August Bebel
Die Frau und der Sozialismus
August Bebel

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3. Konzentration des Reichtums

Es ist ein ökonomisches Gesetz, daß mit der Konzentration der Betriebe und steigender Produktivität die Zahl der Arbeiter relativ abnimmt, dagegen konzentriert sich der Reichtum prozentual zur Gesamtbevölkerung in immer wenigeren Händen.

Das zeigt am besten die Verteilung des Einkommens in verschiedenen Kulturländern.

Von den größeren deutschen Staaten besitzt Sachsen die älteste und vergleichsweise beste Einkommensteuerstatistik. Das geltende Gesetz ist seit 1879 in Kraft. Es empfiehlt sich aber, ein späteres Jahr der Einschätzung zu nehmen, weil in den ersten Jahren die Einschätzungen durchschnittlich erheblich zu niedrig angenommen werden. Die Bevölkerung Sachsens stieg von 1880 bis 1905 um 51 Prozent, die Zahl der zur Steuer eingeschätzten Personen stieg von 1882 bis 1904 um 160 Prozent, das zur Steuer eingeschätzte Einkommen um 23 Prozent. Bis Anfang der neunziger Jahre blieb ein Einkommen bis 300 Mark pro Jahr steuerfrei, nachher bis 400 Mark. Im Jahre 1882 betrug die Zahl der steuerfreien Personen 75.697 = 6,61 Prozent der Eingeschätzten, 1904 dagegen 205.667 = 11,03 Prozent. Bemerkt sei, daß in Sachsen das Einkommen der Ehefrauen und das der unter 16 Jahre alten Familienangehörigen dem Ehemann beziehungsweise dem Familienvater zugerechnet wird.

Die Steuerzahler von 400 bis 800 Mark Einkommen betrugen 1882 48 Prozent der Eingeschätzten, 1904 nur 43,81  Prozent, ein Teil derselben war also in höhere Einkommenklassen gerückt. Das Durchschnittseinkommen des Steuerzahlers dieser Klasse war in dieser Periode von 421 auf 582 Mark = 37 Prozent gestiegen, blieb aber hinter dem Durchschnitt von 600 Mark noch zurück. Die Steuerpflichtigen mit einem Einkommen von 800 bis 1.250 Mark bildeten 1882 12 Prozent der Eingeschätzten, 1904 bildeten sie 24,38 Prozent der Eingeschätzten, die Zahl der Eingeschätzten von 1.250 bis 3.300 (von 1895 an mit 3.400) Mark dagegen bildete 1882 20 Prozent und 1904 nur 16,74 Prozent der Eingeschätzten. Im Jahre 1882 hatten unter 3.300 Mark Einkommen 97,60 Prozent der Eingeschätzten, 1904 unter 3.400 Mark 95,96 Prozent. Hält man fest, daß 1863 Lassalle die Einkommen in Preußen mit über 3.000 Mark auf 4 Prozent sämtlicher Einkommen berechnete, daß aber mittlerweile die Mieten, die Steuern und beinahe alle Lebensbedürfnisse im Preise stiegen, auch die Ansprüche an die Lebenshaltung wuchsen, so hat sich die Lage der großen Masse relativ kaum verbessert. Die mittleren Einkommen von 3.400 bis 10.000 Mark bildeten 1904 nur 3,24 Prozent der Eingeschätzten und die Einkommen über 10.000 Mark weniger als 1 Prozent (0,80), die Zahl der Zensiten mit 12.000 bis 20.000 Mark 0,80 Prozent. Die Zahl der Einkommen über 12.000 Mark ist von 4.124 in 1882 auf 11.771 in 1904 gestiegen, also um 188 Prozent. Das Höchsteinkommen betrug 1882 2.570.000 Mark, 1906 5.900.600 Mark. Das Resultat ist: Die unteren Einkommen haben zwar eine Hebung erfahren, die aber durch erhöhte Preise vielfach mehr als ausgeglichen wurde, die Mittelklassen erfuhren prozentual die geringste Verbesserung, dagegen stieg die Zahl und das Einkommen der reichsten Leute am stärksten. Die Klassengegensätze verschärften sich also.

