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Der Tag war herrlich. Ein kühlender Wind mäßigte die Hitze der Äquatorsonne. Friede hatte seit Wochen im Stamme geherrscht und kein fremder Feind war von außen in seine Reviere eingedrungen. Für den Affenverstand war dies ein hinreichendes Anzeichen dafür, daß die Zukunft der jüngsten Vergangenheit gleichen werde – daß dieses Schlaraffenleben bestehen bleiben werde.
Die Wachtposten, die aus einem Versuch zu einem festen Stammesbrauch geworden waren, ließen in der Wachsamkeit nach oder verließen ihren Posten ganz, wie es ihnen die Laune gerade eingab. Die Horde hatte sich beim Suchen nach Futter weit auseinandergezogen. So können langer Frieden und gute Zeiten die Sicherheit des primitivsten Gemeinwesens so gut wie die des höchstkultivierten untergraben.
Selbst die Einzelindividuen waren weniger wachsam und munter, so daß man hätte denken können, Numa, Gabor und Sheeta seien gänzlich aus dem Dasein verbannt. Die Weibchen und die Balus trieben sich unbewacht in der düsteren Dschungel herum, während die gierigen Männchen weit fort nach Nahrung suchten. So streifte daher auch Teeka mit Gazan, ihrem Balu, an der äußersten Südecke des Stammes nach Futter, ohne daß ein größeres Männchen in der Nähe war.
Noch weiter unten im Süden bewegte sich eine finstere Gestalt durch den Forst – ein ungeheurer Affenbulle, der durch Einsamkeit und Niederlage bis zur Tollheit gereizt war. Vor einer Woche hatte er sich das Königtum einer entfernten Horde erstreiten wollen, und nun strich er, geschlagen und noch wundmüde als Ausgestoßener durch die Wildnis. Vielleicht konnte er später wieder zu seinem eigenen Stamm zurückkehren, wenn er sich dem Willen der haarigen Bestie unterwerfen wollte, die er zu entthronen versucht hatte, aber vorderhand durfte er das noch nicht wieder wagen, denn er hatte nicht nur die Krone, sondern auch die Weiber seines Herrn und Meisters gewinnen wollen. Es dauerte mindestens einen Monat, bis seine Untaten in Vergessenheit gerieten, und so wanderte Toog derweil durch ein fremdes Dschungelrevier, grimmig, schreckendrohend und von Haß erfüllt.
In diesem Geisteszustand traf Toog unerwartet auf ein junges Weibchen, das allein in der Dschungel Nahrung suchte – eine fremde Äffin war es, schlank, stark und unvergleichlich schön. Toog hielt den Atem an und huschte rasch auf die eine Seite der Fährte, auf der das dichte Laubwerk des tropischen Unterholzes ihn vollkommen vor Teeka verbarg und ihm gleichzeitig gestattete, seine Augen an ihrer Lieblichkeit zu ergötzen.
Aber nicht allein mit Teeka befaßte er sich, seine Augen suchten rundherum in der Dschungel nach den Bullen und Äffinnen und Balus von deren Stamm, aber besonders nach den Bullen hielten sie Ausschau. Wenn einer eine Äffin von einem anderen Stamme begehrt, muß er sich wohl vor den wilden, großen, behaarten Beschützern hüten, die selten weit von ihren Schutzbefohlenen weggehen und mit einem Fremden bis zum Tode bei der Beschützung der Ehegattin oder des Sprößlings eines Gefährten kämpfen würden, genau so wie sie es für ihre eigenen täten.
Toog fand weiter kein Anzeichen von irgend einem Affen außer dem fremden Weibchen und dem jungen bei ihr spielenden Balu. Seine boshaften, blutunterlaufenen Augen schlossen sich halb, als sie auf den Reizen des ersteren haften blieben – was das Balu anbetraf, so würde ein Biß seiner starken Zähne in das kleine Genick es schon abhalten, unnötigen Lärm zu schlagen.
Toog war ein schönes, großes Männchen und glich in vieler Beziehung Teekas Ehegatten Taug. Beide standen in der Blüte des Lebens, beide waren wundervoll muskulös, hatten fehlerlose Gebisse und waren so schreckenerregend wild, wie sich die anspruchsvollste und wählerischste Äffin es nur wünschen konnte. Wenn Toog zu ihrem eigenen Stamm gehört hätte, würde Teeka in der Paarungszeit ebenso gerne ihn wie Taug erwählt haben. Aber jetzt gehörte sie Taug und kein anderes Männchen konnte auf sie Anspruch machen, ehe es nicht erst im Zweikampf Taug besiegt hatte. Und selbst dann hatte Teeka in der Sache noch ein Wort mitzureden. Wenn sie einen Ehebrecher nicht begünstigen wollte, konnte sie den Kampfplatz an der Seite ihres rechtmäßigen Gatten betreten und ihren Teil zur Entmutigung des Bewerbers beitragen, einen Teil, der bei ihr keine geringe Unterstützung ihres Herrn und Meisters bedeutet hätte, denn obgleich Teekas Fangzähne kleiner als die ihres Gatten waren, verstand sie doch diese vorzüglich zu gebrauchen.
