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Napoleon I. nach den neuesten Quellen

8. Und 22. Februar 1881.

Zwei akademische Vorträge, gehalten in der Aula des Museums. Druck der Vorträge nach dem Referat in der Allgemeinen Schweizer Zeitung 1881, 26. Februar bis 4. März, Nr. 48–53. Außerdem sind noch einzelne Abschnitte und Sätze aus der ausgeführten Einleitung (Manuskript) verwertet, d. h. am zugehörigen Ort eingearbeitet worden. Dem Vortrag lag offenbar mit Ausnahme der Einleitung, S. 151–157, 3. Abschnitt, kein ausgearbeitetes Manuskript zu Grunde. Als Grundlage für den Vortrag dienten Burckhardt folgende im Burckhardt-Archiv, Nr. 171, erhaltene Manuskripte: Ausgeführte Einleitung (S. 151–157, 3. Abschnitt [die Jugendgeschichte]) ein Auszug aus Jung auf 8 Seiten und schließlich 8 Seiten »Uebersicht«, einzig der Schilderung von Napoleons Persönlichkeit und Umgebung gewidmet. Diese Uebersicht selbst ist nur ein Auszug aus Sammelblättern, die den Stoff rubrikenweise: Aeußere Persönlichkeit und Manieren, Napoleons Denkweise, Napoleons Ungeduld, Napoleons Ausbrüche usw. zusammenordnen. Diese Rubriken beruhen ihrerseits wiederum auf Auszügen aus den Memoiren der Madame de Rémusat (44 Seiten) und des Grafen Metternich (30 Seiten).

 

Die gegenwärtige Zeit ist dem Andenken Napoleons im ganzen nicht günstig. Größerer Gunst genoß er in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts, als noch viele Bonapartisten lebten und die Hoffnung, welche die Völker auf die Freiheitskriege gesetzt hatten, sich nicht erfüllte; diese Gunst stieg noch bis in die vierziger Jahre; ihren Höhepunkt bildet die Ueberführung der Gebeine Napoleons von St. Helena nach Paris unter Louis Philippe. In der Ratlosigkeit von 1848 wurde es dann möglich, daß sein Neffe Präsident und später Kaiser ward. Das neue Reich sollte die Größe des alten wiederherstellen und die Mängel desselben vermeiden. Des Neffen Verdienst um den Onkel besteht in der Herausgabe der »Correspondance«, in welcher aber die piquantesten Stücke weggelassen wurden; man publizierte nur das, was Napoleon I. auf der Höhe seiner Macht selbst würde veröffentlicht haben. – So lange das zweite Kaiserreich in Blüte stand, ging es gut; als aber die Angelegenheiten Napoleons III. immer dubiöser wurden, sank auch das Andenken Napoleons I. Die erste Invasion vom Jahre 1814, die zweite von 1815 erschienen jetzt als Folge des napoleonischen Tuns. Nun wurde man darüber einig, der erste Napoleon sei ein Despot gewesen, und habe die Dinge so weit getrieben, daß es zu diesen Invasionen habe kommen müssen. Ernster stellte Pierre Lanfrey die Geschichte dar vom Gefühl einer historischen Anschauung aus. Er hat die napoleonische Legende zerstört; er zeichnete in Napoleon I. mehr das Prinzip des Bösen, wie er es leider nur zu oft war. Als dann die letzte Invasion vom Jahre 1870 kam, erschien sie als Verurteilung des Oheims und des Neffen zugleich. Als Lanfrey später den zweiten Band seiner »Histoire de Napoleon I.« erscheinen ließ, brauchte er den früher angeschlagenen Ton nicht zu ändern. Das ist der Gang der Beurteilung, welche Napoleon I. in Frankreich selber erfuhr. Das Urteil hat demnach geschwankt, von der Billigung kam es zur Mißbilligung. Zwar weiß niemand, was jetzt wäre, wenn Prinz Louis nicht im Zululande gefallen wäre – und personifizieren werden die Franzosen ihre Staatslenkung immer in Einem, dem sie im entscheidenden Falle die ganze Kraft ihres Volkstums zu Gebote stellen; das heißt, ein Napoleonismus kann sich immer neu erzeugen.

Aber Napoleon I. wird jetzt entschiedene Ungunst zu Teil. Er erscheint wie mitschuldig auch an der Invasion von 1870. Dichter, welche ihn in den zwanziger und dreißiger Jahren verherrlichten, sind jetzt völlig von ihm abgewandt, auch die Romanschreiber.

Wir würden jedoch unser Urteil vor all solchen Schwankungen unserer Zeitgenossen nach Kräften sicherstellen müssen.

Das Unglück für Napoleon ist nun aber, daß auch die Urteile seiner eigenen Zeitgenossen, welche erst jetzt erschienen sind, für ihn nicht günstig lauten. Zwar wartet man noch immer auf die Memoiren Talleyrands. Einige Quellen sind aber schon zu Tage gekommen und werfen helle Strahlen auf Napoleon. So von Jung: »Bonaparte et son temps«, zwei Bände. Dieses Werk reicht jedoch nur von Napoleons Jugend bis zum Jahre 1795; ein äußerst ungünstiges Werk für Napoleons Andenken, aber wichtig durch die Aktenstücke, welche erst durch Jung zum Teil entdeckt worden sind. Es steht zu erwarten, daß das Werk fortgesetzt wird.

Bei der Redaktion der »Correspondance« begann man wohlweislich erst mit der Belagerung von Toulon und ließ die Kindheitsgeschichte Napoleons weg. Dagegen treten hier ein die sehr wichtigen Memoiren der Madame de Rémusat, drei Bände, sowie die Aussagen Metternichs in seinen hinterlassenen Werken.

Wir beginnen mit den Aussagen Jung's. Diese ganze Darstellung muß natürlich einseitig sein, weil aus den Quellen geschöpft wird, welche jetzt neu vorliegen und zu Ungunsten Napoleons lauten. Das Große und Einzige an ihm kommt hier nicht zu Tage: die Verbindung einer unerhörten magischen Willenskraft mit einer riesigen, allbeweglichen Intelligenz, beides gerichtet auf Machtbereitung und beständigen Kampf, zuletzt gegen die ganze Welt. Es läßt sich denken, daß künftig Quellen entdeckt werden, welche wiederum mehr zu Gunsten Napoleons ausfallen. Uebrigens ist nicht zu besorgen, daß eifrige Verehrer Napoleons darüber in Schmerz ausbrechen werden, wie etwa vor vierzig Jahren; denn gegenwärtig gibt es wahrscheinlich keine solchen mehr.

Napoleons Vater, Charles de Bonaparte, war einer jener Korsen, welche sich sogleich, als im Jahre 1768 die Insel französisch wurde, mit dem größten Eifer an die neue Regierung anschlossen. Er erscheint als ein genußsüchtiger Mann ohne Mittel, der seine Kinder nur vermittelst der französischen Erziehungsanstalten durch die Welt bringen konnte. Beständig tritt er als Supplikant auf und wünscht überall nur Beförderungen und Begünstigungen. Dies übte schon auf die Geburt Napoleons I. einen betrübenden Einfluß aus. Es wurde nämlich Charles Bonaparte ein erster Sohn im Jahre 1768 geboren, der zweite am 15. August 1769. Nach der gewöhnlichen Annahme wäre der erste Joseph, der andere Napoleon gewesen. Allein in einem alten Kirchenbuch, welches nicht vernichtet wurde, heißt der ältere Sohn »Nabulione«. Jung weist nach, daß der Vater zehn Jahre später die beiden Taufscheine absichtlich verwechselt habe. Der jüngere, Joseph, geboren 1769, eignete sich, weil er stillen, trägen Wesens war, nicht zur militärischen Laufbahn, deshalb wurde er zum geistlichen Stande bestimmt; der ältere dagegen, Nabulione, war Feuer und Flamme fürs Militär und wurde deshalb 1779 nach Brienne geschickt. Es galt aber damals auf der Kriegsschule in Brienne das Gesetz, daß kein Knabe von mehr als zehn Jahren aufgenommen werden dürfe.

Durch jenen Betrug wurde nun der mehr als 11½ jährige Napoleon als zehnjähriger Knabe in die Anstalt eingeschmuggelt. Man könnte sagen, dies sei die einmalige Ausflucht eines bedrängten Vaters gewesen, aber leider geht es so weiter und es fehlt auch später dort nicht an gefälschten Attesten und falsifizierten Dokumenten. Die Bonaparte haben es damit nie streng genommen. Napoleon I. selbst verfuhr mehr als einmal ähnlich, ließ sich Gefälligkeitsatteste geben oder erzwang dieselben, so zum Beispiel als er einst zu lange auf Urlaub geblieben war, um nachzuweisen, daß er nicht zur rechten Zeit hätte eintreffen können; ebenso beförderte er sich selbst zum Lieutenant-Colonel in einem Bataillon auf Korsika, und als er 1804 in den Senat eintrat, gab er einen Etat de service heraus, worin er von einer Verwundung spricht, die er nie empfangen. Auch sein Bruder Joseph verfuhr nicht anders, und mit Louis Bonaparte verhielt sich's ebenso. Die Achtung vor den Aktenstücken war überhaupt in jenen Kreisen nicht sehr groß.

