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26. Oktober 1886.
Akademischer Vortrag, gehalten in der Aula des Museums. Manuskript, 14 Quartblätter, im Jac. Burckhardt-Archiv, Nr. 171. Die Anfangspartie, S. 324-327, stellenweise stilistisch ergänzt und überarbeitet.
Anton van Dyck wurde am 22. März 1599 zu Antwerpen geboren. Er war Jahrgänger des Velasquez, Schüler und Zeitgenosse des Rubens und überlebte seinen Meister nur um anderthalb Jahre.
Er ist einer der berühmtesten, jedenfalls bekanntesten Künstler; fast alle seine Werke sind jedem verständlich und genießbar und hinterlassen meist einen großen Eindruck, neben allen andern Ursachen, besonders weil er immer anzieht; er hat »la grâce«. Dabei ist er fleißig bis an den Tod, erlahmt nie und ist stets inspiriert. Er ist reichlich in den Galerien vorhanden, sodaß er vielen Beschauern zum alten Bekannten wird, dem man mit Freuden wiederbegegnet.
Die Frage erhebt sich, ob er ein Meister ersten Ranges gewesen sei? Sie ist mit Ja zu beantworten, sobald man vor den so vielen eigenhändigen und wohlerhaltenen Bildern steht, welche meist so wirken, daß man nicht nur ergriffen ist, sondern auch gar nichts dazu oder davon tun, nichts ändern möchte. Allein auch bei der höchsten denkbaren Begabung und Willenskraft hängt es nicht immer von dem einzelnen ab, welche Herrscherstellung er in der Kunst einnehmen wird. Es kann ein anderer vor ihm dagewesen sein, der auf lange Zeit und für einen halben Weltteil die Richtung angegeben hat.
Eine solche Persönlichkeit war Rubens, der 22 Jahre älter als van Dyck war. Er hatte die fleißigen und saubern, aber in den Manieren der römischen Schule befangenen Antwerpener Vorgänger gestürzt; er besaß zum Studium ein Kunstland, wie das damalige Belgien. Ausgerüstet mit der mächtigsten künstlerischen Individualität wie Lionardo oder Michelangelo, war er dem Lionardo weit überlegen durch den enormen Willen und Drang des Darstellens, schöpferisch völlig im Sinne der Natur, geläutert durch die größten italienischen Vorbilder, die ihm gemäß waren, nämlich durch Tizian und Paolo Veronese, mit einem riesigen Rayon von Aufgaben, vom Weltgericht bis zur Landschaftskizze, alles von einem und demselben Geiste aus neu geschaut und neu gegeben Randbemerkung: Alle Themata, welche der ihn umgebenden Welt irgend lieb waren., begeistert für das Geschehen innerhalb der idealen und historischen Welt, der größte Erzähler der ganzen Geschichte der Malerei, war er in Summa fähig, alles irgend Wünschbare vorweg zu gewähren, den Stoff einer ganzen Schule vorweg aufzuarbeiten. Zugleich aber war er auch fähig, diese Schule selber zu erziehen und als Gehülfen kolossaler Unternehmungen an sich zu ketten.
Neben einem solchen mußte jeder, der ihm nahe kam, irgend in den Schatten geraten, so groß auch sein Kunstvermögen, so ausgiebig seine Schöpfungskraft sein mochte. Es war aber kein Unglück, Schüler und Vasall des Rubens zu sein; man wurde dabei Mitgebieter in einem großen blühenden Reiche. Wer gelernt hatte, was bei Rubens zu lernen war, konnte sich wohlig der eigenen Kraft überlassen.
Fromentins Frage, was aus van Dyck und den übrigen geworden wäre, wenn man sich Rubens wegdenkt, ist wohl dahin zu beantworten, daß van Dyck den mächtigen Ruck, durch welchen Rubens die ganze Kunst des Nordens neu orientierte, mit all seinen eigenen Kräften doch nicht vollbracht hätte. Vielleicht wäre er in Italien geblieben und ein sehr großer Italiener geworden, während dann die Manieristen in Antwerpen weiterregierten. Es hat, wahrscheinlich zum Glück, anders kommen müssen.
Wohlhabend von Hause aus, sehr frühe reif, kam van Dyck nach einer vielleicht nur kurzen Lehre bei Hendrik van Balen – mehr als etwas Latein wird er nicht von den Schulbänken her gehabt haben – schon als Jüngling in die Werkstatt des Rubens; seine Fortschritte waren der Art, daß er noch nicht ganz neunzehnjährig Meister in der Malergilde wurde. Zwei Jahre später, bei der großen Bestellung für die Jesuitenkirche von Antwerpen, wird dem Rubens bereits die Bedingung gestellt, diesen Gehülfen mitarbeiten zu lassen, und eines der zahlreichen Altarbilder wurde dem van Dyck insbesondere aufgetragen.
Welches damals in eigenen Arbeiten sein Stil war, wissen wir sehr genau aus der Verspottung Christi und den dazu gehörenden Bildern des Pfingstfestes Randbemerkung: Auch aus dem Dresdener S. Hieronymus. und der beiden Johannes im Museum von Berlin Randbemerkung: Hier scheint er ein Jordaens zu werden.. Es ist Rubens, und in seiner derbsten und herbsten Art Randbemerkung: S. Hieronymus ist ein verwildertes Individuum. Sein trunkener Silen (Dresden) könnte von Jordaens sein., auch in dem körperlichen Typus, welcher eine so große Wandlung ins Edle und Vornehme erfuhr. Mit solchen eigenen Arbeiten und mit einer mehrmonatlichen Abwesenheit in England und Holland wechselte dann beständig die Hilfsarbeit an großen Werken des Rubens, wie man denn in der Galerie der Marie de Médicis bedeutende Partien der Hand dieses Schülers zuschreibt. Daß Rubens in eifersüchtige Sorge geraten über das Emporkommen van Dycks als Historienmaler Randbemerkung: Das Gegenteil ist die Wahrheit. und daß er ihn deshalb auf das Porträt als die ihm besonders zusagende Gattung hingewiesen, gehört zu dem Gerede, womit die niederländische Kunstgeschichte stellenweise heimgesucht ist Randbemerkung: Stellt das Münchner Porträt wirklich van Dyck vor?.
Die Jahre 1623-1626 brachte van Dyck in Italien zu. Wir vernehmen nicht, daß er irgend einen der damaligen berühmten Meister aufgesucht habe, auch nicht Domenichino Randbemerkung: Doch etwa der Madonnenkopf Pitti?, Albani oder Guido Reni oder vollends die Nachahmer der Caravaggio; seinen niederländischen Landsleuten in Rom und ihrer rauschenden Geselligkeit ging er aus dem Wege; mit der Haupttätigkeit der Bolognesen, der monumentalen Freskomalerei, hatte er so wenig als Rubens eine Berührung; was er von Künstlern aufsuchte, waren einige große Tote, vor allem Tizian und Paolo Veronese, gerade wie es einst sein Lehrer in Italien gehalten hatte; bei Lehrer und Schüler ist es hingegen bezeichnend, daß beide Correggio eher umgangen haben. Von Tizian waren es außer den Porträts besonders einige kirchliche und mythologische Bilder der frühern und mittlern Zeit, welche auf van Dyck den größten Eindruck gemacht haben müssen, indem das Wiederleuchten davon namentlich in seinen eigenen mythologischen Malereien sich eigentümlich mit den Farben- und Lichtwerten der Rubens'schen Palette verbindet.
