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Als Affentarzan noch ein Knabe war, hatte er unter anderem auch gelernt, biegsame Seile aus den langen Halmen der Dschungelgräser zu fertigen. Stark und fest waren Tarzans, des kleinen Tarmangani, Seile. Tublat, sein Pflegevater, hätte euch das und manches andere erzählen können. Wenn ihr ihn mit einer Handvoll fetter Raupen bestochen hättet, wäre er auch vielleicht genug aus sich herausgegangen, um ein paar Geschichten von den vielen Unwürdigkeiten zu erzählen, die ihm Tarzan gerade mit Hilfe dieses verhaßten Seiles zugefügt hatte. Aber jedesmal, wenn Tublat an das Seil oder an Tarzan dachte, kam er immer in solch fürchterliche Wut, daß es für euch unter Umständen hätte unangenehme Folgen haben können, wenn ihr nahe genug geblieben wäret, um zu hören, was er zu sagen hatte.
Das schlangenartige Seil hatte sich so oft unerwartet um Tublats Hals gelegt, so oft war er zum Gespött der anderen immer gerade dann, wenn er am wenigsten darauf gefaßt war, in schmerzhafter Weise aus dem Gleichgewicht gebracht worden, daß man sich nicht zu wundern braucht, wenn in seinem grimmen Herz wenig Platz für Liebe zu seinem weißhäutigen Pflegekind frei war.
Es hatte sogar Augenblicke gegeben, wo Tublat an der um seinen Hals festgewürgten Schlinge hilflos in der Luft hing und schon den sicheren Tod vor Augen sah, während Klein-Tarzan auf einem Aste nahebei herumhüpfte, ihn beschimpfte und unziemliche Grimassen schnitt.
Dann hatte das Seil noch bei einer anderen Gelegenheit eine wichtige Rolle gespielt, und das war die einzige, bei der sich Tublat mit Vergnügen daran erinnerte, daß das Seil etwas damit zu tun hatte. Tarzan, dessen Gehirn so rege war wie sein Körper, erfand immer neue Arten des Spiels. Gerade mit Hilfe seiner Spiele lernte er sehr viel während seiner Kindheit. An jenem Tage lernte er nun auch etwas, und daß er bei dieser Belehrung nicht sein Leben verlor, war für Tarzan selbst eine große Überraschung, in Tublats Freudenbecher aber der bittere Wermutstropfen.
Das Menschenkind hatte sein Seil nach einem Spielgefährten, der oben auf einem Baume hockte, geworfen und statt seiner einen vorstehenden Ast getroffen. Als er versuchte, die Schlinge herunterzuschütteln, zog sie sich nur noch fester. Tarzan begann nun, an dem Seil hinaufzuklettern, um es von dem Zweige zu entfernen. Als er ein Stück oben war, packte ein lustiger Spielgenosse das auf dem Boden liegende Seilende und lief so schnell als möglich damit fort. Als Tarzan dem jungen Affen zuschrie, er solle aufhören, ließ dieser das Seil nach und zog es dann wieder straff. Als Ergebnis wurde Tarzans Körper eine hin- und herschwingende Bewegung erteilt und der junge Affenmensch hatte plötzlich ein neues und unterhaltendes Spiel entdeckt. Zunächst spornte er den Affen an, fortzufahren, bis er so weit, als es die Kürze der Aufhängung erlaubte, vor- und zurückschwang, aber bald war ihm die Entfernung nicht groß genug und er fand sich nicht hoch genug über dem Boden, um den für den Zeitvertreib der Jugend erwünschten Nervenkitzel der Waghalsigkeit zu empfinden. Deshalb kletterte er bis zur Stelle hinauf, wo sich das Seil verfangen hatte, machte es los und viel weiter oben an einem frei herausstehenden, langen, starken Ast wieder fest. Mit dem losen Ende in der Hand kletterte er rasch, soweit das Seil reichte, hinunter und schwang sich am Ende seines Seiles aus den Zweigen hinaus, während sich sein geschmeidiger Körper wand und bog – das menschliche Beschwerungsgewicht eines Graspendels – zehn Meter hoch über dem Boden.