Napoleon I. trat somit als 11½ jähriger Knabe in Brienne ein. Man kann sich denken, in welcher Lage der Knabe sich befand; die furchtbare Willenskraft war offenbar in ihm schon früh entwickelt, und so mußte er schwer leiden zu einer Zeit, wo sich noch kein Mensch um sein Tun und Lassen bekümmerte und man ihn, weil er sich trotzig bezeigte, auf sich selbst beruhen ließ. Darauf läßt sich sicher schließen, wenn man seine schlechte Laune dort betrachtet. Schon früh bewies er große Selbständigkeit; von Brienne schreibt er an die Familie nach Korsika über seine Brüder ganz als hätte er über sie zu befehlen und benimmt sich so, als ob er die Familie zu dirigieren berufen wäre.

Von Brienne ging er über in die Militärschule von Paris. Auch hier grollt er mit seinen Kameraden; Freunde hatte er kaum je gehabt. Wenn er überhaupt Gesellschaft suchte, so waren es Leute aus der Armeeverwaltung, von denen er auf seine Weise manches lernen konnte. Wahrscheinlich war sein Wille schon völlig entwickelt, und er muß furchtbar gelitten haben in einer Zeit, da er völlig arm und auf alle Weise untergeordnet war und da in seiner Nähe noch aller mögliche Widerstand und die völligste Gleichgültigkeit gegen seine Person existierte. Zerstreuen aber konnte er sich nicht wie andere, auch wenn er hernach in der Langeweile des Garnisonslebens Stücke von Romanen schrieb. Von Paris aus mußte er verschiedene Garnisonen besuchen; einmal befand er sich auch in Douai, wo er dem Selbstmord nahe kam in Folge verletzten und zurückgestauten Trotzes. In diesem Seelenzustand schreibt er einen Brief, der ganz im Stile Jean Jacques Rousseaus gehalten ist. Kurz vor der Revolution entwirft er im Namen seiner Mutter, der verwitweten Laetitia, eine Supplik an den damaligen Minister, worin er an das »coeur sensible et généreux« des Letztern appelliert im Namen von acht Waisen, »die ihre Bitten vereinigen werden zur Erhaltung des Ministers«. Es mag ihn dies eine nicht geringe Selbstüberwindung gekostet haben.

Napoleon lernte niemals ordentlich die französische Orthographie und schrieb nie eine leserliche Handschrift; seine Schreibweise ist die eines ungebildeten Franzosen; er fügte sich überhaupt nur mit Widerwillen in irgend ein Gesetz. Französisch sprechen dagegen lernte er sehr gut, ja klassisch.

Als die französische Revolution ausbrach, tritt Napoleon als ein gefährlicher und ehrgeiziger Mann hervor; er schwankte zwischen den zwei Tendenzen, entweder korsikanischer Rebell gegen Frankreich, oder französischer Jakobiner zu werden. Es dauerte geraume Zeit, bis er dann seine feste Richtung fand. Nun beginnt der kuriose Dienst zwischen den französischen Garnisonsstädten und Ajaccio. Einmal läßt er sich Urlaub geben zu einer Zeit, in der kein Offizier seines Regiments fehlen darf und geht nach Korsika. Er kehrt zurück, wird angeschuldigt und wegen seiner Nachlässigkeit im Dienst aus der Armeeliste gestrichen. Allein der furchtbare Kampf, welcher bereits in seinem Innern tobte, ließ ihn über dieses Mißgeschick hinwegsehen. Unter den Leuten, welche ihn in Valence kannten, befand sich einer, der über ihn im Jahre 1791 sagte: »Dieser Mensch wird nicht eher anhalten, bis er entweder auf dem Thron oder dem Schafott anlangt.« Manche durchschauten ihn also schon damals. Im Jahre 1792, als er wieder in Ajaccio weilte und dort viele Streiche verübte, vernahm er, daß er abgesetzt sei. Das verursachte ihm wenig Beschwerden. Nach einiger Zeit kehrte er wieder nach Frankreich zurück mit einem Gefälligkeitsattest, welches besagte, er habe mehrmals abreisen wollen, aber sei daran durch stürmisches Wetter verhindert gewesen. Was hatte er nun in Ajaccio getan? Er hatte die Citadelle von Ajaccio durch einen Handstreich nehmen wollen und sich selbst, er, der abgesetzte Lieutenant d'artillerie, zum Bataillonskommandanten gemacht. Sein Konkurrent bei der Bewerbung ward in einem fremden Hause gepackt und in das Haus Napoleons gebracht. So geht alles bei ihm auf gewaltsame Weise; für ihn gibt es keine Schranken des Rechts; worin andere Menschen einen Halt finden, das existiert für diese Natur nicht. Schon 1792 wurde ihm durch die Kriegserklärung ermöglicht, daß er Gnade fand und wieder in die Armee eintreten durfte, weil man seiner benötigt war. Er avancierte zum Capitaine; sein Korps bekam die Weisung nach Savoyen unter dem General Montesquieu. Napoleon fand sich aber nicht ein und ging nach Paris; er hatte schon 1791 dringend gewünscht, dorthin zu kommen: nur bei den Jakobinern in Paris könne man sich wirklich zeigen; wir finden bei Jung einen Brief aus diesem Jahr, in welchem er seinen Oheim um 300 Franken ersucht, welche er nötig habe, um nach Paris zu kommen. Es war aber für ihn ein Glück, daß er damals nicht hingelangte. Erst 1792 kam er dann dahin und muß damals etwas bei den Jakobinern gefunden haben, was ihm nicht diente; er blieb zwar in Paris, aber kein Mensch kann sagen in welcher Stellung.

Am 20. Juli, 10. August, 2.-4. September 1792 folgten die Schreckenstage in Paris, und Napoleon befand sich zu dieser Zeit dort; sein Vorgeben war, er müsse seine Schwester Elisa aus der Erziehungsanstalt nach Korsika bringen; indes reiste er erst später mit ihr nach Ajaccio ab. Hier hatten sich die Dinge eigentümlich geändert. Die Partei der Franzosen war nicht mehr stark; es erhob sich eine Gegenpartei, welche die Trennung von Frankreich anstrebte. Im Frühling 1793 wurde Napoleon gezwungen, nachdem er einige Gewalttaten verübt hatte, mit der ganzen Familie nach dem Festlande zu flüchten. Seine Mutter Laetitia fand in der Nähe von Toulon in einem Dorfe Unterkunft und mußte von der Wohltätigkeit der dortigen Munizipalität leben. Bald wurde es auch hier gefährlich, weil sich in Südfrankreich immer mehr die Gegenrevolution erhob; aber Marseille und Toulon fielen in die Hände der Jakobiner. Jetzt kam für Napoleon die günstige Zeit, das Schicksal zu lenken. Man erkannte damals in dem wie selten entschlossenen Manne eine Rarität, so daß ihm das Schicksal zu lächeln schien. Er lernte eine Menge von Leuten kennen, die von ihm eine große Meinung hegten; sein Landsmann Saliceti, Ricord und der jüngere Robespierre müssen im Juli 1793 seine Bekanntschaft gemacht haben. Hier konnte man ihn nun brauchen; wie es zunächst zuging, ist dunkel, aber im Oktober 1793 verwendete man ihn gegen Toulon. Man hat sein Emporkommen und die Erkenntnis seines Wertes immer von dieser Belagerung von Toulon her datiert. Toulon war damals von Frankreich abgefallen und an die Engländer übergegangen. Jung findet freilich, man habe aus Napoleon bei dieser Geschichte zu viel gemacht und schraubt seine Tätigkeit an der Belagerung von Toulon sehr herunter: er habe nicht bloß Obere, sondern auch bedeutende Kollegen gehabt. Immerhin trug die gewonnene Gunst ihm jetzt eine bedeutende Stellung ein; er wurde Général de brigade, kam freilich noch immer nicht an bedeutende Aufgaben; denn neben ihm hatte es Männer, wie Pichegru, Massena, die schon berühmte Generale waren. So erhielt er denn auch nach der Belagerung von Toulon keineswegs etwa große Aufgaben zu lösen; immerhin konnte er nun seiner Familie helfen; alle seine Verwandten versetzte er in die Armeeverwaltung und gab ihnen administrative Stellen.