Van Dyck hatte aber Italien betreten nicht nur als fertiger Künstler, der wenigstens als Kolorist von keinem damaligen Italiener zu lernen hatte, sondern als diejenige glänzende vornehme Persönlichkeit, als welche er in der Erinnerung der Menschen lebt Späterer Nachtrag: Er hat in Bologna u. a. auch verweilt und muß doch von Guido, wenigstens von dessen Werken, einen Eindruck empfangen haben?.
Van Dyck kam nach Italien wohl um zu lernen, aber wie ein fertiger großer Meister lernt und wesentlich, um eine Laufbahn zu machen. Rubens war einst viel unfertiger hingegangen.
Aus dieser Zeit stammen bedeutende religiöse und Altarbilder, wie die Grablegung im Palazzo Borghese und die Bilder, die er für die Riviera und für Sizilien gemalt hat Randbemerkung: Cf. Bellori, ein großes Gnadenbild, vielleicht auch der Zinsgroschen (Duchesse Galliera).. Aber vor allem wurde er für drei Jahre der große Porträtmaler.
Die italienischen Maler hielten das Porträt für eine geringe Gattung, woraus sich die geringe Ausbreitung der damaligen Porträtmalerei in Italien, ausgenommen in Venedig, erklärt. Der florentinische Hof hielt sich bereits seinen Sustermans.
In diese Lücke trat nun van Dyck ein, und Genua holte, als es van Dyck hatte, plötzlich nach, was es neben Venedig versäumt hatte. Van Dyck hatte in Rom das Glück, sofort denselben Kardinal Guido Bentivoglio zu malen, welcher bald darauf, etwa 1627, der erste Beschützer des Claude Lorrain war. Dessen Bildnis ist das vornehmste Kardinals-Porträt der Welt Randbemerkung: Für Bentivoglio auch ein Crucifixus, vier Palmen hoch, aufwärts blickend..
Namentlich aber nahm ihn Genua in Anspruch, wohin er von Rom, Sizilien und Venedig mehrere Male zurückkehrte, und mit den vornehmsten Geschlechtern in Berührung trat. So kommt es, daß eine Reihe der herrlichsten Porträts zu Genua in den verschiedenen Sammlungen sich findet Randbemerkung: Der Wallenstein in der Galerie Liechtenstein. Van Dyck als Pferdemaler..
Allein wenn irgendwann, so entschied sich in Italien das Uebergewicht des Porträtmalers über den Historienmaler. Die vornehme italienische Gesellschaft hat auf van Dyck stark gewirkt, und wenn er ihren Typus nur an Bentivoglio erkannte hätte. Van Dyck war von Jugend auf in Sitte und Geschmack vornehm gewesen, und Rubens muß ohnehin auf seine ganze Umgebung gewirkt haben wie ein Fürst. Van Dyck aber mußte jetzt vollends in Italien inne geworden sein, welche gewaltige Klientel auf Lebenszeit seiner wartete, die er und nur er würde zufrieden stellen können.
Nach Antwerpen zurückgekehrt, verweilte er neben Rubens die glorreichen sechs Jahre 1626-1632 in seiner Vaterstadt und diese Zeit unterbrach er mit häufigem Zwischenaufenthalt in Brüssel am Hofe der Infantin, wo so viele vornehme Fremde ankehrten. Die Reihe von Kirchen- und Andachtsbildern, welche damals, oder zum Teil auch schon früher, entstanden, würden schon für sich das Dasein eines großen und ruhmvollen Meisters würdig ausfüllen.
Es ist wahr, die Auffassung und das Wesentliche der Darstellungen wären ohne Rubens nicht denkbar, und auch einzelne Motive, ja Hauptmotive sind aus den Passionsbildern des Meisters geradezu herübergenommen, worüber man damals sehr viel liberaler dachte als jetzt; überhaupt konnten in jenen großen Zeiten Bilder entstehen, die bei ganz geringer sachlicher Eigentümlichkeit doch den allergrößten Lebenswert und Kunstwert haben. Neben Rubens wird van Dyck zurückstehen, so oft es sich um einen sehr mächtig bewegten Moment handelt Bemerkung B.'s: So vermutlich in der Kreuzaufrichtung in Notre Dame zu Courtray, vor 1631.. Aber er kann schon sehr wohl den Rubens ergänzen in Darstellungen der Kreuzigung, wo die heiligen Frauen, Johannes, die Engel, uns zum erstenmale offenbaren, daß sich die Macht der Empfindung, welche Rubens in so hohem Grade besitzt, verbinden ließ mit einer höhern Idealität des Schmerzes; so im mächtigen Golgatha in S. Michel in Gent (1628) und im noch herrlicheren in S. Rombaud zu Mecheln (1627), eine schöne, klar abgewogene Komposition voll tiefsten Ausdruckes und einer unvergleichlichen harmonisch-düstern Haltung. Es ist verwandt mit der dramatisch und im Licht so außerordentlichen berühmten Kreuzigung des Rubens im Museum von Antwerpen, und doch wieder ganz anders; und dabei wiederum verschieden von einem dritten großen Altarwerk, das ich nur aus dem Stiche kenne. Alle diese Bilder stellen Christus schon tot, mit gesenktem Haupte dar.
Anders die Einzeldarstellungen des Cruzifixus, welche den noch Duldenden aufwärts schauend geben, einsam auf dem Grunde eines düstern Wolkenhimmels. Eine ganze Anzahl solcher Bilder, über Europa zerstreut, werden dem van Dyck beigelegt; um aber über Eigenhändigkeit sicher zu urteilen, müßte man sie messen an den beiden Wunderwerken des Palazzo Reale in Genua und des Museums von Antwerpen Randbemerkung: Dort der Kopf mehr beschattet, hier am Licht.; auch dann werden vorzügliche Kopien von Gehilfen uns täuschen können, nur daß diese vielleicht doch nicht die ganz wunderbare Seele der Augen so werden gegeben haben, wie sie der Meister gab.
