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10. November 1885.
Akademischer Vortrag, gehalten in der Aula des Museums. Manuskript, 17 Quartblätter, im Jac. Burckhardt-Archiv, Nr. 171.
Die heutige Welt liebt im ganzen die Zeremonien aller Art nicht sehr; man sieht etwa gerne ein Weile zu, wenn es glänzend dabei hergeht, aber man ist weniger gerne ein Teilnehmer, und die meisten Leute finden, es sei Zeitverlust und die wirklichen großen Geschäfte dieser Welt gingen ohne dies vor sich.
In vergangenen Zeiten war es anders. Die Religionen insbesondere verlangten nach großen und vielartigen Aeußerungen ihres Kultus, und die Völker brachten nicht nur ihre Andacht, sondern auch ihr künstlerisches Vermögen herbei, um denselben zu verherrlichen, und ihr Verständnis für alles Symbolische. Dies Verständnis ist uns fast völlig abhanden gekommen.
Unsere Bildung hat aber noch nicht die Gewohnheit, das Vergangene einfach auf sich beruhen zu lassen, sondern aus der Betrachtung der Gegensätze der verschiedenen Zeiten und Völker zieht sie einen sehr mächtigen Teil ihrer Belehrung. Für unser vorliegendes Thema sind ohnehin die vorhandenen Kunden reich zu nennen.
Die bildliche Kunde besteht in zahlreichen Denkmälern, gemeißelten und gemalten, welche den Kultus in seinen beiden großen Aeußerungen, Opfer und Prozession, darstellen. In den ägyptischen Tempeln und in den Palästen von Ninive sind ganze Wände voll solcher Zeremonien gefunden worden; auch die persische Skulptur stellt gerne feierliche Gottesverehrung dar; aber auch von den Werken der klassischen Kunst gehört ein wichtiger Teil hieher, wobei wir die römischen Denkmäler übergehen und bloß der griechischen gedenken wollen. In dieser Welt von abgebildeten Kultushandlungen und priesterlichen Gestalten entdeckt man allmählich einen tiefern Sinn; es sind nicht bloße Erinnerungen für die künftigen Geschlechter, nicht bloße Denkmäler, sondern die im oder am Tempel angebrachte Abbildung sollte auch der Gottheit selbst gegenwärtig halten, wie man ihr durch Opfer und Zug gehuldigt habe und stets wieder huldigen werde. Dabei war es eine im ganzen beglückende Aufgabe für die ideale Kunst.
Die schriftlichen Kunden bestehen aus einer Menge von einzelnen Nachrichten in alten Schriftstellern, auch wohl in Inschriften, und aus einigen mehr oder weniger umständlichen Beschreibungen. Aus dem Ueberlieferten wird unsere Vorstellung hie und da anderswo eine Lücke der Tradition ausfüllen dürfen.
Indem wir das Opfer und die sonstigen Kultushandlungen übergehen, bleibt für unsere Betrachtung die Prozession, πομπη, übrig, der sich bewegende Gottesdienst, wovon noch eine vielversprechende Erinnerung in dem Worte Pomp weiterlebt.
Sie entsteht auf sehr verschiedene Weise.
Uralt, wenn auch nur in Italien durch Denkmäler und schriftliche Kunden deutlich nachgewiesen, waren die festlichen Umzüge mit Götterbildern, Heiligtümern und Opfertieren um die Feldmark oder um die Mauern einer Ortschaft zu bestimmten heiligen Zeiten.
Regelmäßige Hergänge werden dabei beobachtet:
Die Prozession schreitet zu einem Tempel; ein Opfer, ein Weihgeschenk wird herbeigeführt oder herbeigetragen, bisweilen aus weiter Entfernung. Oder sie geht von einem Tempel aus, in dessen Hofe sie sich gebildet haben wird, um an einer geweihten Stelle eine heilige Handlung zu vollziehen, ein Opfer darzubringen, und kehrt dann wieder in den Tempel zurück. Oder ein Gott besuchte einen andern Gott oder einen andern Tempel seines eigenen Namens, wobei ein Bild muß mitgetragen worden sein, sogar das hölzerne Kultusbild selbst. Das Geleit, welches dem Priester voranging und folgte, nahm mit der Zeit eine reiche und gesetzmäßige Gestalt an: die Gehilfen des Kultus, die auserlesenen Dienerinnen, der Chor, dessen Gesang die betreffende Gottheit verherrlichte, die Kithar- und Flötenspieler. Ferner erweiterte sich der Zug durch das Mittragen von heiligen Geräten, Dreifüßen, Gefäßen zur Vollziehung des Opfers an der Stelle der Ankunft, auch von geheimnisvollen Symbolen in gewiß oft prächtigen Behältern oder Körben; ja man trug oder fuhr bei der Dendrophorie die der betreffenden Gottheit heiligen Pflanzen mit, zum Beispiel für Apoll einen Lorbeerbaum. Endlich aber hatte einer der jüngsten, wenn auch noch sehr alten Götter, Dionysos, das hellenische Volk, welches von jeher Feste und Tanzreigen liebte, zu einer Art von Aufzügen begeistert, welche alle Schönheit, aber auch jede Art von Mutwillen zur Erscheinung brachten. Statt πομπη, Prozession, heißt es hier eher χωμος, διασος, der Schwarm, und diese Feste waren noch dazu vorherrschend Nachtfeste. Hört man auf die Dichter, so lautet es öfter, als wäre der Gott selber und lebendig gegenwärtig gewesen und nicht etwa bloß ein Priester in der Tracht des Gottes, und in der Tat, bei dem dionysischen Taumel, welcher durchaus nicht bloß vom Weine kam, waren die seltsamsten Phantasien möglich. Da ferner Dionysos mit einem zahlreichen Geleite von Satyrn, Mänaden und andern gedacht wurde, so ergab sich für die Leute eines bacchischen Schwarmes die Maskierung von selbst und der Zug wurde ein Stück Carneval. Und da solche Schwärme auch von Dorf zu Dorf zogen, fuhren sie teilweise auf Wagen, von welchen herunter dann auch die ausgelassensten Possen tönten und Hohn gegen alles, was in der Nähe war.
