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7. November 1876.
Akademischer Vortrag, gehalten in der Aula des Museums. Manuskript, 14 Folioseiten, im Jac. Burckhardt-Archiv, Nr. 171; beigelegt ist die Disposition auf 1 ½ Quartseiten.
Von allem Anfang der Bildung an hat man stets lieber gut als schlecht gegessen und große Unterschiede gemacht. Scherzhafte Poeten haben sogar die Kochkunst als Mutter aller Kultur gepriesen.
An den Höfen der ältesten Potentaten waren gewiß die Köche in hohen Ehren, von den Pharaonen an. Zum Obersten der Bäcker und zum Obersten der Mundschenke des Pharao wird auch der Oberste der Köche nicht gefehlt haben.
Bei den Griechen lernt man die einfache, aber gediegene homerische Küche kennen, schon bei Anlaß der zahllosen Opfer. Die Helden selber verstehen sich auf das Bereiten der Speisen schon gut, und gut Feuer anmachen zu können ist auch für einen Heros ein sehr wünschbares Talent, das nicht jeder besitzt.
Im übrigen aber imponiert Homer durch so viele wunderbare Eigenschaften, daß man auf seine Angaben über das Essen nur wenig aufmerksam zu sein pflegt. Und ebenso verhält es sich dann mit der ganzen seitherigen Griechenwelt Randvermerk: Auch Thessalien und Böotien galten immer für etwas materiell gesinnt.; in Staat und Kultur, in Kunst und Poesie erregt sie eine so gewaltige Teilnahme und wirkt zum Teil noch so stark auf unser jetziges geistiges Tun und Schauen ein, daß wir auf ihre Küchenangelegenheiten hie und da kaum eine untergeordnete antiquarische Aufmerksamkeit zu wenden vermögen. Wohl gab es früher im Osten und Westen Kolonien, wie zum Beispiel die sizilischen, welche in ihrem Fett erstickten und für ihr Wohlleben bekannt waren; auch von den Tyrannen gilt obenhin dasselbe. Allein der große mittlere Feuerherd des griechischen Geistes hatte andere Lebensinteressen als die des Gaumens, und in den glänzenden griechischen Zeiten ist von diesen Dingen wenig und nur bei besonderm, unvermeidlichem Anlaß die Rede; sehr häufig werden Trinkgelage erwähnt und geschildert, fast nirgends aber ist der Gerichte Meldung getan, welche man dabei genoß; denn die Geselligkeit und nicht die Bewirtung war die Hauptsache.
Dies wird nun mit dem IV. Jahrhundert vor Christi Geburt beträchtlich und auffallend anders; nicht nur wird eine ganze Anzahl von Kochbüchern, in poetischer und prosaischer Form, erwähnt, wovon Reste noch vorhanden sind – sie bilden eine ganze Literatur –, sondern die wichtigsten und aktivsten Zweige der damaligen Poesie, die sogenannte mittlere und neuere attische Komödie sind, nach den erhaltenen Bruchstücken zu urteilen, mit Küchengeschichten unverhältnismäßig beladen und die Köche Hauptfiguren gewesen. Wir erfahren von diesen Leuten und Angelegenheiten sehr viel mehr Gleichzeitiges als zum Beispiel von den damaligen großen Künstlern.
Eine solche Tatsache gehört zu denjenigen, welche durchaus zum Nachdenken und zur Deutung ihrer Ursachen nötigen.
Auch handelt es sich gar nicht bloß um Athen, für welches jene Komödien gedichtet wurden und wo sie in der Regel spielen, sondern man findet bei näherer Betrachtung die ganze spätere Griechenwelt beteiligt, ja die derbere Prasserei des größten Maßstabes wird man entschieden außerhalb Athens zu suchen haben.
Wird man etwa sagen, jede höchste geistige Entwicklung, die man ja den damaligen Griechen nicht abstreitet, sei notwendig auch mit einer Verfeinerung des Gaumens verbunden? Und der künstlerische und poetische Geschmack setze auch einen zarten materiellen Geschmack, nämlich eine feine Küche voraus?
Danach müßten lächerlicher Weise gerade die größten Künstler und Dichter, die Schöpfer des Schönen und ebenso die großen Denker die allergrößten Gourmands gewesen sein. Wovon ihre Biographie in der Regel nichts oder das Gegenteil weiß, nämlich die notorische Einfachheit ihrer Lebensweise. Es ist ein anderes Feuer als das Küchenfeuer, welches ihr Leben erwärmt. Wenn Künstler irgend Aufwand machen, so geschieht es etwa durch Schönheit und Reichtum ihrer Tracht.