In diese Reihe gehört auch noch ein großes Altarbild des Museums von Antwerpen (1630); van Dyck hat es laut eines Versprechens an seinen sterbenden Vater für die dortigen Dominikanerinnen gemalt, als Geschenk für Dienste, welche das Kloster demselben in seiner Krankheit geleistet hatte. Schon das Mittelalter hatte den Gekreuzigten bisweilen mit einer Anzahl von Heiligen umgeben, etwa den Schutzpatronen der betreffenden Kirche oder Stadt; auch ein einzelner Orden nahm etwa den Gekreuzigten völlig für sich in Anspruch; im Refektorium von S. Croce in Florenz umarmt der h. Franz den Kreuzesstamm, und daneben stehen links Maria und die Ihrigen, rechts aber lauter Heilige des Barfüßerordens.
Bei van Dyck heben sich von nächtlichem Gewölke in einfacher Großartigkeit ab: der vollendet herrliche Crucifixus, der in Ekstase emporblickende S. Dominicus, die das Kreuz und die Füße Christi umfassende h. Katherina von Siena, eine der ergreifendsten Nonnengestalten der ganzen Kunst, endlich unter dem Kreuz sitzend ein empordeutender Kinderengel. Beinah einfarbig, ist das Bild dennoch ein Wunderwerk der koloristischen Stimmung und in so wenigem von höchster Macht des Eindruckes.
Eine Kreuzabnahme und eine Grabtragung hat van Dyck nicht gemalt; es folgt sogleich die Beklagung des stets liegend oder lehnend gebildeten Leichnams. Mir sind aus einer ganzen Anzahl sieben Bilder dieser Art in der Erinnerung; als frühe und noch nicht völlig reife Schöpfungen mögen das bei allem Farbenglanz recht unharmonisch komponierte Bild der Galerie Borghese und das eine Bild in München nur erwähnt werden. Von den übrigen sind drei Breitbilder, wo der Leichnam ausgestreckt liegt: Das einfach schöne in S. Antoine de Padoue zu Antwerpen; dann das kleinere, hochberühmte Bild der Münchner Pinakothek, leuchtend in völlig tizianischer Harmonie Bemerkung B.'s: Replik im Louvre?, aber nicht ganz glücklich in der Anordnung der Füße des Leichnams und in der weltlichen Hübschheit des einen klagenden Engels; weit das herrlichste ist das dritte dieser Bilder im Museum von Antwerpen, als Farbenbild eben so wonnevoll schön und dabei von einer Vollkommenheit der Anordnung, von einer Reinheit der Formen und einer Glut der Empfindung, wie sie selten in der Kunst so vereinigt beisammen sind: Maria, auf der Erde sitzend, mit der in ihren Schoß gelegten Leiche, breitet die Hände aus gegen die beiden jammernd nahenden Engel, welchen Johannes, einer der sublimsten Köpfe van Dycks, die Wunde der linken Hand Christi weist. Endlich ist zu erwähnen in derselben Galerie das majestätische Hochbild, wo Magdalena die Hand der Leiche küßt, und, von nicht viel geringerm Werte, das Hochbild des Museums von Berlin, wo Johannes die Leiche stützt.
In all diesen Bildern erreicht das religiöse Pathos und der edle Ausdruck des Schmerzes eine erstaunliche Höhe. Es gibt Vortreffliches dieser Art aus der Schule der Caracci und Mächtiges aus der spanischen Schule; aber dort wird man am Kolorit, hier an der Reinheit und Vollendung der Formen einiges vermissen, während sich bei van Dyck alles zusammenfindet. Er ist und bleibt einer der Höhepunkte religiöser Malerei.
Von diesen hochpathetischen Aufgaben dürften wir, wenn es die kurze Stunde gestattete, noch lange nicht zum Porträtmaler übergehen. Eine ganze Anzahl von Kirchen- und Andachtsbildern bliebe noch übrig, und davon würde schon die Bekränzung der S. Rosalia Galerie-Zitat: Belvedere in Wien. genügen, um den Ruhm eines Malers zu begründen. Van Dyck schuf 1628 dieselbe für den Altar einer geistlichen Bruderschaft, deren Schutzheilige, diesmal Maria mit dem Kinde, S. Rosalia, S. Petrus und S. Paulus, auf einem Bilde vereinigt werden mußten; ähnliche Aufgaben waren seit Jahrhunderten der Anlaß geworden zu den herrlichsten Altarblättern. In van Dyck erwachten wieder einige der schönsten Klänge von Altvenedig, von Tizians großem Votivbild der Familie Pesaro und Paolos Vermählung der S. Katharina. Vor einen Säulenbau treten schräg in das Bild hinein die thronende Madonna zwischen den beiden Aposteln; vor ihr kniet in prachtvollem goldgewirktem Gewande die h. Rosalia, welcher das Christuskind einen Rosenkranz aufsetzen wird; ein Engel bringt noch einen Korb mit Rosen, und zwei Kinderengel werfen Rosen aus den Wolken herab. Angesichts dieser Madonna und dieser Heiligen wird man inne, welche grandiose Lieblichkeit dem Meister zu Gebote stand, sobald er sich über die irdische Schönheit erhob, welche nur ihr Bildnis von ihm verlangte.
Einiges bei van Dyck ist unmittelbar venezianisch, ja direkte Nachbildung nach Tizian, und zwar nach dessen Halbfigurenbildern, welche die Madonna mit den drei oder vier großen Sündern darstellen, mit David, Magdalena, dem reuigen Petrus und einer Gestalt, welche als Adam, oder als der gute Schächer oder als der verlorene Sohn gedeutet wird. Von van Dyck finden sich im Louvre und in Berlin herrliche Neubildungen dieses Themas, und das letztere Bild für ein bloßes Atelierwerk zu halten, wird mir sehr schwer. Einmal hatte van Dyck auch statt der Maria den verklärten Christus im Leichentuch und mit dem Kreuz den großen Sündern gegenübergestellt Galerie-Zitat: Ehemalige Düsseldorfer Galerie, aber jetzt nicht in München..
In der Legende erscheint die heilige Jungfrau häufig einem bevorzugten Heiligen, und Altarbilder dieses Inhaltes kommen überall vor. Van Dyck hat das Thema mindestens zweimal behandelt. Zu den größten Schätzen der Brera gehört der inbrünstig knieende S. Antonius von Padua, zu welchem Maria das Kind herabreicht, damit es ihm die Wangen streichle; noch erstaunlicher aber wirkt Galerie-Zitat: Im Belvedere in Wien. der h. Hermann Joseph, welchem Maria, von zwei Engeln begleitet, einen Bemerkung B.'s: Jetzt durch Uebermalung verschwundenen. Ring in die von dem einen Engel geführte Hand legt (1630). Das Zusammentreffen der drei Hände, der verzückte Blick des Heiligen, sein nobles Knien, die koloristische Verrechnung seines leicht wallenden weißen Prämonstratensergewandes mit allem übrigen machen aus diesem Bilde ein Juwel der Kunst.
Von den besonders oft dargestellten Legenden ist die Marter des h. Sebastian unter anderm durch zwei Bilder in München vertreten, und ein Bild im Louvre stellt den Heiligen dar, welchem klagende Engel die Pfeile ausziehen.
