|
Ein Vogel ganz besondrer Art,
Der sich mit keinem andern paart,
Und, weil er immer einsam kreist,
Original, deutsch: Urselbst, heißt,
War Liebling eines Genius
Und hörte dennoch mit Verdruß:
»Das Flügelpaar, mit welchem ihn
Der hohe Genius beliehn,
Trag' ihn zwar ziemlich hoch und weit
Mit seiner Kraft durch Raum und Zeit;
Allein der Flug sei doch nicht schön
Zu hören oder anzusehn.«
So rief aus Troja's Schutt und Graus
Ein kranker Uhu erst heraus.
Nachrief es flugs ein Papagai
In einer neuen Bücherei,
Wo auf der Grazien Altar
Der Schwätzer eingekäfigt war.
Bald gackten's auch den ganzen Tag
Die Hühner und die Gänse nach.
So ward ein Wort Sanct Klopstocks wahr,
Das Wort: Nachahmer hier sogar!
Da flog der Urselbst hin und bat
Des Uhu Majestät um Rath:
»Herr, gib dich näher zu verstehn,
Wie flieg' ich dir zu Dank recht schön?« –
Der Uhu zog die Stirne kraus
Und sann – und sann den Rath heraus:
»Behaget gleich auf jeder Flur
Dein Flug dem Sohne der Natur,
So frommt doch diese Gunst dir nichts
Vor der Gewalt des Kunstgerichts.
Das Püppchen der Convention
Rümpft stets sein Näschen drob mit Hohn;
Denn eingeschnürte Schulcultur
Haßt gliederfreie Weltnatur.
Drum mußt du, wenn ich rathen soll,
Der Reglerin zum Opferzoll
Erst manchen Schwungkiel dir entziehn,
Womit Naturgeist dich beliehn.« –
Der Urselbst säumt' es nicht zu thun
Und fragte gläubig: »Herr, was nun?« –
»Es fliegt im dritten Himmelssaal
Ein Vogel Namens: Ideal.
Mit dessen Federn rüste dich,
Sonst fliegst du ewig schlecht für mich.
Noch thatst du keinen Flügelschlag,
Der tadellos passieren mag.
Versagt bleibt drum auf mein Geheiß
Dir der Vollendung Paradeis.« –
Da sprach der Urselbst ängstiglich:
»Gestrenger Herr, belehre mich,
Wie steigt man in den Himmelssaal
Und hascht den Vogel Ideal?
Mir dünkt, das ist doch nicht so leicht,
Als man nur blind in's Blaue zeigt.« –
Hierauf der Uhu spöttiglich:
»Herr Ignorant, belehr' Er sich:
Zur Seite fliegt der Ideal
Dem Wunderphönix der Moral.
Wie Dieser strahlt in Heiligkeit,
So Jener in Vollkommenheit.
Und wär' unendlich auch die Kluft
Von unsrer bis in ihre Luft,
So wird doch stets hinauf gezeigt,
Und wer nicht ihre Höh' erreicht,
Dem blasen wir den Todtenmarsch.« –
»Mit Gunst! Ist dies nicht allzu barsch? –
Schlecht wird's hiernach, muß ich gestehn,
Dem Tauber wie dem Adler gehn,
Die man doch in der Unterwelt
Für ehrenwerthe Vögel hält.
Nach dir ist diesseits jener Kluft
Der Tauber Schurk, der Adler Schuft.
Biegt man das Rohr zu stark, so bricht's,
Und wer zu viel will, der will – Nichts.« –
Jetzt wollte schon der Urselbst fort;
Doch wandt' er sich: »Nur noch ein Wort,
Erhabner Kauz! Vermuthlich hast
Du Federn von dem Himmelsgast.
Wie bliesest du wol sonst so barsch
Mir und auch dir den Todtenmarsch!
Gib mir von deiner Portion
Und nimm dafür mein Gotteslohn!
Hiernächst so komm auch selbst heraus
Aus Trojas altem Schutt und Graus,
Und zeig' im Fluge dich einmal
Nach Art des Vogels Ideal!
Denn sieh, als du bei guter Laun'
Einst über deinem Dornenzaun
Der Göttin Freude nach dich schwangst,
Da wurde mir doch etwas Angst.« –
Jetzt rief der Uhu ärgerlich:
»Herr Naseweis, belehr' Er sich!
Obgleich mein Aug' ihn nimmer sah,
So ist der Ideal doch da.
Ja, wär' er auch ein Popanz nur
Von metaphysischer Natur,
Der durch's Transcendentalreich streift,
Wo man nicht sieht, nicht hört, nicht greift,
So schreit man dennoch: »Schau', o schau'!« –
Dem Andern dunstet's dann doch blau;
Und blauer Empyreumsdunst
Ist meist der Schönheitsregler Kunst.