Auch handelt es sich gar nicht bloß um das Aufkommen der Leckerhaftigkeit an sich, sondern vielmehr um die Keckheit, womit sich dieselbe als Lebensinteresse ersten Ranges der öffentlichen Unterhaltung bemächtigt, ja sich im Vordergrunde der Poesie aufpflanzt.
Hier muß im hellenischen Leben eine große Verschiebung der Kräfte und Richtungen vorgegangen sein.
Bisher, rund gerechnet bis in den peloponnesischen Krieg hinein, hatten zwei große Dinge das Dasein des Bürgers ausgefüllt: das Staatsleben und der Drang der Auszeichnung, der geistigen sowohl als der leiblichen; eine zwiefache Gymnastik hatte den hellenischen Menschen mächtig in Atem gehalten.
Jetzt war der Staat fast überall in mindestens geringe, oft sehr ruchlose Hände geraten, zu einer Chikane von Demagogen und Sykophanten geworden; dem Redlichen und Tüchtigen, der sich des Staates annehmen wollte, wurde dies so schwer als möglich gemacht; aber solcher waren schon nur noch äußerst wenige. Wer Geist und Talent besaß und wer noch etwas zu verlieren hatte, hielt sich jetzt so ferne als möglich von diesen kleinen, zerrütteten Staatswesen, und die Philosophen gaben das Beispiel. Der Raubsucht des Staates entzog man sich, so gut es irgend ging, mit den unbedenklichsten Mitteln.
Der Drang nach Auszeichnung aber, welcher früher die Griechen nach den Stätten der Kampfspiele und nach den Schlachtfeldern begleitet hatte, wandte sich jetzt zum Teil wohl mehr auf geistige, poetische und literarische Leistungen, zum Teil aber auf Eitelkeit aller Art; man suchte einander zu überbieten in Witz und Hohn und futilen Vergnügungen.
Es ist noch immer eine hochbegabte Nation, die der Welt noch vieles zu leisten und zu schenken hatte; mochte diese und jene Form des Geistes erschöpft sein, wie zum Beispiel die Tragödie, so sagte dafür in diesem IV. Jahrhundert die plastische Kunst ihr höchstes Wort, indem sie mit Skopas und Praxiteles zum Erhabenen die wunderbarste Anmut und ein ergreifendes seelisches Leben fügte; auch der Staat rafft sich hie und da, wenn auch nur auf kurze Zeit, zum höhern auf, wie zum Beispiel Theben unter Pelopidas und Epaminondas, und Athen unter Demosthenes; aber im Großen und Ganzen war ein mehr oder weniger verfeinertes Genußleben der Ton der Zeit. Wie zum Trotz stellt es sich dem in Verruf geratenen öffentlichen Leben gegenüber. Ja Athen machte zur Zeit des Demagogen Eubulos 16 Jahre durch, während welcher auch der Staat sich auf die allgemeine Vergnüglichkeit einrichtete, Flotte und Kriegswesen verfallen ließ und auf irgend einen Vorschlag, die Festgelder für ernste Zwecke in Anspruch zu nehmen, die Todesstrafe setzte. Man ist irre geworden an den höhern Zielen des Daseins.
Unter solchen Umständen wird nun unter anderm die Gourmandise eines der ersten Interessen des Lebens und ein Hauptvehikel der komischen Poesie. Wer nicht mithalten kann, schafft wenigstens seinem Neid irgendwie Luft. Das allgemeine Gerede von Kochen und Essen nimmt merklich zu, und ein beträchtlicher Teil der damaligen Ueberlieferung duftet nach der Küche. Bereits ist die Gänseleber ein bekannter Leckerbissen Bemerkung B.'s: Eubulos, der Dichter..
Athen, welches aus allen möglichen Gründen sehr vorzugsweise in Betracht kommt, hatte schon im V. Jahrhundert vereinzelte Züge dieser Art verraten, und Aristophanes schon in seinen frühsten Schöpfungen gestattet seinen Masken diesen und jenen Ausbruch vollendeter Leckerhaftigkeit Zitat: Acharn. 885; die tiefe Rührung des Dikäopolis, da er nach sechsjähriger Entbehrung wieder einen Aal aus dem Kopaischen See in seine Gewalt bekommt.. Auch soll der Koch als Theaterfigur bereits bei einem sehr alten Komiker von Megara, Mäson, vorgekommen sein.
Allein die wichtigsten Vorgänger der übrigen Griechen im Kochen sowohl als in der poetischen Verwertung desselben waren die Sizilier des V. Jahrhunderts gewesen Randvermerk: cf. den Luxus von Agrigent..