So kam der Sommer 1794. Massena führte damals die Manöver in Italien, und sein Ruhm verdunkelte schon alle Andern. Er war der General, der am nächsten an Napoleon herangereicht hat. Im nämlichen Jahre, am 27. und 28. Juli 1794, mußte Napoleon den Sturz Robespierres erleben, und wurde in denselben verwickelt. Sobald er die Nachricht erhielt, zog er sich gleich zurück. Aus diesen Tagen besitzen wir einen Brief von ihm, worin er sich über den Untergang des jüngern Robespierre folgendermaßen äußert: »Ich glaubte ihn rein; wäre er mein Vater gewesen und hätte er nach der Tyrannei gestrebt, so würde ich selbst nicht gezaudert haben, ihm den Dolch in die Brust zu stoßen.« Dieser Brief wurde wohlweißlich von der Correspondance ausgeschlossen. Damit war er freilich noch nicht aus aller Verlegenheit; es kamen Kommissäre her; doch konnte man verhüten, daß Napoleon nach Paris geschickt wurde. Er geriet nur für zehn Tage in Haft, wurde dann freigelassen, blieb aber doch vorerst ohne Anstellung.

Sein Schicksal wurde nun schon einigermaßen überschattet; man zeigte sich auch sonst den Korsikanern nicht günstig bei der Armee; es hieß, ihr Patriotismus sei zweifelhaft, sie wollen nur Geld machen. Deshalb nahm man lieber Leute von der italienischen Armee. Napoleon kam dann im Februar 1795 an das bureau topographique zu Paris; hier trat seine eminente Begabung zuerst hervor; man erkannte, daß er ein Mann von weitester Kombination sei. Es gingen ihm damals viele Pläne durch den Kopf; allein auf diese Einzelheiten kann nicht eingetreten werden, zumal da das Werk Jungs hier sein Ende erreicht. Napoleon blieb in Paris und ging nicht zur Armee; dort erhielt er das Kommando im Kampfe gegen die empörten Pariser am 5. Oktober 1795. Das haben ihm die Pariser niemals verziehen, daß er auf ihresgleichen hat schießen lassen. Er sah freilich wohl ein, daß er nur durch die neuen Tendenzen aufkommen konnte und nicht durch den Royalismus. Ueber die folgenden großen Epochen seines Lebens, den italienischen Feldzug und denjenigen nach Aegypten dürften kaum neue Aufzeichnungen zum Vorschein gekommen sein. Es wäre erwünscht, wenn auch über diese Zeiten noch andere Augenzeugen berichten würden, obgleich man schon Memoiren darüber hat.

Vom Jahre 1802 an tritt dann Madame de Rémusat als maßgebend ein. Sie wurde Hofdame am Hofe des Konsuls, wo auch ihr Gemahl als Palastpräfekt und erster Kammerherr angestellt war. So befand sie sich in beständiger Berührung mit Napoleon und konnte bis zum Jahr 1809 alles genau beobachten; indes reichen ihre Aufzeichnungen nur bis zum Anfang des Jahres 1808. Von bester Herkunft, aus der Revolution arm emporgetaucht, wird das Ehepaar zu Vertrauten der wichtigsten Hergänge und Stimmungen am Hofe. Sie kann sich da oder dort ohne Absicht irren; aber die Einfachheit und Lauterkeit ihres Charakters, ihr fester sittlicher Kern sind uns im ganzen Bürge für die Wahrhaftigkeit ihrer Mitteilungen. Wo sie abbricht, setzen sodann die Aufzeichnungen Metternichs ein, der mit Napoleon oft und viel in entscheidenden Augenblicken konferierte. Napoleon sagte zwar von ihm: »Il ment très-bien«; allein es ist bestimmt anzunehmen, daß Metternich in dem, was er über Napoleon niederschrieb, nicht gelogen hat, und wir können uns ihm darum wohl anvertrauen.

Was das Aeußere Napoleons betrifft, so lernen wir ihn da von Augenzeugen genau kennen. Er war klein von Gestalt, und als er mit der Zeit dicker wurde, sah er ganz eigentlich gemein aus. Außerordentlich und wirklich dem antiken Ideal nahe erschien die Bildung der Stirne und die Linie der Nase; seine Augen hatten graublaue Farbe und in Augenblicken des Zornes einen ganz abscheulichen Ausdruck. Er besaß außerdem eine außerordentlich starke untere Kinnlade. Daß er nicht schön aussah, wußte er und wünschte dies darum zu verdecken; aber er konnte sich nie zu etwas zwingen, was ihm nicht entsprach. In Bezug auf die Haltung des Körpers nahm er Stunden bei Talma; auch gewöhnte er sich einen künstlichen Schritt an, in dem er die Bourbonen nachzuahmen vermeinte. Allein die Bourbonen sah er niemals als etwa im Wagen oder am Fenster; somit muß ihm jemand dies weiß gemacht haben. Aus allem dem ergibt sich ein Bild von großartiger Lächerlichkeit. Was seine Toilette betrifft, so zerriß er alles, was er am Leibe trug; mit den Stiefeln fuhr er öfter im Kaminfeuer umher; Festgewänder konnte man ihm beinahe nicht anziehen; die Ungeduld, welche ihn beständig umtrieb, zwang dazu, daß man jeweilen den günstigen Augenblick benutzen mußte, um etwas an seinem Anzuge in Ordnung zu bringen. Mit den Lakaien verfuhr er oft sehr barsch, und es gab dabei nicht selten Rippenstöße. Er betrug sich überhaupt ungezogen und besaß nichts von dem, was man gute Manieren nennt; er wußte nicht, wie man in ein Zimmer treten, wie man sich setzen und wie man wieder aufstehen müsse; das Bewußtsein zwar von all dem ging ihm nicht ab, aber es war zu spät für ihn, sich zu ändern. So zeigte er sich auch sehr unbeholfen, wenn er auf den Thron zuging; man wußte nicht recht, ob er hinanschreiten oder hinaufspringen werde. Seine Thronreden galten ihm für sehr wichtig; er mußte sie aber auswendig lernen, nachdem sie ein Sekretär zurecht gemacht. Doch konnte er seinen Willen nicht so weit zwingen, etwas zu lernen, was von einem andern verfaßt war. Da er sie schließlich gleichwohl gut vorgetragen wollte, so las er sie dann ganz kläglich ab. Mit dem fast geschlossenen Munde und den zusammengekniffenen Zähnen machte er auf alle, welche ihn öffentlich reden hörten, einen sehr bemühenden Eindruck. Die meisten Zeitgenossen freilich waren von ihm geblendet oder wollten es sein.

Noch ein Wort über Napoleons sonstiges Auftreten. Selbst seine Anbeter geben zu, daß er zu Pferde sich nicht gut ausgenommen habe. Die Pferde wollte er nach seinem Willen lenken, verstand dies aber nicht. Natürlich besaß er die allergelehrigsten Araberrosse, welche mitten im raschesten Laufe plötzlich stille stehen können. Da liebte er es denn besonders, bergabwärts zu reiten und dabei ist er oft gestürzt. Auch im Fahren versuchte er sich gern und warf dabei nicht selten um; solches Mißgeschick wurde aber sorgfältig verheimlicht und nur seine Vertrautesten wußten darum. Einmal hätte er beim Sturz fast seinen Tod gefunden; nachher sagte er zu Metternich: »Ich fühlte, wie das Leben mir entwich; aber ich sagte, ich will nicht sterben und blieb am Leben.« Vielleicht könnte daran etwas Wahres sein; denn was er an Willenskraft besaß, ist so erstaunlich, daß wir schwer über einen solchen Ausspruch ein Urteil fällen können. Es muß ihm ja ein Maß von Kräften zugestanden werden, das über das gewöhnliche weit hinausging; das machte ihn zum außerordentlichen Menschen. Freilich ein drittes, was bei ihm fehlte, war das Herz.