Der Wagen nimmt aber auch in den Prozessionen anderer Gottheiten oft eine wichtige Stelle ein, schon etwa wegen Weite des Weges, auch wenn wir der eigentlichen Wallfahrten nicht gedenken. Die Herapriesterin von Argos wurde bei einem Feste von Rindern anderthalb Stunden weit gezogen, wie aus der Geschichte von Kleobis und Biton hervorgeht. Andere Male mögen es Götterbilder gewesen sein, welche gefahren wurden, schon weil sie zum Tragen zu schwer und groß gewesen wären. Wenn aber vollends eine Prozession in spätern Zeiten zu einer Reihenfolge von Schaustücken wurde, so verlangte schon die Sichtbarkeit den Gebrauch der Wagen, und es wird sich an einem berühmten Beispiele zeigen, wie weit der Aufwand gehen konnte.
Was an all diesen Dingen die Teilnahme, die nachdichtende Phantasie der Nachwelt rege macht, ist unsere Gewißheit, daß der Anblick schön gewesen. Jene Kunstwerke bezeugen es und sagen uns auch, daß die Kunst die Zeremonie gerne dargestellt habe. Für alles Priestertum und sonstigen Dienst an einem Tempel wurde mindestens untadlige normale Erscheinung verlangt, und es gab Tempel, deren Jahrespriesterin das schönste Mädchen des Ortes war. Dazu kam die einfache Tracht, und, wir dürfen hinzusetzen, die Anmut an Gang und Bewegung bei einem Personal, welches von keiner täglichen Arbeit und Mühe wußte, weder von einer sitzenden noch von einer mit schwerer leiblicher Anstrengung verbundenen. Rechne man hinzu die reiche Vegetation des Südens, den Schmuck von Blumen und Gewinden an allem und jeglichem, auch an den Opfertieren, und ganz besonders die edle Bekränzung des menschlichen Hauptes, auf welche die neuere Zeit so fast völlig verzichtet hat, nachdem dieselbe im Altertum jeden heitern oder feierlichen Augenblick begleitet hatte, so wird auch die bescheidene πονπη in einem griechischen Dorf oder Städtchen einen Anblick gewährt haben, um welchen wir das Volk des Ortes beneiden können. Wer in Athen zu nichts mehr gut war, trug etwa Zweige im Zug.
Auch wo sich auf italischem Boden griechischer Götterdienst aus uralten Zeiten erhalten hatte, glaubte man noch einen edlern Stil zu erkennen. Ovid kannte gewiß alle Pracht des Kultus von Rom, welchem er in seinem Festkalender ein so wichtiges Denkmal gestiftet hat, aber was er einmal aus Stimmung und aus freien Stücken schildert, ist eine Junoprozession in dem von Hellenen der Vorzeit gegründeten Bergstädtchen Falerii, beim jetzigen Cività Castellana. Unter uralten geweihten Bäumen steht der ursprüngliche einfache Altar, auf welchem zunächst ein Rauchopfer gebracht wird; von hier aus geht der Zug durch die mit Schattentüchern bedeckte Gasse des Ortes, unter Flötenklang und Jubel des Volkes; die Opfertiere sind herrliche weiße Rinder, auch ein Schwein, dagegen keine Ziegen, weil einst ein solches Tier die Juno verraten hatte; dafür durften am Festtage die Buben von Falerii nach einer unglücklichen Ziege mit Spießen werfen, und sie blieb als Beute dem, welcher sie getroffen; eine jener Erinnerungen an bestimmte Züge des Mythus der betreffenden Gottheit, wie sie bei den Götterfesten der der Griechen beständig vorkamen. Weiter im Zuge folgen die Jungfrauen, welche auf dem Haupt Körbe mit den geheimen Heiligtümern tragen, in weißen Gewändern nach griechischer Weise, aber Gold und Edelsteine in den Haaren und Gold an den Sandalen; endlich Juno selbst, wahrscheinlich ein Bild auf einem Wagen gefahren, und nun verstummte die Menge in ehrfürchtigem Schweigen.
Wir würden viel mehr Schilderungen griechischer Aufzüge besitzen, wenn sich bei der allgemach ungeheuren Ausdehnung des Kultus die Sache nicht von selber verstanden hätte. Es muß ein allgemeines Vermögen der Nation geworden sein, bei Prozessionen leicht und richtig einzustehen und zu wissen, was man zu tun und wie man sich zu gebärden habe.
Die Gewöhnung an den volkstümlichen und an den gottesdienstlichen Tanz kam jeder Richtigkeit und rhythmischen Schönheit des Auftretens und also auch den Götterzügen zu gute. Ebenso war der Gesang man darf sagen ein Besitz der ganzen Nation schon durch das beständige Bilden und Einüben gottesdienstlicher Chöre, welche von selber in die Prozessionen eintraten. Zugleich aber waren die Griechen ein Volk von Kennern gegenüber ihren Kithar- und Flötenspielern, und auch diese werden beim Kultus das beste, was sie konnten, geleistet haben. Wir dürfen jedoch nicht leicht erwarten, Schilderungen vorzufinden von Dingen, welche den Schreibenden so oft und so gleichmäßig gut vor die Augen kamen.