In seinen Untersuchungen über die Verteilung des Volkseinkommens in Preußen von 1892 bis 1902 kommt Professor Adolf Wagner zu folgenden Ergebnissen. Er teilt die Bevölkerung Preußens in drei große Gruppen: in Unterstand (unterster bis 420 Mark, mittlerer 420 bis 900, oberster 900 bis 2.100 Mark), in Mittelstand (unterster von 2.100 bis 3.000, mittlerer von 3.000 bis 6.000 und oberster von 6.000 bis 9.500 Mark) und in Oberstand (unterster von 9.500 bis 30.500, mittlerer von 30.500 bis 100.000 und oberster mit Einkommen über 100.000 Mark). Das Gesamteinkommen verteilt sich zu beinahe gleichen Teilen unter diesen drei Gruppen. Die 3,51 Prozent des Oberstandes verfügen über 32,1 Prozent des Gesamteinkommens, der Unterstand, der die 70,66 Prozent Steuerfreien umfaßt, verfügt ebenfalls über ein Einkommen von 32,9 Prozent des Gesamteinkommens, und der Mittelstand mit 25,83 Prozent verfügt über ein Einkommen von 34,9 Prozent des Gesamteinkommens. Zieht man nur das steuerpflichtige Einkommen heran, so findet man, daß auf Zensiten mit 900 bis 3.000 Mark Einkommen, die im Jahre 1892 86,99 Prozent und im Jahre 1902 88,04 Prozent aller Zensiten bildeten, etwas mehr als die Hälfte des steuerpflichtigen Einkommens entfällt, nämlich 51,05 Prozent im Jahre 1892 und 52,1 Prozent im Jahre 1902. Auf Einkommen über 3.000 Mark, welche 13 respektive 12 Prozent aller Zensiten ausmachen, entfallen ungefähr 49 Prozent im Jahre 1892 und 48 Prozent des gesamten steuerpflichtigen Einkommens im Jahre 1902. Das Durchschnittseinkommen der kleinen Zensiten belief sich für ganz Preußen im Jahre 1892 auf 1.374, im Jahre 1902 auf 1.348 Mark, hatte sich also um 1,89 Prozent verringert. Dagegen hat das Durchschnittseinkommen der großen Zensiten von 8.811 Mark im Jahre 1892 auf 9.118 Mark im Jahre 1902 zugenommen, oder um 3,48 Prozent. Auf den Oberstand, der im Jahre 1892 nur 0,5 Prozent, im Jahre 1902 0,63 Prozent aller Zensiten ausmachte, entfielen 1892 15,95 Prozent und 1902 18,37 Prozent des Gesamteinkommens. Am schwächsten ist die Vermehrung beim unteren und mittleren Mittelstand, etwas stärker beim obersten Unterstand, am stärksten jedoch, und zwar zunehmend mit steigendem Einkommen von Gruppe zu Gruppe, beim obersten Mittel- und vollends beim ganzen Oberstand. Je größer das Einkommen der Zensiten einer Gruppe, je reicher sie sind, desto mehr vermehrt sich relativ ihre Zahl. Und es nimmt immer mehr zu die Zahl der Zensiten mit höheren und höchsten Einkommen, die aber durchschnittlich auch selbst immer wieder ein größeres Einkommen erreichen, mit anderen Worten, es findet statt eine immer stärkere Einkommenskonzentration nicht gerade nur bei einzelnen besonders reichen, sondern bei einer der Zahl nach stark zunehmenden, wenn auch stets nur eine absolut und relativ kleine Zahl umfassenden höheren und höchsten ökonomischen Volksschicht. »Daraus folgt der Schluß, daß die moderne wirtschaftliche Entwicklung allerdings dem gesamten Volke in Einkommenerhöhung und jeder ökonomisch-sozialen Klasse in Steigerung ihrer Mitgliederzahl zugute gekommen ist, aber doch in stark ungleichem Maße, am meisten den reicheren, dann der unteren Klasse, am wenigsten den mittleren; daß demnach auch die soziale Klassendifferenz, soweit sie auf Größe des Einkommens beruht, sich vergrößert hat« Adolf Wagner, Zur Methode der Statistik des Volkseinkommens und Volksvermögens und weitere statistische Untersuchungen über die Verteilung des Volkseinkommens in Preußen auf Grund der neuen Einkommenstatistik 1892 bis 1902. »Zeitschrift des königlich preußischen statistischen Landesamtes« 1904. .