Im Gespräch, zumal mit bedeutenden Leuten, konnte Napoleon sich coulant zeigen. Metternich sagt, daß die Unterredungen mit ihm einen unsäglichen Zauber gewährten, obgleich es keine Gespräche waren, sondern einfach Monologe, welche man von Zeit zu Zeit durch Bemerkungen unterbrechen durfte. Das Großartigste dabei bestand in seiner Phantasie und der Einfachheit seines Gedankenganges trotz der außerordentlichen Flugweite desselben. Es muß ein Genuß gewesen sein, mit ihm sprechen zu können. Auch Madame de Rémusat bestätigt dies. So zeigte sich Napoleon in der Unterredung. Sein Wissen aber darf man nicht hoch taxieren. Metternich versichert, seine Kenntnisse auch in der Mathematik, worin man doch viel von ihm erwarten sollte, seien nicht höher gegangen, als diejenigen eines gewöhnlichen Artillerieoffiziers. Aber was er nicht wußte, das erriet er; seine Divinationsgabe trug ihn, und so konnte er Gesetzgeber und Verwalter werden vermöge der Kraft seines Geistes. Was sein historisches Wissen anlangt, so erscheint auch dieses gering. Metternich vermutet, er habe aus kurzen Abrissen die Geschichte gelernt, aus sogenannten »Abrégés«, weil er immer wörtlich das Nämliche zitierte, Alexander, Cäsar, Karl den Großen, dessen Rechtsnachfolger er zu sein glaubte. Das Wissen machte bei ihm nicht die Hauptsache aus; er wußte im Gespräche immer zu erraten, worauf es eigentlich ankam, und lernte dadurch ungeheuer viel. Als er im Jahre 1802 seine neue, gemischte Bureaukratie um sich versammelt hatte, soll er sich zauberhaft rasch und geschickt bewiesen haben in der Aneignung dessen, was ihm von allen Seiten gebracht wurde.

Bei alledem war Napoleons Stimmung eine düstere. Auch seine angeborene Roheit kam immer wieder zum Vorschein. An seinem Hofe herrschte überhaupt keine rechte Art. Ein wirklicher Fürst kennt doch wenigstens seinen Adel im weitesten Umfange und weiß eine Anzahl Namen. Das war bei Napoleon ganz anders. Sein Hof bestand aus einer außerordentlich bunt zusammengewürfelten Gesellschaft, und seine erste Frage an einen Ankömmling lautete gewöhnlich: »Quel est votre nom?« Man mochte ihm den Namen noch so oft gesagt haben, er fragte immer wieder darnach. Als er einmal einen Schriftsteller Grétry immer wieder fragte: »Quel est votre nom?« antwortete ihm dieser: »Sire, toujours Grétry.« An die Damen richtete er gewöhnlich die Frage, wie viel Kinder sie haben und dergleichen mehr. Seine Spässe, wenn er etwa heiter wurde, erinnerten gar zu sehr an die Garnisonen, in denen er sich ehemals bewegt hatte. Er besaß überhaupt einen schlechten Geschmack und verstand es nicht, sich zu zügeln; nicht selten setzte er die Frauen in große Verlegenheit. Einst teilte er einer Dame, welche rote Haare hatte, diese seine Wahrnehmung mit: »Sire«, erwiderte diese, »das ist wohl möglich, aber Sie sind der erste, der mir das sagt.« Ein andermal stand er in einem Kreise von Damen und erzählte, er habe gehört, man rede schlechte Dinge über sie und fügte bei, er werde solches nicht dulden. »Das fehlte noch«, bemerkte darauf eine derselben, »daß der sich um unsern Ruf kümmern sollte«.

Außer derartigen Ungezogenheiten führte er auch öfter Szenen mit Josephine herbei, in denen sogar Stühle zerbrochen wurden, wobei man mit Gewißheit annehmen kann, daß nicht seine Gemahlin dieselben zerbrach. Er verriet überhaupt ein herzloses Wesen, ohne eigentliche innere Größe; denn diese beruhte nur auf seiner Intelligenz und Willenskraft. In allem, was sich auf den Krieg bezog, vermochte er unendlich viel zu ahnen; dort dagegen, wo es sich um eine selbständige Denkweise handelte, war er ein verlorenes Menschenkind. Auch mangelte ihm völlig der Edelmut; jede höhere Beurteilung der Menschen ging ihm ab; er vermutete bei andern nur Egoismus und beurteilte sie darnach. Er analysierte seine eigenen Interessen, kombinierte sie und schob dies alles dann den andern zu. Freilich gibt es auch Temperamentsmenschen, die nach Phantasie und nach Laune handeln; diese behandelte er ebenso. So beurteilte er denn zum Beispiel die Bonhomie Heinrichs IV. völlig falsch und war überhaupt nicht gut auf ihn zu sprechen: er habe ja nicht einmal eine Schlacht zu liefern vermocht. Er ist neidisch auf vergangenen Ruhm; mit Anerkennung spricht er höchstens etwa von Ludwig XIV., und das kennzeichnet ihn; Napoleon mußte sich ja auch oft verstellen. Einmal gab er Metternich zu, Ehre und Tugend seien allerdings etwas, aber er fügte bei, nur Träumer ließen sich in ihrer Handlungsweise dadurch bestimmen und diese taugten nichts zur Regierung menschlicher Geschicke. Was war darum das Ende aller seiner Weisheit? Allgemeine Menschenverachtung. Doch hütete er sich wohl, in den Ruf zu kommen, daß er auch die Franzosen verachte. Als er in einer Gesellschaft von seiner Menschenverachtung sprach und das malitiöse Lächeln auf den Lippen der Madame de Rémusat bemerkte, trat er auf sie zu mit den Worten: »Die Franzosen freilich verachte ich nicht« und kniff sie dabei ins Ohrläppchen, was mitunter sehr wehe getan haben soll.

Ueber den Fall Enghien wird von Madame de Rémusat sehr genau berichtet; sie gibt uns Stunde für Stunde an, was damals in Malmaison vorging, und ihr Zeugnis lautet für Napoleon völlig vernichtend. Er ist der alleinige Täter, die andern waren dabei nur seine Werkzeuge. Gegen den Herzog lag durchaus keine Klage vor; was man gegen ihn vorbrachte, beruhte auf lauter Erfindung. Enghien war eben der einzige Bourbone in seinem Bereiche und darum mußte er sterben. Am Vorabend der Mordtat saß Napoleon noch deshalb zusammen mit Murat und einigen andern Generalen. Was er später über Talleyrand bemerkte, als ob dieser auch seine Hand im Spiele gehabt oder gar die Tat verschuldet hätte, stellt sich als schnöde Erfindung heraus; Wahrheit ist nur, daß er dem Genannten Anzeige machte von dem, was geschehen werde; aber Talleyrand schwieg, weil er wußte, daß er doch nichts ausrichten würde.

Napoleon zeigte sich überhaupt voll Ungerechtigkeit und ging beständig mit Unwahrheit um; Unwahrheit und Ungeduld sind die beiden Hauptzüge seines Charakters. Vor allem gibt er sie kund in seinem täglichen Leben. Er steht da als der Typus eines Usurpators, der keine Zeit hat zu warten. Schon bei den Aufzügen des Hofes ging es stets sehr hastig zu; die Damen mußten ihre Schleppen über den Arm legen, um überhaupt mitzukommen, und fortwährend hieß es hinter ihnen her: »Allons, mesdames, allons, allons!« Im Jahre 1807 klagte Napoleon in Fontainebleau gegen Talleyrand über die Langweile an seinem Hofe. Talleyrand erwiderte, es liege dies in seiner eigenen unruhigen Stimmung, da sein Ruf: »allons, allons!« eben keine Fröhlichkeit aufkommen lasse. Aber auch in der sonstigen Tätigkeit erschien Napoleon voller Ungeduld: was er aufgerichtet, riß er später stückweise wieder ein. So hat er über das Königreich Italien seine Ansicht 5-6 Mal geändert; die politische Einteilung von Süddeutschland warf er stets wieder um, und niemand konnte auf etwas bleibendes hoffen. Und wie nahm ihn erst seine Ungeduld mit in Umständen, die über seinen Bereich hinauslagen, wie namentlich angesichts der englischen Gegnerschaft. Er glaubte zuerst, die Feindschaft müsse mit dem Sturze Georgs III. endigen; aber er täuschte sich; denn er wußte nicht, daß die damalige Opposition eine getreue Opposition Seiner Majestät war.

Auch die spanischen Angelegenheiten beurteilte er vollkommen falsch; dasselbe war der Fall bei der Koalition von 1813; er glaubte, sie könne leicht gesprengt werden, da sie in sich schwach sei; das Gegenteil stellte sich heraus. Fremde Gesandte fuhr er oft äußerst derb an mit Drohungen, die dann durch ganz Europa widerhallen sollten. Metternich bemerkte darüber, Napoleon habe alles dies genau berechnet und die Erschütterung der Zuhörer zum voraus dabei bemessen; allein man erhält den Eindruck, Napoleon habe sich da vielmehr einfach seiner rohen Natur überlassen. Ueberaus ungeduldig wurde er, wenn die englischen Zeitungen gegen ihn loszogen; diese merkten sich dies aber gar wohl und sparten nichts, was ihn ärgern konnte. Anstatt nun ihre Angriffe ungelesen zu lassen, mußte man ihm dieselben übersetzen und er diktierte sprühende Gegenartikel in seine Organe. So machte er sich jede Annäherung an England unmöglich.