Ach, war das schön! Es war wirklich ein erstklassiges neues Spiel. Tarzan war begeistert. Er hatte bald heraus, daß er durch Zuckungen seines Körpers in der geeigneten Richtung und zur richtigen Zeit seine Schwingungen verkürzen oder verstärken konnte, und als Junge wählte er natürlich das letztere. Alsbald schwang er sich weit und hoch hinauf, während von unten die Affen von Kerschaks Horde mit gelindem Staunen zusahen.
Wenn sich unsereiner am Ende dieses langen Grasseils geschaukelt hätte, würde das, was nun folgte, nicht haben geschehen können, denn wir hätten nicht so lange hängend ausgehalten, daß es möglich geworden wäre. Aber für Tarzan war es dasselbe, als wenn er auf seinen Füßen gestanden hätte oder wenigstens beinahe dasselbe. Jedenfalls fühlte er nach einer Zeit, in der ein gewöhnlicher Sterblicher durch körperliche Anstrengung völlig matt gewesen wäre, noch keinerlei Müdigkeit. Und das gereichte ihm zum Verderben.
Tublat beobachtete ihn so aufmerksam wie die anderen der Horde. Keines von allen Geschöpfen der Wildnis haßte Tublat so aus vollem Herzen wie dieses häßliche, haarlose, weißhäutige Zerrbild eines Affen. Wäre Tarzan nicht so gewandt und der wilden Kala Mutterliebe nicht so eifersüchtig wachsam gewesen, Tublat hätte längst diesen Schandfleck auf seinem Familienwappen beseitigt. Es war schon so lange her, daß Tarzan ein Mitglied des Stammes geworden war, daß Tublat völlig vergessen hatte, welche Umstände mit dem Eintritt des Dschungelfindlings in seine Familie verknüpft waren. Er bildete sich nun ein, Tarzan sei sein eigener Sprößling und das vermehrte seinen Kummer nicht wenig.
Das Seil hatte sich inzwischen an der rauhen Rinde des Baumastes durchgescheuert und gerade als Tarzan wieder bis zum höchsten Punkt des Bogens hinaufschwang, riß es durch. Die aufmerksamen Affen sahen den glatten braunen Körper nach außen und wie ein Bleigewicht herabschießen. Tublat machte einen Luftsprung und stieß aus, was wir im Menschenleben einen Freudenschrei genannt haben würden. Jetzt war es mit Tarzan und Tublats Hauptsorgen zu Ende. Von nun an konnte er sich in Ruhe und Sicherheit seines Lebens freuen. Tarzan fiel volle zwölf Meter hinab und landete mit dem Rücken auf einem dichten Busch. Kala, die wilde, häßliche, liebevolle Kala war als erste an seiner Seite. Schon einmal vor vielen Jahren hatte sie gesehen, wie ihr eigenes Balu durch einen solchen Sturz sein Leben verlor. Sollte ihr dieses auf dieselbe Weise entrissen werden? Als sie Tarzan fand, lag er ganz still tief im Busch eingebettet. Kala brauchte einige Minuten, um ihn freizubekommen und herauszuziehen. Er war nicht tot. Er war nicht einmal ernstlich verletzt, denn der Busch hatte die Wucht des Falles aufgehoben. Er hatte nur eine Wunde am Hinterkopf, der an einem zähen Stamm des Busches angeschlagen war, so daß er die Besinnung verloren hatte.
In wenigen Minuten war er so munter wie je, aber Tublat war grimmig. In seiner Wut schnappte er nach einem anderen Affen, ohne sich sein Opfer erst anzusehen und fand sich für seine schlechte Laune böse zugerichtet, denn er war gerade auf einen recht rauhen und kampflustigen, jungen Bullen im kräftigsten Alter getroffen.
Aber Tarzan hatte etwas Neues gelernt. Er hatte festgestellt, daß langedauernde Reibung die Fasern seines Seiles durchscheuerte. Doch manches Jahr ging hin, bis ihm diese Kenntnis weiter nützte, als daß sie ihn von zu langem Schaukeln ohne Pause abhielt, oder ihn warnte, sich mit seinem Seilende zu weit vom Boden abzuwagen.
Indessen kam der Tag, an welchem der nämliche Umstand, welcher ihm einst beinahe das Leben gekostet hätte, jetzt das Leben rettete.