Teeka war gerade mit einer sie ganz in Anspruch nehmenden Jagd nach Käfern beschäftigt, die sie für alles andere blind machte. Sie hatte keine Ahnung, daß sie sich mit Gazan so weit von der übrigen Horde entfernt hatte und ihre für die Abwehr wirksamen Sinne waren auch nicht so wach, als wie sie es hätten sein sollen. Die monatelange Sicherheit unter der schützenden Wachsamkeit der Wachtposten, deren Aufstellung Tarzan den Stamm gelehrt hatte, hatte sie alle in ein Gefühl jener friedlichen Sicherheit gewiegt, die schon vielen blühenden Gemeinwesen in der Vergangenheit den Untergang brachte und auch in Zukunft noch viele ins Verderben stürzen wird – nämlich das Gefühl, sie seien, weil sie bisher noch nicht angegriffen wurden, auch in Zukunft davor sicher.
Sobald sich Toog vergewissert hatte, daß nur die Äffin und das Balu in der Nähe waren, kroch er vorsichtig näher. Noch hielt Teeka ihm den Rücken zugekehrt, als er auf sie zusprang, aber ihre Sinne waren endlich doch für das Gefühl der Gefahr wach geworden, und so drehte sie sich gerade noch um, ehe sie der fremde Affe erreichte und sah ihm in das Gesicht. Toog machte einige Schritte vor ihr Halt. Vor den verführerischen weiblichen Reizen seines Gegenübers war seine böse Laune verflogen. Er gab einen einschmeichelnden Laut von sich – eine Art Schnalzlaut – mit seinen breiten, flachen Lippen, ein Ton, der dem Geräusch nicht sehr unähnlich war, das einer hervorbringt, wenn er für sich einen Kußlaut nachmacht.
Aber Teeka entblößte nur ihre Zähne und knurrte. Klein-Gazan wollte zu seiner Mutter rennen, aber mit einem raschen »Kreeg-ah!« befahl sie ihm, auf einen hohen Baum hinaufzuklettern; augenscheinlich hatte ihr neuer Anbeter keinen günstigen Eindruck auf sie gemacht. Toog merkte das und änderte dementsprechend seine Annäherungsversuche. Er warf sich nun in seine riesige Brust, schlug mit den schwieligen Fäusten darauf und schritt gravitätisch vor ihr hin und her.
Ich bin Toog, prahlte er. Sieh meine Reißzähne. Schau auf meine riesigen Arme und meine mächtigen Beine. Mit einem Biß kann ich den mächtigsten Bullen von euch töten. Ich habe ganz allein Sheeta getötet. Ich bin Toog. Toog will dich haben. Dann wartete er auf den Erfolg und brauchte nicht lange zu warten. Mit einer ihr großes Gewicht Lügen strafenden Gewandtheit drehte sich Teeka um und schoß in der entgegengesetzten Richtung davon. Toog sprang ärgerlich knurrend zur Verfolgung hinterher, aber das kleinere, leichtere Weibchen war für ihn zu schnellfüßig. Er jagte sie ein paar Schritte weit, dann blieb er fauchend und bellend stehen und trommelte mit den harten Fäusten auf dem Boden.
Von der Höhe des Baumes sah Klein-Gazan des fremden Bullen Verdruß mit an. Da er noch jung war und sich außerhalb des Bereiches des schweren Affen für sicher hielt, schrie er dem Verfolger einen unzeitigen Schimpf zu. Toog blickte auf. Teeka stand in einiger Entfernung – weit konnte sie von dem Balu nicht Weggehen; Toog hatte das bald erfaßt und beschloß ebenso rasch, daraus Vorteil zu ziehen. Er sah, daß der Baum, auf welchem der junge Affe hockte, allein stand, so daß Gazan auf keinen anderen kommen konnte, ohne vorher zur Erde herabzumüssen. Er wollte sich die Mutter durch die Liebe zu ihrem Jungen gewinnen.