Der namhafteste sizilische Dichter jener Zeit, Epicharmos, muß in seinen Götterpossen, nach den erhaltenen Bruchstücken zu urteilen, auffallend reichlichen Gebrauch von Eßszenen gemacht haben, indem die Leckerbissen aus allen Gebieten der Tier- und Pflanzenwelt massenhaft aufgezählt werden. Allein auch die Lehre und Theorie des Kochens weist auf Sizilien. Mithäkos, vielleicht der frühste, welcher ein Kochbuch verfaßte, war ein Syrakuser und noch dazu Abkömmling des Herakles. Der Halbgott selbst aber wurde schon damals in der Komödie und Götterposse gerne von Seiten seines starken Appetites dargestellt, schon von Epicharmos, wo es von ihm heißt: »es braust der Schlund, es rasseln die Kinnbacken, es tönt der Backenzahn, es knirscht der Spitzzahn, die Nasenlöcher zischen, die Ohren bewegen sich.«
Bei spätern Komikern rühmt sich Herakles seines Sinnes für die kräftige Kost, wogegen er die pikanten Nebenschüsselchen verachtet; ja schon in seiner Jugend, da ihn sein Erzieher Linos unter vielen Büchern ein beliebiges greifen läßt, packt der Halbgott ein Kochbuch. Solche Karikaturen waren aber unschädlich für die wahren Idealgestalten; denn noch 100 Jahre später schuf die Plastik erst die herrlichsten Heraklesbildungen.
Die entsetzlichen Erlebnisse, welchen Sizilien dann seit 404 vor Christi Geburt anheimfiel, werden den materiellen Genuß wohl sehr erschüttert und etwa auf die Umgebung des neuentstandenen üppigen Tyrannenhofes von Syrakus beschränkt haben; aber das eigentliche Griechenland tritt dafür in die Lücke.
Freilich gab es noch ein Sparta und noch dazu ein einstweilen siegreiches in seiner Sünden Maienblüte, welches zwar heimlich von Habsucht und Genußsucht unterwühlt, aber offiziell noch an eine sprichwörtlich einfache Küche gebunden war. Bei näherm Zusehen jedoch findet man, daß dieselbe sehr nahrhaft und gut gewesen sein muß; die berühmte schwarze Suppe war tatsächlich ein Fleischgericht, welches sehr verschiedener Zubereitung fähig gewesen sein kann, und welches man in Athen als fremden Leckerbissen nachkochte; dazu kam noch die Jagdbeute, wie sie sich jeder an die gemeinsamen Tische mitbringen durfte. Wenn dann diese spätern Spartaner noch mit ihrer Gleichgültigkeit gegen Zuckerwerk und anderes Dessert prahlen, so nimmt sich dies lächerlich aus neben der sonstigen guten Nahrung, welche sie sich gefallen lassen. So war es mit der Verproviantierung des Königs Agesilaos, als er mit seiner Mannschaft in die Dienste des ägyptischen Herrschers Tachos getreten war: »Weizenmehl, Kälber und Gänse nahm er an, aber Nachtisch, Zuckerwerk und Salben ließ er den Heloten geben.« Sich selber und seinen Weltnamen hatte er eben doch nach Aegypten verkauft, als er es in Sparta nicht mehr aushalten konnte. Dann verriet er noch den Tachos an den Nektanabis.
Im übrigen Griechenland gab es eine Stadt, welche in Gutem und Bösem für alle andern Zeugnis geben, ja verantwortlich sein muß, weil nur von ihr deutliche fortlaufende Lebenskunden vorhanden sind: Athen.
Ohnehin fanden sich aus der ganzen übrigen Griechenwelt Menschen aller Art im IV. Jahrhundert am ehesten in Athen zusammen, wo für einen Fremden die Existenz sehr viel angenehmer sein konnte, als für einen Bürger. Wie zum Beispiel damals die Philosophen aus der ganzen hellenischen Welt mit Vorliebe ihren Wohnsitz in Athen erkoren, so wird es zeitweilig auch mit den Leuten des Genußlebens gewesen sein, welche überhaupt schon durch ihre Ungenügsamkeit zum Herumreisen verurteilt sind Bemerkung B.'s: Wie z. B. Polyarchos, Athenäus XII, 64..
Zunächst werden wir voraussetzen dürfen, daß die Verfasser von Kochbüchern, welches auch ihre Heimat sein mochte, am ehesten in Athen ein verständnisinniges Entgegenkommen fanden.
