August Bebel
Die Frau und der Sozialismus
August Bebel

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3. Organisation der Arbeit

Noch in anderen, sehr wesentlichen Punkten wird sich die sozialistische Gemeinwirtschaft von der bürgerlichen Individualwirtschaft unterscheiden. Der Grundsatz des »billig und schlecht«, der für einen großen Teil der bürgerlichen Produktion maßgebend ist und maßgebend sein muß, weil der größte Teil der Kundschaft nur billige Waren kaufen kann, die raschem Verschleiß unterworfen sind, fällt fort. Man wird nur das Beste erzeugen, das um so länger hält und seltener ersetzt zu werden braucht. Die Modetorheiten und Modetollheiten, durch die nur Verschwendung und oft auch Geschmacklosigkeit begünstigt werden, hören auf. Man wird sich zweifellos zweckmäßiger und gefälliger kleiden als heute – beiläufig bemerkt zeichnen sich die Moden der letzten hundert Jahre, namentlich die der Männerwelt, durch möglichste Geschmacklosigkeit aus –, aber man wird nicht mehr alle Vierteljahre eine neue Mode einführen, eine Narrheit, die einerseits mit dem Konkurrenzkampf der Frauen unter sich, andererseits mit der Prahlsucht und Eitelkeit und dem Bedürfnis, seinen Reichtum zur Schau zu tragen, aufs engste zusammenhängt. Auch lebt gegenwärtig eine Menge Existenzen von diesen Modetorheiten, und sie ist im eigenen Interesse gezwungen, sie zu stimulieren und zu forcieren. Mit den Modetorheiten in der Kleidung fällt die Modenarrheit im Stile der Wohnungen. Hier treibt die Exzentrizität ihre schlimmsten Blüten. Stile, die zu ihrer Entwicklung Jahrhunderte erforderten und bei den verschiedensten Völkern entstanden sind – man begnügt sich nicht mehr mit den Stilen der Europäer, man geht über zu den Stilen der Japaner, Inder, Chinesen usw. –, werden in wenig Jahren verbraucht und beiseite gesetzt. Unsere Kunstgewerbetreibenden wissen kaum noch, woher und wohin sie mit all den Mustern und Modellen sollen. Kaum haben sie sich in einem »Stil« assortiert und glauben die aufgewendeten Kosten herausschlagen zu können, so ist schon ein neuer »Stil« da, der von neuem große Opfer an Zeit und Geld, an geistigen und physischen Kräften beansprucht. In diesem Hetzen und Jagen von einer Mode zur anderen und von einem Stil zum anderen spiegelt sich die Nervosität des Zeitalters am prägnantesten wider. Niemand wird behaupten wollen, daß in diesem Hasten und Stürmen Sinn und Verstand liegt und es als ein Zeichen der Gesundheit der Gesellschaft anzusehen sei.

Der Sozialismus wird erst wieder eine größere Stabilität in die Lebensgewohnheiten der Gesellschaft bringen; er wird Ruhe und Genuß ermöglichen und ein Befreier von der gegenwärtig herrschenden Hast und Aufregung sein. Alsdann wird die Nervosität, diese Geißel unseres Zeitalters, verschwinden.

