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30. Oktober 1883.
Akademischer Vortrag, gehalten in der Aula des Museums. Manuskript: 10 Folioblätter: ein Kapitel aus den Aufzeichnungen (bzw. Aufsätzen ) zur griechischen Kunst (Sommer 1880, [mit Nachträgen vom] Herbst 1890 und später), Jac. Burckhardt-Archiv Nr. 149.
Da das Referat über diesen Vortrag in der Allgemeinen Schweizer Zeitung 1883, Nr. 259–261, abgesehen vom Schluß, ziemlich genau dem Manuskript entspricht, so ist die Annahme erlaubt, daß die Grundlage des Vortrages jene Niederschrift vom Sommer 1880 gebildet hat. Die spätem Nachträge sind hier in den Druck einbezogen worden. Jacob Oeri hat schon die Partie von S. 209, IV. Abschnitt ab bis zum Schluß in die »Griech. Kulturgeschichte, Bd. III, S. 51–58 hinübergenommen, vermehrt um Partien aus dem Kollegmanuskript B.'s für S. 56, III. Abschnitt – 57, I. Abschnitt. Der erweiterte Abschluß von B.'s Vortrag fügte sich am Schluß des nun vorliegenden Druckes an und lautete nach Nr. 261 der Allg. Schweiz. Zeitung also:
In den späteren Jahrhunderten begann man Phantasiepreise der höchsten Art für Kunstwerke zu bezahlen, ohne daß dies irgend welchen Einfluß auf die Wertschätzung des Künstlers als Menschen auszuüben imstande war.
Im II. und III. nachchristlichen Jahrhundert begann die Literatur sich der bildenden Künste zu bemächtigen und den Malern und Bildhauern Themata, Sujets vorzulegen; die Kunst fing an, nach Programmen zu arbeiten. Noch aus dem I. Jahrhundert kennen wir ein solches Werk: es ist des Archelaos v. Priene »Apotheose Homers«. Das ganze Verhältnis artete schließlich aus in einen Triumph der Literatur über die Kunst. In den »Gemälden« des Philostratos, der Beschreibung einer Galerie, findet sich ohne Zweifel gar manches Bild, das gar nie wirklich bestanden hat; der Schriftsteller führt sie nur als schönen Vorwurf zu einem Kunstwerk an. Die Kunst wird zugleich immer schwächer und muß sich solches gefallen lassen. Bei einem Rhetor des V. Jahrhunderts finden wir geradezu eine Sammlung umständlicher Programme; aber wie wäre die gesunkene, verrostete Plastik jener Zeiten auch nur noch von ferne im Stande gewesen, dieselben zu realisieren?
Es bleibt immerhin ein Phänomen, daß eine Potenz, wie die Meister der alten hellenischen Kunst, von ihrem Volke so vollständige Verkennung erfahren mußten. Ihre Werke aber stehen noch heute da, hoch und unerreicht von den Gestaltungen aller Epigonen. Ja, wer weiß, es war vielleicht ein großes Glück, daß sie seit dem IV. Jahrhundert vor Christo in vollster, schlichter Verborgenheit dahinlebten, nicht zerpflückt und nicht verschwatzt von einem Zeitalter, das im Stande gewesen wäre, alles, auch das Höchste und Edelste, zu zerpflücken und zu verschwatzen.
Kunst und Poesie der Griechen gelten uns Spätgeborenen ziemlich unwidersprochen als das höchste und herrlichste, was sie geleistet; erst in zweiter Linie kommt ihr Wissen und Forschen und erst unter Vorbehalten verschiedener Art ihr Staatsleben an die Reihe. Es liegt uns nahe, eine ähnliche Hochschätzung der Kunst und der Künstler bei den Griechen selber vorauszusetzen. Wenn man sich griechische Tempel der Blütezeit mit ihren vom Giebel herableuchtenden Gruppen, ihren Hallen voller Anatheme, ihren Kultusbildern höchsten Ranges vorstellt, so zweifelt man zunächst nicht daran, daß die Schöpfer solcher Herrlichkeiten unter den Einwohnern eine Ehrfurcht genossen hätten fast wie übermenschliche Wesen, daß es möchte als Glück gegolten haben, ihnen zu nahen und als ein unvergleichlicher geistiger Genuß, irgendwie von ihrer Gefühlswelt Kunde zu gewinnen. Es wird sich nun zeigen, daß und weshalb es sich hiemit ganz anders verhielt.