Er war längst kein Kind mehr, sondern ein tüchtiger Kerl. Keiner war mehr da, um ihn sorgfältig zu bewachen; er brauchte solchen Schutz nicht mehr. Kala war tot und tot dazu war Tublat. Wenn auch mit Kala das einzige Geschöpf dahin war, das ihn wirklich geliebt hatte, so blieben doch deren, die ihn haßten, noch genug übrig, nachdem Tublat in den Schoß seiner Väter aufgenommen war. Nicht als ob sie ihn haßten, weil er grausamer und wilder gewesen wäre als sie, denn obgleich er grimmig und wild war wie seine tierischen Gefährten, war er doch auch oft mitfühlend, was bei ihnen nicht vorkam. Aber das, was bei denen, die ihn nicht liebten, böses Blut gegen Tarzan machte, war der Besitz und die Ausübung einer Eigenschaft, die ihnen fehlte und für die sie kein Verständnis hatten: der menschliche Sinn für Humor. Er war vielleicht bei Tarzan ein bißchen zu stark und zeigte sich oft in rauhen und handgreiflich peinlichen Scherzen an seinen Freunden und in der hartnäckigen Peinigung seiner Feinde.
Aber keinem von diesen zweien verdankte er die Feindschaft des Zauberers Bukawai, der weit nördlich von des Häuptlings Mbonga Dorf in der Höhle zwischen den zwei Hügeln hauste. Bukawai war auf Tarzan eifersüchtig und Bukawai war es, der um ein Haar Tarzan zugrunde gerichtet hätte. Monatelang hatte Bukawai seinen Haß in sich hineingefressen, denn Rache schien unerreichbar, weil Affentarzan meilenweit von Bukawais Gegend durch die Dschungel streifte. Nur einmal hatte der schwarze Zauberer den weißen Teufelsgott, so nannten ihn die Schwarzen meist, richtig gesehen, damals als ihn Tarzan um einen reichlichen Verdienst brachte. Bei dieser Gelegenheit hatte ihn Tarzan als Lügner und Betrüger entlarvt und seine Medizin als armselige Medizin erwiesen. Alles das konnte Bukawai nie vergeben, obgleich es unwahrscheinlich war, daß sich ihm je eine Gelegenheit zur Rache bieten würde.
Aber ganz unerwartet bot sie sich doch. Tarzan war weit droben im Norden auf der Jagd. Wie er mehr und mehr mit eintretender Reife sich angewöhnte, hatte er sich auf einem einsamen Jagdzuge für mehrere Tage weit von seiner Horde entfernt. Als Kind hatte er im Balgen und Spielen mit den jungen Affen seine Unterhaltung gefunden. Aber mittlerweile waren diese Spielgefährten zu sauertöpfischen, finsteren Bullen oder zu reizbaren, argwöhnischen Müttern herangewachsen, die eifersüchtig ihre hilflosen Balus bewachten. Daher fand Tarzan bald in seinem eigenen Menschenverstand einen besseren und treueren Begleiter als alle Affen Kerschaks zusammen abgeben konnten.
An diesem Jagdtage Tarzans bezog sich langsam der Himmel. Vielgestaltige Wolken, zu zerfetzten Nebelstreifen ausgepeitscht, flogen dicht über den Baumwipfeln dahin. Sie erinnerten Tarzan an die Flucht erschreckter Antilopen vor dem Ansprung eines hungrigen Löwen. Obgleich die Wolken so rasch dahinjagten, war es in der Dschungel noch totenstill. Nicht ein Blatt bewegte sich – tiefes, totes, unheimliches Schweigen herrschte. Selbst die Insekten schienen von der Vorahnung eines furchtbaren Geschehnisses bedrückt und die größeren Wesen gaben keinen Laut von sich.
Solch ein Wald, solch eine Dschungel mochte hier schon zu Anbeginn gestanden haben in jener undenkbar fernen Zeit, bevor Gott die Welt mit Lebewesen erfüllte, damals als es noch keine Stimmen gab, weil noch keine Ohren, sie zu hören, vorhanden waren.