Es bleiben noch die Madonnenbilder van Dycks zu schildern. Schon in den bisher erwähnten Darstellungen der Maria auf den Kirchenbildern lebt ein anderer Typus als bei Rubens. Dieser hatte seine Madonna geschaffen unabhängig von allen Italienern, von der Antike, von allen frühern und damaligen Niederländern; es ist auch nicht etwa der Typus der schönen Brabanterin, wie er in den Frauen seines Hauses lebte, sondern das, was ihm individuell liebenswürdig und mütterlich erschien. Van Dyck dagegen, wenn uns die Ahnung nicht trügt, ist in Italien einem Wesen begegnet, welches hohe südliche Anmut und weihevolle Strenge vereinigt haben mag. Es ist eine eher schmale Gesichtsbildung und eine eher schlanke Gestalt, in der Art des Stehens, Schreitens, Sitzens von ungesuchter Würde. Schon in den bisher genannten Bildern tritt uns der Abglanz dieser Erscheinung entgegen, ganz besonders aber in einigen Madonnen und heiligen Familien. Und zwar hie und da bis in eine kalte Eleganz verirrt, wie zum Beispiel in der Madonna von Dresden, auch wohl mit einer gesuchten Wendung aus dem Bilde hinaus, wie in der heiligen Familie des Belvedere; in voller Schönheit aber begegnet uns dieser Typus, wenn wir die Ruhe auf der Flucht, in München, betrachten oder das liebenswürdige große Votivbild im Louvre, wo ein bürgerliches bejahrtes Ehepaar vor der heiligen Jungfrau kniet; zum schwarzen Habit dieser braven Leute hat van Dyck das übrige so gestimmt, daß er das rote Gewand der Madonna fast völlig verschwinden läßt unter einem hellgraubraunen Schleier und einem mächtigen dunkelgrauen Mantel. Etwas wesentlich anderes offenbart uns der berühmte aufwärtsschauende Madonnenkopf des Palazzo Pitti, und hier läßt sich vielleicht eine sonst ganz vereinzelte Einwirkung des Guido Reni annehmen. Und endlich die wunderbare h. Familie von München! Hier hat die Madonna den edelsten matronalen Ausdruck, welchen van Dyck je erreicht hat; das Kind aber, zu welchem der kleine Johannes ein Schriftband emporreicht, ist unter all den zahlreichen Kinderbildungen des Meisters von ganz besonders majestätischer Schönheit, und nur der kleine Christus, auf die Weltkugel gelehnt (Dresden), möchte ihm nahe kommen. Doch mag auch der herrliche schlafende Bambino der Ruhe auf der Flucht (München) nicht vergessen werden. Die Kinder in seinen Porträts sind die irdischen Geschwister dieser Ideale.
Der mythologischen Bilder wollen wir nur mit einem Worte gedenken, obwohl sich darunter die Dresdner Danaë befindet, welche mit unendlichen Feinheiten des Kolorites zu Stande gebracht ist und dem van Dyck schwer wird abgestritten werden können. Auch Susanna (München) mag bei den mythologischen Malereien mitgehen. Im ganzen wirken dieselben selbst bei der vollkommensten, wesentlich venezianischen Ausführung weniger als die des Rubens, vielleicht weil bei diesem alles einzelne so resolut in den Gesamtmoment aufgeht, so völlig nur um des ganzen willen vorhanden scheint, während van Dyck in gewähltern Formen doch hier mehr durch das einzelne wirkt. An poetisch erfundene Novellenbilder im Sinne des Giorgione und Palma ist ihm offenbar der Gedanke nicht gekommen.
Noch während des Aufenthaltes in England, seit 1632, von welchem bald weiter zu reden sein wird, malte van Dyck außer der unglaublichen Menge von Porträts ziemlich viele mythologische und religiöse Bilder, diese für katholische Große und für die Königin Henriette. Letztere erhielt von ihm jene wunderliebliche Ruhe auf der Flucht, wo vor der rastenden heiligen Familie Engelkinder tanzen; eines löst sich vom Reigen und wendet sich in heller, rührender Bewunderung der heiligen Jungfrau und dem Kinde zu. Das Original befindet sich in Petersburg; für mich wäre das Exemplar im Palazzo Pitti schön genug, um eigenhändig zu sein. Die bedeutendste biblische Komposition dieser letzten Jahre aber ist wohl der Simson Galerie-Zitat: Belvedere in Wien., womit van Dyck das jetzt in München befindliche Simsonbild des Rubens überbot. Bei Rubens ist Delila furchtsam; bei van Dyck glaubt man das siegreich höhnende »Fahre hin« aus dem Munde der Buhlerin zu vernehmen. Von den übrigen Bildern mag einiges noch auf adlichen Landsitzen erhalten, einiges auch in der englischen Revolution irgendwie verloren gegangen sein.
Schöpfen wir etwas Atem, bevor wir zu den Porträts der fünfzehn letzten Jahre 1626-1641 dieses nur 42jährigen, aber enorm ausgiebigen Lebens, zu dem Bildnismaler ohne gleichen übergehen. Es wird ihm nachgesagt, er habe groß und sogar etwas locker gelebt und zuletzt trotz aller Einnahmen sich an Alchymisten gewendet, was schon deshalb nicht zu glauben, weil er reich gestorben ist. Er hat seine volle Kraft bis an sein Ende behalten; das irrige Urteil, wonach er zuletzt abgearbeitet und verlebt gewesen, kommt von den zahlreichen Atelierbildern, welche von ihm ausgingen. Rubens würde auch verlieren, wenn man ihn nach solchen beurteilte.
So wie in der Historienmalerei, so geht van Dyck auch im Porträt unvermeidlich von Rubens aus, welcher nicht nur in den historischen Individuen seiner Galerie der Marie de Medicis die großartigste Frische der Auffassung und Darstellung an den Tag gelegt hatte, sondern auch im Einzelbilde der größten Kraft und der intimsten Feinheit und Schönheit fähig war. Gelehrte Herren wie der Dr. van Thulden der Pinakothek und der Gevartius der Galerie von Brüssel sind uns auf alle Zeiten empfohlen und teuer gemacht; fast die sämtlichen Bilder aus der Familie des Rubens gehören zu seinen Juwelen, auch jene Cousine der National Galery, welche unter dem irrigen Namen »le chapeau de paille« bekannt ist, und wenn man die schönste Frau, welche van Dyck gemalt hat, die Luisa de Tassis der Galerie Liechtenstein mit dem Dresdner Bild des Rubens, der Frau mit den drei Rosen, vergleicht, so ist diese nicht nur an sich die lieblichere, sondern auch die Kunst des Rubens steht hier so hoch als die des großen Schülers irgendwo.