Es sind uns eine ganze Menge von Titeln überliefert, vielleicht fast von lauter Kochbüchern des IV. oder etwa III. Jahrhunderts. Von einigen der berühmtesten sind Reste erhalten, und siehe – diese waren in Versen abgefaßt und gehörten jener schon uralten Gattung von Lehrgedichten an, deren früheste vorhandene Denkmale die Theogonie und die »Werke und Tage« des ehrwürdigen Hesiod sind. Einer der berühmtesten dieser Dichter, wiederum ein Sizilier, Archestratos, der um seines Gaumens willen in der ganzen Welt herumgezogen war, ahmte die Rede und die ganze Manier des alten böotischen Sängers, allenfalls auch Theognis, nach; in ernsthaftem, gebietendem Lehrton beschreibt er alle möglichen eßbaren Dinge und gibt gastrologische Regeln. Ja man glaubte von Hesiod selbst ein Gedicht über die vom Pontus her eingeführten gesalzenen oder gepökelten Fische zu besitzen, welches jedoch von dem Athener Euthydemos geschmiedet war. Uns Neuern erscheint poetische Behandlung und metrische Form, auf lehrhafte Gegenstände überhaupt und auf das Essen vollends verwandt, als weggeworfene Mühe; für das hellenische Altertum, wie später für das römische, hing diese didaktische Poesie mit dem hohen, alles, auch Widerstrebendes durchdringenden Kunstsinn zusammen. Man hatte das Recht, hierin anders zu empfinden als wir. Uebrigens erging sich auch der Scherz gerne in solchen feierlichen Formen, und die sehr berühmte Beschreibung eines »Gastmahls« von einem gewissen Matron bestand nur aus komisch zusammengeflickten homerischen Ausdrücken und Halbversen. Ganz ernst dagegen hatte der gelesenste aller dieser Eßdichter seine Aufgabe ergriffen: Philoxenos, zugleich sprichwörtlich bekannt als großer Esser und Abenteurer. Von ihm spricht unter andern Aristoteles in einer fragmentarischen Stelle, welche ohne Zweifel auf die Athener geht: »Den ganzen Tag lungern sie herum, wo es etwas zu sehen und zu staunen gibt und passen (etwa im Piräus) auf die Schiffe, welche (mit Eßwaren nämlich) vom Phasis und vom Borysthenes her anlangen; gelesen aber haben sie nichts als das »Gastmahl« des Philoxenos und dieses nicht ganz.« Es war nämlich, wie es scheint, eine umfangreiche Dichtung.
Wenn nun aber im Zusammenhang von athenischer Tafelschwelgerei die Rede sein soll, so ist billiger Weise vorher zu erwägen, daß laut allgemeiner Ansicht die attische Küche wieder relativ als mager galt neben der thessalischen, so wie die hellenische überhaupt neben der barbarischen, etwa der lydischen. An den schon halbbarbarischen äußern Rändern der Hellenenwelt glaubte man in der ersten Hälfte des IV. Jahrhunderts die üppigste Küche voraussetzen zu dürfen, an den Höfen eines Nikokles von Cypern, eines Straton von Sidon, eines Kotys von Thracien. Der glücklichste Mensch aber, nach der Meinung eines jener auf Schwelgerei Reisenden (Polyarchos) war überhaupt kein Hellene, nicht einmal Dionys von Syrakus, sondern der König von Persien, so lange es einen solchen gab. Ueberhaupt spotteten die attischen Dichter gelegentlich gerne auch über auswärtiges Wohlleben; die »Delias« des Nikochares scheint eine burleske Darstellung des Koch- und Gastwirtswesens der Insel Delos gewesen zu sein.
Die Aussagen aber, mit welchen wir es nun zu tun haben, stammen wie oben bemerkt, meist aus den Dichtern der mittlern und neuern attischen Komödie; was wir zu hören bekommen, ist zum Teil vom schönsten attischen Geist und Witz. Freilich wer zwischen den Zeilen lesen kann, wird mitten in der besten Komik hie und da Trauer empfinden um ein Volk, welches sich dem Wohlleben ergeben hat, weil ihm seine früheren Ideale und Hoffnungen zu Scheitern gegangen sind, und weil es aus dem Jammer und den Gefahren des täglichen Lebens keinen andern Ausweg mehr weiß. Wie tief traurig lautet die Stelle aus Antiphanes: »Wer im Leben noch etwas für sicher hält, der irrt sich. Entweder haben die Steuern ihm das ganze Haus ausgeraubt, oder ein Prozeß ist verderblich hereingebrochen, oder er hat bei einem Kommando Schulden machen oder als Festgeber dem Chor goldene Gewänder spenden müssen, während er selbst in Lumpen geht, oder er hat sich, von Staatswegen zur Ausrüstung eines Schiffes gezwungen, aus Verzweiflung erhenkt, oder wird auf einer Seefahrt gefangen, oder er wird im Gehen oder im Schlaf von den Sklaven ermordet. Nichts ist sicher, als was einer täglich für seine eigene Person drauf gehen läßt. Und auch da kann jemand kommen und ihm den schon bereit stehenden Tisch wegziehen; erst wenn du den Bissen zwischen den Zähnen hast, dann denke: dies allein sei sicher von allem.« Es gibt noch mehr als eine Stelle bei diesen Komikern, welche im Grunde recht traurig ist.
