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Teeka war Mutter geworden. Affentarzan zeigte außerordentliches Interesse dafür, viel mehr als selbst Taug, der Vater, denn Tarzan hatte Teeka sehr gerne. Selbst die Sorgen der bevorstehenden Mutterschaft hatten in Teeka noch nicht ganz das Feuer der sorglosen Jugend erstickt und sie war in dem Alter, in welchem die anderen Weibchen von Kerschaks Stamm bereits die mürrische Würde der Vollreife annahmen, immer noch ein gutlauniger Spielgefährte geblieben. Sie hatte immer noch ihr kindliches Entzücken an den primitiven, von Tarzans fruchtbarem Menschenhirn erfundenen Abschlag- und Versteck-Spielen behalten.
In den Baumwipfeln Abschlagen zu spielen ist ein anregender und aufregender Zeitvertreib. Tarzan schwärmte dafür, aber die mit ihm gleichaltrigen Affen hatten längst solch kindische Dinge aufgegeben. Doch wenigstens Teeka war immer scharf dabei gewesen bis kurz ehe ihr Baby kam; mit der Ankunft ihres Erstgeborenen jedoch änderte sich auch Teeka.
Die Erkenntnis dieser Änderung überraschte und verletzte Tarzan außerordentlich. Eines Morgens sah er, wie Teeka auf einem niedrigen Zweig hockte und etwas sehr eng an ihre Brust drückte – ein winziges Etwas, das sich krümmte und zappelte. Tarzan nahte sich mit jener Neugierde, die allen Geschöpfen gemeinsam ist, sobald ihr Gehirn über mikroskopische Abmessungen hinaus entwickelt ist.
Teeka rollte die Augen nach ihm und drückte das zappelnde Körperchen noch enger an sich. Tarzan kam näher. Teeka zog sich zurück und zeigte die Fangzähne. Tarzan fand, daß so etwas noch nicht dagewesen war! Teeka hatte ihm bisher die Zähne nie anders als im Spiel gezeigt; aber heute sah sie nicht nach Spiel aus. Tarzan fuhr sich mit seinen braunen Fingern durch das dichte schwarze Haar, bog den Kopf auf die Seite und äugte. Dann rückte er ein Stückchen näher und reckte den Hals, um das Ding, welches Teeka mit den Armen verhüllte, besser zu sehen.
Wieder zog Teeka mit warnendem Schnarren die Oberlippe hoch. Tarzan streckte vorsichtig eine Hand aus, um das Ding in Teekas Armen zu berühren, als Teeka plötzlich mit einem häßlichen Brummen auf ihn losfuhr. Ehe der Affenmensch seinen Arm zurückziehen konnte, biß sie ihn hinein und verfolgte ihn noch eine kurze Zeit, während er sich sogleich durch die Bäume davonmachte. Teeka mit ihrem Baby im Arm konnte ihn nicht einholen.
In sicherer Entfernung hielt Tarzan an und besah mit unverhehltem Erstaunen seine frühere Spielgefährtin. Was war geschehen, daß sich die sanftmütige Teeka so geändert hatte? Sie hatte das Ding in ihren Armen so bedeckt, daß Tarzan es bis jetzt noch nicht hatte erkennen können, aber als sie von seiner Verfolgung abließ, sah er es. Und Tarzan lächelte trotz Schmerz und Ärger, denn er hatte junge Affenmütter schon früher gesehen. In ein paar Tagen würde sie weniger argwöhnisch sein. Aber Tarzan war dennoch gekränkt. Es war nicht recht, daß Teeka ihn wie alle anderen fürchtete. Ei! nicht um alles in der Welt würde er ihr etwas zuleide tun, sowenig wie ihrem Balu. Balu ist nämlich das Affenwort für Baby.
Und nun hatte er trotz der Schmerzen im Arm und trotz seines verletzten Stolzes nur noch mehr den Wunsch, aus der nächsten Nähe Taugs neugeborenen Sohn zu besichtigen. Es erscheint wunderlich, daß Affentarzan, der mächtige Kämpfer, vor dem gereizten Angriff eines Weibchens flüchtete und daß er sich scheute, zur Befriedigung seiner Neugierde zurückzukommen, da er doch mit Leichtigkeit die geschwächte Mutter des neugeborenen Jungen überwältigen konnte. Aber das ist nicht wunderbar. Jeder Affe weiß, daß nur ein tollwütiger Bulle ein Weibchen anders als milde zurechtweist, natürlich ausgenommen jene Individuen, wie wir sie auch in unserer Rasse finden, welche ein Vergnügen darin finden, ihre bessere Hälfte zu schlagen, weil sie zufällig kleiner und schwächer ist als sie selbst.