Er schwang sich nun auf die unteren Zweige des Baumes. Gazan ließ ab, ihn zu beschimpfen. Sein bisheriger spitzbübischer Ausdruck machte dem der Vorahnung und dieser rasch dem der Furcht Platz, als Toog begann, zu ihm hinaufzuklettern. Teeka schrie Gazan zu, er solle höher klettern, und der kleine Bursche klomm bis in die dünnen Zweige hinauf, die das Gewicht des großen Bullen nicht tragen konnten, aber trotzdem kletterte Toog weiter nach. Gleichwohl hatte Teeka keine Besorgnis. Sie wußte, daß er nicht hoch genug steigen konnte, um Gazan zu packen, darum setzte sie sich in einiger Entfernung von dem Baum nieder und gab dem Affen Dschungelschimpfnamen. Als Weibchen war sie natürlich eine besondere Meisterin in dieser Kunst.
Aber sie kannte die boshafte Schlauheit von Toogs kleinem Gehirn nicht. Sie nahm als selbstverständlich an, daß der Affe Gazan so weit als möglich nachklettern würde; wenn er dann herausfand, daß er ihn nicht erreichen konnte, würde er wieder die Verfolgung ihrer Person aufnehmen, die, wie sie wußte, ebenso fruchtlos verlaufen würde. Derartig überzeugt war sie von der Sicherheit ihres Balus und ihrer eigenen Fähigkeit, für sich Sorge zu tragen, daß sie den Hilfeschrei, der schnell die anderen Mitglieder der Horde in Menge an ihre Seite gebracht hätte, gar nicht erst ausstieß.
Toog kletterte langsam so weit hinauf, als er sein großes Gewicht nur irgend den schlanken Zweigen anvertrauen durfte. Gazan war immer noch volle fünf Meter über ihm. Der Bulle spreizte sich ab, dann packte er den Hauptast mit seinen starken Händen und begann ihn stark zu schütteln. Teeka war entsetzt. Sie sah sofort, was der Bulle vorhatte. Gazan hing weit draußen an einem schwingenden Ast. Gleich beim ersten Schütteln hatte er das Gleichgewicht verloren, war aber nicht gefallen, sondern hielt sich mit seinen vier Händen fest. Aber Toog verdoppelte seine Anstrengungen. Das Schütteln verursachte ein heftiges Hin- und Herschlagen des Zweiges, an den sich der junge Affe klammerte. Teeka sah nur zu klar, was der Ausgang sein mußte, vergaß unter der Gewalt der Mutterliebe ihre eigene Sicherheit und sprang vorwärts, um den Baum zu ersteigen und das furchtbare Geschöpf zu bekämpfen, das das Leben ihres Kleinen bedrohte.
Aber noch ehe sie den Stamm erreichte, hatte Toog durch heftiges Schütteln Gazans Halt erfolgreich gelöst. Mit einem Schrei sauste der kleine Bursche durch das Laub hinab, griff vergeblich nach einem neuen Halt und schlug mit einem erschreckenden, dumpfen Ton vor den Füßen seiner Mutter auf, wo er still und regungslos liegen blieb. Jammernd bückte sich Teeka, um die regungslose Gestalt in ihre Arme zu nehmen, aber im selben Augenblick war auch schon Toog auf ihr.
Ringend und beißend focht sie, um sich zu befreien, aber die Riesenmuskeln des großen Bullen waren zuviel für ihren schwächeren Bau. Toog schlug und würgte sie wiederholt, bis sie sich schließlich halb bewußtlos gewissermaßen in ihr Schicksal ergab. Dann hob sie der Bulle auf die Schulter und marschierte auf der Fährte nach Süden zurück, auf der er gekommen war.
Auf dem Boden lag die stille Gestalt des kleinen Gazan. Er stöhnte nicht. Er regte sich nicht. Langsam stieg die Sonne zum Zenith. Ein naseweises Ding schnüffelte mit der Nase in der Dschungelbrise und kroch durch das Unterholz. Es war Dango, die Hyäne. Schon drängte sich die häßliche Schnauze durch das nahe Blätterwerk und die grausamen Augen hefteten sich auf Gazan.