Das Ideal des griechischen Lebens war bekanntlich die volle Muße (ὰφδονία σχολῆς), ausgefüllt in der frühern Zeit durch den Wettkampf, in der spätern durch das Treiben im Staat. Wer nicht mithalten konnte, mochte beneidend oder bewundernd daneben stehen. Die Zunahme des Sklaventums beförderte die Verachtung der Arbeit, auch der freien, so sehr man derselben auch bedurfte. Der Grieche war ein geborener Kaufmann und Seefahrer, und die Gefahren des Meeres, wo man 10 % der Schiffe pflegte verloren zu geben, mochten dem Gewerbe wahrlich einen gewissen heroischen Glanz verleihen; aber gleichwohl sieht man zum Beispiel während der sogenannten Blütezeit Athens nicht, daß Kaufleute und Seefahrer gesellig oder politisch hervorgetreten wären; und dabei war Athen doch eines der größten Assortiments für Waren aller Art, und das Seevolk hatte die Perser besiegt. Dem Ackerbau ist sein uralter Adel nie ganz zu benehmen gewesen und sein Zusammenhang mit der Kriegstüchtigkeit sprang in die Augen; dennoch verurteilt ihn Plato in seinem Idealstaat zur Knechtschaft, und Aristoteles will auch den freien Bauer kaum am Staat Teil nehmen lassen – weil eben dieser Stand nicht mehr der vollen ὰρετή, d. h. des Wertes als Bürger fähig erschien. Schon viel tiefer standen in der Wertschätzung trotz aller Mahnungen Solons die Gewerbe, deren Betrieb auch vorwiegend den bloßen Einsassen (Metöken) zugefallen war; doch galt der Unternehmer und Kapitalist, der durch Sklaven unter Werkmeistern arbeiten ließ, nicht für unedel, weil er nicht selber Hand anlegte. Endlich lag auf allem Wiederverkauf und allem Bankwesen, auch wo letzteres die größten Reichtümer anhäufte, ein wahrer Bann der Verachtung. Den Reichtum hat man jederzeit geliebt und brünstig, allein zum Erwerb desselben, wenn es sich dabei um unedel scheinende Anstrengung handelte, entschloß man sich äußerst schwer; namentlich aber erschien jede körperliche Anstrengung, die sich nicht auf Gymnastik und Krieg bezog und die eine vorgeschriebene und wiederkehrende war, als entwürdigend und unglücklich. Jugendliche Völker nehmen dergleichen viel übler auf als unser spätes Jahrhundert. Es entstand der Begriff der Banausie, welcher zweierlei umfaßte: das Arbeiten und namentlich das Arbeitenmüssen für den Erwerb, zugleich aber die Unmöglichkeit einer edeln Ausbildung des Leibes und der Seele. Hievon aber wurden die plastischen Künstler auf das stärkste mitbetroffen, und keine Hoheit des Geistes konnte es gut machen, daß sie erwerbende Leute waren, den Meißel führten und an der Feueresse standen, auf welcher ein ganz besonderer Verruf lag.
Noch im VII. und VI. Jahrhundert, als die ersten plastischen Meister von höherer Bedeutung aufstanden, lag auf ihnen ein Abglanz der Heiligtümer, welche sie schmückten Brunn, Geschichte der griechischen Künstler I, S. 57., Orakel nehmen sich ihrer an, und sie dürfen noch ungescheut ihr Bildnis an oder neben dem Kultbilde anbringen. Den Spätern wird eine solche religiöse Achtung nicht mehr gegönnt. Und leider hatte schon die Ilias den Künstler unter den Göttern nicht bloß von seinem bekannten Sturz her hinken lassen, sondern ihm auch diejenige Mißgestalt gegeben, welche man ganz besonders den Banausen zutraute: Hephästos ist ein Riese, mit mächtigem Nacken und zottiger Brust, drunter aber zappeln schwächliche Beine Ilias XVIII, 410. Auch daß Pallas »die werktüchtigen Menschen« und die zarten Jungfrauen so manche Fertigkeit gelehrt, Horn. Hymn. in Ven. 12, ss., adelte diese Dinge nicht mehr..
Die Künstler waren freilich in einer und derselben Mißachtung begriffen mit allen denjenigen, welche sich einer besondern Lebensaufgabe, einer Spezialität gewidmet hatten, also zum Beispiel mit den Musikern und sogar mit manchen Dichtern Aristoteles will schon den Betrieb των ελευδεριων επισττημων und auch der Gymnastik nur innerhalb bestimmter Schranken gestatten, indem man sonst auch darin der Banausie verfalle. Polit. VIII, 2. vgl. 3.. Es lautet sehr groß, wenn die Griechen als dasjenige Volk gepriesen werden, in welchem, wer irgend konnte, für das Ganze sich ausbildete und lebte und nicht für ein Besonderes; allein wir als Nachwelt fühlen uns doch einigen von jenen Einseitigen mehr verpflichtet als denen, die sich vor lauter harmonischer Kalokagathie gar nicht mehr zu lassen wußten, meist aber in der konkreten Polis, wie sie seit dem peloponnesischen Kriege war, kaum mehr die Stelle fanden, um ihre »Trefflichkeit« (αρετη) zur Geltung zu bringen. Und wenn es einmal doch so weit war, hätte man den Spezialitäten die schuldige Ehre erweisen dürfen.
Es ist wahr, daß die zusammenhängenden Hauptraisonnements, auf welche wir hier angewiesen sind, erst aus der Kaiserzeit stammen; allein wer wird bei Plutarch und Lucian nicht sofort den Widerhall der älteren attischen Denkweise erkennen, als deren Ueberlieferer diese beiden Autoren uns so oft unentbehrlich sind? Auch sprechen sie, wie sich zeigen wird, in einem Tone, in welchem nur alte, weitverbreitete, selbstverständliche Ueberzeugungen pflegen vorgetragen zu werden. Im Leben des Perikles bereitet Plutarch gleich eingangs darauf vor, daß man ja das Kunstwerk lieben und den Künstler verachten könne: »wir lieben Wohlgerüche und Purpur, halten aber Salbenköche und Färber für illiberal und für Banausen«. Er sagt es in Beziehung auf einen allzu gründlichen und fachmäßigen Betrieb der Musik und bringt zu weiterer Begründung Anekdoten aus dem IV. Jahrhundert vor; von Antisthenes, der über den gepriesenen Musiker Ismenias sagte: ein jämmerlicher Mensch, sonst wäre er kein so trefflicher Flötenspieler! – und von Philipp von Macedonien, der beim kunstreichen Saitenspiel seines Sohnes an einem Gelage ihn anfuhr: schämst du dich nicht, so schön zu spielen? – Und nun folgt das berüchtigte Wort: »kein Jüngling von besserer Anlage hat jemals beim Anblick des Zeus zu Olympia, der Hera zu Argos gewünscht, Phidias oder Polyklet gewesen zu sein oder Anakreon, Philemon, Archilochos – man bemerke, daß kein Tragiker mitgenannt wird –, wenn er sich ihrer Dichtungen freute; denn wenn auch das Werk Vergnügen erweckt, so folgt noch nicht notwendig, daß der Meister des Nacheiferns würdig sei.« Anderswo Reip. gerendae praecepta 5. verrät Plutarch noch einen besondern Nachteil der Künstler: »Alkamenes und Nesiotes und Iktinos und alle diese Banausen und Handarbeiter haben die Redekunst abgeschworen«, und allerdings hatte, wer ein Meister der plastischen Form werden sollte, ganz unmöglich Zeit und Muße, auch noch jene Kunst zu lernen, welche in dem sinkenden Griechenland die Vorbedingung jeder öffentlichen Geltung war Bei diesem Anlaß ist eines der ältesten Rhetoren, des Alkidamas (V. Jahrhundert) zu gedenken, insofern er (περι σοφισων, § 27 s.) die Werke der Plastik und Malerei in einem mißgünstigen und abschätzigen Tone anführt.; ja es ist denkbar, daß die großen Künstler ihrerseits eine herzliche Verachtung gegen diejenige Majorität von Rhetoren und Sykophanten hegten, welche die Beredsamkeit zum niederträchtigsten Zwecke gebrauchten. Im allgemeinen aber ist das Altertum ziemlich blind darüber geblieben, daß in seinem spätern Staatswesen weit das meiste von geradezu handwerklichen Politikern auf eine Weise betrieben wurde, welche man eine banausische im schlimmsten Sinne nennen konnte.