Die zahlreichen Erwähnungen von πομπαι, oft nur eine Zeile, beziehen sich etwa auf deren Stiftung oder auf ein besonderes Ereignis, welches dabei vorgekommen. Im Jahre 536 vor Christus überwältigte Polykrates die Stadt Samos am Feste der Staatsgöttin Hera, indem im Festzuge selbst die Einverstandenen sich mit plötzlichem Mord über die Uebrigen herwarfen, während er mit seinem sonstigen Anhang die wichtigsten Punkte der Stadt besetzte. Dreißig Jahre vorher soll Phalaris sich zum Tyrannen von Agrigent gemacht haben, indem er an einem großen Fest, den Thesmophorien, mit den von ihm gewonnenen Bauarbeitern des Zeustempels über die Bevölkerung – vielleicht wiederum bei der Prozession – herfiel und die Männer tötete. Weltbekannt ist der improvisierte Aufzug, womit dem Peisistratos seine Ueberwältigung von Athen gelang, indem er auf einem Wagen die vermeintliche Stadtgöttin selbst lebendig mit sich führte. Wie gerne erführen wir aber näheres, zum Beispiel über das Hauptjahresfest einer reichen und kunstliebenden Bürgerschaft, wie die von Rhodos. Die Stadt selber, erst in verhältnismäßig später Zeit von einem großen Meister so angelegt, daß sie als weit die schönste Griechenstadt galt, wird wohl eine große Hauptstraße ans Meer hinab gehabt haben und gewiß schöner als die Canebière in Marseille oder der Corso von Livorno; auf dieser bewegte sich vermutlich am Feste des Sonnengottes der prachtvolle Zug, welcher ein vollständiges Viergespann samt Wagen ins Meer zu versenken hatte, offenbar als Sinnbild des abgelaufenen Sonnenjahres. Wer etwa einwenden möchte, dies sei ein törichter Luxus gewesen, dem geben wir zunächst zu bedenken, daß die Rhodier reich genug waren, sich so etwas zu erlauben, sodann, daß man es hier mit einem Volk zu tun hat, welches die Mythen seiner Götter wirklich auf Augenblicke mitlebte und sich damit ihnen zu nähern, ihnen mystisch zu »folgen« glaubte.
Wie nun der Sonnengott der große Herrscher von Rhodos war, so hatten die meisten griechischen Städte irgend eine Hauptgottheit, von welcher sie insbesondere Schutz erwarteten, welche »die Hände über sie hielt«, und das Hauptfest derselben, alljährlich oder in längern Zeiträumen gefeiert, wird außer den Wettkämpfen und öffentlichen Speisungen auch einen Festzug enthalten haben, der alle übrigen übertraf und das ganze künstlerische Vermögen der Stadt in Anspruch nahm.
Da ist denn vor allem von den Panathenäen zu reden.
Sie sind das periodische Hauptfest einer Stadt ersten Ranges, bei der festliebendsten aller Nationen, und werden alle vier Jahre begangen. Ihr vielleicht ursprünglicher Kern ist der, daß der Stadtgöttin auf der Akropolis, der Athene Polias, ein neuer Mantel ( πεπλος) dargebracht werden mußte.
Hieran hatte sich aber eine lange mythische Vorgeschichte des Festes bis in die Zeiten lange vor Theseus hinauf, ja bis zum ägyptischen Urgründer Kekrops geknüpft.
Es ist ihnen ferner die Verbindung mit gymnastischen und musikalischen Wettkämpfen eigentümlich, welche zu den prächtigsten und vielartigsten von Griechenland gehörten und ihren Ruhm bis zu den Etruskern verbreiteten, sodaß in halb Italien bemalte Vasen gefertigt wurden, als Nachahmung der Oelkrüge, welche in Athen als Preise dienten, mit der Beischrift: Wettpreis von Athen. Erst der vierte Tag des Festes gehörte dann der großen Prozession von der Stadt nach dem Erechtheion auf der Akropolis. Der Peplos, jedesmal von athenischen Jungfrauen unter priesterlicher Leitung gewirkt, enthielt irgend eine Großtat aus dem Mythus der Athene. Er wurde, ausgespannt und vollkommen sichtbar, auf einem Wagen gefahren, welcher die Gestalt eines Schiffes hatte.
Allein dieses Weihegeschenk hatte allmählich im Lauf der Zeiten eine Begleitung bekommen, welche eine der merkwürdigsten Prozessionen der Welt bildete. Anfangs mag mitgezogen sein, wer da von athenischen Bürgern wollte, und mitgelaufen ist hernach jedermann, aber in den Zug selbst kamen wohl mit der Zeit nur Auserlesene: Reiter, Bewaffnete mit Schild und Speer, die Sieger der soeben vollendeten Wettkämpfe, schöne Jungfrauen als Dienerinnen der Göttin, welche verschiedene Werkzeuge, Behälter und Gefäße des Kultus trugen, ehrwürdige Greise mit Oelzweigen, bekränzte Jünglinge, zum Teil wiederum als Träger von Opfergeräten, Flöten- und Kitharenspieler. Es war eine Exhibition des besten lebendigen Besitzes dieser Stadt. Auch die Opfertiere werden vom ausgewähltesten und prächtig geschmückt gewesen sein.