Die Zeit aber, in welche van Dyck fiel, war eine Porträtzeit überhaupt, wie sie bisher noch nicht vorgekommen war. Der goldnen Periode der italienischen und deutschen Kunst zu Anfang des XVI. Jahrhunderts hatte wenigstens noch nicht eine quantitativ so ausgebreitete Sitte des Porträts zu Gebote gestanden. Jetzt war diese Sitte in höchster Zunahme, und nun boten sich auch die Meister dar, neben Rubens und van Dyck Velasquez, Franz Hals und Rembrandt, um nur diejenigen allerersten Ranges zu nennen. Wir wollen hier ihre Begabungen nicht gegeneinander abwägen; sie waren neben dem, was sie sonst gewesen, sämtlich geborene Bildnismaler; wenn dies aber bei van Dyck noch eines ganz besondern Beweises bedürfte, so würde derselbe darin liegen, daß der so stark beschäftigte Meister so viele und herrliche Bilder, nämlich die seiner Kunstgenossen, offenbar freiwillig gemalt hat; denn sie gehören zu seinem Allerbesten; andere derselben hat er wenigstens so weit einfarbig mit dem Pinsel gezeichnet, daß sie als Vorlagen für die Stecher dienen konnten.
Im einzelnen von den Bildnissen des van Dyck hier zu reden ist unmöglich. Er hat etwa 280 verschiedene Personen porträtiert; es war, wie schon in Genua: als der große Porträtist kam, kamen auch die Leute. Nie ist ein neuerer Maler so sehr einem allgemeinen Wunsch einer Elite von Leuten entgegengekommen, und diese Elite, von hohem Stand oder von geistigem Range, ist und bleibt nun in ihrem Abbild ein großes physiognomisches Gesamtzeugnis jener Zeit. Ob die jetzige große Welt einem eben so hoch begabten Meister ein eben so ansprechendes Substrat gewähren würde, selbst abgesehen von Fräcken und Uniformen, wollen wir lieber nicht erörtern. Wer aber das vornehme auch im Bilde und in der Vergangenheit haßt, der sollte es sagen und sein Genüge etwa bei Rembrandt suchen. Dieser macht ja seine Leute auch unvergeßlich, aber in anderm Sinne als van Dyck die seinigen.
Die Jahre 1626-1632 gehören dem vornehmen und berühmten Belgien und einzelnen erlauchten Gästen, welche am Hofe der verwitweten Regentin aus- und eingingen. Dies war Isabella Clara Eugenia, »la serenissima Infanta«, Tochter Don Philipps II. aus seiner Ehe mit Elisabeth von Frankreich, dieselbe, welche damals an Rubens nicht nur den größten Maler, sondern einen treu ergebenen Diplomaten besaß. Auch van Dyck hat sie mehrmals gemalt, aber nie mehr im fürstlichen Ornat, sondern im Gewande des Ordens, dem sie sich angeschlossen hatte, als Clarissin, mit den festen, tief nachdenklichen Zügen des vorgerückten Alters.
Von 1632 bis an sein Ende 1641 lebte dann van Dyck, einige Reisen abgerechnet, in England als Hofmaler Carls I. und als Liebling der ganzen englischen Aristokratie, in einer fürstlichen Stellung. In der uns obliegenden Kürze nehmen wir die Porträts beider Perioden zusammen, mögen auch die der englischen einen etwas kühlem Ton des Kolorites verraten. Leider sind mir nicht nur die van Dycks auf den Landsitzen des Adels, sondern auch diejenigen des Schlosses von Windsor, darunter eine Anzahl von Hauptbildern, unbekannt geblieben Randbemerkung: Die englischen Hauptsammlungen, Wauters, p. 230, Note..
Ohne Gehilfen hätte van Dyck der enormen Menge von Aufträgen nicht genügen können; wenn er die Köpfe gemalt und das Uebrige vorgezeichnet hatte, sollen sie den Rest vollendet haben; ganz besonders aber sollen die so oft dringend gewünschten Wiederholungen ihr Werk sein, an welchen van Dyck nur noch einen geringen oder auch gar keinen eigenhändigen Anteil mehr genommen habe. Ich gestehe indes, daß ich, so weit meine Wahrnehmung reicht, eine viel größere eigene Beteiligung des Meisters glaube annehmen zu müssen. Es ist mir zunächst nicht denkbar, daß bei Bildern von solcher Harmonie des Ganzen die Gehilfen sollten etwa nach einer Farbenskizze die Gewänder und die Accessorien gemalt und dabei diese »Einheit der Atmosphäre« hervorgebracht haben Randbemerkung: Es kann hier nicht gegangen sein, wie bei den großen Kirchen- und Historienbildern des Rubens., und das Hauptexemplar oder einzige Exemplar eines ausgezeichneten Porträts möchte doch eher ganz von der Hand des Meisters sein. Und selbst bei jetzt als solche anerkannten Atelierwiederholungen ist es doch bemerkenswert, daß dieselben so lange als völlig eigene Schöpfungen gelten konnten. Von jenen Gehilfen sind sicher konstatiert Jan van Reyn und David Beek; denn Adrian Hannemann ist wohl nicht Mitarbeiter, sondern nur glücklicher Nachahmer van Dycks gewesen. Wenn nun Reyn und Beek nach bloßen Farbenskizzen und Anweisungen ganze wunderbare Bilder mit Ausnahme der Köpfe hätten malen können, so würden sie doch nach des Meisters frühem Tode sich etwas berühmter gemacht haben, als geschehen ist.
Beneiden darf jeder jetzige Porträtmaler den großen Antwerpner, weil derselbe in eine Zeit und in eine Gesellschaft geriet, welche eine so außerordentlich günstige, ja eigentlich schöne Tracht trug. Ein Glücksfall, welcher hätte fehlen können; denn noch die nächstvorhergehende Generation war viel unschöner kostümiert gewesen Randbemerkung: Die Marchesa Brignole ist gesteppt und trägt ein Krös.. Jetzt dagegen war zunächst gewichen alles Gesteppte vor dem lose Liegenden und schön und leicht Fallenden, der steife Radmantel vor dem leicht übergeworfenen Seidenmantel, der abscheuliche Mörserhut vor dem weichen, breitrandigen Hut bei Herrn und Damen. Noch nicht lange in Gebrauch war die malerische Schärpe. Das natürliche Haar wurde lang getragen und nobel gepflegt. Der Spitzbart wurde ziemlich allgemein, nicht nur bei Adlichen, sondern auch bei Geistlichen Bemerkung B.'s: Die Päpste, welche den Henri IV. trugen.. Die erwünschteste Veränderung aber betraf die Tracht des Halses; die Krause (Krös) wurde ebendamals zum Kragen, nachdem sie etwa dreißig Jahre hindurch das Herzeleid der Künstler mochte gewesen sein, auch wenn sie daran die größte Virtuosität entwickelten. Zwar behauptete sie sich noch als Amtstracht bei Hofe, und der Oberkämmerer der Infantin, Monfort Galerie-Zitat: Belvedere in Wien und Uffizi. wendet seinen Hals noch darin mit majestätischer Freundlichkeit um; ferner bei alten Leuten, wie in dem einfach herrlichen Porträt jenes Herrn van Gheest, welcher der Freund des Rubens und der glückliche Besitzer von dessen Amazonenschlacht war Galerie-Zitat: National Gallery.. Andere Male ist es wohl noch eine Krause, aber eine viel niedrigere und biegsamere, ein Faltenkragen, welcher dem Halse und den Schultern in Hebung und Senkung folgt. Dann öffnet sie sich auf einmal weit in der Mitte und bildet bald nur noch nach dem Rücken eine Prachterscheinung der eigentümlichsten Art Galerie-Zitat: Porträt der Luisa Tassis, Galerie Liechtenstein.. Endlich weicht sie vollständig dem übergeschlagenen Kragen, welcher kurz und einfach oder umständlich ausgedehnt und dann mit dem reichsten Spitzenrand versehen sein kann.