Der platonische Sokrates, welcher etwa einmal einen Künstler bei sonstigen Anlässen beispielswegen zitiert, ohne gerade auf die Banausie der Künstler zu kommen, spricht im Gorgias Plato. Gorg. p. 512, b. c. Auch mit den Architekten verhielt es sich nicht anders; der Vater des Philosophen Menedemos, sagt Diogenes von Laerte (II, 18, 1) war edler Herkunft, aber Architekt und arm. wenigstens von dem Kriegsmaschinenmeister (μηγανοποιος) in solcher Weise, daß man inne wird, wie weit die Verachtung selbst der wichtigsten Persönlichkeiten ging, sobald deren Leistung eine Spezialität und irgendwie mit materieller Hantierung verbunden war. »Ein solcher kann für Rettung im großen sogar dem Feldherrn gleich stehen und das Heil ganzer Staaten bewirken ... Aber du, Kallikles, verachtest dennoch ihn und seine Kunst und nennst ihn wie zum Vorwurf einen Maschinenbauer, und seinem Sohn gäbest du deine Tochter nicht und nähmest auch keine Tochter jenes zum Weibe.« Der wirkliche Sokrates, welcher bekanntlich früher Bildhauer war, könnte etwa dies Geschäft aufgegeben haben, weil er nicht mehr Banause sein mochte. Daß er die Gewerbe verachtete, lehrt sein Streit mit Anytos, welchem er wehren wollte, seinen Sohn in das eigene Gerberhandwerk zu nehmen Xenoph. Apol. Socr. 29..
Viele, welche den plastischen Künstler gering achteten, fanden es wenigstens wünschenswert, öffentliche Ehrenstatuen zu erhalten. Der pathetisch geschraubte König Agesilaos verbittet sich im Sterben auch dies: »Wenn ich edles verrichtet habe, so wird dieses mir zum Denkmal dienen. Wo nicht, so helfen mir alle Statuen zu nichts, welche ohnehin Werke von geringen Banausen sind.« Plutarch, apophth. Lacon., sub Agesilao, 79. Und so hat sich denn das ganze Altertum darein fügen müssen, nicht mehr zu wissen wie König Agesilaos ausgesehen Plutarch, Agesil. 2., dem man Jahrzehnte lang bis zur Ermüdung an jedem Kreuzweg der griechischen Geschichte begegnet.
Auch nachdem längst schon eine Kunstkennerschaft blühte und für alte Kunstsachen die höchsten Phantasiepreise bezahlt wurden, ist die Kunst selber bei den Autoren nur ein Handwerk Strabo VIII, 6, p. 382 (Griechisches Zitat.. Zuletzt offenbart dann Lucian in seinem »Traum« Luciani Somnium 8–18. diese ganze Denkweise im Zusammenhang.
Er ist bei einem Oheim in die Lehre getan worden, der nur ein wackerer Hermenmacher und Steinmetz war, allein die »Techne«, welche ihm im Traume erscheint, mahnt ihn zu höherem: Scheue dich nicht, wenn dein Leib verschrumpft und deine Kleidung schmierig ist, denn auch Phidias begann so und leistete doch den Zeus, und Polyklet schuf die Hera, und Myron wurde hochberühmt und Praxiteles bewundert, und jetzt verehrt man sie wie die Götter. Willst du nicht auch bei allen Menschen ruhmreich werden, sodaß man den Vater beneidet, der dich gezeugt?« Dies konnte aber die »Techne« nur mit Stottern und mit Sprachfehlern ( βαρβαριζουσα) hervorbringen, und nun folgt die Erscheinung und Rede der »Paideia«, d. h. der literarisch-rhetorischen Bildung, welche sich im Altertum so unermeßlich über die Kunst erhaben dünkte: »zunächst, wenn du ebenfalls nur ein Steinmetz wirst, so bleibst du ein bloßer Arbeiter mit dem Leibe, unberühmt, beschränkt an Geist, bei Freund und Feind wenig ästimiert, ein Mensch des großen Haufens; vor den Mächtigen duckst du dich und mußt dem schmeicheln, welcher reden kann; du lebst wie ein Hase, als Opfer des Stärkern. Würdest du aber auch ein Phidias oder ein Polyklet und schüfest Wunderwerke, so würden zwar alle deine Kunst loben, aber keiner, der noch etwas Vernunft hätte, würde begehren, deinesgleichen zu sein; denn welcher Meister du auch wärest, so gältest du doch als ein Banause, als Handarbeiter, als einer der von seiner Arbeit leben muß. Sokrates, der als Bildhauer erzogen war, ist, sobald er das Bessere erkannte, zu mir übergelaufen.« Im weitern schildert die Paideia die beiden Lebensläufe: einerseits den Mann der erhabenen Rede, der edeln Gestalt, welchem Lob, Proedrien, Einfluß, Aemter, Ruhm zu teil werden und welcher glücklich gepriesen wird wegen seiner Einsicht; andererseits den Unglücklichen: in schmutzigem Kittel, anzusehen wie ein Sklave, in den Händen Hebel, Meißel, Bohrer, abwärts gekauert an seiner Arbeit, niedergebückt und niedrig strebend, in jedem Sinne unten gehalten; kein Aufrichten, nie ein männliches freies Wollen, nur darauf sinnend, daß die Statuen harmonisch und wohlgestalt geraten, nicht aber, daß er selbst harmonisch und edel werde, daher denn auch geringer geachtet als die von ihm gemeißelten Steine.