Nun hätten wir scheinbar eine Abbildung dieses Zuges: am Parthenon, dem großen Haupttempel der Göttin in der Nähe des Erechtheions, ist unter Leitung und Angabe des Phidias der berühmte Fries entstanden, über 500 Fuß lang, welcher die Mauer innerhalb der Säulenhalle krönte und sich jetzt größtenteils im Britischen Museum befindet. Man hat ihn für eine unmittelbare Darstellung des Panathenäenzuges oder auch nur der Vorprobe desselben erklärt, allein der Künstler hat sein Thema sehr viel freier aufgefaßt. Aus der Auswahl traf er eine zweite viel höhere Auswahl, meist wenige aus vielen. Zunächst hat er sein athenisches Volk, welches wahrscheinlich in reichem Putz auftrat, in die einfachste Idealität zurückversetzt und statt der Athener des V. Jahrhunderts die reinste hellenische Gestaltenwelt walten lassen. Losgesprochen von aller zeremonialen Knechtschaft, bewegt sich hier die edelste Gesamterscheinung, welche je einer großen Menge von Menschen und Tieren zu Teil geworden, frei und ungezwungen dem Heiligtum zu. Die einzigen, welche mitgehen müssen, sind die paar Gestalten von Schutzbürgern, Metöken, und ihren Frauen; gebückt tragen sie den übrigen die σχαφη, das Opfergefäß, und die υδρεια, das Wassergefäß, nach. Sodann hat Phidias sich nicht gescheut, am Anfang des Reiterzuges die Vorbereitungen dazu darzustellen, welche ihm die lebendigsten Motive boten: ungeduldige Rosse werden bereit gehalten, die Gürtung des Gewandes vervollständigt, und anderes mehr. Er läßt seine Reiter und Wagenfahrer auf das lebendigste sprengen, wie sie es im wirklichen Zuge gewiß nicht durften; Siegesgöttinnen führen die Zügel oder bekränzen den Fahrenden, welcher hiemit als einer der Kampfsieger der vorhergehenden Tage bezeichnet wird. Endlich hat Phidias auf geniale Weise seinen Zug von Anfang, von der Westseite des Tempels her, in zweie geteilt, welche an den beiden Langseiten des Tempels sich vorwärts bewegen, um an der Ostseite von links und rechts her auf die in der Mitte sitzenden Götter zu treffen. In der Nähe dieser Gestalten beginnen beide Züge stille zu stehen; heilige Akte werden vollzogen, heilige Belehrung erteilt, der Peplos übergeben. Das nachherige große Festopfer und die gemeinsame reichliche Bewirtung des Volkes fanden natürlich keine Stelle mehr in dieser Darstellung, aber herrliche Rinder dieser Hekatombe gehen, zum Teil kaum gebändigt, schon im Zuge mit.
Kehren wir von dieser verklärten Darstellung wieder zu der wirklichen Prozession zurück, so wird man sagen dürfen: ohne einen sehr hohen und alten Ruhm der letztern wäre auch die erstere nicht zustande gekommen.
Und so wie die wirkliche Prozession den Künstler begeisterte, so wird sie andererseits auch auf die Prozessionen anderer Griechenstädte Einfluß gewonnen haben. Denn Athen war über die Tage des Festes schon von denjenigen zahllosen Griechen besucht, welche von den Wettkämpfen magisch angezogen wurden; diese aber lernten dabei auch den berühmten Zug kennen, und darauf hin mag ihnen das heimische, wie es war, oft nicht mehr genügt haben.
Daneben aber scheinen die bacchischen Aufzüge auch manche Prozessionen verschiedener Götter mit ihrem Mutwillen angesteckt zu haben, durch das Mitlaufen von Masken. Der Mythus so mancher Gottheiten bot abenteuerliche, auch komische Figuren dar, und dieser Mythus wurde bei wichtigen Festen etwa pantomimisch aufgeführt; die betreffenden Gestalten aber können schon im Zuge mitgegangen sein. Anderes vollends ist wahrer Fastnachtsübermut; eine äußere Bordüre des Komischen und Burlesken setzt sich an die Zeremonie an.
Wir besitzen noch die Schilderung einer Isisprozession in Korinth, zwar erst aus der Kaiserzeit, aber gewiß einem allgemeinen Brauche der hellenischen Seestädte entsprechend, wo die ägyptische Göttin als Schützerin der Seefahrt schon längst große Verehrung genoß. Es handelt sich um das wichtige Fest des 5. März, da die durch den Winter unterbrochene Seefahrt, das Mare clausum, offiziell wieder eröffnet wurde. Es ist ein frischer, herrlicher Frühmorgen im Beginn des Frühlings, an welchem der Zug aus dem prächtigen Korinth an das Meer hinab sich bewegt. Aber welches sind die Plänkler, die ihn eröffnen? Ein grotesker Soldat, ein kurzgeschürzter Jäger mit Messer und Jagdspießen, ein Männchen, welches in prachtvollem Putz, Haartracht und Gang ein Weib vorstellte, dann ein mit Schild, Helm, Beinschienen und Schwert ausgerüsteter, täuschend als Gladiator, offenbar ein Renommist, ferner die Spottfigur eines römischen Magistraten mit Fasces und Purpur, und die eines Philosophen mit Mantel, Stab, Sandalen und Bocksbart, dann Vogelsteller und Fischer mit ihrem Gerät. Von all diesen mag noch gelten, daß sie gemäß Gelübden, offenbar an Isis, diesen Carneval aufführten; nun aber folgte auch noch eine Bärin als altes Weib auf einem Tragsessel und ein Affe mit Hut und gelbem Rock, einen goldenen Becher in der Hand, als Ganymed, endlich neben einem mit Flügeln angetanen Esel ein gebrechlicher Alter, und dieses Paar verherrlichte, oder verhöhnte eher den uralten Mythus der Stadt von Bellerophon und dem Pegasus. Nun erst kommt die eigentliche Prozession: weißgekleidete, bekränzte Frauen, welche Blumen und Wohlgerüche streuen oder mit dem elfenbeinernen Kamm, einem Symbol der Isis, die Gebärden des Haarordnens machen; eine große Schar von Männern und Frauen mit Lampen, Fackeln und Kerzen als symbolische Huldigung an die Grundkraft der Himmelslichter; dann Pfeifen- und Flötenspieler; zwei weißgekleidete Chöre, welche abwechselnd die Strophen eines neu für den Anlaß gedichteten Liedes singen; dann die Flötenspieler des Serapis mit ihrer Tempelmelodie; daneben immer Leute, welche rufen, man möge dem Zug Platz machen; dann die große Schar der in die Isismysterien eingeweihten korinthischen Männer und Frauen, alle in weißem Linnen, in der Hand jenes eigentümlich sausende Lärminstrument der Göttin, das Sistrum; hierauf sechs Priester, jeder mit einem der geheimnisvollen Symbole der Göttin, einer nachenförmigen Lampe, einem Palmzweig, einer goldenen Wanne und anderem mehr, dann ein Mensch mit der halb goldenen, halb schwarzen Maske eines Hundskopfes, als Anubis, Zögling und Stiefsohn der Isis, dann weitere Symbole und endlich ein Priester mit einer goldenen Urne, welche die Göttin selbst versinnbildlicht. Am Meeresstrande geht der Hauptakt vor sich: ein prächtiges Schiffchen, mit Hieroglyphen bemalt, mit einem Segel, auf welchem ein Wunsch um glückliche Schiffahrt eingewirkt steht, wird unter großen Zeremonien mit Spezereien gefüllt und der Flut übergeben, und lange folgen ihm noch alle Augen, bis es am Horizont verschwindet. Auch die Rückkehr des Zuges zum Isistempel und die dort erfolgende Abdankung wird mit merkwürdigen Zügen bis ins einzelne geschildert.