Mancher dankbare Leser der Memoiren der Madame de Rémusat vermißt vielleicht hier den und jenen Punkt ihrer geistvollen Darstellung ungern; allein es muß, wenn auch wider Willen, auf manches höchst wichtige Detail verzichtet werden, um auf die Vielseitigkeit der Aufschlüsse aufmerksam machen zu können. Was die Darstellung des Hofes bei Madame de Rémusat betrifft, so wurde wohl seit der berühmten und höchst umständlichen Schilderung des Hofes Ludwigs XIV. durch Saint-Simon kein Hof mehr so geschildert, wie derjenige Napoleons. Dieser Hof hatte einen militärischen Ursprung, bestand aus den Generalen, und der Konsulatshof behielt dieses militärische Band bei; im Militärleben herrscht aber keine gute Sitte, und so diente jenes Hofleben nicht als Schule einer leichten und anmutigen Geselligkeit. Und Napoleon selbst war nicht dazu angetan, diese Leichtigkeit zu erhöhen. Es lag ihm daran, daß immer eine gewisse Unruhe da sei. Von außen angesehen erhielt alles einen einförmigen Anstrich; durch die militärische Sitte, die darin besteht, nicht zu sprechen, außer wenn man gefragt wird, wurde das Hofleben zu einer Schule der Schweigsamkeit. Napoleon pflegte die Leute unhöflich zu behandeln und sagte ihnen gern etwas vor den andern, was sie verletzte. So blieb seine Gesellschaft beschränkt, und der Glanz, den man bei ihm voraussetzt, ist nicht so außerordentlich gewesen.

Napoleon trug zwei Schleifen an seiner Börse, diejenige der Pracht und die der Knickerei, und beide wechselten mit einander ab. Die Hofhaltung in Fontainebleau, wo während zwei Monaten des Jahres 1807 viele Fürsten bewirtet wurden, kostete nur Fr. 150,000, während man triumphierend auf die zwei Millionen hinwies, welche Ludwigs XIV. Hof einst dort verschlang. Napoleon bestrebte sich überhaupt, von der alten Uebung abzustechen, und sein Palastchef, der Marschall Duroc, stand ihm dabei zur Seite; Duroc war aber ein guter Rechner und sah immer sehr genau nach bei den Festlichkeiten, daß man dem Willen des Herrn nachkomme. So ging es dabei oft sehr armselig her. Liest man nur, was Frau von Rémusat berichtet, so hört es sich gar schön an, weil sie keinen andern Hof kannte; sieht man aber bei Metternich nach, so wird man davon wenig erbaut. Napoleon meinte unter anderm auch Jagden veranstalten zu müssen, weil die Bourbonen solche gehalten hatten. Man ließ aus dem Hannoverschen 40 elende Hirsche herbringen und setzte sie in dem mächtigen Parke von Fontainebleau in Freiheit, als ob dies hingereicht hätte. Ferner gab es der Leute, welche zur Jagd mitgehen wollten, viel mehr, als Pferde und Kutscher vorhanden waren. Man könnte vielleicht sagen, das sei angemessene Sparsamkeit; allein Napoleon fand daneben Mittel und Wege, um 300 Millionen in Gold in den Kellern der Tuilerien aufzuspeichern. Er erbte diesen Sparsamkeitstrieb von seiner Mutter Laetitia; sie hegte die Gewohnheit, so viel Geld zu sammeln als möglich, und dasselbe hinter dem Porträt ihres Gemahls aufzubewahren. Ihr ältester Sohn muß davon Kunde erhalten haben, denn er kam plötzlich zu ihr und nahm ihr einfach alles weg; gleichwohl ging Laetitia mit mehr als 6 Millionen ins Exil. Woher besaß er aber jene 300 Millionen? Es waren zum Teil Beutegelder, Kontributionen, zum Teil Erspartes von seiner Zivilliste.

Natürlich wurden von Napoleon auch Festlichkeiten angeordnet, wie Hofkonzerte in den Tuilerien und anderes mehr; ältere Leute erinnern sich wohl des Bildes, das in manchen Gasthöfen hing: Napoléon et sa cour. Man importierte vom Münchnerhof die Defilircour, la révérence, weil Napoleon diese Erfindung für schön hielt; getanzt wurde nur durch die Mitglieder der Oper, die aber alle dabei in Zivil erschienen; dann speiste man, wobei freilich der Herr nicht wünschte, daß man sich allzu satt esse oder allzu sehr freue. Er wußte ferner, daß Poesie und Kunst zur Verherrlichung des Lebens der Großen gehören, während er selbst gar nicht dafür empfänglich war; er gewann nur dem einen Geschmack ab, was sich auf seine Person bezog. Vom Lustspiel sagte er: »Ich habe gar keinen Sinn dafür«; hier nämlich konnte er die Dinge ja nicht auf sich beziehen, und darin zeigte sich der größte Mangel seines Lebens, der komplette Egoismus. An den Dramen war ihm fatal, wenn sie zu sehr an seine Epoche heranrückten; schon Heinrichs IV. Zeit schien ihm eigentlich zu nahe. Wenn ein Dichter freilich ernstlich will, kann er ja in Szenen, die er nach Aegypten oder Indien verlegt, gelegentlich sehr anzüglich werden. Napoleon huldigte der Meinung, daß immer Tragödien aufgeführt werden müssen; auch nach Fontainebleau ließ er die ganze Truppe des Théâtre fran çais herauskommen und änderte das Programm von einem Tag auf den andern, weil nichts mehr Eindruck auf ihn hervorbrachte, alles von ihm abglitt. Er faßte damals seine verbrecherischen Pläne gegen Spanien und so konnte er unmöglich empfänglich sein für die großen Dichtungen; gewöhnlich schlief er ein oder hing seinen Gedanken nach. Talleyrand sagte deshalb einst zu Herrn von Rémusat: »Vous devez amuser l'inamusable«.

Mit der Musik stand Napoleon ebenfalls auf sonderbarem Fuße. Er verlangte von ihr Abspannung und zog deshalb solche Komponisten vor, welche monoton schrieben, weil das, was sich oft wiederhole, am besten wirke. Daher beurteilte er die meisten Komponisten falsch. Cherubini, welcher das Unglück hatte, dem General Napoleon einst eine kleine Bemerkung über »Schuster und Leisten« zu machen, ging es von da an immer schlecht und seine Glanzperiode beginnt erst mit der Restaurationszeit. Freilich werden von Cherubinis Kompositionen immer noch welche geschätzt werden, so lange unser musikalisches Leben währt; aber wer kennt heute die Meister, welche Napoleon ihm vorgezogen hat? So genossen Lesueurs »Barden« und Spontinis »Vestalin« Gnade vor ihm; es ärgerte ihn aber, daß die Pariser immer andern applaudierten. In ein interessantes Verhältnis stellte er sich zu Mozarts »Don Juan«. Bei allen szenischen Stücken hegt er immer Sorge, wie sie auf den »esprit public« einwirken werden. Es sollte nun 1805 in Paris »Don Juan« zum ersten Mal aufgeführt werden. Napoleon, auf dem Zuge nach Ulm begriffen, hört davon, schreibt an den Polizeiminister, und verlangt Aufschub wegen der allfälligen Beziehungen des Stückes zum »esprit public«; man beruhigte ihn darüber. Nun reist er weiter; in Ludwigsburg sieht er als Gast Friedrichs von Württemberg »Don Juan« aufführen und schreibt darüber nach Paris: »Während ich Krieg führe, höre ich auch Musik, doch schien mir der deutsche Gesang etwas barock. Wie steht es mit der neuesten Konskription?« und so geht es in einem Zuge weiter. Man weiß nicht, wie es nachher der Aufführung des »Don Juan« in Paris erging. Das sind Züge eines Geistes, der aus den Dingen keine Freude zu schöpfen vermag; er kann nur die Welt beherrschen.

Das Benehmen Napoleons gegen die Hofleute bildet eine dunkle Partie, worin sich sein abscheuliches Wesen geoffenbart hat. Hervorzuheben ist da zuerst die Späherei, die Art, wie er alle möglichen Zuträgereien annahm, wie man damit Carriere machen konnte, wie ihm selbst der Eid der Verleumder willkommen war. Dahin gehört ferner die Sucht, alle Briefe zu öffnen, selbst jene der fürstlichen Personen; als man es erfuhr, nahm man sich freilich in acht, und Hortense zum Beispiel schrieb als Prinzessin wenig Briefe mehr; aber als sie Königin von Holland geworden war, verfuhr ihr Gemahl nicht besser. Während des Aufenthalts des Hofs in Mailand im Jahre 1805 vertraute man sich an, daß alle Briefe gelesen werden und schrieb deshalb nur, wenn man das Schreiben einem guten Bekannten mitgeben konnte. Napoleon ließ sich immer von einem schwarzen Kabinett begleiten. Als man 1807 bei Eylau und Friedland weilte, wußte man alles, was von der Armee nach Paris geschrieben wurde, und falls man ihm etwas nicht berichtete, nahm er es übel. Gerne hätte er's angenommen, wenn auch Herr von Rémusat ihm Mitteilungen gemacht hätte über das Geschwätz der Generale; allein dieser tat ihm den Gefallen nicht, weshalb sich Napoleon äußerte: »Rémusat dient mir nicht, wie ich's gern möchte«. Gleichwohl verlangte er immer, solches Geschwätz zu hören, was doch eines Mannes unwürdig ist; stetsfort mußte er sich dieser kleinlichen Mittel bedienen.