Lucian ließ sich belehren, wurde reisender Redekünstler und trug später seinen Landsleuten in Samosata eben diese Erzählung seines Traumes vor. Er schließt: »und nun bin ich allermindestens nicht weniger berühmt als irgend ein Bildhauer!« Was denn beim Kunstverfall der antoninischen Zeit nicht sehr viel sagen will; auch war es entschieden gut, daß Lucian keine Götterbilder schaffen mußte. Dafür hat sein einmal geweckter Kunstsinn uns manche wichtige Nachricht, manche belebte Schilderung aus der alten Kunstwelt geschenkt.
Die Verachtung des Plastikers aber, und zwar schon in der Zeit des vollen Glanzes, war vielleicht ein Glück für die Plastik. Diese entging damit dem Schicksal, von denjenigen zerschwatzt zu werden, welche damals alles zerschwatzen konnten. Skopas und Praxiteles waren für Redner und Philosophen glücklicherweise gar nicht vorhanden. Auch die ganze alte und mittlere Komödie ließ die Künstler unbeachtet und unangefochten. Die Kunst konnte mit voller Naivität auf das herrlichste weiter schaffen, als hätte es keinen peloponnesischen Krieg und keine Zerrüttung des sonstigen griechischen Lebens gegeben; sie allein wurde nicht in die allgemeine Krisis hineingerissen. Sie allein hielt die Idealität der Göttergestalten aufrecht, während die Philosophie dieselben aufgab und die mittlere Komödie sie in ihrem burlesken Kot herumzog. Auch einem andern Unheil entzog sie sich nur durch die Mißachtung der Künstler: während die Tragödie als vermeintlicher »idealer Lebensberuf« jenen Schwarm von Dilettanten weckte, jene μύρια μειρακύλλια, über welche Aristophanes höhnt, blieben die Unberufenen der Plastik ferne, ja es bedurfte ohne Zweifel eines sehr starken innern Antriebes, um Bildhauer zu werden. Dafür mögen denn jene erhabenen Banausen bei ihrem Umgang mit Göttern und Heroen ein inneres Glück empfunden haben, welches sie hoch erhob über diejenige soziale Taxierung, die ihnen von ihren »harmonischen« Landsleuten zu teil wurde. Freilich: wenn die übergroße Herrlichkeit der Werke trotz allem Vorurteil dem Künstler einen hohen Ruhm schuf, dann kam der griechische Neid und brachte Verderben Plutarch, Pericl. 31 (Griechisches Zitat}.Phidias starb im Kerker durch Gift, und dabei blieb es, daß sein Denunziant Menon, den er so glänzend widerlegt hatte, vom Demos Steuerfreiheit erhielt, und daß die Strategen besondern Volksbefehl bekamen, für dessen werte Sicherheit zu sorgen. Allerdings Anerkennungen, welche die Polis auch andern Denunzianten zu erteilen pflegte.
Dafür genossen die großen Meister der Plastik schon seit früherer Zeit einen eigentümlichen Vorzug, der sich wie ein Ersatz der Verachtung ihres Faches ausnimmt: sie wurden weit über ihre Heimatstadt hinaus für die größten Aufgaben in Anspruch genommen. Mochten sie auch in der fremden Stadt über diese Zeit nur als Metöken wohnen und gelten, so hatte doch immer dieselbe der Kunst das große Opfer gebracht, einen Nichtbürger zu berufen, vielleicht sogar aus einem politisch verfeindeten Staat, während man in der Regel Einheimische (ἐπιχωρίους) zur Verfügung gehabt hätte. Im Tychetempel zu Theben waren an dem Bilde der Göttin mit dem kleinen Plutos auf dem Arme der Kopf und die Hände von Xenophon dem Athener, der Rest von dem Ortskünstler Kallistonikos Pausan. IX, 16, 1. – Pindar für sein Bild der Dindymene hatte noch zwei thebanische Meister in Anspruch genommen; das Werk aber war schon von pentelischem Marmor. Ibid. IX, 25, 3.. Stärker als alle Bedenken sowohl wegen Banausie als wegen fremder Herkunft der Künstler war eben jene große Grundkraft alles griechischen Lebens, der Agon, hier als Wetteifer der Städte, ein nicht minder vollkommenes Gebilde zu erhalten als anderswo schon vorhanden war. Und mit dem Künstler wird auch oft der vollkommene Stein gewandert sein, und aus pentelischem und parischem Marmor wurde gemeißelt und selbst gebaut in Böotien, Arkadien und Phokis. Attische Kunst und pentelischer Marmor mögen schon, wenn einiger Aufwand möglich war, oft zusammen gegangen sein; man wird sich oft einfach an attische Werkstätten gewandt haben, wenn die ἐπιχώριοι ungenügend waren oder fehlten Pausan. X, 33, 2: Zu Lilaia in Phokis Tempel des Apoll und der Artemis..