Tarzan kam wieder auf die junge Mutter zu, aber ganz vorsichtig und mit offen gehaltener Rückzugslinie. Wieder brummte Teeka wild. Tarzan protestierte.
Affentarzan wird Teekas Balu nichts tun, sagte er. Laß es mich sehen.
Geh fort, befahl Teeka. Geh fort oder ich töte dich.
Laß es mich sehen, drängte Tarzan.
Geh fort, wiederholte die Affin. Da kommt Taug. Er wird dich fortbringen. Taug wird dich töten. Es ist Taugs Balu.
Ein wildes Knurren dicht hinter seinem Rücken belehrte Tarzan darüber, daß Taug die Warnungen und Drohungen seiner Ehegefährtin gehört hatte und ihr zu Hilfe kam.
Nun war Taug so gut wie Teeka Tarzans Spielgefährte gewesen, solange er noch jung genug war, um zu spielen. Tarzan hatte dem Taug auch schon einmal das Leben gerettet. Aber das Gedächtnis eines Affen ist nicht allzugut und Dankbarkeit geht nicht weiter als die verwandtschaftlichen Instinkte. Tarzan und Taug hatten ihre Kräfte einmal gemessen und Tarzan war Sieger geblieben. An diese Tatsache erinnerte sich Taug sicher noch; aber trotzdem war er bereit, sich für seinen Erstgeborenen einer neuen Niederlage auszusetzen – wenn er zufällig in der richtigen Stimmung war.
Nach seinem häßlichen, jetzt an Stärke und Umfang zunehmenden Knurren zu urteilen, schien er gerade in der Laune dazu zu sein. Tarzan fürchtete sich keineswegs vor Taug, und das ungeschriebene Gesetz der Dschungel forderte auch nicht von ihm, daß er den Kampf mit irgendeinem Männchen vermeiden sollte, wenn er es nicht aus rein persönlichen Gründen unterließ. Aber Tarzan hatte Taug gerne; er hatte keinerlei Zank mit ihm und sein Menschenverstand sagte ihm etwas, was einem Affen nie eingeleuchtet hätte – daß Taugs Benehmen in keiner Weise bösen Willen anzeigte. Es war nur der naturgemäße Trieb des Männchens, seinen Sprößling und seine Ehegefährtin zu schützen.
Tarzan hatte wohl keine Lust, mit Taug zu kämpfen, andererseits konnte das Blut seiner englischen Ahnen in ihm auch keinen Gefallen am Weglaufen finden. Doch als der Bulle angriff, sprang Tarzan geschmeidig zur Seite und Taug, der dadurch Mut bekam, drehte sich herum und stürzte sich wie toll auf den anderen. Vielleicht stachelte ihn gerade die Erinnerung an seine frühere Niederlage unter Tarzans Händen gegen diesen auf. Vielleicht trieb auch der Umstand, daß Teeka zusah, seinen Wunsch an, den Affenmenschen vor ihren Augen zu besiegen, denn auch in der Brust jedes Dschungelmännchens sitzt die große Eitelkeit, welche sich in der Vollbringung von verzweifelten Taten im Angesicht des anderen Geschlechtes ausdrückt.
Über der Schulter des Affenmenschen hing dessen langes Grasseil, das Spielzeug von gestern, die Waffe von heute. Als Taug das zweite Mal angriff, zog Tarzan die Stricke über den Kopf und legte geschickt die Laufschlinge zurecht, während er wiederum gewandt dem ungeschickten Tier auswich. Ehe sich der Affe wenden konnte, war Tarzan weit weg auf den Zweigen der oberen Terrasse.
