn nur stützen wolle, und der Kahn rolle ja gar nicht mehr so sehr, meinte Peter.
Er stand mühsam auf, legte den gesunden Arm um Lars Schulter. So sprang er stöhnend in kleinen Sätzen die steile Stiege empor, arbeitete sich nach vorn. Die See lief noch ein wenig wellig unter der Yacht durch, aber der Wind war ganz eingeschlafen. Schräg links stand ein einsames Gehöft, von Wiesen umgeben, die knapp aus dem Wasser aufstiegen.
Von der offenen See aus mußte es aussehen, als stünden Haus und Scheunen mitten im Wasser, von Land aus mußte man sie kaum erkennen können, bevor man nicht nahe vor ihnen stand. Hinter dem Hause, noch weiter nach links, wurde der Boden sichtlich schmaler, bildete nur noch eine niedere, dünne Landbrücke, auf der Schilf und Moorpflanzen wucherten.
Menschen zeigten sich nicht.
»Wollen wir nicht aussteigen, Peter?« Lars zeigte auf das Gehöft.
»Da drüben werde ich dich pflegen, vielleicht gibt es auch was zu essen. Diese schöne Yacht ist leider völlig leer.« Er schüttelte sich. »Ich habe einen wahnsinnigen Hunger.«
»Ich auch«, gestand Peter.
Der Anker war nicht aufzuhieven, Peters Kräfte reichten nicht aus, mitzuhelfen. Ein Segelmanöver gelang nicht, mit der Hand konnte ihn Lars allein nicht aus dem Grund bekommen. So wurde das Ankertau abgesengt. Es riß mit morschem Krachen, langsam trieb die Whiteoak auf das Gehöft zu. Eine kleine verschilfte Bucht öffnete sich, eine Landungsbrücke streckte sich der Yacht entgegen. Scheuernd und schon auf Grund kommend, legte sie sich gegen das Holz.
Kein Laut war zu hören, der Menschen auf dem Gehöft verriet.
Nur Schreie aufgestöberter Möwen flatterten übers Land.
Lars ging auf Erkundung.
In dem Wohnhaus stand die Tür offen. Sie hing, schief verbogen in den Angeln, bereit, bei jeder heftigen Berührung herauszufallen.
In der Wohnküche standen, auf gescheuertem Tisch, noch Tassen und Teller, auf einem Brett der Knochen von einem Schinken. Die Mäuse hatten den Knochen sauber benagt. Staub lag überall. Auf kaltem Herd schlief eine Kanne mit verschimmeltem Kaffee, auf dem Fußboden lag eine blaue Männerjacke. Über den staubigen Fußboden liefen die feinen Spuren der trippelnden Mäuse hin und her. Es war sicher, daß hier seit Monaten kein Mensch mehr gewesen war.
In der Schlafstube waren die Betten verwühlt, so als seien die Schläfer eiligst herausgesprungen und fortgelaufen, Bettücher und Hemden waren auf dem Boden verstreut.
In der Vorratskammer aber hingen, säuberlich aufgereiht, fette Würste die Menge, dazu drei Schinken. In einem Steinkrug war ranzige Butter. Auf einem Gestell, für gefräßige Mäuse nicht erreichbar, lagen zwei Sack Mehl.
Lars atmete auf. Mochten die Bewohner geblieben sein, wo sie wollten. Hier war eine Heimstatt, wie sie sie besser nicht finden konnten. Hier konnte Peters Bein ausheilen, sein Arm halbwegs wieder in Ordnung kommen. Selbst Feuerung war da. Außer ein paar dicken Buchenkloben mußte auch das Schilf rundum herrlich brennen, wenn es trocken war. Lars schrie und brüllte, er lief zur Yacht zurück, berichtete Peter von dem großen Glück.
Sie packten zusammen, was noch zu gebrauchen war von der Whiteoak. Dann trug Lars Peter an Land, holte die Sachen, nach einer halben Stunde schmerzhaften Weges hatte er ihn dann im Bett im Hause von Barnhöft. »Willkommen in Deutschland«, sagte er. »Willkommen, Peter.«
»Es muß hier irgendwo noch etwas Whisky zwischen den Sachen sein. Den wollen wir trinken, auf dich und daß du nach Saas-Fee kommst, nein, daß wir beide nach Saas-Fee kommen.«
Peter sah trüb auf sein Bein.
»Das wird schon«, tröstete Lars. »In vierzehn Tagen ist alles wieder intakt. Und dann gehts – zu deinem Sohn!«
Peter fuhr auf. Sooft er in den Wochen an Gerdis und das Kind gedacht hatte, nie war ihm eingefallen, daß es nun schon geboren sein müßte.
»Ach, Lars«, sagte er schwach. »Ob es wirklich ein Junge ist?