Auch ist es nicht immer heiterer Witz, der den Gourmand als solchen, als eine der vielen amüsanten Figuren dieser bunten und törichten Welt, Rede stehen ließe, sondern oft nur denunziatorische Bosheit, welche dem Publikum Namen von Individuen in großer Anzahl preisgibt. Hie und da dürfen wir im Dichter recht wohl auch hungrigen Neid vermuten. Aus den Komikern hauptsächlich mögen später jene langen Verzeichnisse von irgendwie namhaften besonders starken oder besonders leckerhaften Essern aller Art zusammengetragen worden sein, welche uns hie und da in spätern Autoren begegnen. Selbst Aristoteles kommt darin vor, wie man denn ganz besonders gerne den Philosophen in dieser Beziehung aufsäßig war. Eine Philosophenschule, die der Cyrenaiker, beklagte sich hierüber wohl nicht, indem sie systematisch das Wohlleben zu ihrem Prinzip erhoben hatte. Dafür bekam die im Aufblühen begriffene Stoa einen Hieb wie folgt: »Die nämlichen Philosophen, welche in ihren Forschungen und Gesprächen immer den »Weisen« zu suchen vorgeben, als sei ihnen dieser entlaufen, wissen doch ganz vortrefflich, wie man diesen und jenen Fisch (beim Tranchieren) anfaßt.« Auch die Pythagoreer mußten sich dergleichen gefallen lassen.
Außer den Philosophen muß dann noch Groß und Klein den Dichtern herhalten, von dem Großgefräßigen, welcher stürmisch alle Fische auf dem Markt zusammenkauft, bis zu denjenigen delikaten Leuten, welche alle Speisen im Diminutiv nennen: ein Hähnchen, ein Rebhühnchen, ein Tintenfischchen, ein Wildtäubchen usw. Womit bekanntlich auch noch heut zu Tage nur eine gewisse Zärtlichkeit für das gute Essen und ja nicht etwa der Wunsch nach Kleinheit der Portionen ausgedrückt werden soll. Wir lernen die entgegengesetzten Pole des Daseins in ihrer Beziehung zur Küche kennen; nämlich das kleine Opfermahl, welches ein kaum dem Schiffbruch entgangener Seefahrer einem getanen Gelübde gemäß anrichten läßt; und dem gegenüber die Schlemmerei des glücklich mit reichem Gewinn Angelangten, beides vom Gesichtspunkt des Mietkoches aus, der den erstern, weil er kaum das Notwendige aufwenden kann, abweist, dem letztern aber, einem wüsten Gesellen, sich auf das freundlichste empfiehlt. Dann treten vornehme Geizhälse auf, welche elend dürftig von schwerem kostbarem Silbergeschirr essen, und wirklich Dürftige, welche sich vornehm stellen, indem sie zwar Silbergeschirr brauchen, aber so leichtes und dünnes, daß es der Wind davon tragen könnte. Sodann lebt von alten Zeiten her die Sitte der Pikniks, wobei die Mietköche nur zur Zubereitung der mitgebrachten Vorräte in Anspruch genommen werden; auch machten sie sich wenig daraus, weil man in der Regel Verdruß mit den Leuten bekommt und nicht so betrügen kann, wie etwa bei Hochzeitsschmäusen. Je weniger aber solche Pikniks den Mietköchen galten, desto eher können sie noch Zufluchtsorte der echten alten geselligen Freude gewesen sein, während die feine Küche der Tod der freien und edeln Geselligkeit war. Seit Ausgang des IV. Jahrhunderts endlich, da es eine ganze Anzahl griechischer Höfe gab, bekanntlich die der Nachfolger Alexanders, mag der Küchenluxus noch eine weit höhere Stufe erreicht haben, wenn auch nur selten davon die Rede ist. Beim Komiker Euphron, um die Olympiade 125, sagt zum Beispiel ein Koch: »ich bin der Schüler des (berühmten) Soteridas, der zuerst Sardellen zwölf Tagereisen weit ins Binnenland dem Nikomedes lieferte«, freilich indem er Rüben sardellenähnlich zuschnitt und mit Saucen und dergleichen zubereitete. Anderswo, bei Demetrios, hören wir den Koch prahlen, welcher Saucenmacher bei König Seleukos war, ferner bei König Agathokles die »Tyrannensauce« erfand und zuletzt noch in Athen für Lachares, den schmählichen momentanen Gewaltherrscher, bei Hungerszeit ein leckeres Gastmahl zu kochen wußte. Die Tyrannenküche war von jeher im allgemeinen Ruf der Ueppigkeit und Feinheit gewesen.