Auch der Baumeister war schon seit der mythischen Zeit überall zu Hause, wo man seiner bedurfte, und Trophonios und Agamedes »als sie heranwuchsen, wurden gewaltig im Bau von Tempeln für Götter und von Königsburgen für Menschen« Pausan. IX, 37, 3. (Griechisches Zitat}..
Warum aber machten die Maler eine Ausnahme von jener Mißachtung und galten nicht als Banausen? Das Faktum steht außer allem Zweifel schon durch das Auftreten, welches die Berühmten unter ihnen sich erlaubten Daher es denn von den Malern Anekdoten gibt, von den Bildhauern nicht. – Das Auftreten des Parrhasios, vgl. Brunn II, 118 ff. Außer den Anekdoten: über die Maler wurde überhaupt geschrieben; Diog. Laert. II, 8, 19 nennt u. a. zwei Maler des Namens Theodoros; über den einen schrieb Menodotos, den andern erwähnt Theophanes in der Schrift über die Malerei. (Suidas ap. Westermann p. 433 erwähnt einen Philosophen Pamphilos, der u. a. schrieb: (Griechisches Zitat}.. Daher es denn von den Malern Anekdoten gibt, von den Bildhauern nicht. Zeuxis erschien zu Olympia in einem Gewande, in dessen Muster sein Name mit goldenen Buchstaben eingewebt zu lesen war. Parrhasios vollends trug sich in Purpur und Gold, mit einem goldenen Kranz; er gab sich selber in Versen als einen Sprößling Apolls, als den ersten griechischen Künstler, als den, welcher die Grenzen der Kunst erreicht habe. Ferner gab es Malerbildnisse, während die Züge eines Polyklet, Skopas und Praxiteles der Nachwelt verloren gingen; denn Banausenstatuen durfte man doch nicht in Olympia und anderswo aufstellen! Philostrat. vitae soph. I, 17: Isokrates sei Sohn eines Flötenfabrikanten, aber nicht selbst ein solcher gewesen und habe nichts Banausisches gekannt, (Griechisches Zitat} (sie) (Griechisches Zitat}.Daß Phidias sein und des Perikles Bildnis in die Amazonenschlacht auf dem Schilde der Pallas Parthenos eingeschmuggelt hatte Wegzunehmen wagte man doch diese Figuren nicht; später bildete sich sogar der Aberglaube, das Bildnis des Phidias sei durch eine unsichtbare Kunst so mit der ganzen Statue verbunden, daß diese bei dessen Entfernung sich auflösen und zusammenstürzen würde. Aristot. mirab. auscult. § 155., zog ihm bekanntlich zu der Veruntreuungsklage noch eine Asebieklage zu. Perikles wenigstens erhielt in der folgenden Generation seine Statue von der Hand des Kresilas, wenn auch nicht durch den Staat und nicht auf der Agora oder dem Kerameikos, sondern durch Angehörige oder Verehrer auf der Akropolis, als Anathem. Für eine Statue des Phidias dagegen gab es nirgends eine Stelle, und von seiner Persönlichkeit erfahren wir nichts, während die Maler in aller Munde waren.
Der Grund dieser höhern sozialen Stellung der Maler kann nur in dem vermeintlich viel geringern Grade körperlicher Anstrengung und namentlich in ihrem Fernbleiben von der Feueresse gelegen haben. Es verhält sich damit ähnlich wie mit Hirt und Bauer; ersterer wird eine poetische Gestalt, letzterer nicht, weil man ihn viel mehr bei Mühe und Arbeit gesehen hat. Außerdem taten die Maler noch in einer andern Beziehung das Mögliche, um der Banausie zu entrinnen: sobald sie bedeutenden Erwerb gesammelt hatten, begannen sie gratis (προῖκα) zu malen oder ihre Werke zu verschenken – oder wenn sie dies nicht taten, so wurde doch später fest behauptet, sie hätten es getan. Schon von Polygnot heißt es bei Plutarch Plutarch. Cimon 4.: »Er war keiner von den Banausen und malte die Stoa Poikile nicht um des Erwerbes willen aus, sondern umsonst, aus Ehrliebe gegenüber der Stadt Athen, auch bekam er als Lohn das attische Bürgerrecht und überdies durch die Amphiktyonen wegen der Malereien in Delphi das Recht der öffentlichen Bewirtung in den griechischen Städten.« Zeuxis verschenkte laut Plinius später seine Werke, weil sich doch für den Ankauf kein hinlänglich würdiger Preis setzen lasse, so seine Alkmene an die Agrigentiner, seinen Pan an den König Archelaos. Daß er für die Besichtigung seiner Helena ein Eintrittsgeld verlangte, machte ihn keineswegs zum Banausen, weil keine körperliche Anstrengung damit verbunden war und sein Ruhm dabei konstatiert wurde. Nicht das Geldbekommen war banausisch, sondern das Gelderwerbenmüssen Der Maler Nikias verschmähte 60 Talente, welche ihm ein Diadochenkönig (laut einer Nachricht Attalus, laut Plutarch, non posse suaviter vivi, ein Ptolemäer) für seine Nekyia (ohne Zweifel nach Odyss. XI) anbot, und schenkte später das Gemälde seiner Vaterstadt Athen. – Endlich ist es auch bezeichnend, daß unter den Malern agonaler Wettstreit erwähnt wird (vgl. Aelian V. H. IX, 11, wo Parrhasios bei einem solchen Wettkampf auf Samos mit seinem Streit des Ajax und Odysseus über die Waffen des Achilles einem Rivalen unterliegt), während ein solcher unter den Plastikern nicht deutlich nachzuweisen ist. Der angebliche Wettstreit des Phidias und vier anderer Meister bei der Bildung von Amazonen bleibt zweifelhaft. – Bezeichnend ist, daß Maler gute Partien machen konnten: dem Aëtion gab ein Hellanodike seine Tochter aus Bewunderung für das Bild: Alexanders Hochzeit mit Roxane. Lucian, Herodotus c. 4..