Isis besaß wenigstens eifrige und fanatische Gläubige, für welche auch die Prozession trotz allen Zutaten eine ernste Sache war. Andere Male aber wird auch bei sehr prachtvollen und umfangreichen Exhibitionen die Frage wach: ob dieselben noch in einem wahren Verhältnis gestanden zu der ursprünglichen religiösen Bedeutung des Aktes? Der letztere war anfänglich überall sehr ernst gemeint gewesen, schon weil die hellenischen Götter, empfindlich und rachsüchtig wie sie waren, unterlassene Gottesdienste durch Landesunglück bestrafen konnten. Die Griechen hatten sich dann damit geholfen, daß sie alle Pracht, Kunst und Lebensfreude in den Dienst des Kultus zogen und ihm damit die Bangigkeit benahmen. Dieser Kultus aber mag dann, wo die Mittel vorhanden waren, in Tat und Wahrheit oft nur noch der Vorwand und Anlaß gewesen sein zu Vorgängen, welche von der höchsten Kunst hinabreichten bis zum wildesten Sinnentaumel. Der Dienst des großen Naturgottes Dionysos hatte seine Abzweigungen sowohl in der großen attischen Tragödie als in der allgemeinen Trunkenheit der Dionysien und in den Wallfahrten halbbesessener Frauen.
Wesentlich zu Ehren des Dionysos geschah auch die weit größte und prächtigste Prozession, von der uns das Altertum Kunde hinterlassen hat, und zwar ziemlich genaue Kunde.
Die griechischen Könige des Ostens, Nachfolger Alexanders, hatten in die von ihnen besetzten Länder griechische Sitte, Religion und Kultur mitgebracht und lebten in der Ahnung, daß die Dauer ihrer Herrschaft am ehesten gesichert sei, wenn sie nicht zu Orientalen würden, sondern Griechen oder Macedonier blieben. Zu den vorgefundenen Religionen konnte man in ein Verhältnis treten, soweit dieselben ebenfalls polytheistisch waren und eine Verwandtschaft oder Identität ihrer Götter mit den griechischen zuließen. Auf ganz besondere Pfade aber gerieten die Ptolemäer, Könige von Aegypten; sie verzichteten weislich auf eine offizielle Fusion beider Religionen, welche sie an und für sich wohl gewünscht hätten, wie der Serapiskult beweist, stifteten und übten in Alexandrien und anderswo den vollen griechischen Kultus, machten sich aber zugleich zu Oberpriestern, ja zu Göttern des altägyptischen Kultus und bauten und dotierten eine Anzahl der prachtvollsten Tempel, die von denjenigen der frühern Dynastien des Nillandes kaum zu unterscheiden sind.
Was uns nun im V. Buch des späten Sammelschriftstellers Athenäus geschildert wird, ist eine rein griechische Prozession unter dem zweiten Ptolemäer, Philadelphus (285-246 vor Christus). War es aber wesentlich ein religiöser Aufzug? Oder war der mitfolgende kolossale Aufmarsch der ganzen ptolemäischen Heeresmacht und deren Musterung die Hauptsache? Oder war beides zusammen noch außerdem bestimmt, den unterworfenen Nationalägyptern und den massenhaft angesiedelten Juden einen unauslöschlichen Eindruck zu machen? Wir müßten, um hierauf zu antworten, in das Innere des Ptolemäers hineinsehen, der aus Gutem und Bösem, Großem und Kleinem so sonderbar gemischt war. Dann würden wir auch erfahren, wie weit Philadelphus das einzelne vorgeschrieben hat und ob der hochgebildete König dabei mehr in ästhetischem oder politischem Sinne verfuhr.
Der ursprüngliche Aufzeichner dieses Schauspiels, Kallixenos von Rhodos, hatte eine Abbildung vor sich, vielleicht eine unendlich lange Rolle; Athenäus aber, welcher ihn exzerpierte, sagt ausdrücklich, daß er alles übergangen habe, woran nicht Gold oder Silber angebracht gewesen sei, und so wären wir schon von vornherein aller Vollständigkeit überhoben; ohnehin aber werden wir uns auf das Allermerkwürdigste zu beschränken haben und mehreres schon deshalb gerne übergehen, weil die Auslegung schwer und streitig ist, wie so oft bei Beschreibungen aus fernen Zeiten und fremden Sprachen. Es war ein Fest, welches sich vierjährig wiederholte wie die Panathenäen, allein die damalige Aufführung war offenbar von ganz einziger Art, wie sie auch in einer langen Regierung und bei enormen Einkünften sich nicht leicht wiederholen konnte.