Die Arbeit soll aber auch möglichst angenehm werden. Dazu gehören geschmackvoll und praktisch eingerichtete Produktionsstätten, möglichste Verhütung jeder Gefahr, Beseitigung unangenehmer Gerüche, Dünste, Rauch usw., kurz aller gesundheitsschädlichen und lästigen Einflüsse. Anfangs produziert die neue Gesellschaft mit den von der alten übernommenen Hilfs- und Arbeitsmitteln. Diese sind aber unzureichend. Zahlreiche zersplitterte, nach jeder Richtung höchst unzulängliche Arbeitsräume, mangelhafte Werkzeuge und Maschinen, die alle Stufen der Brauchbarkeit durchlaufen, genügen weder der Zahl der Beschäftigten, noch ihren Ansprüchen auf Bequemlichkeit und Annehmlichkeit. Die Beschaffung einer Menge großer, heller, luftiger, auf das vollkommenste ausgestatteter und ausgeschmückter Arbeitsräume ist also das dringendste Bedürfnis. Kunst und Technik, Kopf- und Handgeschicklichkeit finden sofort ein umfassendes Feld der Tätigkeit. Alle Gebiete des Maschinenbaus, der Werkzeugfabrikation, des Bauwesens und der mit der inneren Einrichtung der Räume beschäftigten Arbeitszweige haben die reichlichste Gelegenheit zur Betätigung. Was menschlicher Erfindungsgeist an bequemen und angenehmen Baulichkeiten, an zweckentsprechender Ventilation, Beleuchtung und Heizung, an maschinellen und technischen Einrichtungen und Reinlichkeitsanlagen zu schaffen vermag, wird in Anwendung gebracht. Die Ersparnis an motorischen Kräften, an Heizung, Beleuchtung, Zeit sowie die Arbeits- und Lebensannehmlichkeiten aller gebieten die zweckmäßigste Konzentration der Arbeitsstätten auf bestimmte Punkte. Die Wohnungen werden von den Arbeitsräumen getrennt und von den Unannehmlichkeiten industrieller und gewerblicher Tätigkeit befreit. Und diese Unannehmlichkeiten werden wieder, durch zweckmäßige Einrichtungen und Vorkehrungen aller Art, auf das geringste Maß beschränkt und schließlich beseitigt. Der gegenwärtige Stand der Technik hat bereits Mittel genug, um die gefährlichsten Berufsarten, wie den Bergbau, die chemischen Betriebe usw. von ihren Gefahren gänzlich zu befreien. Sie kommen in der bürgerlichen Gesellschaft nicht zur Anwendung, weil sie große Kosten verursachen und keine Verpflichtung besteht, für den Schutz der Arbeiter mehr als das Notwendigste zu tun. Die Unannehmlichkeiten, die zum Beispiel der Arbeit im Bergbau ankleben, können durch eine andere Art des Abbaus, durch umfassende Ventilation, durch Einführung elektrischer Beleuchtung, erhebliche Verkürzung der Arbeitszeit und häufigen Wechsel der Arbeitskräfte beseitigt werden. Auch bedarf es keines besonderen Scharfsinns, um Schutzmittel zu finden, die zum Beispiel bei Bauten Unfälle fast unmöglich machen und die Arbeit an denselben zu einer der angenehmsten gestalten. So lassen sich ausreichende Schutzvorrichtungen gegen Sonnenhitze und Regen bei den größten Bauten und bei allen Arbeiten im Freien im ausreichenden Maße herstellen.

Auch wird sich in einer Gesellschaft wie die sozialistische, die über ausreichende Arbeitskräfte verfügt, mit Leichtigkeit öfterer Wechsel der Arbeitskräfte und die Konzentration gewisser Arbeiten auf bestimmte Jahres- und Tageszeiten durchführen lassen.

Die Frage nach der Beseitigung von Staub, Rauch, Ruß, schlechten Gerüchen kann auch heute schon vollständig durch Chemie und Technik gelöst werden, es geschieht nicht oder nur teilweise, weil dazu die Privatunternehmer die nötigen Mittel nicht opfern wollen. Die Produktionsstätten der Zukunft werden also, wo immer sie sich befinden, ob unter oder über der Erde, von den gegenwärtigen sich in der vorteilhaftesten Weise unterscheiden. Verbesserte Einrichtungen sind für die Privatwirtschaft in erster Linie eine Geldfrage, es heißt: kann das Geschäft sie tragen, rentieren sie sich? Rentieren sie sich nicht, dann mag der Arbeiter zugrunde gehen. Das Kapital tut nicht mit, wo kein Profit herausspringt. Die Menschlichkeit hat keinen Kurs an der Börse »Kapital«, sagt der »Quarterly Reviewer«, »flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es gibt kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren.« Karl Marx, Das Kapital, 1. Band, 2. Auflage. Note S. 250. .

In der sozialistischen Gesellschaft hat die Frage nach Profit ihre Rolle ausgespielt, für sie gibt es keine andere Rücksicht als das Wohl ihrer Glieder. Was diesen nützt und sie schützt, muß eingeführt werden, was sie schädigt, unterbleibt. Niemand wird gezwungen, bei einem gefährlichen Spiele mitzutun. Werden Unternehmungen ins Werk gesetzt, bei denen Gefahren in Aussicht stehen, so darf man sicher sein, daß es Freiwillige in Menge gibt, und zwar um so mehr, da es sich nie um Kultur zerstörende, sondern stets nur um Kultur fördernde Unternehmungen handeln kann.


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