Mit der Zeit wurde es sogar möglich, den Zeichnungsunterricht zu einem allgemeinen zu machen: »Durch den Einfluß des Pamphilos von Sikyon«, sagt Plinius, »geschah es, daß zuerst in jener Stadt, dann in ganz Griechenland die freigeborenen Knaben in der Graphik, das heißt im Zeichnen und Malen auf Buxtafeln unterrichtet wurden und diese Kunst unter den freien Künsten die erste Stelle einnahm.« Später heißt es dann wie selbstverständlich bei Teles (Stob. Florileg. III, p. 234): den noch jungen Knaben empfängt der gymnastische, grammatische, der musikalische Erzieher und der Maler. Den noch jungen Knaben empfängt der gymnastische, der grammatische, der musikalische Erzieher und der Maler. Dem Modellieren und Bossieren würde diese Ehre niemals widerfahren sein.
Wir müssen indes noch einmal zur Bildnerei zurückkehren und ihr Verhältnis zur Literatur durch einige Tatsachen beleuchten.
Unter den zahllosen Titeln von Schriften der Philosophen, welche uns Diogenes von Laerte aufbewahrt hat, handelt nichts von der Kunst. Höchstens, daß Demokrit, der allseitigste Denker seiner Zeit, auch einmal über die Malerei geschrieben und die Theorie des Wölbens ermittelt hat, von welcher indes die Griechen keinen Gebrauch machten. Auch die Sophisten, welche sonst von allem und jeglichem glaubten reden zu können, haben die Kunst in Ruhe gelassen, mit einziger Ausnahme des Hippias von Elis, »welcher auch über Malerei und Bildhauerkunst sprach« Philostrat. Vit. soph. I, 11.. Daneben halte man die Menge von Schriften der Philosophen über Musik, Poesie, Mathematik, und man wird in der Ausschließung der bildenden Kunst keinen bloßen Zufall mehr erkennen. Daß eine Konversation über die Kunstwerke schon in der Blütezeit existierte, verrät mehrmals Euripides Welcher früher Maler gewesen sein soll., nicht nur im Chorgesang des Ion Vers 184 ff., wo der plastische Schmuck des delphischen Tempels gepriesen wird, sondern durch seine Vergleichungen, wenn Polyxena vor ihrer Opferung ihr Gewand zerreißt und ihre Brüste zeigt »wie die eines Götterbildes«, oder wenn der Chor der Phönissen sich nach Delphi sehnt, um dort zu weilen »dienstbar dem Phöbos, goldenen Götterbildern gleich« Eurip. Hec. 560. – Phoen. 222. – Wozu schon aus Aeschylos Agam. 235: Iphigenie, welche ihre Opferer anblickt, »herrlich wie in einem Gemälde.«. Aber im ganzen muß die Kunst merkwürdig unabhängig geblieben sein vom Wort, vom Gerede, von der Literatur und auch von der gleichzeitigen Poesie. Ihre großen Lebensquellen sind die Gestalten der Götter, der bewegte Mythus, der so häufig und erhaben dargestellte Kultus und die Agonistik, und dabei bedurfte sie keinerlei Vermittler, weder für die Gegenstände noch für die Auffassung derselben. Hätte sie nicht hie und da Masken gemeißelt, so würden wir zum Beispiel aus ihr nie erfahren, daß es eine Tragödie gegeben hat Was man z. B. aus der französischen Historienmalerei des XVII. und XVIII. Jahrhunderts recht deutlich erfährt.; denn ihre tragischen Darstellungen schöpfte sie unmittelbar aus dem Mythus und war dabei unendlich unbefangener als das, was ihr die tragische Scena zu bieten vermocht hätte. Komödienszenen und das sonstige Treiben der komischen Schauspieler lehrt uns erst Pompeji, ja erst die Büchermalerei kennen. Eine bloße »Lectüre«, welche hätte auf die Kunst Einfluß haben können, existierte damals vollends nicht. Die Philosophen aber, wenn sie wollten, hätten das Feld frei gehabt zu einer umständlichen, vielleicht sehr verhängnisvollen Aesthetik der bildenden Kunst.
Allein die höchsten Meister der Plastik waren ja zunächst nur Banausen. Der historische Sokrates ging beständig in den Werkstätten aus und ein, um den Banausen zu beweisen, daß sie wirklich nichts als dies seien und nur nie einen Gedanken, ein Urteil wagen sollten, mit welchem ihre Sphäre überschritten würde: ne sutor ultra crepidam. Der platonische Sokrates exempliert wohl hie und da mit Künstlern, die er nennt Plato, Protag. p. 311, c., aber nur in einer Reihe mit dem bekannten »Steuermann« und andern äußerlichen Tätigkeiten, und geht nie auch nur von ferne auf ihre Kunst oder gar auf ihre individuellen Besonderheiten ein. Sodann war ganz eigentlich Feindschaft gesetzt zwischen Philosophie und Kunst: letztere verherrlichte den Mythus, von welchem erstere das griechische Bewußtsein frei zu machen bemüht war; der Gedanke war der Feind der schönen und überreichen Bildlichkeit, ja er mag sich als deren Konkurrenten gefühlt haben und sein Stillschweigen war wohl zum Teil das des Neides. Im platonischen »Staat« gibt es bekanntlich weder Kunst noch Poesie, so wenig als irgend etwas, das auf individueller Entwicklung beruhen würde, etwa mit Ausnahme der Philosophen, welche diesen Staat beherrschen müßten. Aber beiläufig hat Plato über die Kunst deutlicher herausgeredet, namentlich im Buch »von den Gesetzen«, welches, dem »Staat« gegenüber, seine spätere, gemäßigte Utopie entwickelte.