Die Schilderung beginnt mit einem riesigen Prachtzelte innerhalb der Burg, das heißt des weiten Königspalastes von Alexandrien, wobei nicht genauer gesagt wird, in welcher Beziehung dasselbe zur Prozession stand; die hundert Divans, welche es enthielt, werden etwa zum Gelage des Hofes und der Vornehmen nach Schluß des Zuges gedient haben. Wo bleiben aber unsere zierlichsten heutigen Festhütten neben diesem Wunderbau? Goldene Palmen und Thyrsen gegen 80 Fuß hoch trugen ein leichtes Gebälk, und goldne Adler mit abwärts gebreiteten Flügeln dienten als Giebel; drüber war Tuchwerk gespannt in einem schönen, scheinbar architektonischen Dessin. In dem Zelt scheint ausgestellt gewesen zu sein, was die königlichen Sammlungen nur irgend für diesen Tag liefern konnten: hundert marmorne Skulpturwerke der ersten Künstler, dazwischen Gemälde der sikyonischen Schule, goldgewirkte und figurierte Draperien, goldne und silberne Schilde; dies alles aber war nur eine untere Garnitur, und oben drüber lief ringsum eine künstliche Felslandschaft mit lauter Grotten, in welchen Gestalten der Tragödie, der Komödie und des Satyrspiels, offenbar von Wachs oder Ton und in wirkliches Zeug drapiert, beim Gelage dargestellt waren, gleichsam eine verklärte Zechgesellschaft. An zwei Stellen war die Felslandschaft durch Nymphen, Quellgrotten, unterbrochen, welche ohne Zweifel reichlich mit sprudelndem Wasser versehen waren. Wir übergehen alle selbstverständliche Pracht der Divans, der Dreifüße zu deren Bedienung, des kolossalen Büffets als Schlußdekoration und der Bodenteppiche; nur muß von den goldenen Geschirren bemerkt werden, daß sie mit Steinen, zum Teil wohl mit geschnittenen Gemmen geschmückt waren. Für das Gefolge der Gäste ging außen um das Zelt eine besondere Halle herum, ebenfalls prächtig geschmückt, und von Myrten und Lorbeeren umgeben.
Für die Prozession war der Hauptschauplatz der Hippodrom, in welchem sie sich wird hin und zurückbewegt haben; eine Oertlichkeit, welche vielleicht an ihren beiden schräg gesenkten Langseiten hunderttausend Zuschauern Raum gewährte, so gut als der Circus maximus von Rom deren mindestens 150,000 faßte. Für das Personal des Zuges selbst hatte man viele Tausende von Menschen, und darunter gewiß vorzüglich eingeübte, zur Verfügung. Der Wille war der einer einmaligen ungeheuren Verschwendung, und wenn auch die mitgeführten Gefäße und Geräte von Gold und Silber in die Schatzkammern des Königshauses und etwa auch der Tempel gehören mochten, so war doch der Aufwand der durchgehenden Vergoldung von allem und jedem ein verlorener; denn das Altertum kannte nur echte Vergoldung und keine Surrogate. Auch bei den Trachten dürfen wir lauter echte und zum Teil kostbare Stoffe voraussetzen, wofür die Alexandriner scharfe Augen besitzen mochten. Weltbekannt und auch für die Herrscher nicht gleichgültig waren ohnehin ihre bösen Zungen.
Der riesige Zug bestand eigentlich aus einer ganzen Anzahl von Zügen, πομπαι, welche durch Pausen können unterbrochen gewesen sein. Eine besonders raffinierte Berechnung auf das Auge, eine Steigerung der Effekte muß man hier nicht verlangen, und wenn eine solche gemeint gewesen wäre, so könnte unsere kurze Uebersicht hievon doch keine Idee geben.
Zunächst, gleich beim Beginn, überrascht uns eine Allegorie, für welche der heutige Zuschauer absolut kein Verständnis haben würde: es war der Zug des Morgensternes, »denn die Prozession begann bei dessen Aufgang«; wahrscheinlich ein jugendlicher Fackelträger, wie der Stern in der bildenden Kunst versinnbildlicht zu werden pflegte; dann kamen, vielleicht nur als drapierte Gruppe auf einem Wagen, die Eltern des Königspaares, dann vorläufig – irgendwie – alle Götter, nebst Abbildung ihrer Mythen, und endlich der Abendstern, Hesperos. Nach diesem Vorspiel begann der große dionysische Zug.
Zunächst möge man sich nochmals erinnern, was bei Prozessionen des Dionysos schon längst alles gestattet und wie breit und groß der Rahmen um dessen Festlichkeiten gediehen war. Sodann hatte sich der Mythus dieses Gottes nach allen Seiten ausgedehnt und ausgebildet und zuletzt einen Eroberungszug nach Indien in sich aufgenommen; mit einem Heere von Satyrn und Mänaden war der Gott ausgezogen und mit kostbarer Beute, namentlich mit den mächtigen Tieren des Ostens wiedergekehrt, auch mit reichgeschmückten Gefangenen; alle diese Wesen aber sollten bei diesem Zuge sichtbar werden. Rechne man ferner hinzu, daß jeder Gegenstand, jedes Gerät, welches zu Mythus und Kultus des Gottes in Beziehung stand, diesmal nicht nur mitgetragen, sondern in kolossaler Vergrößerung und Pracht auf Wagen mitgefahren werden konnte. Endlich wundere man sich nicht über die unbefangene Abwechslung zwischen lebendigen Masken und drapierten Statuen, wozu sogar noch Automaten kamen, wie sich zeigen wird. Es kommen einzelne Gruppen vor, da riesige Statuen von lebendigen Masken umgeben sein mochten, ohne daß unsere Quelle den Unterschied angibt.