Charakteristisch erscheint ferner die Art, wie er die Hofleute hinter einander hetzte. Es war ihm unerträglich, wenn sich Leute vertrugen, so daß Talleyrand zu Rémusat sagte: »Wir dienen einem Herrn, der keine freundlichen Beziehungen leiden mag.« Es kam so weit, daß Napoleon dabei ganz ungeniert auch das Mittel der Lüge anwandte. Hievon ein frappantes Beispiel: Josephine litt an der Schwäche, ihrem Gemahl in den Briefen allerlei zu schreiben, was in dem Salon der Gräfin de la Rochefoucauld von den Hofdamen geredet wurde. Dort herrschte große Sympathie mit der Königin Luise von Preußen. Josephine meldete dies Napoleon, bat ihn aber, er möge doch keinen Gebrauch von ihrer Mitteilung machen. Er aber ließ der Gräfin de la Rochefoucauld sagen, Frau von Rémusat habe ihm solches geschrieben und dadurch hetzte er die beiden Damen hintereinander, bis man später den Sachverhalt erfuhr. Das sind schwarze Züge aus dem Leben des Mannes. Auch sonst schonte er den guten Ruf der Leute nicht; so wie er von einer Dame etwas Schlimmes wußte oder zu wissen glaubte, teilte er's ihrem Gemahl mit, verbot ihm aber, irgendwie Gebrauch davon zu machen. An den Maskenbällen erschien er über und über maskiert, war aber leicht kenntlich an seinem Schritt, seinen Manieren; er intriguierte bei solchen Anlässen alle Welt, namentlich die Ehemänner, indem er ihnen über ihre Frauen allerlei bemerkte. Wenn er aber selbst intriguiert wurde, so nahm er dies sehr übel und riß dem Betreffenden die Maske vom Gesicht. Daran erkannte man ihn und wir erkennen ihn daraus ebenfalls.

So stand es mit diesem Hof, welchen so viele aus der Ferne mit Neid betrachteten; niemand wagte dort mehr offen zu reden. Nur ein großer Mangel war der Welt bekannt: die berühmteste Frau Frankreichs, Madame de Staël, hätte an denselben gehört. Die Zeit reicht nicht, um hier eingehend zu reden über den Kampf dieser Frau mit Napoleon. Als dieser die berühmte Frau von Paris weg wies, nahm sich Metternich ihrer an; er suchte Napoleon begreiflich zu machen, man gebe dadurch der Verbannten größere Wichtigkeit als sie verdiene und hoffte ihn so umzustimmen, aber vergeblich. Freilich ist zuzugeben, wenn man niemand mehr Freiheit gönnen wollte, wenn man alle Salons aushorchen ließ, konnte Madame de Staël nicht mehr in Frankreich geduldet werden. In die Lücke, welche dadurch entstand, drängten sich dann genug Schmeichler, und Napoleon war der Schmeichelei außerordentlich zugänglich und vermißte sie, wo sie nicht auftrat. Es gab Leute, die ihn bei jedem Anlaß verherrlichten, und als die größten Schmeichler erwiesen sich die ehemaligen Jakobiner, Leute aus dem Senat, dem Tribunat, die gar nicht mehr wußten, wie sie alles ihm höflich genug darbringen sollten, besonders wenn der Senat die furchtbaren Konskriptionen bewilligte. Bei der berühmten Verteilung der Adler unmittelbar nach der Kaiserkrönung am 4. Dezember 1804 regnete es von früh bis spät; damals erklärten einige dieser Leute, der Regen habe an jenem Tage nicht naß gemacht.

Ueber die Familie und das nähere Verhältnis zu Josephine kann hier nicht eingehend gesprochen werden, so reich die Aufschlüsse darüber wären. Im ganzen wird man sagen müssen, daß Josephine wenig Tiefe besaß, so daß man bei all dem Unglück, das man für sie mitempfinden mag, doch keine wärmere Teilnahme mit ihr hegt. Die Oberflächlichkeit tritt allzu sichtbar hervor bei ihr; sie hätte mehr als einmal, als man ihr seit 1804 die Scheidung insinuierte, einwilligen sollen; ihre Tochter Hortense bezeigte sich viel entschiedener. Außerdem liebte sie die höchste Eleganz; sie starb umgeben von allem Prunke, ganz bedeckt mit roten Schleifen, weil sie eben damals erwartete, der Kaiser Alexander werde sie noch besuchen. Weit mehr Teilnahme würde die Stieftochter Hortense in Anspruch nehmen, über deren Leben uns Madame de Rémusat berichtet. Sie nimmt Hortense in Schutz gegen ihren Gemahl Louis Bonaparte und glaubt an ihre Unschuld, Hortense wurde freilich von ihrem Gemahl auf das tödlichste verletzt und da mag sie in der Erbitterung wohl andern Gehör gegeben haben. Denn man muß doch sagen, daß der Herzog von Morny ihr Sohn war, und das gibt selbst der Enkel der Schriftstellerin zu. Immerhin muß man Louis Bonapartes Benehmen verurteilen. Ein fatales Licht fällt auf das höchst bedenkliche Ehepaar Murat, welches beständig in der Hoffnung und auf der Jagd nach Kronen ist, und endlich mit dem Thron von Neapel befriedigt wird. Caroline Bonaparte, die begabteste Schwester Napoleons, mit Murat vermählt, wird von Metternich geschildert als eine Frau von vielem Geist, die ihren Gemahl würde gelenkt haben, wenn er überhaupt lenkbar gewesen wäre. Sie besaß einen tiefen Einblick in die Gefahren, welche den Bonaparte drohten und hätte ihr Schicksal gerne außerhalb der Tragweite derselben gestellt. Freilich gilt Metternich hier nicht als zuverlässiger Zeuge, denn er stand 1808 in einem Zärtlichkeitsverhältnis, zu Caroline, das den Zweck hatte, Staatsgeheimnisse aufzuspüren; auch genoß Caroline noch später Metternichs Protektion, als sie in Oesterreich lebte; das muß man bedenken, wenn Metternich so von ihr redet.

Lassen wir nun die Familie auf sich beruhen und sehen wir uns die Staatsdienerschaft an, mit welcher Napoleon Frankreich und die Welt regierte. Es brauchte deren gewaltig viel bis alles bestellt war; Präfekten, Gesandte, Ratgeber, Späher, Diplomaten, und das Staatsoberhaupt verlegte auf diese Wahlen einen großen Teil seiner Kraft. Er stellte Leute von allen Farben an und sprach hiebei das schönste Wort, das aus seinem Munde ging, wenn er 1802 bemerkte, als man von ihm, dem ersten Konsul, den Frieden erwartete: »Wenn ihr zusammen arbeiten müßt, so werdet ihr von selber Frieden halten.« »Es dienen mir alle«, sagte er, und berief darum auch Leute aus der Klasse der ärgsten Jakobiner: »Diese Revolutionsmänner sind zum Teil sehr fähig und gute Handlanger; der Fehler lag nur daran, daß sie alle Baumeister werden wollten.«

Die Diener wurden aber nach und nach dieses Meisters satt und des Tyrannen überdrüssig. Nur einzelne verharrten bis ans Ende bei ihm, so Maret, Duc de Bassano, ein gefährlicher Mensch; dieser sollte ihm 1813 von dem Abfall Bayerns berichten; weil er sich genierte, ihm die Wahrheit mitzuteilen, traf Napoleon falsche Maßregeln. – Von Savary sagte Napoleon, man müsse ihn permanent bestechen, dann sei er gut und fähig, seine eigene Familie zu ermorden; er präsidierte denn auch bei der Ermordung des Herzogs von Enghien; solches waren die Diener, auf die man für alles bauen konnte. Als der Letztere den Prinzen von Asturien nach Frankreich zu bringen hatte, fragte ihn Frau von Rémusat, ob er den Prinzen, wenn es ihm gelungen wäre zu fliehen, ermordet hätte. Da antwortete er: »Ermordet nicht, aber ich hätte dafür gesorgt, daß er nicht nach Spanien zurückgekommen wäre.« Es traten aber auch andere auf, welche den Mann durchschauten und sich heftig über ihn beklagten, so Duroc, der vor seinem Tode sich sehr bitter über den Selbstherrscher aussprach, so Caulaincourt, einer der fähigsten Diener Napoleons. Im Jahre 1813 während des Feldzuges schlug eine Haubitzengranate in der Nähe Napoleons ein. Da stellte sich Caulaincourt zwischen die Granate und den Kaiser. Der General Mortier machte ihm nachher sein Kompliment und erhielt die Antwort: »Das ist schon recht; aber wenn ein Gott im Himmel waltet, so endigt dieser Mensch nicht auf dem Throne.« So satt waren sie seiner.