Allein die Komiker reden von der Küche viel weniger um der Essenden und Gourmands als um des Koches willen, welcher offenbar eine ihrer frequentesten Figuren gewesen ist. Und zwar ist es nicht einer jener Kochsklaven, die seit dem IV. Jahrhundert, oder erst seit den Macedoniern Zitat: cf. Athenäus XIV, 77., in den Häusern der Reichen überhand nahmen Zitat: cf. Athenäus VI, 109 aus Theopomp., sondern der freie Mietkoch, welcher ja auch später neben den Kochsklaven für alle größern Anlässe wird unentbehrlich geblieben sein. Zu Hause hält er wohl eine Garküche und sendet zu den reichen jungen Herrn, die draußen auf dem Platz ihre Pferde zureiten, seinen Diener, um sie durch blitzrasche Aufzählung von etwa 60 Leckergerichten in seine Bude zu laden; ein Prestissimo der Rede, welches an die Leistungen des gewandtesten italienischen Baßbuffos erinnert. Es ist endlich nicht etwa ein gemütlicher Hauskoch, sondern die Dichter hassen ihn und nehmen ihn von den lächerlichsten Seiten.
Vor allem erscheint er als widerwärtiger Wichtigmacher und Prahler, wie z. B. jener, welcher ausruft: »Wie viele weiß ich, die um meinetwillen ihr Vermögen aufgegessen!« Kaum in den Dienst genommen, hört man ihn, wie er alles anfährt, ausschilt und durch seine Grobheit in Schrecken setzt. Er ist eben nicht bloß ein Sieder und Brater, sondern ein Koch! Nicht bloß ὀψσοποιός, sondern ein μάγειρος. Er hält etwas auf die Tradition und Schule, welcher er angehört, nicht sowohl aus Pietät, als aus Dünkel ... »Wir drei allein sind noch übrig, Boidion, Chariades und ich; alles Uebrige sind nur Ignoranten; wir halten noch die Schule des Sikon aufrecht« ... Ein anderer nennt sich als Schüler des Sophon, eines derjenigen Stifter der neuern Schule, »welche die scharfen Gewürze, die einst schon Kronos gebraucht, abschafften und den Gästen das Weinen, Nießen und Geifern ersparten«; er gedenkt, was er gelernt hat, auch wieder weiter zu geben und eine Theorie seiner Kunst zu hinterlassen, welche auf Kunde der verschiedenen Menschenklassen gebaut sein muß; denn er weiß, wie man für junge Schwelger, für Philosophen, für Greise, für Zollpächter und andere kochen muß. Der Koch pflegt nebenbei seinen Kunden es auch an der Physiognomie abzusehen, wieweit sie gute Kunden sind. Ein dritter zählt seinem Schüler beim Abschied sechs große Vorgänger auf, deren jeder eine Schüssel erfunden und in klassischer Weise produziert habe; sich selbst nennt er als den, welcher das Stehlen (nämlich der ihm anvertrauten besten Vorräte) erfunden habe. »Keiner (das heißt kein Koch) haßt mich deshalb, sondern es stehlen (seither) alle.«
Allein in einer so hochgebildeten Zeit und Luft, wie die athenische des IV. Jahrhunderts war, nimmt auch der Koch wissenschaftliche und poetische Manieren an, und die Komödie, welche ihn von dieser Seite ganz besonders gerne lächerlich macht, belehrt uns damit, wie weit abwärts sich damals die vornehmen Bildungsprätensionen erstreckten.
Der Mietkoch stellt sich so hoch als der Dichter an Geist und Kunst; wenn der Herr, der ihn eingestellt, sich darüber beklagt, daß er beständig in homerischen Ausdrücken rede, so erwidert er: »Ich bin's so gewohnt«. Indes wissen wir, daß dies damals mit vielen Leuten aller Stände nicht anders war; die scherzhafte Redeweise lebte großenteils von Zitaten aus Homer. Schon mehr ins Lyrische geht jener Koch, welchen ein Sehnen befällt, Himmel und Erde zu erzählen wie er seinen Fisch zubereitet hat ... Wäre es freilich ein Meeraal gewesen, wie ihn Poseidon den Göttern in den Himmel bringt, dann wären alle Gäste zu Göttern geworden. Aber schon so kann er sagen: »Ich habe Unsterblichkeit erfunden; mit dem bloßen Duft kann ich Tote erwecken!« Allein neben diesen poetischen Ansprüchen ist dem Koch noch ein wissenschaftlicher Dünkel eigen, beruhend auf abenteuerlich zusammengelesenen Brocken aus dem ganzen damaligen athenischen Bildungsgerede; dieses aber stammte nicht geringen Teiles aus der Umgebung der Philosophen und Rhetoren her, von welchen Athen voll war. Und nun wird für die vollendete Kochkunst erst das Dasein alles übrigen Könnens und Wissens vorausgesetzt; dann kann »musisch« gekocht werden, ein Ausdruck, welcher das Wissenschaftliche und das Schöne zusammen zu umfassen zensiert ist. Einer der bereits zitierten Köche läßt sich dann näher vernehmen: »Wir drei allein, Boidion, Chariades und ich ... halten noch die Schule des (großen) Sikon aufrecht, der alle Doktrinen über die Natur der Dinge inne hatte und uns Astrologie, Architektonik und Strategik lehrte ...« Denn der wahre Koch muß zuerst über die Himmelserscheinungen, über Aufgang und Niedergang der Gestirne berichtet sein, und in welchem Zeichen die Sonne steht, und wissen, wie alle Speisen je nach der Bewegung des Weltalls ihre Wonne (ἡδονή) empfangen. Die Architektonik muß er kennen wegen Licht, Luft und Rauch, die Feldherrnkunst, weil das Taktische (τάξις) in allen Dingen und Künsten etwas Weises ist, und so fort.