In den Stoffen herrscht die Seide, für deren Erscheinung van Dyck begeistert war, und zwar gerne in den sanftern Tönen wie Hellblau und Rosa, bleu marin und andern, und Wams und Aermel sind noch öfter in zwei Farben gestreift; vollends liebt van Dyck in den Vorhängen, Draperien und Fußteppichen die gedämpften Farben, alles, damit den delikaten Köpfen die Vorherrschaft bleibe, daher denn auch die leuchtenden Sammeteffekte der Venezianer hier selten vorkommen. Ein reich behandeltes Changeant von Seidenstoffen ist mir in keinem Porträt aufgefallen; dies blieb den Draperien der Danaë (Dresden) vorbehalten. Geschmeide und Perlen hatten schon die altflandrischen Maler unübertrefflich dargestellt; van Dyck machte davon diskreten Gebrauch und überließ dem Rembrandt das Behängen seiner Figuren mit massenhaftem Gold und glitzerndem Gestein.
Dies ganze Kostüm nun war offenbar nicht von Pariser Schneidern und Modistinnen erfunden, sondern eine Schöpfung der höhern Stände selbst. Immer von neuem aber drängt sich die Vermutung auf, van Dyck selber sei mit seinem guten Rate angehört worden, und zwar von einigen der schönsten Damen, welche er gemalt hat. In dem Porträt der Luisa de Tassis vereinigt sich dergestalt alles, was dem Maler als solchem wünschbar war, daß man glauben muß, er habe bei diesem Kostüm etwas zu sagen gehabt.
Das Format, so weit sich aus den nicht durch Verkürzung entstellten Bildern urteilen läßt, ist mit feinem Takt behandelt; Brustbild und Kniestück sitzen richtig in der Umrahmung; bei ganzen stehenden Figuren und schmalem Format des Bildes meldet sich hie und da eine gewisse Leere, zum Beispiel in einem und dem andern der sechs oder sieben Bilder dieser Art in München; dagegen sind die Gruppen von mehrern Figuren von tadellos schöner Anordnung, sowohl koloristisch als in den Linien, und hieher gehören gerade die Bilder der englischen Königsfamilie. So das herrliche Bild von König und Königin mit zwei Kindern und einem dienenden Mohren, wovon mir nur die alte Kopie in der Wiener Akademie bekannt ist; dann die drei Kinder in Turin, die drei Kinder mit zwei Hündchen in Dresden, sowie das Bild der fünf Kinder in Berlin. Dieses alles wird jedoch übertroffen durch ein berühmtes Bild des Louvre, welches zeigt, was van Dyck noch in seinen letzten Jahren vermochte! Am Waldesrand ist Carl I. vom Pferde gestiegen; er ist einfach hell gekleidet und schaut gegen den Beschauer hin; neben dem vollen Tageslicht treten im Halbschatten etwas rückwärts der Stallmeister, Marquis Hamilton, mit der Hand über dem Roß, welches den Kopf neigt und sich das Knie leckt, und weiterhin ein Reitknecht mit dem Mantel des Königs über dem Arm. Es ist wie ein letzter freier Abend des unglücklichen Königs, bevor die Schmach über ihn hereinbrach; schon sind alle drei voll tiefen Ernstes; dabei durch die Etikette genau unterschieden und in der Anordnung im Raum allein schon ein Meisterwerk Randbemerkung: Daß verstorbene Familienglieder schon als Miniatur in der Hand der Hauptperson mitgegeben wurden, cf. Bellori bei Anlaß des Familienbildes..
Hier handelt es sich um einen landschaftlichen Grund, allein auch sonst stellt van Dyck seine Leute nie in ein eigentliches verschlossenes Lokal und Licht; abgesehen von den Bildnissen auf neutralem Grund ist die Szenerie niemals eine Stube, sondern eine Art von offener, offizieller Oertlichkeit, bestehend aus Ansätzen einer Säulenhalle, aus Draperien gedämpften Tones, aus einem Ausblick ins Freie; dies ist seine Art selbst bei Porträts von Bürgerlichen, auch von Kunstgenossen, zum Beispiel in dem schönen Bilde des Malers Jan de Wael und seiner Gemahlin, in der Pinakothek zu München.
Suchen wir uns nun eine allgemeinere Rechenschaft zu geben von der Art, wie van Dyck seine Leute auffaßte.
Vor allem lebte in ihm eine hohe psychologische Intelligenz, aber im Dienste einer sehr besondern Sinnesweise. Die allgemeine Aufgabe des Porträtmalers ist die, daß er sein Objekt auffasse im Sinne der guten Stunde, daß er das Konstante darin erkenne und auf das Momentane und Zufällige verzichte, daß er den Menschen darstelle, so wie jeder eigentlich sein sollte oder könnte.
So hielt es Tizian, und auch van Dyck suchte den Leuten die gute Stunde abzugewinnen. In England hielt er nicht nur glänzende Dienerschaft, Wagen und Pferde, sondern auch Musiker und scherzhafte Leute zur Unterhaltung der zu malenden Herren und Damen Randbemerkung: Aussage des Bellori aus dem Mund von Digby., welche er zu Tische behielt, um das am Vormittag Angefangene nachmittags zu vollenden. Man kam gerne zu ihm, und es war ein Genuß, »solazzo«, bei ihm zu verweilen. Sein Tisch kostete ihn 30 Scudi täglich und Bellori (G. P. Bellori, Vite dei Pittori, Scultori et Architetti moderni. Roma 1762.) fügt bei: »Dies wird den an unsere italienische Sparsamkeit Gewöhnten unglaublich scheinen, aber nicht denjenigen, welche das Ausland kennen«. Aus derselben Quelle wollen wir noch beifügen, daß die Herrschaften ihm nur saßen für die Aehnlichkeit des Kopfes, worauf Modelle, welche er hielt, das Kostüm derselben anzogen, damit er mit Muße vollenden konnte. Außerdem erfährt man, daß er sich Leute mit vorzüglich gebildeten Händen hielt, und daß nicht all seine Lords und Ladies die vornehmen, lang gezogenen Hände in Wirklichkeit besaßen, welche sie auf seinen Bildern haben Randbemerkung: Die Porträts in mythologischer Redaktion; cf. Bellori; sie waren nicht wenige.. Die Hauptsache wird immer gewesen sein, daß er seine Leute zum Sprechen brachte, nach dem Worte jenes antiken Philosophen: »Sprich, damit ich dich sehe«. So erfuhr er ihre Denkweise und die Voraussetzungen ihres Daseins und zauberte dies in das Bild hinein.