Zuletzt wurden von dem Imperator alle Bande der Pietät teils über das Maß angestrengt, teils zerrissen. Und wenn er nur selbst dabei glücklich gewesen wäre; allein er zeigte sich später ganz erbittert und immer schlimmer Laune gegenüber der Welt und den Menschen. Dies sprach sich besonders aus in den Briefen an Hortense, welche noch seine schönsten sind. »Das Leben ist so voll von Klippen und mit Leiden angefüllt, daß der Tod wohl nicht das größte Uebel ist.« Er bemerkte auch ein andermal: »Derjenige Mensch ist wahrhaft glücklich, der sich vor mir tief in einer Provinz verbergen kann; und wenn ich einmal sterbe, so wird die ganze Welt ein tiefes ›Ah!‹ ausstoßen.«

Eigentümlich erscheint Napoleon in der Behandlung der Franzosen. Er hätte dieses Volk gar nicht als Beute zu betrachten gebraucht, sondern als würdiges Objekt der Heilung; doch dazu fehlte es ihm an allem Adel der Gesinnung. Er erblickte stets nur eine Beute darin und lästerte dabei fortwährend über die Franzosen, besonders Metternich gegenüber. Man sollte nicht meinen, daß er sie verachte, und doch erlaubte er sich alles über sie zu sagen. »Die Franzosen sind Leute von Geist, der Geist läuft in den Straßen herum, aber dahinter steckt gar kein Charakter, kein Prinzip und kein Wille; sie laufen allem nach, sind zu lenken durch Eitelkeit und müssen wie Kinder immer nur ein Spielzeug haben.« Er wußte recht wohl, daß dem nicht so sei; aber es diente ihm, die Franzosen so zu schildern. Diese Franzosen aber konnten ihm unter Umständen fürchterlich werden. Er empfand infolge seiner früheren Erfahrungen einen tiefen Abscheu gegen die Volksbewegungen; denn wir wissen, daß er vom 2.-4. September 1792 in Paris weilte; später sah er während des Krieges im südlichen Frankreich die fürchterlichsten Szenen mit an; vielleicht hat er 1793 der Fusillade von Toulon mit angewohnt. Darum ist anzunehmen, daß er aus Erfahrung sprach, wenn er gegen Volksbewegungen den größten Widerwillen kundgab.

Wenn seine Minister im Begriffe standen, etwas zu verordnen, so fragte Napoleon stets: »Garantiert ihr mir, daß das Volk ruhig bleibt?« Auch hatten die Generale gemessene Befehle, wenn Schwierigkeiten zwischen Parisern und Gardisten vorkämen, immer den letztern Unrecht zu geben; es wurde alsdann der betreffende Gardist versetzt und heimlich mit Geld belohnt. Wenn aber Napoleon sogar dem Militär Unrecht gab, so mußten schon sehr starke Gründe dafür obwalten. Doch die Franzosen sind ihm scheinbar so ziemlich treu geblieben; trotz der wachsenden Lasten, der Konskriptionen, der Kontinentalsperre, erhob sich niemand gegen ihn; man blieb stumm und geduldig; Napoleon konnte sagen, daß die Franzosen ihm gehören. Dennoch traute er ihnen, wenigstens den Parisern, niemals. Man hat nachgerechnet, daß er als Kaiser in den Jahren 1804 bis 1814 nur 955 Tage in Paris zugebracht habe, also nicht einmal volle 3 Jahre! Sobald es ging, verlegte er die Residenz in eine andere Stadt; ihn ärgerte namentlich die Neugierde der Pariser und noch mehr ihre »Pietätlosigkeit«; sie zeigten sich kalt gegen ihn und spöttisch; auf den Hof gaben sie nicht viel; derselbe sei wohl eine Parade, aber man könne seiner gut entbehren. Der Gewaltige wußte auch, wessen unter Umständen die Pariser fähig sind, und es kam bereits so weit, daß er an eine ständige Verlegung der Residenz nach Versailles oder nach Lyon dachte. Die Pariser konnten ihm aber auch nicht angenehm sein, denn sobald etwas in den Tuilerien vorkam, wie zum Beispiel ein Zornesausbruch gegen Josephine, so kam es gar zu rasch im Publikum herum. Das Volk wurde aber scharf beaufsichtigt, und an polizeilicher Tätigkeit hat es in Napoleons ganzer Regierungszeit nicht gefehlt; indes fand er seine hauptsächliche Sicherheitsmaßregel in der Fortführung des Krieges. Mit dem Kriege kam er immer wieder in Vorteil, mochte auch dabei die Verzweiflung des Volkes noch so hoch steigen.

Frühere Zeugen haben stets angenommen, Napoleon habe den Krieg geliebt; man stellte sich vor, eine Schlacht sei seine Lust gewesen und seine Brust sei nur frei geworden im Pulverdampfe. Aber Frau von Rémusat leugnet dies entschieden, und sagt, wenn er die großen Erfolge hätte durch Frieden erreichen können, so hätte er dies gewiß getan und namentlich vor dem Kriege von Jena habe er sich gefürchtet. Der Krieg wurde ihm auch sonst zuwider; er bemerkte mit größtem Unbehagen, daß jede Schlacht immer weniger wirke als die vorhergehende und 50 Schlachten nicht mehr austragen als früher fünf, daß Jena schon weit geringern Eindruck hervorbringe als Austerlitz. Er klagte, es sei ihm unerklärlich, daß der Kriegsruhm so rasch vorübergehe, während er doch in den Geschichtsbüchern eine so große Rolle einnehme. Gleichwohl schritt er stets von Krieg zu Krieg; die Armee verwilderte dabei, sie gewöhnte sich ans Rauben und eine wüste Zügellosigkeit riß ein; so mußte er die Truppen außer Landes bringen, damit Frankreich nicht über Gebühr angestrengt, aber auf die Ueberwundenen fortwährender Druck ausgeübt werde. Aus allen diesen Gründen konnte er aus den Kämpfen nicht herauskommen und weil die Armee das wunderbarste Werkzeug des genialen Menschen war, so lag darin schon für ihn eine Versuchung immer wieder Krieg anzufangen.

Ein besonders kennzeichnender Zug tritt hervor in der Ausbeutung der öffentlichen Meinung durch die Bulletins. Ihre Verlogenheit ist geradezu sprichwörtlich geworden. Herr von Rémusat charakterisiert sie folgendermaßen: Zuerst sollten sie die Leser veranlassen, Napoleons Allwissenheit und Allgegenwart zu bewundern; zweitens bezweckten sie einen gewissen Effekt auf das Ausland und auf Frankreich; drittens gaben sie berechnete, willkürliche Schilderungen der Leistungen seiner Marschälle, wobei oft geringe ungebührlich hervorgehoben, bedeutende herabgesetzt wurden; denn es lag ihm an der Wahrheit nichts, sondern alles nur an der Wirkung. Schließlich hinkte dann noch etwas historische Wahrheit hinten nach. So lernten die Pariser bald seine Bulletins lesen und empörten sich, wenn er sich maßlos rühmte oder sich gar Züge der Gutherzigkeit beilegte: »selbst die Geschmacklosigkeit hat er gehabt!« Als er im Jahre 1806 nicht verschmähte auf eine Galanterie zwischen Alexander von Rußland und der Königin Luise von Preußen anzuspielen, schlossen die Pariser daraus sofort richtig, daß ein Feldzug gegen Rußland im Anzuge sei, und die furchtbare Schlacht von Preußisch-Eylau bestätigte dies. So lernte man seine Bulletins deuten. Hie und da wurde er noch bei Lebzeiten durch eine Parodie gestraft, bisweilen sogar durch blinden Eifer unüberlegter Generale. So legte der diensteifrige Brune die Wichtigkeit einer Proklamation Napoleons den Truppen so ans Herz, daß er befahl, sie sollen dieselbe in ihren Zelten lesen, auswendig lernen und dabei »Tränen des Mutes« vergießen.