*
Tarzan hatte sich an diesem Morgen schon früh nach der Hütte an der See begeben, in der er so manche Stunde verbrachte, wenn die Horde sich in der Nachbarschaft aufhielt. Auf dem Boden lag das Skelett eines Mannes – alles was von dem früheren Lord Greystoke übrig war – lag, wie es vor zwanzig Jahren gefallen war, als diesen Kerschak, der Riesenaffe, leblos hingeworfen hatte. Seitdem hatten die Termiten und kleinen Kriechtiere längst das feste Gebein des Engländers blank genagt. Jahrelang hatte es Tarzan schon liegen sehen, ohne ihm mehr Aufmerksamkeit zu schenken als den unzähligen Tausenden von Knochen, die über sein Dschungelrevier verstreut lagen. Auf dem Bett ruhte ein anderes, kleineres Skelett, und der Jüngling kümmerte sich so wenig darum wie um das erste. Was sollte er wissen, daß eines sein Vater und das andere seine Mutter gewesen war? Auch das Häufchen Knochen in der rohen, mit soviel liebevoller Sorgfalt vom toten Lord Greystoke gefertigten Wiege bedeutete ihm nichts. Daß eines Tages der kleine Schädel dazu helfen mußte, sein Anrecht auf einen stolzen Titel zu beweisen, ging ebensoweit über seine Begriffe wie die Satelliten der Orionsonnen. Für Tarzan waren es eben Knochen – Knochen, weiter nichts. Er konnte sie nicht brauchen, denn es war ja kein Fleisch daran, aber sie waren ihm auch nicht im Wege, denn ein Bett war für ihn nicht nötig und über das Skelett auf dem Boden konnte er ja leicht hinübersteigen.
Heute hatte er keine rechte Ruhe. Er blätterte erst von dem einen Buche, dann von dem anderen die Seiten um, er beschaute die Bilder, die er schon auswendig kannte und stieß schließlich die Bücher beiseite. Er kramte zum tausendsten Male im Spind und nahm einen Beutel heraus, der verschiedene kleine, runde Stücke Metall enthielt. Viele Male hatte er in den vergangenen Jahren damit gespielt, aber immer hatte er sie wieder sorgfältig in den Beutel gesteckt und den Beutel in dasselbe Fach des Spindes gelegt, in dem er ihn beim ersten Male gefunden hatte. Auf merkwürdige Weise tat sich die Vererbung bei dem Affenmenschen kund. Von einem ordnungsliebenden Geschlecht abstammend, war er selbst ordnungsliebend, ohne zu wissen warum. Die Affen warfen Dinge, an denen ihr Interesse erlahmte, einfach ins hohe Gras oder von den Ästen der Bäume herunter. Was sie so weggeworfen hatten, fanden sie durch Zufall manchmal wieder, manchmal auch nicht, aber Tarzan war ganz anders. Er hatte für seine wenigen Besitzstücke einen Aufbewahrungsplatz und legte jedes Stück, sobald er es nicht mehr brauchte, peinlich genau an seinen Platz zurück. Die runden Metallstücke in dem kleinen Beutel unterhielten ihn immer. Auf der einen Seite waren erhabene Bilder, deren Bedeutung er nicht ganz verstand. Die Stücke waren glatt und glänzend. Er hatte seine Freude daran, aus ihnen auf dem Tisch verschiedenartige Figuren zu bilden. Hundertmal hatte er so gespielt. Während er heute damit beschäftigt war, ließ er ein hübsches, gelbes Stück – ein englisches Goldstück – fallen, dieses rollte unter das Bett, auf dem die sterblichen Überreste der einst so schönen Lady Alice lagen.
Der ordnungsliebende Tarzan suchte alsbald auf allen Vieren unter dem Bett nach dem verlorenen Goldstück. Merkwürdigerweise hatte er nie zuvor unter das Bett gesehen. Er fand sein Goldstück und außerdem noch etwas anderes – eine kleine Holzkiste mit einem losen Deckel. Er nahm beides unter dem Bett vor, steckte das Goldstück in seinen Beutel und den Beutel in sein gehöriges Spindfach; dann untersuchte er die Kiste. Sie enthielt eine Menge zylindrischer Metallstücke, die am einen Ende konisch, am anderen Ende flach mit einem vorspringenden Rande waren. Sie waren alle ganz grün und matt und mit einer Haut von jahrzehntealtem Grünspan überzogen.
Tarzan nahm eine Handvoll aus der Kiste und untersuchte sie. Er rieb sie aneinander und entdeckte, daß das Grün abging und daß auf zwei Drittel der Länge eine glänzende Oberfläche und an dem konischen Teil ein stumpfes Grau herauskam. Er nahm ein Stückchen Holz und rieb einen der Zylinder rasch ab. Zu seiner Belohnung erzielte er einen glänzenden Schein, der ihm gefiel.
An seiner Seite hing eine Tasche, die er einem der vielen von ihm besiegten schwarzen Krieger abgenommen hatte. In diese Tasche steckte er eine Handvoll der neuen Spielzeuge, die er bei gelegentlicher Muße blank zu polieren gedachte. Dann stellte er die Kiste wieder unter das Bett, und verließ die Hütte, da er weiter keine Unterhaltung fand, um zu den Affen zurückzukehren.