Nach seinem Geschmack ist des Bildwerkes überhaupt zu viel auf der Welt, schon weil des Kultus viel zu viel ist Plato, de leg. IV, p. 717, a. Bekannt ist die allgemeine Verurteilung des Perikles. – Laut Plutarch (Aristid. 25) hätte Plato den Perikles auch speziell wegen Baues von Stoen, Hallen getadelt.. Vor allem müßte der ganze Hauskultus eingeschränkt, ja eigentlich abgeschafft werden. Er verlangt ein Gesetz: »Keiner soll Heiligtümer in seinem Hause haben. Wenn er opfern will, so gehe er zu den öffentlichen Heiligtümern und händige sein Opfer den Priestern und Priesterinnen ein; da möge er mit ihnen beten und wer sonst noch mitbeten will.« Ja überhaupt sollen Tempel und Götterbilder nicht leichthin errichtet werden dürfen. Es ist eine Gewohnheit aller Weiber und solcher, die sich in Not und Gefahr, oder auch in plötzlichem Glück befinden, Opfer und Stiftungen zu geloben; auch auf Erscheinungen und Träume hin errichten sie Altäre und Heiligtümer und füllen alle Häuser und Dörfer damit an. Worauf schließlich der Hauskult insbesondere noch damit verdächtigt wird, daß die Bösen dabei die Gelegenheit zu heimlichen Opfern hätten, welche ihnen die Götter geneigt machen sollten, so daß am Ende die ganze Stadt wegen der Gottlosigkeit mit leiden müsse De leg. X, p. 909, d.. Nun lernt man zum Beispiel aus Ciceros vierter Rede gegen Verres, welche Kunstschätze, zum Teil Sachen von bedeutendem Metallwert, das Haus des reichen und andächtigen Griechen beherbergte; dazu kommen jene Figurinen aus Ton und Erz, deren Schönheit erst unser Jahrhundert wieder vollkommen beachtet; dieses alles wäre gar nicht entstanden, wenn es nach Platos Willen gegangen wäre.
Ferner ärgern ihn die Weihegeschenke, mit welchen denn freilich mancher heilige Raum förmlich angefüllt war. Mäßige Menschen, wie er sich seine Normalbürger denkt, sollen auch nur mäßige Anatheme stiften De leg XII. p. 955 e.. Gold und Silber sind sowohl in Tempeln als im Privatbesitz eine giererweckende Sache; Elfenbein ist, weil einem toten Körper entnommen, kein geeigneter Stoff zum Weihen; Eisen und Erz sind Werkzeuge des Krieges. Von Holz, und zwar aus Einem Stücke, mag einer stiften, was er will, und ebenso von Stein, in die gemeinsamen Tempel (also nicht auf den Hausaltar, nicht in die Feldkapelle). An Geweben soll nicht mehr gestiftet werden als was ein Weib in einem Monat weben kann, und zwar ziemt sich weiße Farbe für die Götter überhaupt und insbesondere im Gewebe, Gefärbtes dagegen nur für Kriegeszierden. Die göttlichsten Geschenke aber sind Vögel und Bilder, wie sie ein Maler in einem Tage vollenden kann (das heißt die ordinärsten Exvotos).
Hiemit würde die Kunst in ihrem äußern Bestand zur Aermlichkeit verdammt und materiell heruntergebracht worden sein. Allein Plato hätte auch ihre innere Entwicklung mit Gewalt stillgestellt, wenn man ihn hätte machen lassen. Er verrät dies in seinem Lobe der ägyptischen Kunst De leg II. p. 656, d. als einer völlig stationären. Dort habe man von Alters her das Was und das Wie festgesetzt und in den Tempeln verkündet und geoffenbart, und darüber hinaus habe kein Künstler etwas »neuern« (καινοτομεῖν) oder erdenken, sondern nur das »Vaterländische« wiedergeben dürfen. Noch jetzt werde es in Aegypten so gehalten, in bildender Kunst sowohl als in der Musik. Was vor zehntausend Jahren – und zwar im buchstäblichen Sinne gerechnet – gemalt oder gemeißelt worden, sei nicht schöner noch häßlicher als was jetzt verfertigt werde; die Kunst sei völlig dieselbe. Das sei gesetzgeberisch, das sei im Sinn des Staates gehandelt!
Als das Buch von den Gesetzen verfaßt wurde, war Skopas und vielleicht auch Praxiteles schon in voller Tätigkeit, und beide brauchten von Platos Ansichten keine Kenntnis zu nehmen, sonst würden sie ihn vielleicht darüber belehrt haben, was bei den Griechen »vaterländisch« sei, nämlich die höchste Ausbildung der Anlage des Einzelnen. Und wie konservativ ist bei all diesem die griechische Kunst im ganzen geblieben!
Aristoteles beschweigt wenigstens die bildende Kunst. Bei der großen Menge, Ausdehnung und Vielseitigkeit seiner erhaltenen Schriften, unter welchen sich eine Poetik, eine Rhetorik und ein wichtiger Abschnitt über Musik Aristot. Problem, c. 18. befinden, bleibt dies doch immer sehr bemerkenswert. Daß er für die menschliche Schönheit und für die Betrachtung des Aeußern als Ausdruck des Innern das höchste Verständnis hatte, zeigt seine Physiognomik, welche für den Künstler wie für den Kunstforscher noch heute lesenswert ist.