Unter seinen Marschällen gab es auch solche, die sich schon zur Zeit der Republik große Verdienste erworben hatten, wie Massena, auf den Napoleon immer neidisch war. Hoffentlich ist nicht wahr, was berichtet wird, daß er demselben auf der Jagd in Fontainebleau ein Auge ausgeschossen habe. Diese Generale ließen sich indes nur schwer leiten und vergalten ihm die Tyrannei, die er an ihnen übte. Er sprach oft auf die abscheulichste Weise von ihnen allen, und sie gaben es ihm reichlich zurück und schonten seiner auch nicht. Das rächte sich dann bei seinem Sturze; es blieben ihm nur wenige treu; unter seinem Regiment verwilderte alles und jede Billigkeit ging verloren. Frau von Rémusat sagt von ihnen: »Jede Opposition erschien ihnen wie eine Schlacht, welche man gewinnen müsse.« Gleichwohl fand sich in ihnen eine herrliche Fülle von Talent und Mut beisammen, nur fehlte überall ein menschliches Verhältnis.

Was hat nun aber Napoleon schließlich erreichen gewollt, und wie sieht sein Ideal der Staatenbildung aus? Er glaubte geboren zu sein, um alles über den Haufen zu werfen und ein Reich gründen zu sollen, wie dasjenige Karls des Großen gewesen war. Aber jenes Reich war ein ganz anderes gewesen, und Napoleon hätte sich vielmehr auf das der Ottonen berufen sollen; allein mit seinem historischen Wissen war es ja nicht weit her, obschon er geistreiche Schlüsse zu ziehen vermochte. In seinem großen »Empire d'occident« sollten die unterworfenen Könige Lehensleute des in Paris residierenden Kaisers sein; jeder von ihnen sollte einen großen Palast in Paris besitzen und zur Krönung der künftigen Kaiser sich dorthin begeben; auch der Papst wurde als Appendix des Hofes gedacht. Napoleon sagte einmal zu Metternich, sämtliche Staaten könnten ihm ihre Archive übergeben; man würde sie dann in Paris in eine große Bibliothek bringen, welche etwa acht Höfe umfassen sollte, und damit großen Nutzen für die Geschichtswissenschaft schaffen. Metternich äußerte Zweifel, ob man sie ohne weiteres ausliefern würde; der Kaiser ging aber nicht weiter darauf ein. Auch auf andere Ideen ließ er sich ein; so zum Beispiel äußerte er sich, er gedenke eine solche Macht zu gründen, daß auch nach seinem Tode sein Sohn in den Stand gesetzt sei, allen Angriffen mit Erfolg zu begegnen. Ein andermal gab er wieder die ganze Nachfolgerschaft preis und erklärte sich fest überzeugt, daß nach seinem Tode wieder die Jakobiner kommen werden. Es trieb ihn eben stets ein innerer Widerspruch hin und her; mochte er aber auch schwankender Meinung sein, so gehörte ihm doch die Gegenwart. Metternichs tiefsinniges Wort darüber lautet: »Napoleon treibt die Fürsten und Kabinette so um, daß sie allen Mut zum Widerstande verlieren; sie leben alle in der Zukunft; er aber beutet dieses Gefühl aus, lebt in der Gegenwart und vereinigt so die Glieder der Kette. Jeder wartet auf den andern, ob inzwischen etwas geschehe.« Zuletzt jedoch ist der Gewaltige weder auf dem Schlachtfelde, noch durch ein Attentat umgekommen, sondern ein dreijähriges Ringen mußte ihn niederwerfen.

Die Hoffnungslosigkeit der Völker stieg in jenen Zeiten auf eine furchtbare Höhe; man muß Metternich gelesen haben, um die tiefste Verzweiflung schon zwischen dem ersten und zweiten napoleonischen Kriege kennen zu lernen. Als Napoleon die spanische Königsfamilie in Bayonne durch Hinterlist gefangen nahm, schrieb Metternich an Franz: »Jetzt fort mit allen Illusionen; diese Erkenntnis gibt uns Macht. Alle, welche ihm getraut haben, sind verloren. Mit dieser Macht ist kein Friede mehr möglich.« Solche Einsicht war dem Staatsmanne aufgegangen. – Die Völker kamen zuletzt so weit, daß sie sich innerlich rüsteten, äußerlich fügten; Napoleon aber überschätzte diese Fügsamkeit, und hat dies dann nach dem russischen Unglück auf erstaunliche Weise büßen müssen. Von diesem russischen Kriege wußte er, daß er ihm nicht entgehen werde. »Der Krieg mit Rußland wird unvermeidlich sein und muß kommen aus Gründen, die an und für sich vorhanden sind«, sagt er 1810 zu Metternich. Alle Welt riet ihm ab, den Krieg zu unternehmen, auch hatte er zuerst den Plan gefaßt, nur bis Smolensk vorzudringen und den übrigen Feldzug aufzuschieben; aber er wurde, wie Metternich berichtet, diesem Plane untreu; aus Ungeduld erlitt er sodann im Jahre 1812 die bekannte Züchtigung.

Metternich sah Napoleon später wieder in Dresden, als er mit den Deutschen gekämpft hatte, die Schlachten von Lützen, Groß-Görschen und Bautzen gewann und übermütig wurde. Die Einsichtigen wußten, daß es mit ihm zu Ende ging; der Kaiser selbst aber bäumte sich gegen diese Einsicht auf. Da damals alles auf die Oesterreicher ankam, so wünschte Napoleon während des Waffenstillstandes Metternich zu sehen, und dieser kam zu ihm nach Dresden am 26. Brachmonat 1813, nachdem er früher Alexander besucht hatte; da kam es dann zu der berühmten neunstündigen Konferenz. Von allen Sterblichen des Auslandes hat keiner den Imperator so oft gesehen und so nüchtern beobachtet als Metternich.

Napoleon glaubte damals, den Oesterreicher unbedingt übertäuben zu können: er erklärte gleich: »Ich trete keinen Zoll breit Gebiet ab.« Oesterreichs Forderung lautete dahin, er solle Preußen wieder rekonstruieren. »Das will ich nicht! Ich bin nicht wie die legitimen Fürsten; so einer kann, wenn er zwanzig Schlachten verloren hat, wieder in seine Hauptstadt einziehen; das kann ich nicht. Ich bin ein Sohn des Glücks!« Er ließ die Lehre nicht gelten, die Metternich ihn aus seinem Schicksal ziehen hieß. Das Unglück in Rußland sei nur durch die Kälte erfolgt. Man weiß zwar, daß er von Moskau aus schon bei gutem Wetter den Rückzug antreten mußte; allein er wollte sich blenden.

Weiter bemerkte er, die Koalition der Mächte erzürne ihn nicht: »Ihr Oesterreicher, auf Wiedersehen in Wien!« Das sollte den Gegner verblüffen, allein er kam an den Unrechten. Dann rühmte er, daß er eine neue, glänzende Armee besitze, die ihm zum Sieg verhelfen werde. Metternich antwortete darauf: »Es sind ja ganz neu ausgehobene, blutjunge Leute darunter und diese gehen verloren.« Jetzt wird Napoleon wütend; er wirft den Hut zu Boden: »Sie sind kein Soldat und wissen nicht, wie einem Soldaten zu Mute ist. Ich bin im Lager aufgewachsen; ich kümmere mich einen Pfifferling um das Leben einer Million Menschen!« Metternich ergriff mit der Hand fest die Fensterkonsole und erwiderte: »Sire, warum haben Sie mich ausersehen, um mir das hier unter vier Augen zu sagen? Oeffnen wir die Fenster, damit es ganz Frankreich höre!« Napoleon: »Die Franzosen haben sich nicht zu beklagen. In Rußland sind nur 30,000 Franzosen zu Grunde gegangen; ich habe am meisten Deutsche und Polen geopfert.« Metternich: »Sire, Sie vergessen, daß Sie mit einem Deutschen reden.« – Jetzt kam Napoleon wieder auf sein Verhältnis zu Franz und auf seine Ehe mit Marie Louise zu reden: »Das war ein törichter Streich von mir; ich bereue ihn.« Metternich: »Ja, Sire, Napoleon der Eroberer hat einen Fehler begangen; alle Welt hielt die Ehe für ein Symbol des Friedens; in dieser Erwartung wurde sie leider getäuscht.« – Als alles nicht verfing bei dem österreichischen Staatsmann, nahm Napoleon eine gütige Miene an, klopfte seinem Widerpart auf die Schulter und sprach: »Sie erklären mir nicht den Krieg!« – Metternich: »Sire, Sie sind verloren! Mir ahnte dies, als ich herkam, aber ich nehme die Gewißheit davon mit, indem ich gehe!«


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