Schon die Polizei, welche das Volk zurückhalten mußte, bestand aus einer Schar von Silenen; dann kamen Satyrn mit hohen epheuumrankten Leuchtern, Siegesgöttinnen mit Weihrauchschalen auf hohen Stangen mit Epheu, ein Altar, mit derselben Pflanze umwunden, welche dem Dionysos neben dem Weinlaub vorzüglich heilig war, und überall an diesem Epheu sah man Vergoldung; auf dem Altar aber schwebte ein goldener Rebenkranz. Und, nach nochmaligen 120 Trägern von Weihrauchschalen, kam Weinlaub und Epheu zu einem goldenen Kranz geflochten, wahrscheinlich angeheftet an einem Baum, getragen durch 40 bunt bemalte Satyrn, deren einer den Stamm, die übrigen die Seitenschnüre des Baumes werden gehalten haben. Und nun kamen wieder zwei jener Masken, welche nur hellenischen Zuschauern verständlich waren: das Jahr, ein riesiger Mann in tragischem Aufzug, mit einem Füllhorn im Arme, und die vierjährige Epoche, ein reichgeschmücktes Weib von herrlichem Wuchse, in der einen Hand einen Kranz von Persäa, in der andern einen Palmzweig; durch diese Allegorien erinnerte das Fest, welches ja ein vierjähriges war, gleichsam an sich selber. Nach weitern dionysischen Komparsen und Sinnbildern schritt einher der Priester des Gottes, der aber zugleich ein namhafter tragischer Dichter war, Philiskos, und ihm folgte das ganze Personal des Theaters von Alexandrien. Man muß sich hiebei erinnern, daß nicht nur das griechische Theater überhaupt von den Festen des Dionysos herstammte, sondern daß es für die Griechen in den eroberten Ländern des Ostens ein soziales Band, ein Zusammenhalt ersten Ranges geworden war.
Bald darauf beginnt unter beständigem Geleit von Satyrn und Silenen eine Folge von Wagen, alle von Menschen gezogen, kleinere nur von 60, der größte von 600 Menschen, und dieser hatte auch die größte Plattform, von etwa 25 Fuß Breite zu 40 Fuß Länge, was von vornherein nur zu sehr breiten Straßen oder zu einem Raum wie dem Hippodrom passen konnte. Der erste Wagen trug ein prachtvoll drapiertes Riesenbild des Dionysos, welches aus einem goldenen Becher Wein spendete und von einer Schattenlaube überwölbt war, an welcher Kränze, Bänder, Tamburine und Masken schwebend hingen; als Geleite folgten Priester und Priesterinnen und Schwärme verschiedener Art, darunter eine Menge von Mänaden in vier verschiedenen Nuancen, mit Dolchen und Schlangen in den Händen. Dann kam der Wagen der Nysa, jener Fabelstadt, um welche sich Europa, Asien und Afrika stritten, wo einst der Gott geboren worden; ganz im Sinne der antiken Städtepersonifikation trug er eine zwölf Fuß hohe Nysa, welche durch eine Mechanik aufstehen und sich setzen konnte; auch hier war eine Schattenlaube angebracht und an den Ecken des Wagens vier goldene Leuchter. Das nächste war dann dem Dionysos als Gott des Weines gewidmet: ein Wagen mit einer kolossalen Kelterbütte, wo 60 Satyrn unter Gesang eines Winzerliedes die Trauben zu stampfen schienen; wenigstens floß beständig Wein vom Wagen, und ebenso von einem folgenden, auf welchem sich ein Schlauch befand, aus Pardelfellen zusammengenäht, und etwas wie 500 Saum fassend, wenigstens scheinbar. Dann ein riesiger silberner Mischkrug, reich figuriert, auf einem besondern Wagen, und nun beginnt eine Reihe von allem, was nur Gefäß heißt, offenbar zum Teil sehr groß und nur für diesen Zug als Dekorationen gearbeitet, zum Teil äußerst kostbare wirkliche Prachtsachen aus den Schatzkammern: Hydrien, Amphoren, Mischkrüge, Kühlgeschirre, Dreifüße, Tische, ja ganz kolossale Rundbuffets, davon eines für lauter Goldgefäße, und was nicht gefahren wurde, das wurde von 1600 Knaben getragen. Es scheint, daß von dem massenhaft mitgeführten Wein während des Zuges den Zuschauern zu kosten gegeben wurde; »sie wurden alle süß gemacht«. Auch kleine Gruppen, welche den Mythus des Gottes darstellten, zum Beispiel die Brautkammer seiner Mutter Semele, wurden dahergetragen oder geführt; und die einzelnen Figürchen trugen Gewänder von Gold mit Edelsteinen.
Und abermals folgen die größten Wagen. Der eine trug die Grotte des Dionysos, aus deren tiefem Schatten während des ganzen Zuges wilde Tauben und Turteltauben hervorflatterten, mit Bändern an den Füßen, damit die Zuschauer sie leicht fangen konnten. Aus der Grotte floß eine Milchquelle und eine Weinquelle; die Nymphen aber, welche dort irgendwie beschäftigt waren, samt dem Götterboten Hermes, mochten wohl nur Statuen oder Wachsbilder gewesen sein. Der folgende Wagen eröffnete den Mythus von der siegreichen Heimkehr des Gottes aus Indien. 18 Fuß hoch gebildet, lagerte er auf einem bekränzten Elephanten, auf dessen Hals ein jugendlicher, aber ebenfalls riesiger Satyr als Kornak saß. Jetzt kam die lebendige Beute, welche der Gott mitgebracht, und hiezu werden die königlichen Kasernen, Marställe, Meierhöfe und Menagerien das meiste geliefert haben: fünf Scharen Esel, von Satyrn geritten, mit Geschirr von Gold und Silber; 24 Viergespanne von Elephanten, dann jedesmal in großen Zahlen Gespanne von Böcken, afrikanischen Hirschen, Straußen und Kamelen; dann, von Maultieren gezogen, Zeltwagen mit gefangenen indischen Frauen; ein Zug von Kamelen mit indischen Spezereien; zinsbare Aethiopen, welche 600 Elephantenzähne und 2000 Ebenholzstämme trugen; eine endlose Schar von Jägern mit Hunden der vornehmsten fremden Rassen; Käfige mit Papageien, Pfauen und so weiter; fremde Schafe und Rinder; ein weißer Bär, Pardel, Panther, Luchse und endlich ein Nashorn aus Aethiopien.