Noch umständlicher spricht sich ein Koch aus in einer Komödie des Damoxenos, welche den Titel: Die Kameraden (Milchgeschwister, σύντροφοι) führte. Er gibt sich geradezu als Schüler des großen Epikur und meint gegen seinen Mitredner B.: »Wenn du jetzt einen Koch siehst, der ohne literarische Bildung ist und nicht den ganzen (so gewaltig voluminösen!) Demokrit und den Kanon des Epikur durchgelesen hat, so verachte ihn und laß ihn laufen.« Hierauf preist er die philosophische Lehre, aus welcher man berichtet werde, in welcher Jahreszeit jeder einzelne Nahrungsstoff am besten sei. B.: »Du scheinst dich auch auf Medizin zu verstehen?« – A.: »Wie jeder, der im Innern der Natur (eingedrungen). Denke nur, wie unerfahren die jetzigen Köche sind; sie machen aus ganz entgegengesetzten Fischen eine Sauce und reiben Sesam drein! ... Solche Disharmonien zu durchschauen ist die Sache der geistvollen Kunst, und nicht Töpfe zu waschen und nach Rauch zu riechen. Ich gehe gar nicht mehr in die Küche; ich sitze nur in der Nähe und sehe zu, und während die andern arbeiten, erkläre ich ihnen Ursache und Wirkung.« – B.: »Ein Harmoniker, nicht ein bloßer Koch!« Worauf der verzückte Meister seine Küchenkommandos hersagt, ganz als wäre er an Ort und Stelle. Dann fügt er bei: »Ich mische nach höherm Zusammenklang; einiges hat Gemeinsamkeit nach der Quarte, anderes nach der Quinte oder nach der Oktave.« Und nach nochmaligem Herrufen seiner Kommandoworte schließt er: »Nur Epikur hat so den Genuß verdichtet und vermehrt; er allein sah das Richtige; die von der Stoa suchen umsonst unaufhörlich, was es ist, und können es daher auch keinem andern beibringen.«
Hier Randvermerk: Der Koch als Opferer zu übergehen. dürfen wir endlich mit demjenigen Sammelschriftsteller, dem wir unter anderm die vielen Komödienfragmente über dieses Thema verdanken, mit Athenäus ausrufen: »Nun wären es genug der Köche!« Von den Weinhändlern berichtet er nicht viel, nur etwa, daß sie ihre Weine gerne verwässerten, freilich »nicht aus Gewinnsucht, sondern nur um den Käufern die schweren Köpfe zu ersparen.«
Einen ganz traurigen Effekt aber macht der Anfang seines VI. Buches, wo aus einer großen Anzahl von Stücken der mittleren und neuern Komödie der Jammer über die Fischhändler hervortönt, und zwar in solcher Weise, daß man nicht sowohl die Personen des Dramas, als den eigenen Schmerz der betreffenden Dichter zu vernehmen glaubt. Ueberhaupt stehen die letztern durchaus nicht immer in freier Ironie über ihrem Thema, sondern verraten offenkundig hie und da ihre persönliche Leckerhaftigkeit, wie zum Beispiel Alexis, wenn er ein umständliches Rezept des lydischen Hauptgerichtes Kandaulos in einen Dialog verteilt. Bei ihren Klagen über die Fischhändler möchte dem Leser vollends das Herz brechen. »Jene unverschämten Preise! Jene düstere Grobheit, welche kaum noch Rede und Antwort gibt! Jenes ewige Betrügen beim Wechseln und Herausgeben! Jenes Unterschieben von fauler und toter Ware! Und was für Menschen! So einer läßt etwa sein Haar, angeblich auf ein Gelübde an die Götter hin, lange wachsen, in Wahrheit aber nur als Vorhang über irgend ein gerichtliches Brandmal!« Endlich jammert man, daß es so schädliche Tiere wie die Fische überhaupt gebe, an welchen ganze Vermögen drauf gehen und der Mensch zum Bettler wird. Zum Trost für die Ueberteuerten schrieb ein gewisser Lynkeus von Samos eine »Kunst des Kaufens«, nämlich eine Lehre, wie man sich gegen die »mörderischen Fischhändler« zu verhalten habe, und adressierte sein Buch »an einen unglücklichen Käufer.«