Sothanem Dunst, Herr Naseweis,
Geb' ich dich wie mich selber preis.
Denn stümpert gleich mein eigner Flug
Um Troja's Trümmer tief genug,
So laß ich doch im Fehmgericht
Von meines Urtheils Strenge nicht.
Ich habe recht, recht, recht, recht, recht;
Halt's Maul vor mir, du loser Knecht!« –
Der Urselbst, der nun Unrath roch,
Sprach: »Hätt' ich meine Kiele noch!«
Verlor von nun an nicht ein Wort
Und zog mit mattern Schwingen fort.
Noch gläubig flog er hin und bat
Den Papagai um guten Rath:
»Schön Papelpapchen, laß mich sehn,
Wie flieg' ich dir zu Dank recht schön?« –
Und graziös, in seinem Ring
Sich schaukelnd, sprach das bunte Ding:
»Da unter mir auf dem Altar
Nimmst du viel Gänseblümchen wahr,
Die ich im Ausland weit und breit
Einst aufgezupft und hier gestreut.
Ich trug dafür zum hohen Lohn
Dies goldne Gitterhaus davon,
Wo, wer die Bücherei besteigt,
Schön mit mir thut, mir Zucker reicht
Und mir das glatte Köpfchen kraut,
Das niedlich durch die Stäbchen schaut.
Herr Urselbst, willst du gut allhier
Dich stehn wie ich, so folge mir!
Reiß dir die deutschen Federn aus
Und füll' mit Blümlein, bunt und kraus,
Die leeren Lücken wieder an,
So wird aus dir ein ganzer Mann!« –
Der Urselbst, allzu glaubensvoll,
Sah nicht gleich ein, der Rath sei toll,
Und that, o weh! nach Papchens Wort.
Noch lahmer ging der Flug nun fort.
Jetzt zog der Urselbst hin und bat
Das Gick- und Gackgeschlecht um Rath.
Laut rief das Gick- und Gackgeschlecht:
»Bis hierher thatst du zwar ganz recht,
Doch unsers Beifalls dich zu freun,
Mußt du wie unsereiner sein.
Dies ganz zu werden, rathen wir,
Zieh jeden Genialkiel dir
Bis auf den letzten Stumpf heraus
Und bleib hier hübsch mit uns zu Haus!
Man muß nichts Eignes wollen sein.
So machen wir es, groß und klein.
Du siehst wir watscheln Tag für Tag
Hof auf und ab einander nach
Und schnattern unser Lied dabei
Stets in bekannter Melodei.
Wenn man nun gleich nicht hoch und weit
Uns fliegen sieht durch Raum und Zeit,
So fällt dafür in unserm Lauf
Auch der Kritik kein Anstoß auf.
Drum meint der Uhu selbst im Ernst,
Gut sei es, daß du von uns lernst.« –
Der Urselbst, taub von dem Geschrei,
Besann sich nicht, was gut ihm sei.
Er riß sich Kiel bei Kiel heraus,
Und ach! mit seinem Flug war's aus.
Nun kam ob Dem, was er gethan,
Der Reue Bitterkeit ihn an,
Und tief erseufzend vor Verdruß
Fleht er empor zum Genius;
Allein der hohe Schutzpatron
Schalt hoch herab in ernstem Ton:
»O Thor, also geschieht dir recht!
Was achtest du auf jeden Knecht
Der Meinung, die, im Thurm versteckt,
Ein kranker Uhu ausgeheckt? –
So geht's, so geht's, wenn mein Client
Vor alle Regelbuden rennt.
Meinst du, daß ich, ich, dein Apoll,
Den Flug vom Regler lernen soll?
Der Regler – so beschied sich deß
Schon Summus Aristoteles –
Der Regler zeichne meinen Flug
Wie eine Tanztour in sein Buch;
Nur lehr' er keinen Genius,
Wie er die Flügel schlagen muß! –
Für diesmal will ich dir verzeihn
Und neue Flügel dir verleihn.
Doch fliegst dem Gick- und Gackgeschlecht
Du künftig abermals nicht recht
Und achtest sein, und wendest dich
Im Zweifel nicht allein an mich,
Der ganz allein, was frommt und ehrt,
Trotz allem Kritikakel lehrt,
So lähm' ich dir auf immerdar
Den Flug, der sonst dein Volksruhm war.
Du sollst in Tiefen und auf Höhn
Natur nicht mehr dein achten sehn.
Verscheucht aus ihrem Heiligthum,
Sperr' ich dich ganz sammt deinem Ruhm,
Wie jeden faden Papagai,
Dort in die neue Bücherei
Der schönen Wissenschaften ein,
Dich deines Lebens da zu freun,
Wo dich dein Volk nicht sieht und hört,
Noch dich Vergeßnen nennt und ehrt.« |