Es folgte der letzte ganz große Wagen der πομπη des Dionysos, und hier war in einer kühnen Doppelgruppe offenbar von drapierten Figuren seine Verherrlichung mit der des Herrscherhauses allegorisch verflochten. Man sah den Gott, von Hera verfolgt, zum Altar der Rhea flüchtend, ferner Alexander den Großen, Ptolemäos, den Vater des Philadelphos, endlich die Statuen der Trefflichkeit, αρετη, und der Stadt Korinth. Die offenbare Unvollständigkeit der Beschreibung macht es uns schwer, den Zusammenhang zu deuten, jedenfalls aber gehörte Alexander als Eroberer von Indien recht wohl in einen Zug seines göttlichen Vorgängers. Und die Stadt, welche diesen Zug schaute, war überdies seine Gründung.
Dann kamen, wahrscheinlich einzeln thronend auf ebensovielen Wagen, die Personifikationen aller derjenigen Griechenstädte in Asien und auf den Inseln, welche durch die Siege des Macedoniers von der persischen Knechtschaft befreit worden. Und noch einmal Attribute des Gottes in riesiger Größe: ein goldener Thyrsosstab von gegen 140 Fuß Höhe und eine silberne Lanze von 90 Fuß. Dreihundert Kitharspieler machten den Beschluß, und es wird ausdrücklich gesagt, daß sie zusammenspielten. Ob sie gleichwohl, für unsere Ohren, gegen das Geräusch des Zuges hätten aufkommen können, lassen wir dahingestellt. Gleich darauf folgten noch 3000 prächtig geschmückte Stiere, wahrscheinlich für das Hauptopfer, und diese werden sich kaum völlig still verhalten haben.
Von hier an, da die Züge anderer Götter beginnen, wird die Beschreibung offenbar ein unordentliches Excerpt; für den allgemeinen Charakter der Prozession sind besonders bezeichnend die höchst kolossalen Götterattribute und Opfergeräte vom Maßstab jenes Thyrsos und jener Lanze; so sah man daherfahren einen haushohen Dreifuß, einen Stab des Hermes, einen Blitzstrahl des Zeus, einen mystischen Kranz von 120 Fuß Umfang und eine ganz riesige Trophäe von Waffen. Am liebsten aber möchten wir uns denjenigen von vier Elephanten gezogenen Wagen vergegenwärtigen, welcher wiederum Alexander, diesmal von Gold, zwischen Nike und Athene trug. Auch für Zwecke des Augenblickes wurden vielleicht damals in Alexandrien Künstler in Anspruch genommen, deren sonstige Werke noch immer jener ganz großen hellenischen Kunst angehörten, von welcher uns die pergamenische Schule einen so erhabenen Begriff gibt.
Den Beschluß machte der Aufzug der ganzen ptolemäischen Heeresmacht, 56,600 Mann zu Fuß und 23,200 Reiter, alle in der ihnen zugehörenden Uniform und Rüstung. Es ist nicht undenkbar, daß der ganze Zug diesmal mit so unerhörter Pracht ausgestattet worden, weil Philadelphus einen seiner erfolgreichen Feldzüge kurz vorher vollendet hatte. Vielleicht hat selbst Rom in der Folge kein Prachtschauspiel mehr gesehen wie gerade dieses war. Aber ein unabweisbares Gefühl sagt uns doch, daß für uns der Anblick jenes Panathenäenzuges in der perikleischen Zeit wünschenswerter erscheinen würde.
In neuerer Zeit, zu Ende des XV. und Anfang des XVI. Jahrhunderts, lebte ein deutscher Kaiser, welcher einem Prachtzug, ähnlich wie der ptolemäische, wenigstens nachsann. Von irgend einer Verwirklichung konnte bei den leeren Kassen keine Rede sein; aber Maximilian I. gönnte sich wenigstens das volle Gedankenbild; er diktierte 1512 seinem Schreiber Treitzsaurwein die sämtlichen Bestandteile des Zuges, und Hans Burgkmayr von Augsburg, dessen Phantasie sich leicht und gerne der des Kaisers anschloß, schuf die Zeichnungen, welche vorzüglich gut in Holz geschnitten wurden. So entstand der Triumphzug in 146 Platten, ersonnen von dem alternden Kaiser mit der Lust eines Kindes an allem, was prächtig und vergnüglich ist, zugleich mit dem Pathos eines Jägers, Ritters und Soldaten, und alles getragen von dem Hochgefühl habsburgischs-spanischer Weltherrschaft. Den Zug des Philadelphus hatte nur geschaut, wer an einem bestimmten Tage des III. Jahrhunderts in Alexandrien war; der Triumphzug Maximilians im Holzschnitt wäre beim längern Leben des Kaisers im ganzen heiligen römischen Reich auf den Märkten verkauft worden und man hätte überall erfahren, wie er triumphieren würde, wenn er die Mittel besäße; vom ptolemäischen Zug haben wir Worte übrig, vom maximilianischen die ganze reiche Erscheinung. Freilich hat jener wirklich stattgefunden und dieser nicht, aber Maximilian, nachdem er sich mit diesen Phantasien gute Tage gemacht, konnte dann wieder unbefangen zu andern Phantasien übergehen. Und wie wenige Leute hatte er damit bemüht! und nur solche, die ihm dabei gewiß gerne dienten: den Schreiber, den Maler und die Holzschneider.