Natürlich waren außer den Händlern jetzt auch die Fischer wichtige Personen geworden und bildeten sich auf ihr Gewerbe mehr ein als die trefflichsten Kriegsanführer. Einigermaßen unabhängig von diesen schrecklichen Leuten war man nur, wenn man sich mit den τάριχοι begnügte, den gesalzenen und eingepökelten Fischen, besonders Sardellen, welche hauptsächlich aus dem Pontus massenhaft nach Athen gebracht wurden. Und die Athener scheinen in diesem Verhältnis wirklich eine wahre Rettung erkannt zu haben, wenigstens schenkten sie einst den Söhnen eines Tarichoshändlers das Bürgerrecht. Allein auch das beste Eingesalzene und Eingepökelte und selbst der Caviar aus den südrussischen Strömen, den man wohl gekannt haben wird, dieses alles ist im günstigsten Fall etwas anderes als das frische Tier und ersetzt dasselbe nicht.
Eine eigentümliche soziale Pest hing sich an diese allgemeine Gourmandise: es entstand der Parasit, wesentlich erst ein Geschöpf des IV. Jahrhunderts und, noch mehr als der Koch, eine permanente Figur in der Komödie. In den kräftigern Zeiten, da das politische Leben und der geistige und leibliche Wettstreit noch alles durchdrangen, hätte das echte Symposion ein solches Individuum nicht geduldet; er gehört der Einschränkung auf das Privatwohlleben an, ein ewig lehrreicher Typus, welcher zeigt, was in einer gesunkenen Zeit bei sonst hoher geselliger Bildung möglich ist. Ein tiefer Haß gegen Arbeit und Erwerb, eine große Biegsamkeit und Gewandtheit trifft hier zusammen mit einem unbedingten Bedürfnis nach guter Tafel; das Ergebnis ist die vollendete Ehrlosigkeit des Schmarotzers. Die Dichter haben eine Fülle von Geist aufgewandt, um uns diese Physiognomie in allen ihren Schattierungen zu vergegenwärtigen, und ebenso die des reichen Herrn, welcher den Parasiten an seine Tafel nimmt oder ihn wenigstens an derselben duldet. Wir dürfen in dieses umfangreiche Kapitel nicht weiter eintreten; so merkwürdig es in seiner Art sein mag, so wenig tröstlich ist es im Grunde. Ueberdies gibt es eine sehr düstere Seitengestalt des Parasiten: es ist der verarmte Schwelger, welcher zum Räuber, im römischen Ausdruck zum Catilinarier wird. Nachts bricht er ein oder ist der Helfer von Einbrechern, des Tages ist er Sykophant und handelt mit Meineiden. Die Furcht vor solchen Menschen scheint ziemlich ausgebildet gewesen zu sein. Ein Armer, heißt es, welcher doch immer Geld zu Leckerbissen hat, ist gewiß ein solcher, der des nachts alle überfällt, die ihm unbewaffnet begegnen; was arm und jugendkräftig ist und doch bei Mikkion Aale kauft, das sollte man sogleich in den Kerker führen. Rühmenswert erscheint Korinth, wo es ein Gesetz gegen arme Prasser gibt, welches dieselben sogar dem Henker in die Hände liefern kann.
Wir wissen nicht, ob den Korinthiern bei ihrem sonstigen Treiben dieses Gesetz viel geholfen hat und ob ihm überhaupt ist nachgelebt worden. Darüber darf ja doch, wenn man auch nur Polyb hört, kein Zweifel obwalten, daß Menschen der bezeichneten Art vieles zu demjenigen Zustand Griechenlands beigetragen haben, wie er sich vom Ende des III. Jahrhunderts an enthüllt. Man hat den Eindruck, als rollten alle Angelegenheiten der griechischen Nation einem Abgrunde zu und als hätte nur die völlige Ueberwältigung durch die Römer der gegenseitigen Zernichtung unter den Hellenen ein Ende gemacht. Aus diesem Grunde ist es ein für allemal nicht möglich, die spätgriechische Tafelschwelgerei, so komisch sie uns geschildert wird, bloß von der heitern Seite zu nehmen; sie war einer von den begleitenden Umständen, ja eine Mitursache des tiefen und allgemeinen Verfalles.