Nach der Einkommensteuerveranlagung von 1908 gab es in Preußen 104.994 Zensiten mit Einkommen über 9.500 Mark mit einem Gesamteinkommen von 3.123.273.000 Mark. Darunter 3.796 mit einem Einkommen über 100.000 Mark mit einem Gesamteinkommen von 934.000.000 Mark. Es wurden gezählt 77 Zensiten mit mehr als einer Million Einkommen. Die 104.904 Zensiten, oder 1,78 Prozent, mit mehr als 9.500 Mark Einkommen hatten ein ebensolches Einkommen als die 3.109.540 (52,9 Prozent) mit Einkommen von 900 bis 1.350 Mark!

In Österreich entfallen »auf durchschnittlich 12 bis 13 Prozent der Zensiten in den Einkommenstufen von 4.000 bis 12.000 Kronen rund 24 Prozent des veranlagten Nettoeinkommens. Faßt man die Einkommen bis 12.000 Kronen zusammen, so fallen in diese Gruppe über 97 Prozent der Zensiten und 74 Prozent des Einkommens. Für die übrigen 3 Prozent der Zensiten verbleiben dann 26 Prozent des veranlagten Einkommens« F. Leiter, Die Verteilung des Einkommens in Österreich. S. 123. Leipzig 1908. . Das steuerfreie Existenzminimum ist höher als in Preußen – 1.200 Kronen oder 1.014 Mark. Die kleinen Zensiten mit einem Einkommen von 1.200 bis 4.000 Kronen bildeten im Jahre 1904 84,3 Prozent aller Steuerpflichtigen. Die Zahl der reichsten Leute mit mehr als 200.000 Kronen Einkommen belief sich im Jahre 1898 auf 255, im Jahre 1904 auf 307 oder 0,032 Prozent aller Zensiten.

In Großbritannien und Irland gehört nach L. G. Chiozza Money die Hälfte des Volkseinkommens (mehr als 16.600 Millionen Mark) dem neunten Teil der Bevölkerung. Er teilt die Bevölkerung in drei Gruppen: Reiche mit mehr als 700 Pfund Sterling (14.000 Mark), Wohlhabende mit einem Einkommen von 160 (3.200 Mark) bis 700 Pfund Sterling und Arme mit weniger als 160 Pfund Sterling (3.200 Mark) Einkommen.

  Mit Familien-
angehörigen
Einkommen
Pfund Sterling
Reiche 250.000 1.250.000 585.000.000
Wohlhabende 750.000 3.750.000 245.000.000
Arme 5.000.000 38.000.000 880.000.000
  43.000.000 1.710.000.000

Somit gehört mehr als ein Drittel des Volkseinkommens weniger als einem dreißigsten Teil der Bevölkerung. Die Untersuchungen Booths für London und Rowntrees für York haben bewiesen, daß 30 Prozent der gesamten Bevölkerung das ganze Leben lang in den Klauen des permanenten Elends sich abrackern L. G. Chiozza Money, Riches and Poverty. S. 41 bis 43. London 1908. .

Für Frankreich gibt E. Levasseur auf Grund der Statistik der Erbschaften die folgende Zusammenstellung: »Zwei Fünftel des Nationalreichtums befinden sich im Besitz von 98 Prozent Eigentümern, die weniger als 100.000 Frank haben; etwa ein Drittel gehört einer kleinen Gruppe von 1,7 Prozent, und ein Viertel des gesamten Nationalreichtums bildet den Anteil einer winzigen Minorität – 0,12 Prozent!« E. Levasseur, a.a.O., S. 617.

Man sieht, wie groß die Masse der Besitzlosen ist und wie dünn die Schicht der besitzenden Klassen.

»Die wachsende Ungleichheit – sagt G. Schmoller – ist unbestreitbar.... Es wird nicht zweifelhaft sein, daß die Vermögensverteilung Mitteleuropas von 1300 bis 1900 eine steigend ungleiche wurde, allerdings in den einzelnen Ländern in sehr verschiedenen Maße.... Die neuere Entwicklung hat mit den steigenden Klassengegensätzen die Vermögens- und Einkommensungleichheit stark vermehrt« G. Schmoller, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre. 2. Band, S. 454, 463. .

Dieser kapitalistische Entwicklungs- und Konzentrationsprozeß, der sich in allen Kulturstaaten vollzieht, ruft aber bei der Anarchie in der Produktionsweise, die bisher noch keine Trust- und Ringbildung zu verhindern vermochte, mit Notwendigkeit die Überproduktion, die Absatzstockung hervor. Wir gelangen in die Krise.


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