Und über alledem lag ein krankhaftes, bleiches, ockergelbes Licht, unter dem die zerfetzten Wolken dahinrasten. Tarzan hatte solche Naturstimmungen schon oft erlebt, aber er konnte sich bei keiner solchen Begebenheit einem eigenartigen Gefühl entziehen. Furcht kannte er nicht, doch im Angesicht der grausigen, unermeßlichen Kräfte, welche die Natur dann offenbarte, fühlte er sich klein – sehr klein und sehr einsam.
Jetzt hörte er in der Ferne ein schwaches Ächzen. Die Löwen suchen ihre Beute, murmelte er für sich, während er nochmals nach den schnell dahinfliegenden Wolken sah. Das Ächzen schwoll zu einem Ton von großer Stärke. Sie kommen, sagte Affentarzan und suchte die Deckung eines dichtbelaubten Baumes auf. Ganz plötzlich bogen sich alle Baumwipfel gleichzeitig, als ob Gott seine flache Hand auf die Erde legte. Sie kommen vorbei, flüsterte Tarzan. Die Löwen kommen vorbei. Dann kam ein leuchtender Blitzstrahl, dem betäubender Donner folgte. Die Löwen sprangen an, rief Tarzan, und jetzt brüllen sie über den Körpern ihrer Opfer.
Die Bäume schwankten jetzt wild nach allen Richtungen, ein ganz dämonischer Sturm peitschte schonungslos über die Dschungel. Mitten dazwischen kam der Regen – nicht wie in den nördlichen Breiten, sondern als plötzliche, erstickende, blindmachende Sintflut. Das Blut der Opfer, dachte Tarzan und kauerte sich näher an den Stamm des großen Baumes, unter welchem er stand.
Als der Sturm losbrach, hatte sich Tarzan nahe am Rande der Dschungel befunden und in geringer Entfernung zwei Hügel bemerkt, aber nun konnte er nichts mehr sehen. Er unterhielt sich damit, in den peitschenden Regen hinauszusehen nach den zwei Hügeln zu suchen und sich vorzustellen, sie wären von den Regenströmen hinweggewaschen worden. Doch wußte er, daß der Regen bald aufhören, die Sonne wieder scheinen und alles wie vorher sein würde, während nur Zweige heruntergeschlagen waren und hier und da ein alter, morscher Patriarch niedergestürzt war, um die Erde wieder zu düngen, auf der er selbst vielleicht Jahrhundertelang groß geworden war. Durch die Gewalt des Wirbelsturmes oder die Wucht des stürzenden Wassers losgerissene Zweige und Blätter wirbelten durch die Luft und fielen zu Boden. Ein abgestorbener Stamm schwankte und fiel in einigen Schritt Entfernung zu Boden. Aber Tarzan war vor allen diesen Gefahren durch die weitreichenden Zweige des starken, jungen Dschungelriesen geschützt, unter den ihn seine Urwalderfahrung geführt hatte. Nur eine einzige Gefahr bestand und diese war nicht wahrscheinlich. Aber gerade dieser Fall trat ein. Ohne eine Andeutung schlug der Blitz über ihm in den Baum, und als der Regen nachließ und die Sonne durchkam, lag Tarzan langgestreckt, wie er gefallen war, zwischen den Trümmern des jungen Riesen, der ihn hatte beschützen sollen, auf dem Antlitz.
Bukawai kam nach dem Ende von Sturm und Regen an den Ausgang seiner Höhle und besah sich die Landschaft. Bukawai hatte nur noch ein Auge, aber hätte er auch ein Dutzend gehabt, er hätte dennoch an der frischen Pracht der wiederauflebenden Dschungel nichts Schönes gefunden.
Zu beiden Seiten des Alten standen seine ständigen und einzigen Begleiter, die zwei Hyänen und witterten. Plötzlich knurrte eine der beiden leise und schlich mit zurückgelegten Ohren schlangenartig und vorsichtig in die Dschungel. Die andere folgte. Bukawai fühlte seine Neugierde erwachen und ging mit einem schweren Knüttel in der Hand hinterher.
Ein paar Schritte vor dem hingestreckten Tarzan blieben die Hyänen schnüffelnd und knurrend stehen. Bukawai kam dazu und wollte erst seinen Augen nicht trauen. Aber als er sah, daß er wirklich den Teufelsgott vor sich hatte, kannte seine Wut keine Grenzen, denn er hielt ihn für tot und glaubte sich um seine lang erträumte Rache betrogen.