Taug folgte ihm, jetzt in wirkliche Wut gebracht. Teeka sah von unten zu. Es war schwer zu sagen, ob sie gespannt war. Da Taug nicht so rasch klettern konnte als Tarzan, hatte der letztere bereits die höchsten Zweige erreicht, ehe ihn der Affe erreichen konnte. Und ganz hinauf konnte ihm der schwere Affe nicht folgen. Nun saß er oben, sah auf seinen Verfolger herab, schnitt ihm Gesichter und gab ihm alle die schönen Namen, die seinem erfindsamen Menschengehirn einfielen. Als er dann Taug zu einem solchen Stadium kochender Wut gebracht hatte, daß der große Bulle vor Grimm auf den schwankenden Ästen förmlich tanzte, streckte er blitzschnell die Hand aus, eine aufgehende Schlinge fiel rasch durch die Luft, ein kurzer Ruck, als sie auf Taug niederfiel, und schon saß die Schlinge fest um die haarigen Beine des Menschenaffen.
Taug, der etwas schwer von Begriff war, merkte zu spät die Absicht seines Peinigers. Er wollte sich freistrampeln, aber der Affenmensch gab dem Seil einen solch scharfen Ruck, daß er Taug von seinem Aste wegriß, und eine Sekunde später hing der Affe mit dem Kopfe nach unten in dreißig Fuß Höhe über dem Boden.
Tarzan befestigte sein Seil an einem starken Ast und stieg in die Nähe Taugs herab.
Taug, sagte er, du bist so dumm, wie Buto, das Nashorn. Jetzt werde ich dich hier hängen lassen, bis du etwas Verstand in deinen dicken Schädel bekommst. Da kannst du derweil hängen und zusehen, wie ich gehe, um mich mit Teeka zu unterhalten.
Taug fauchte und drohte, aber Tarzan grinste nur, während er sich federnd auf die tieferen Zweige fallen ließ. Er näherte sich wieder Teeka, die ihn erneut mit fletschenden Zähnen und mit drohendem Knurren begrüßte. Er suchte sie zu beschwichtigen, betonte seine freundschaftlichen Absichten und reckte den Hals, um einen Blick auf Teekas Balu zu erhaschen. Aber die Äffin ließ sich nicht davon überzeugen, daß er etwas anderes wollte, als ihrem Kleinen ein Leid antun. Ihre Mutterschaft war so neu, daß die Vernunft noch vom Instinkt verdeckt wurde.
Als Teeka die Unmöglichkeit einsah, Tarzan zu packen und zu züchtigen, suchte sie ihm zu entkommen. Sie sprang auf den Boden und wackelte über die kleine Lichtung, auf der sich die Affen des Stammes in Ruhe oder auf der Futtersuche befanden. Alsbald gab es Tarzan auf, durch Überredung eine Erlaubnis zur näheren Besichtigung des Balu zu erlangen. Der Affenmensch hätte das kleine Dingelchen gar zu gerne in der Hand gehabt. Sein Anblick erweckte ihm in der Brust ein merkwürdiges Sehnen. Er wünschte das groteske, kleine Affending zu drücken und zu liebkosen. Es war Teekas Balu, und Tarzan hatte einst für Teeka seine erste Jugendliebe empfunden.
Aber jetzt wurde seine Aufmerksamkeit durch Taugs Stimme abgelenkt. Die Drohungen aus dem Maul des Affen hatten Bitten Platz gemacht. Die immer enger werdende Schlinge hemmte ihm in den Beinen den Blutumlauf – er begann ernstlich zu leiden. Mehrere Affen in der Nähe befaßten sich angelegentlich mit seiner Verlegenheit. Sie machten ihm recht eindeutig absprechende Komplimente, denn jeder von ihnen hatte bereits Taugs mächtige Faust und die Stärke seiner großen Kinnladen gefühlt. Jetzt freuten sie sich ihrer Rache.
Als Teeka sah, daß Tarzan sich wieder nach den Bäumen gewandt hatte, machte sie mitten auf der Lichtung Halt, setzte sich hin und liebkoste – argwöhnische Blicke um sich werfend – ihr Balu. Mit dem Erscheinen des Balus hatte sich Teekas bisher sorgenfreie Welt plötzlich mit einer Unzahl von Feinden bevölkert. In Tarzan, ihrem besten Freund bisher, sah sie einen unversöhnlichen Feind. Selbst die arme, alte Mumga, halb blind und fast völlig zahnlos, die nur noch geduldig unter altem Holz nach Maden suchte, erschien ihr als ein übelwollender Geist, den nach dem Blute kleiner Balus dürstete.
Und während sich Teeka argwöhnisch vor Unheil hütete, wo keines zu erwarten war, übersah sie zwei schreckliche, gelbgrüne Augen, die hinter einem dicken Haufen Büsche gegenüber starr nach ihr blickten.