Ueber Tizian aber geht er beträchtlich hinaus nach der Seite der Vornehmheit, der angeborenen Distinktion, welche das Gegenteil ist von allem Gezierten. Er selber war in hohem Grade adlich in Gestalt und Zügen und in seiner ganzen Persönlichkeit. Nun geben aber große Porträtisten ihren Leuten immer etwas von ihrem eigenen Wesen in mysteriöser Weise mit, und auch Rubens hatte dies in seinen Porträts getan; bei van Dyck aber ist dies ganz besonders deutlich sichtbar; ja seine Leute haben daher ein air de famille, unabhängig von seiner Malweise. Dabei ist ihre Haltung und Bewegung durchaus nobel und leicht. Auch in der prächtigsten Tracht nehmen sie sich nie endimanchiert aus, sondern so, als hätten sie ihr Leben hindurch nie etwas anderes getragen. Hie und da sind scheinbar ruhige Gestalten innerlich momentan belebt; Carl I. in dem Bilde zu Dresden würde uns etwas ganz bestimmtes zu sagen haben. Einige Male verrät van Dyck noch anderes; in seinem prachtvollen Thomas von Carignan (Berlin) hat er die Zweideutigkeit dieses Herrn deutlich hineingemalt und in seinem sogenannten Richard Cronwell Galerie-Zitat: Dresden. (Dresden) eine gewisse Menschenverachtung; der Oberkämmerer Monfort hat etwas Weingrünes – aber dies alles tritt so leise und diskret auf, daß niemand zu klagen veranlaßt war. Gewiß war unter dem italienischen, flämischen, spanischen und englischen Adel, welchen van Dyck zu malen hatte, mancher rohe und verwilderte Mensch, welchen erst der Maler ehrlich machte durch offenen Blick und dessen Leidenschaftlichkeit er bändigte durch höhern Anstand. Nirgends findet sich das Patzige, wie es etwa Franz Hals seinen Respektspersonen mitgibt; nirgends ist man so entfernt vom Wachtmeister aus Wallensteins Lager. Bei jedem seiner Porträts müßten wir uns die Zeit nehmen, aus dem, was er gibt, zu erraten, was er vorfand; auch sind nicht so ganz selten die Fälle, da Porträts derselben Person von einem andern Maler vorhanden sind, und wie zum Beispiel Carl I. wirklich und am Werktag aussah, lehrt das große Porträt in ganzer Figur von Mysens Galerie-Zitat: Galerie von Turin.. Wie aber van Dyck die Häßlichen und Dummen von sich gehalten hat, welche ja auch reich und von hohem Stande sein konnten, bleibt noch zu erraten.
Hie und da werden wir inne, daß er eine habituelle Gebärde erlauscht und den Dargestellten damit für seine Bekannten doppelt kenntlich gemacht haben mag. Wir dürfen überzeugt sein, daß zum Beispiel die Art, wie die Leute die Handschuhe halten oder sich damit beschäftigen, charakteristisch ist. Nicht umsonst faßt der Moncada im Belvedere mit der Rechten das Band, an welchem sein Kleinod hängt und legt die Linke an den Degen; nicht umsonst hält der griesgrämige Alte der Galerie Liechtenstein die Linke in das Band der Medaille fest verwickelt; der Prince de Croy (Pinakothek in München) scheint am Eingang eines Palastes den Beschauer zur Präzedenz einzuladen; das ganze Wesen dieses fetten und feinen Herrn ist nichts als ein: »après vous!«
Die Reiterporträts gehören zu den vorzüglichsten vorhandenen Randbemerkung: Sprengende Feldherren: Stich von Ribera (Crippa). Dohna. Cult. B. B. 1883. Jan de Werth, ib. 2013 von W. Hollar. Memento Carl V., Uffizi, Tribuna. schon vom Marchese Antonio Brignole an Galerie-Zitat: Genua, Palazzo rosso.. Van Dyck, welcher selber einen Marstall hielt, wußte wie ein vornehmer Herr sich zu Pferde präsentieren müsse; von seinem Moncada im Louvre sagt Waagen Kunstwerke und Künstler in Paris, Berlin 1839, S. 509., es sei wohl überhaupt das schönste Porträtbildnis dieser Art, was es gebe. Und doch ist van Dyck keineswegs ein vollkommener Pferdemaler gewesen. Vor allem hat ihm Bewegung und perspektivische Wiedergabe des Tieres Mühe gemacht, sonst würde er nicht dieselbe so, wie er sie beim Rosse des Moncada gegeben, bei demjenigen Carls I. im Museum von Madrid so ganz genau wiederholt haben: dieselbe Wendung des Kopfes, dasselbe Heben des rechten Vorderfußes und linken Hinterfußes. Sodann sind die sprengenden Rosse des Don Carlo Colonna Galerie-Zitat: Palazzo Colonna, Rom. und des Thomas von Carignan Galerie-Zitat: Galerie von Turin. bei prachtvoller Lebendigkeit doch nicht ohne Tadel in der Zeichnung. Wir sehen hiebei ganz davon ab, daß das damalige Luxuspferd ein wesentlich anderes Tier war als das jetzige und bei den jetzigen Kennern kaum für schön gelten würde. Aber als Bilder machen diese Gemälde doch einen mächtigen Gesamteindruck, zumal das letzte Bild Carls I., der, von einem Waffenknecht begleitet, durch einen Triumphbogen geritten kommt Bemerkung B.'s: Alte Wiederholung bei Wellington und in Hamptoncourt; das Original vermutlich in Windsor..
Was aber den Pferden fehlen mag, das bringen die herrlichen Hunde van Dycks wieder ein, jene redliche mächtige Dogge, welche etwa die Kinder Carls I. begleitet, jene wundervollen Hühnerhunde und Windhunde, ohne welche manche Herrn nicht gemalt sein wollten, und endlich jene Nuance zierlicher Bolognesen, welche sogar nur deshalb King Charles heißen, weil man aus van Dycks Bildern erfährt, daß sie bei der englischen Königsfamilie so beliebt waren.