Die Hyänen näherten sich zähnefletschend dem Affenmenschen, als Bukawai mit einem Schrei dazwischenfuhr und grausam und wuchtig mit dem Knüttel auf sie losschlug, denn möglicherweise war doch noch Leben in dem regungslosen Körper. Schnappend und knurrend wollten die Bestien ihrem Herrn und Peiniger schon an die Kehle springen, aber die alte Furcht hielt sie immer noch zurück. Sie schlichen ein paar Schritte zurück und hockten sich auf die Schenkel nieder, während Haß und enttäuschter Hunger in ihren wilden Augen glühte.
Bukawai bückte sich und legte sein Ohr an das Herz des Affenmenschen. Es schlug noch. So weit seine abgestorbenen Gesichtszüge ein Lächeln verzeichnen konnten, taten sie es. Aber ein besonders schöner Anblick war es nicht. Neben dem Affenmenschen lag dessen langes Grasseil. Rasch band Bukawai seinem Gefangenen die steifen Arme auf den Rücken und nahm ihn auf die Schulter, denn so alt und von der Seuche mitgenommen er war, war er doch noch ein starker Mann. Die Hyänen blieben etwas zurück als der Zauberer nach der Höhle zu schritt, und trotteten nach, als er sein Opfer durch die langen, dunklen Gänge in die Eingeweide des Berges hineintrug. Durch unterirdische Räume, die durch gewundene Gänge miteinander verbunden waren, schwankte Bukawai mit seiner schweren Last. Jetzt machte der Gang eine scharfe Wendung, helles Tageslicht erstrahlte und Bukawai trat heraus in einen kleinen, kreisrunden Kessel im Hügel. Offenbar war es der Krater eines alten Vulkanes von jener Art, die es niemals bis zur Rangordnung eines richtigen Berges bringt, und eigentlich weiter nichts ist, als ein lavaumrändertes Loch an der Erdoberfläche.
Steile Wände umschlossen die Höhlung. Der Gang, durch welchen Bukawai gekommen war, bildete die einzige Lücke. Einige wenige verkümmerte Bäume wuchsen auf dem felsigen Boden. Oben in dreißig Meter Höhe konnte man die zackigen Lippen dieses kalten, toten Höllenrachens sehen.
Bukawai lehnte Tarzan gegen einen Baum und band ihn dort mit seinem eigenen Grasseil fest. Die Hände ließ er ihm dabei frei, aber er sicherte die Knoten so, daß sie der Affenmensch nicht erreichen konnte. Die Hyänen schlichen knurrend hin und her. Bukawai haßte sie, wie sie ihn haßten. Er wußte, daß sie nur darauf warteten, bis er hilflos geworden sein würde oder bis ihr Haß zu solcher Höhe gesteigert war, daß er ihre beklemmende Furcht vor ihm betäubte.
Im Innersten seines Herzens fürchtete sich Bukawai nicht wenig vor diesen abstoßenden Geschöpfen. Deshalb hielt er die Bestien stets gut in Futter und jagte oft genug für sie, wenn ihre eigene Jagd auf Beute erfolglos geblieben war. Aber mit der Grausamkeit eines kleinen, krankhaften, tierisch primitiven Gehirns konnte er es nicht unterlassen, sie zu quälen.
Als ganz kleine Junge hatte er sie gefunden und aufgezogen. So hatten sie nie eine andere Lebensweise als die bei ihm kennen gelernt und obgleich sie zum Jagen herumstreiften, kamen sie doch immer wieder zu ihm zurück. Bukawai kam schließlich zur Überzeugung, daß sie nicht sowohl aus Gewohnheit immer wiederkamen, sondern unter dem Einfluß einer Höllengeduld, die lieber jede Schmach und jede Pein auf sich nimmt, als daß sie auf ihre endliche Rache verzichtet. Bukawai brauchte wenig Phantasie, um sich auszumalen, welcher Art diese Rache sein würde. Heute konnte er selbst mit ansehen, welches sein Ende sein würde, aber ein anderer würde Bukawai vorstellen.