Kennerschaft und periegetische Aufzeichnung der vorhandenen Kunstwerke beginnen erst in der alexandrinischen Zeit, und nicht bei den Philosophen; das meiste erfährt man aber erst von Römern oder von Griechen der römischen Zeit. Freilich auch jetzt interessiert sich zum Beispiel ein Strabo für die einzelnen Städte als Geburtsorte der obskursten Philosophen und Rhetoren und nennt nur zur Seltenheit einen Künstler mit. Bei Dionys von Halikarnass finden sich halsbrechende ästhetische Parallelen zwischen Phidias und Polyklet einerseits und Isokrates andererseits, worauf er dann noch den Lysias mit Kalamis und Kallimachos zusammenstellt Dionys. Hal. de rhett. antt. p. 95 ed. Sylburg. Aehnliches Plutarch, Timoleon 36.. Anderswo verficht er mit Kraft die Berechtigung des Laienurteils über Kunstwerke De Thucydide, p. 138.. Bald kam dann die Zeit, da der Literat dem Künstler vorempfand und letzterer auf gelehrte Programme hin umständliche Komposition arbeitete, wie zum Beispiel Archelaos von Priene seine Apotheose Homers (im britischen Museum). Bei Philostratus ist sicher anzunehmen, daß er an vielen Stellen Niegesehenes und Nichtvorhandenes schildert, und wenn vollends ein Rhetor des V. Jahrhunderts n. Chr. wie Nikolaos Walz, Rhet. graeci. vol. I, p. 394 ss. Statuen und Gruppen auf das prächtigste beschreibt, so wissen wir schon, wie der damaligen Plastik zu Mute gewesen sein würde, wenn man die wirkliche Beschaffung des Beschriebenen ernstlich von ihr verlangt hätte.
Die Kunst aber hatte den Philosophen ihre Abneigung von Anfang an nicht nachgetragen, sondern dieselben in Statuen, Büsten und gemalten Bildnissen auf das reichlichste verewigt, ja nächst den Herrschern am häufigsten. Die spätere antike Bildung hatte sich die Kenntnisnahme von allen philosophischen Systemen zu einer Art von Pflicht gemacht, und wo sich zu diesem Interesse der Reichtum hinzufand, wollte man auch die Porträts wenigstens der Schulhäupter nicht entbehren.
Inzwischen hatten im Verlaufe des III. Jahrhunderts vor Christus auch die letzten bedeutenden Schulen, Stoiker, Epikureer, Skeptiker ihre Systeme entwickelt, während die griechischen Städterepubliken, noch vor aller römischen Einmischung, sich zum Untergange neigten. Innere Unruhen, welche meist auf Plünderung der letzten Besitzenden hinausliefen, Ueberfälle von Nachbarstädten, wo man noch auf Raub hoffte, besinnungsloses Prassen wie zum Beispiel in Böotien, systematisch geübter Mord gegen alte herrschende Kasten wie zum Beispiel in Sparta, zunehmende Verödung des Landes bezeichnen die Zeit um die Wende vom III. zum II. Jahrhundert. Man sollte erwarten, daß kein Hellene mehr Stimmung und Gelegenheit für höhere Kunstübung gefunden hätte. Allein es gab jetzt große Griechenkönigreiche außerhalb von Hellas, wo zeitweise wenigstens Sicherheit und Gedeihen herrschte. Im kleinasiatischen Pergamon hatte sich eine Schule von Bildhauern erhoben, von welcher man bis vor wenigen Jahren nur einzelne, allerdings schon sehr bedeutende Werke kannte. Nun, neben dem unsäglichen Elend Griechenlands, entstand hier kurz vor oder nach 197 vor Christus, nämlich entweder noch unter Attalos I. oder erst unter Eumenes II. der berühmte Altar von mehr als 100 Fuß ins Gevierte, dessen erstaunliche Reste allein schon das Museum von Berlin zu einem der ersten Kunst-Wallfahrtsorte der Welt machen würden. Es ist der Kampf der Götter und der Giganten, ein rings um die Wände des Altars laufendes weit vortretendes Relief von 8 Fuß Höhe; die nach Berlin geretteten Teile haben eine Gesamtlänge von etwa 250 Fuß. Es ist als wäre über diese Kunst gar nichts ergangen; jugendfrisch, naiv, in ihren Mitteln und ihrer Behandlung dem Phidias viel näher und verwandter als man es irgend erwartet hätte, wirft sie sich, wie der Löwe auf seine Beute, auf das mächtigste bewegte Thema, welches der Mythus überhaupt darbot. Frühere Reliefs hatten besonders Kämpfe von Heroen mit Kentauren, Amazonen und Fabeltieren dargestellt; diesmal sind es die Götter selbst im Streite mit den halbgöttlichen Riesen, von den Meistern innerlich geschaut als ein furchtbar erhabener Sturm von Angriff und Gegenwehr, im ganzen weit die wichtigste bekannte Aeußerung griechischen Geistes jener Zeiten. Die Namen der Schöpfer aber sind uns nicht überliefert, während wir über andere damalige Ereignisse auf das reichlichste unterrichtet werden, ja die einzige Erwähnung des kolossalen Werkes selbst findet sich in einem geringen lateinischen Autor, welchen man in das Zeitalter des Theodosius versetzt. In Pergamon wird man die Namen wohl gewußt und deren Träger für recht geschickte Banausen gehalten haben; wir aber mit unserem Verlangen, zu wissen was damals im Innern jener mächtigen Menschen vorgegangen, würden den Pergamenern wunderlich vorgekommen sein.