Der ausgehungerte Leopard Sheeta blickte gierig nach dem lockenden Bissen in nächster Nähe, aber der Anblick der großen Bullen drüben hielt ihn zurück.
Ah, wenn die Äffin mit ihrem Balu nur ein Stückchen näher käme! Ein kurzer Sprung! Er wäre auf und davon mit seinem Mahle, ehe ihn die Bullen hindern konnten.
Die Spitze seines gelbbraunen Schweifes schlug krampfhaft kleine Zirkel. Alles dieses sah Teeka nicht, ebensowenig sah es einer der anderen Affen in Ruhe oder auf Futtersuche; auch nicht Tarzan oder einer der Affen auf den Bäumen bemerkte es.
Tarzan hörte die Schmähungen, mit welchen die Bullen den hilflosen Taug überschütteten, und kletterte rasch zu ihnen hin. Einer davon war näher gerutscht und lehnte sich vor, um den baumelnden Affen zu erfassen. In Erinnerung an die letzte Gelegenheit, bei der ihn Taug derb geschlagen hatte, hatte er sich in richtige Wut versetzt und wollte es ihm nun heimzahlen. Wenn er den schwingenden Affen erst gepackt hatte, konnte er ihn rasch in den Bereich seines Gebisses ziehen. Tarzan sah es und war empört. Er liebte einen ehrlichen Kampf, aber das Vorhaben dieses Affen erregte seinen Zorn. Schon hatte eine haarige Hand den hilflosen Taug gepackt, als Tarzan mit einem zornigen Knurren des Protestes auf den Zweig zu dem Angreifer sprang und ihn mit einem einzigen, mächtigen Hieb von seinem Sitz warf.
Der überraschte Affe schlug nach der Seite um, griff wild nach einem Halt und warf sich mit einem gewandten Schwung auf einen ein paar Fuß tiefer herausstehenden Ast. Dort fand er einen Griff für die Hand, richtete sich rasch auf und kletterte alsbald wieder hinauf, um sich an Tarzan zu rächen, aber der Affenmensch war eben anderweitig beschäftigt und liebte keine Unterbrechung. Er machte gerade wieder Taug dessen bodenlos tiefe Unwissenheit klar und bedeutete ihm, um wieviel größer und mächtiger als Taug oder jeder andere Affe Affentarzan sei.
Am Ende würde er Taug wieder loslassen, aber nicht eher, als bis der letztere völlig von seiner eigenen Minderwertigkeit überzeugt war. Und nun kam der wütende Bulle von unten herauf und im gleichen Augenblick wurde aus dem gutmütigen, Belehrung erteilenden Jüngling ein knurrendes, wildes Tier. Das Haar auf dem Kopf sträubte sich, die Oberlippe fuhr zurück, um die Reißzähne bereit zu halten. Er wartete nicht, bis der Bulle an ihn kam, denn irgend etwas in Erscheinung oder Stimme des Angreifers reizte in dem Affenmenschen ein unleugbares Gefühl kriegerischer Gegnerschaft. Mit einem Schrei, der nichts Menschliches an sich hatte, fuhr Tarzan dem Angreifer an die Kehle.
Unter dem Ungestüm seines Griffes und unter dem Gewicht und der Wucht seines Körpers fiel der Bulle nach einem Halt greifend und haschend rücklings durch die belaubten Zweige herab. Volle fünfzehn Fuß fielen die beiden hinab, Tarzan immer noch mit den Zähnen in der Schlagader seines Gegners, bis ein starker Zweig ihren weiteren Sturz auffing. Der Bulle schlug quer mit dem Kreuz auf den Ast, und hing da einen Augenblick samt dem auf seiner Brust liegenden Affenmenschen, dann kollerten sie beide weiter.
Tarzan fühlte, wie bei dem schweren Aufschlag auf den Baumast der Körper unter ihm schlagartig schlaff wurde. Als sich der andere überschlug und nach dem Boden zu weiter stürzte, faßte er daher noch rechtzeitig mit einer Hand einen Zweig, um seinen eigenen Sturz zu verhindern, während der Affe wie ein Bleiklotz unten auffiel.