Sobald er Tarzan sicher festgebunden hatte, ging Bukawai in den Gang zurück, trieb die Hyänen vor sich her, zog ein Gitter aus verflochtenen Zweigen vor die Öffnung, das den Krater während der Nacht von der Höhle abschloß, damit Bukawai nachts ruhig schlafen konnte, denn die Hyänen wurden dann immer in den Krater gesperrt, sonst konnten sie in der Dunkelheit den schlafenden Bukawai überfallen.
Bukawai begab sich mit einem Gefäß zum Ausgang der vorderen Höhle, füllte es an der Quelle in der kleinen Felsschlucht mit Wasser und kam damit zum Krater zurück. Die Hyänen standen vor dem Gitter und sahen hungrig nach Tarzan. Sie sollten nicht das erstemal so gefüttert werden.
Der Zauberer näherte sich Tarzan und schüttete ihm einen Teil vom Inhalt des Gefäßes in das Gesicht. Erst blinzelten dessen Augenlider nur, aber bei dem zweiten Guß öffnete Tarzan die Augen und sah sich um.
Teufelsgott! rief Bukawai. Ich bin der große Zauberer. Meine Medizin ist stark. Deine ist schwach. Ständest du hier angebunden wie eine Ziege als Köder für die Löwen, wenn es anders wäre?
Tarzan verstand den Zauberer nicht, deshalb gab er keine Antwort, sondern sah nur Bukawai kalt und starr an. Die Hyänen krochen von hinten sachte näher. Er hörte sie knurren, aber er wandte nicht einmal den Kopf. Er war ein Tier mit einem Menschenverstand. Das Tier in ihm weigerte sich angesichts eines Todes, den der Menschenverstand bereits als unvermeidlich erkannt hatte, Furcht zu zeigen.
Bukawai war noch nicht soweit, sein Opfer den Bestien schon zu geben und stürzte sich mit seinem Knüttel auf die Hyänen. Es gab ein kurzes Scharmützel, in dem die Tiere wie stets unterlagen. Tarzan sah dabei zu und bemerkte, welcher Haß zwischen dem Paar und diesem häßlichen Abbild eines Menschen bestand.
Als die Hyänen eingeschüchtert waren, machte sich Bukawai wieder daran, Tarzan zu verhöhnen, aber da der Zauberer herausfand, daß der Affenmensch nichts von seinen Reden verstand, ließ er schließlich davon ab. Er zog sich in den Gang zurück und schob das Gitterflechtwerk vor die Öffnung. Dann holte er sich eine Schlafmatte aus der Höhle und legte sie an die Öffnung, um sich hinlegen und in aller Ruhe das Schauspiel seiner Rache genießen zu können.
Die Hyänen strichen verstohlen um den Affenmenschen herum. Tarzan spannte einen Augenblick seine Muskeln, aber er sagte sich bald, daß ein Seil, das er gefertigt hatte, um Numa, den Löwen, damit zu zähmen, ihn ebenso sicher halten würde. Wohl hatte er keine Lust zu sterben, aber er konnte dem Tode diesmal so gut wie schon oft ohne Zittern ins Angesicht sehen.
Als er an dem Seil zog, fühlte er, wie es sich an dem dünnen Baum, um den es geschlungen war, rieb. Wie im Lichtspiel auf der Leinwand erstand vor seinem geistigen Auge ein Bild aus dem Lagerbestand seines Gedächtnisses. Er sah sich als kleine Knabengestalt hoch über dem Boden am Ende eines Seiles schwingen. Er sah viele Affen von unten zuschauen und dann sah er das Seil reißen und den Knaben auf den Boden hinabstürzen. Tarzan lächelte und begann alsbald das Seil rasch an dem Baumstamm hin und her zu ziehen.
Die Hyänen faßten Mut und kamen näher. Sie schnüffelten bereits an seinen Beinen, aber als er mit den freien Armen nach ihnen schlug, wichen sie zurück. Er wußte, daß sie ihn angreifen würden, wenn ihr Hunger stärker wurde. Kalt und methodisch, ohne jede Hast zog Tarzan das Seil über den rauhen Stamm des kleinen Baumes hin und her.