Nachdem wir von dieser vornehmen Welt und ihrer Umgebung Abschied genommen, wenden wir uns noch einmal zu den Leuten bürgerlichen Standes, welche van Dyck gemalt hat. Nehmen wir etwa die betreffenden Bilder in Kassel und München zum Maßstab. Hier wird man zugeben können, daß ihm das Bürgerlich-patrizische weniger zusagte als das Vornehm-adliche; seine Bürgermeister und andere Persönlichkeiten dieses Standes sind klug und leutselig, aber bei ganzen Figuren ist schon ihr Schritt ein anderer, als der der Vornehmen. Nur wenn das Individuum ausgezeichnet und dem Maler wert war, hört aller Unterschied der Wirkung auf und dem herrlichen Kniestück des Antwerpener Syndicus Meerstraten sieht man auf den ersten Blick an, daß er mit ganzer voller Sympathie gemalt ist, wie das reiche und gewinnende Naturell dies möglich machte. Die damalige holländische Malerei hatte bekanntlich eine große Aufgabe an bürgerlichen Kollektivporträts in Gestalt von Doelenstukken (Aufzügen und Banketten von Schützengilden) und Regentenstukken (Sitzungen von Behörden), und auch die belgische Kunst wurde hie und da für Aehnliches in Anspruch genommen. So hat denn auch van Dyck einst für das Hôtel de ville von Brüssel ein mächtiges Sitzungsbild in lebensgroßer Figur gemalt, welches den Magistrat in voller Beratung darstellte und als ein hohes Meisterwerk in Anordnung und Durchführung galt. Vermutlich ist dasselbe im Jahre 1695 untergegangen, als Marschall Villeroi im Dienste seines »großen« Königs die Stadt bombardierte, wobei ein Dritteil derselben in Asche sank. Wäre es noch vorhanden, so würde es wohl in gleichem Range stehen mit der Nachtwache Rembrandts und dem Friedensbankett des van der Helst; Franz Hals aber würde auch mit seinen vorzüglichsten Malereien dieser Art Galerie-Zitat: Museum von Harlem. neben der ausgeglichenen Harmonie des großen Brabanters wahrscheinlich zurückstehen. Erwäge man die volle, handgreifliche Unmöglichkeit eines solchen Phänomens bei einem damaligen italienischen Künstler!
Dem van Dyck als Mensch aber gereicht es zum ewigen Ruhm, daß einige seiner mit größter Hingebung gemalten Bildnisse die von Kunstgenossen und zwar im weitern Sinne des Wortes sind. Schon in der großen Porträtsammlung, welche er unter dem Titel »Icones« im Stiche ausgehen ließ, sind die Künstlerporträts die häufigsten und im Grunde die wichtigsten; eine ganze Anzahl von Kollegen hat er aber auch gemalt. Im Belvedere in Wien zieht in der Mitte einer Reihe von Bildnissen der vornehmsten Leute die edle Persönlichkeit des großen Tiermalers Franz Snyders sofort die Blicke und die Sympathie auf sich, und bevor ich den Namen nachschlug, dachte ich, das Gemälde sollte einen großen Dichter vorstellen. Wiederum finden wir in Kassel Snyders mit seiner Gattin, welche ihre Hand auf die seinige legt, die auf der Stuhllehne ruht. Vollends aber übertönen in der Münchner Pinakothek die Bilder dieses Inhalts die der vornehmen Welt. Ein Brustbild im herrlichsten Goldton, welches früher ebenfalls als das des Snyders galt, jetzt als das eines Bildhauers, Georg Petel von Augsburg, benannt wird, das muntere kleine Brustbild des Schlachtenmalers Peter Snayers, die sympathische Halbfigur des Kupferstechers Mallery, der Domorganist Liberti sind schon lauter Juwelen der Porträtkunst, zumal der letztere, in dessen reicher und begeisterter Persönlichkeit der Musiker mit den feinsten Mitteln der Kunst verherrlicht ist, wobei auch auf die nobeln Hände ein hier besonders berechtigtes Gewicht gelegt wird. Dann folgen die Bildnisse des Bildhauers Colyns de Nole und seiner Gemahlin; er im Lehnstuhl sich etwas vorwärts neigend, innerlich zufrieden, ein wahres Bild des redlichen Glückes; sie nicht ohne Andeutung von Prüfungen, aber von großer Herzensgüte; als jedoch ihr Bild fertig war, malte van Dyck noch das Töchterchen hinzu, das sich an ihren rechten Arm hängt; vielleicht hatte es, schon während die Mutter gemalt wurde, recht schön darum gebeten, und der große Kindermaler ließ sich rühren. Und endlich besitzt die Pinakothek das jugendliche Selbstporträt des Meisters, und wir glauben ihn kennen zu lernen, wie er ironisch lächelnd in die Welt schaute nach seinen ersten großen Erfolgen. Noch einmal begegnen wir in derselben Galerie seinen Zügen aus etwas spätem Jahren im kleinen S. Sebastiansbilde, zuletzt dann in dem berühmten, trotz aller Zerstörung noch immer wunderbar lebendigen Brustbild des Louvre.
Noch in England hatte er, wie wir sehen, neben den Bildnissen religiöse und mythologische Bilder gemalt und in seiner letzten Zeit sehnte er sich deutlich nach großen monumentalen Aufträgen. Sein Wunsch, an den Wänden des großen Saales von Whitehall, dessen Decke von Rubens gemalt ist, die Macht des englischen Königtums in großen historischen Zeremonienbildern darzustellen, scheiterte an Carls I. politischer und finanzieller Bedrängnis; bei einem Aufenthalt in Paris gelang es ihm nicht, den Auftrag für die sogenannte »Grande Galerie du Louvre« zu erhalten; es schien, Poussin bekomme den Vorzug, Simon Vouet endlich behauptete durch Protektion die Bestellung in der Tat, starb aber darüber und das Werk unterblieb Frage Burckhardts: Gehört die Schlacht von Martin d'Eglise in München zu einer Weiterführung von Rubens' Geschichten des Henri IV.?. Mißmutig kehrte van Dyck nach England zurück, vielleicht um die Zeit, da Lord Strafford von Carl I. preisgegeben wurde und auf dem Schafott endete.
Den 9. Dezember 1641 starb van Dyck in Blackfriars, noch nicht dreiundvierzigjährig. Sein großer Meister war nur anderthalb Jahre vor ihm dahingegangen. Van Dyck ist ihm an Macht nicht gleich gewesen, aber er hat ihn ergänzt im Adel und in der Innigkeit der Empfindung und besonders im Ausdruck des heiligen Schmerzes; er ist ihm vielleicht überlegen gewesen in der Feinheit des Naturgefühles; im Bildnis aber hat nicht Rubens, sondern van Dyck den Typus festgestellt, in welchem hochstehende Leute gerne aufgefaßt und gemalt sein möchten in alle Ewigkeit.
Der Adel des ganzen XVII. Jahrhunderts und dessen Nachkommen in allen Ländern sind dem Meister zum höchsten Danke verpflichtet, weil er das allgemeine Vorurteil für Distinktion in den obern Ständen fest begründet hat. Im Grunde ist ihm aber hiefür die Menschheit überhaupt verpflichtet.