Tarzan blickte einen Augenblick auf die regungslose Gestalt seines toten Gegners, dann erhob er sich zu voller Höhe, reckte seine breite Brust, schlug mit den geballten Fäusten darauf und brüllte den unheimlichen Kampfruf des siegreichen Affenbullen in die Ferne.
Selbst der schon an der Ecke der kleinen Lichtung zum Sprunge ansetzende Sheeta bewegte sich unbehaglich, als die mächtige Stimme ihren fürchterlichen Ruf dröhnend durch die Dschungel sandte. Sheeta blickte nervös nach rechts und links, wie um sich zu versichern, ob auch der Weg zum Rückzug frei war. Ich bin der Affentarzan, prahlte der Affenmensch, der mächtige Jäger, der mächtige Kämpfer. Keiner in der ganzen Dschungel ist so groß als Tarzan.
Dann ging er zu Taug zurück. Teeka hatte die Vorgänge auf dem Baume genau beobachtet. Sie hatte sogar ihr kostbares Balu auf das weiche Gras gelegt und war näher getreten, um den Vorfall in den Bäumen oben bester zu sehen. Schätzte sie wohl immer noch im innersten Herzen den glattfelligen Tarzan? Schwoll etwa ihre wilde Brust vor Stolz, als sie seinen Sieg über den Affen mitansah? Da müßt ihr Teeka fragen!
Sheeta, der Leopard, sah inzwischen, daß die Äffin ihr Junges im Gras allein gelassen hatte. Er zuckte wieder mit der Schwanzspitze, als ob er sich mit dieser schwächsten Form des Wedelns, der er sich hingeben durfte, den fehlenden Mut machen wollte. Der Schrei des siegreichen Affenmenschen hielt seine Nerven noch im Banne. Es würde noch einige Minuten dauern, bevor er sich wieder zum Angriff angesichts der riesigen Menschenaffen entschließen konnte.
Während er so seine Kräfte sammelte, gelangte Tarzan an Taugs Seite, kletterte noch höher, bis zu der Stelle, an der er sein Seil befestigt hatte, löste es los, ließ den Affen langsam herab und schwang ihn dabei hin und her, bis er sich mit den Händen an einem Zweig anhalten konnte.
Taug zog sich rasch auf einen sicheren Sitz und streifte die Schlinge ab. In seinem tollwütigen Herz war jetzt kein Raum für Dankbarkeit gegen den Affenmenschen. Er erinnerte sich jetzt nur noch der Tatsache, daß ihm dieser eine schmerzhafte Entwürdigung zugefügt hatte. Er würde sich dafür rächen, aber seine Beine waren im Augenblick so taub und sein Kopf so schwindlig, daß er die Befriedigung seiner Rache verschieben mußte.
Tarzan legte sein Seil zusammen, während er Taug eine Vorlesung über dessen Torheit hielt, seine armseligen Kräfte, körperlich wie geistig, gegen ihn, dem weit überlegenen, einzusetzen. Teeka war nahe unter den Baum gekommen und sah nach oben. Sheeta kroch mit dem Bauche auf dem Boden leise vorwärts. Im nächsten Augenblick würde er durch das Unterholz gedrungen und bereit sein, mit kurzem Sprung und schnellem Rückzug das kurze Dasein von Teekas Balu zu beenden.
Tarzan sah zufällig auf die Lichtung hinaus und sofort ließ er die gutmütige Neckerei und die großtuerische Prahlerei fallen. Lautlos und schnell schoß er auf den Boden herab und über den Grund. Als Teeka ihn kommen sah, glaubte sie, er sei hinter ihrem Balu her, sträubte die Haare und wollte kämpfen. Aber Tarzan sprang an ihr vorbei, ihre Augen folgten ihm und da sah sie den Grund seines plötzlichen Herabspringens und des schnellen Laufes über die Lichtung. Sheeta war jetzt allen sichtbar, wie er leise und langsam auf das viele Schritte entfernt im Grase zappelnde kleine Balu losschlich. Teeka stieß einen wilden, warnenden Angstschrei aus, als sie hinter dem Affenmenschen herstürzte. Sheeta sah Tarzan kommen. Er erblickte das Affenjunge vor sich und dachte sich, daß ihm der andere die Beute rauben wolle. Mit einem wütenden Fauchen sprang er vor.