Bukawai schlief am Eingang seiner Höhle ein. Er dachte sich wohl, es werde noch einige Zeit dauern, ehe die Bestien genug Mut oder Hunger halten, den Gefangenen anzugreifen. Ihr Geknurr und die Schreie des Opfers würden ihn dann schon aufwecken. Inzwischen konnte er ruhig schlafen; und das tat er denn auch. Der Tag ging herum, denn die Hyänen waren nicht sehr hungrig und das Seil, welches Tarzan band, war stärker als das in seiner Kindheit, welches so rasch der Schürfung auf der rauhen Baumrinde erlegen war. Die ganze Zeit über wuchs der Hunger der Bestien und die Stränge des Grasseils wurden dünner und dünner. Bukawai schlief ruhig weiter.
Es war schon Spätnachmittag, als das eine Tier vom Nagen des Hungers getrieben sich rasch und knurrend auf den Affenmenschen warf. Das Geräusch dabei weckte Bukawai auf. Er richtete sich schleunigst auf und beobachtete die Vorgänge im Krater. Er sah, wie sich die hungrige Hyäne auf den Mann stürzte und ihm an die ungeschützte Kehle sprang; dann sah er, wie Tarzan zugriff und die knurrende Bestie packte, während die andere Hyäne auf des Teufelsgottes Schulter sprang. Eine mächtige Welle ging durch den großen, glatthäutigen Körper. Runde Muskeln wölbten sich unter der braunen Haut zu großen, straffen Tauen – der Affenmensch warf sich mit seinem vollen Gewicht und seiner riesigen Kraft vorwärts – die Fesseln rissen und die drei rollten knurrend, schnappend und reißend über den Boden des Kraters.
Bukawai sprang auf die Füße. Sollte etwa der Teufelsgott über seine Diener die Oberhand behalten? Unmöglich! Das Geschöpf war ja unbewaffnet, lag am Boden und die zwei Hyänen waren auf ihm. Aber Bukawai kannte Tarzan noch nicht.
Der Affenmensch drückte der einen Hyäne mit den Fingern die Kehle zu und erhob sich auf ein Knie, obgleich die andere Bestie mit wahnsinnigem Zerren versuchte, ihn niederzuhalten. Mit einer einzigen Hand hielt Tarzan die eine fest, während er jetzt mit der anderen Hand zugriff und das zweite Tier zu sich heranzog.
Jetzt sah Bukawai, daß seine Streitkräfte ins Wanken gerieten und rannte, seinen Knüttel schwingend, aus der Höhle hervor. Tarzan sah ihn kommen, erhob sich, eine Hyäne in jeder Hand, und schleuderte dem Zauberer die eine der fauchenden Bestien gerade an den Kopf. Als schnarrender, beißender Haufen stürzten die beiden übereinander zu Boden. Tarzan warf die zweite Hyäne über den Krater hin, während die erste ihren Herrn in das zerfressene Gesicht biß. Aber damit war der Affenmensch nicht einverstanden. Mit einem Fußtritt sandte er das Vieh heulend seinem Gefährten nach, sprang zu dem niedergestreckten Zauberer und hob ihn auf seine Füße.
Bukawai war noch bei Bewußtsein und fiel Tarzan mit Nägeln und Zähnen an, als er den unmittelbaren und schrecklichen Tod aus den kalten Augen seines Bewältigers las. Tarzan schauderte, als ihm das verwüstete Gesicht so nahe kam. Die Hyänen hatten genug und verschwanden durch die schmale Öffnung nach der Höhle zu. Tarzan hatte keine große Schwierigkeit, Bukawai zu überwältigen und zu binden. Dann führte er ihn an den nämlichen Baum, an den er gebunden gewesen war. Aber als er Bukawai festband, achtete er wohl darauf, daß ein Entkommen, so wie es ihm gelungen war, nicht mehr im Bereiche der Möglichkeit lag. Dann verließ er ihn.
Auf seinem Wege durch die gewundenen Gänge und unterirdischen Räume sah Tarzan nichts von den Hyänen.
Die werden schon wiederkommen, sagte er zu sich.
Drin im Krater zwischen den turmhohen Wänden zitterte Bukawai im kalten Todesschauer.
Sie werden wiederkommen! rief er und seine Stimme erhob sich zu einem angsterfüllten Schrei.
Und sie kamen.