Taug, durch Teekas Schrei gewarnt, kam ihr torkelnd zu Hilfe. Bellend und knurrend kamen mehrere andere Bullen näher auf die Lichtung, aber sie alle waren viel weiter als Affentarzan von dem Balu und dem Leoparden entfernt, während Sheeta und der Affenmensch fast gleichzeitig bei dem Balu anlangten. Da standen sie nun, jeder auf einer Seite, zeigten die Reißzähne und knurrten sich über das kleine Geschöpf hin an.
Sheeta scheute sich, das Balu zu packen, denn damit würde er den Angriff gegen den Affenmenschen beginnen und aus dem gleichen Grunde zögerte Tarzan, dem Leoparden die Beute aus dem Bereich der Klauen zu ziehen, denn wenn er sich dazu bückte, würde das große Raubtier im Nu auf ihm sein. So standen sie eine Weile, bis Teeka über die Lichtung kam, aber je näher sie dem Leoparden kam, um so langsamer ging sie, denn selbst ihre Mutterliebe konnte kaum den instinktiven Schrecken vor dem Erbfeind ihrer Art überwinden. Weiter hinten kam vorsichtig mit vielen Pausen und großem Getöse Taug und noch weiter zurück erschienen mit wildem Knurren und unheimlichem Kampfgebrüll andere Bullen. Sheetas gelbgrüne Augen starrten wild auf Tarzan und warfen dann und wann einen Blitz auf die herannahenden Affen Kerschaks. Vorsicht riet ihm, Kehrt zu machen und zu fliehen, aber Hunger und die Nähe des lockenden Bissens im Grase zwang ihn, zu bleiben. Er langte mit einer Pfote nach Teekas Balu, aber im selben Moment war Tarzan mit einem wilden Kehllaut auf ihm.
Der Leopard zog sich zurück, um dem Angriff des Affenmenschen zu begegnen. Er schlug einen fürchterlichen, fegenden Hieb nach Tarzan, der diesem das Gesicht weggerissen hätte, wenn er getroffen hätte. Aber er traf nicht, denn Tarzan duckte sich und ging Sheeta mit dem langen Messer seines von ihm nie gekannten toten Vaters zu Leibe.
Nun hatte Sheeta das Balu vergessen. Er dachte nur noch daran, seinem Gegner das Fleisch mit seinen starken Tatzen zu Streifen zu reißen und seine langen, gelben Fangzähne in die weiche, glatte Haut des Affenmenschen zu schlagen. Aber Tarzan hatte schon vorher mit tatzenbewehrten Dschungelgeschöpfen zu tun gehabt. Vordem schon hatte er mit ungeheuren Krallen gekämpft und war nicht stets ohne Schrammen davongekommen. Er wußte, welche Gefahr er lief, aber der Affentarzan war an den Anblick von Schmerzen und Tod gewöhnt und scheute weder die einen noch fürchtete er den anderen.
Als er unter Sheetas Prankenschlag weggehuscht war, sprang er dem Tier erst in die Flanke und dann mitten auf den braunen Rücken, grub sein Gebiß in Sheetas Nacken und die Finger der einen Hand in das Fell an der Kehle, während er mit der anderen sein Messer in Sheetas Seite trieb.
Sheeta überkollerte sich im Grase wieder und wieder, fauchte und schrie und biß und krähte im tollen Bestreben, den Gegner vom Rücken loszuwerden oder einen Teil seines Körpers in Reichweite seiner Zähne und Klauen zu bringen.
Als Tarzan mit dem Leoparden zum Nahkampf kam, sprang Teeka rasch hinzu und riß ihr Balu an sich. Jetzt saß sie in voller Sicherheit auf einem hohen Ast, drückte ihr Kleines eng an die behaarte Brust und ermahnte, starr nach der Lichtung auf den Kampf blickend, Taug und die anderen mit ihrer wilden Stimme, sich in das Handgemenge zu stürzen.
Die dergestalt angefeuerten Bullen kamen näher und verdoppelten ihren wüsten Lärm, aber Sheeta war schon zu sehr beschäftigt, um sie noch zu hören. Einmal war es ihm gelungen, den Affenmenschen teilweise von seinem Rücken herunterzubringen, so daß Tarzan für einen Augenblick vor die furchtbaren Krallen geschwenkt wurde, und in dem kurzen Augenblick, ehe dieser seinen alten Griff wieder fassen konnte, hatte ihm auch schon ein reißender Schlag einer Hintertatze das eine Bein von der Hüfte bis zum Knie aufgeschlitzt.
Möglicherweise brachte der Anblick und Geruch seines Blutes die umstehenden Affen in Wut, aber Taug war es, der sie in Wirklichkeit zum Handeln brachte.
Taug, im Augenblick zuvor noch voll Wut gegen den Affentarzan, stand neben dem kämpfenden Paar und stierte mit seinen rotumränderten, bösen kleinen Augen auf sie. Was ging wohl in seinem grimmen Gehirn vor? Freute er sich über die keineswegs beneidenswerte Lage seines kürzlichen Peinigers? Sehnte er sich danach, zu sehen, wie Sheetas große Fangzähne in den weichen Hals des Affenmenschen sanken? Oder verstand er die mutvolle Selbstlosigkeit zu schätzen, mit der Tarzan für Teekas Balu – für Taugs kleines Balu sein Leben einsetzte? Ist Dankbarkeit nur eine menschliche Eigenschaft oder kennen die niederen Gattungen sie auch?
Als Tarzans Blut floß, beantwortete Taug diese Fragen. Mit fürchterlichem Knurren warf er die ganze Wucht seines großen Körpers auf Sheeta. Seine langen Fänge bissen sich in die weiße Kehle, seine langen Arme schlugen und zerrissen das weiche Fell, daß die Fetzen davon in die Luft flogen.
Und auf Taugs Beispiel hin griffen auch die anderen Bullen ein, begruben Sheeta unter ihren Fangzähnen und erfüllten den Wald mit dem wilden Getöse ihrer Kampfrufe.
Ha! ein wunderbarer, begeisternder Anblick war er – dieser Kampf der urweltlichen Affen und des großen weißen Affen gegen ihren Erbfeind Sheeta, den Leoparden.
In verzückter Erregung tanzte Teeka auf dem unter ihrem großen Gewicht schwankenden Zweig, während sie die Männchen ihres Stammes zum Kampfe anfeuerte, und Thaka, Mumga, Kamma und die anderen Weibchen von Kerschaks Horde fügten ihre schrillen Stimmen zu dem wilden Bellen des nun in der Dschungel herrschenden Pandämoniums.
Beißend und gebissen, reißend und zerrissen kämpfte Sheeta um sein Leben, aber die Zahl war gegen ihn. Selbst der Löwe Numa hätte sich gehütet, eine gleich große Anzahl der riesigen Bullen von Kerschaks Horde anzugreifen, und als er jetzt aus der Entfernung einer halben Meile das Getöse der schreckensvollen Schlacht vernahm, erhob sich der König der Tiere unruhig von seinem Mittagsschlummer und schlich sich weiter fort in die Dschungel.
Die titanenhafte Gegenwehr von Sheetas zerrissenem und blutigem Körper hörte bald auf. Noch ein krampfhaftes Strecken, ein Sichkrümmen, dann war er still, während die Bullen fortfuhren, ihn zu zerfetzen, bis sein schönes Fell zu Lappen zerrissen war. Endlich mußten sie lediglich aus körperlicher Erschöpfung aufhören und nun erhob sich aus dem Durcheinander blutiger Körper ein purpurfarbiger Riese, gerade wie ein Pfeil.
Er setzte einen Fuß auf den toten Leoparden, hob sein blutbeflecktes Gesicht zum Blau des Äquatorhimmels und stieß den schrecklichen Siegesschrei des Affenbullen aus.
Einer nach dem anderen folgten die haarigen Gesellen von Kerschaks Stamm seinem Beispiel. Die Weibchen kamen von ihren sicheren Sitzen und schlugen und schmähten den toten Körper Sheetas. Die jungen Affen fochten den Kampf der Großen nachahmend nochmals durch.
Teeka war ganz nahe bei Tarzan. Er sah sie mit ihrem eng an die Brust gedrückten Balu und streckte seine Hände nach dem Kleinen aus aber in der Annahme, sie werde ihn mit fletschenden Fängen angreifen. Statt dessen legte sie ihm das Balu auf die Arme und leckte, an ihn herankommend, seine schrecklichen Wunden.
And gleich darauf kam Taug, der nur ein paar Kratzwunden davongetragen hatte, hockte sich neben Tarzan und sah zu, wie er mit dem kleinen Balu spielte, bis auch er sich vornüberlehnte und Teeka half, die Wunden des Affenmenschen zu reinigen und zu heilen.