Kurz bevor er sie erreichte, hörte er bereits vor sich einen großen Aufruhr – lautes Schreien der Weibchen und der Balus, wildes, ärgerliches Bellen und Knurren der großen Bullen. Er beschleunigte alsbald seinen Weg, denn die ihm zu Ohren kommenden »Kreeg-ahs!« meldeten ihm, daß etwas bei seinen Gefährten nicht richtig war.
*
Während sich Tarzan in der Hütte seines toten Vaters mit seinen eigenen Angelegenheiten befaßte, war Taug, Teekas riesiger Gatte, eine Meile nördlich von seinen Stammesgenossen auf die Jagd gegangen. Als er sich endlich den Magen gefüllt hatte, wandte er sich träge zu der Lichtung zurück, wo er die Horde zuletzt gesehen hatte und kam bald an Gruppen von zweien und dreien vorbei. Da er weder Teeka noch Gazan irgendwo erblicken konnte, fragte er die anderen Affen nach ihrem Verbleib; aber keiner hatte sie zuletzt gesehen.
Nun besitzen die niederen Gattungen keine hochentwickelte Einbildungskraft. Sie können sich nicht, wie wir, im Geiste in lebhaften Bildern ausmalen, was geschehen sein könnte, und deshalb ahnte Taug noch nicht, daß seiner Ehegattin und seinem Sprößling ein Unglück zugestoßen war – er wußte nur, daß er Teeka zu finden wünschte. Sie sollte sich mit ihm in den Schatten legen und ihm den Rücken kratzen, während er sein Frühstück verdaute. Aber obgleich er sie rief und suchte und jeden, den er traf, nach ihr fragte, konnte er doch keine Spur von Teeka noch von Gazan finden.
Er begann nun ungeduldig zu werden und war entschlossen, Teeka zu züchtigen, weil sie so weit fort war, während er sie brauchte. Er ging eine Wildfährte gen Süden. Seine schwieligen Sohlen und Handknöchel machten keinerlei Geräusch, als er Dango am anderen Ende einer kleinen Lichtung antraf. Der Aasfresser sah Taug nicht, weil er nur für etwas Augen hatte, das unter einem Baume im Gras lag – irgend etwas, das er mit der vorsichtigen, verstohlenen Art seiner Gattung beschlich.
Immer vorsichtig, wie es sich für einen gehört, der in der Dschungel herumkommt und sein Leben erhalten will, schwang sich Taug geräuschlos auf einen Baum, von dem aus er die Lichtung besser übersehen konnte. Er fürchtete Dango nicht, aber er wollte sehen, was Dango beschlich. In gewisser Beziehung handelte er wohl ebensosehr aus Neugierde wie aus Vorsicht.
Als dann Taug auf den Zweigen einen Platz erreichte, von dem aus er einen ungehinderten Überblick über die Lichtung hatte, sah er, daß Dango bereits etwas direkt unter sich beschnüffelte – etwas, das Taug sofort als die leblose Gestalt seines kleinen Gazan erkannte.
Mit einem so fürchterlichen, so bestialischen Schrei, daß Dango für den Augenblick vor Entsetzen gelähmt war, warf der große Affe seinen mächtigen Körper auf die überraschte Hyäne. Dango brach mit einem Schrei und einem Schnarren auf dem Boden zusammen, und wand sich, um nach seinem Gegner zu beißen. Aber ebenso wirkungslos hätte ein Sperling einen Habicht angegriffen. Taugs große, knorrige Finger umfaßten Hals und Genick der Hyäne, seine Kinnladen schnappten einmal nach dem bösen Nacken und zermalmten die Wirbelsäule, dann warf er den toten Körper verächtlich beiseite.
Abermals erhob er seine Stimme zum Ruf des männlichen Affen nach seiner Ehegattin, aber es kam keine Antwort. Dann legte er sich nieder, um Gazans Körper zu beriechen. In der Brust dieses wilden, abschreckenden Tieres schlug ein Herz, das ebensogut, wenn auch schwächer, von den gleichen Empfindungen der Vaterliebe bewegt wurde, die uns berühren. Auch wenn kein Anzeichen dafür vorhanden gewesen wäre, müssen wir dies annehmen, da sich nur so das Überleben der Rassen erklären läßt, weil sonst in ihnen die Eifersucht und Selbstsucht der Männchen schon die Jungen gleich beim Erscheinen auf der Welt ausgerottet hätte, hätte nicht Gott in den grimmen Busen jene Vaterliebe eingepflanzt, die sich am stärksten in dem Beschützerinstinkt des Männchens offenbart.
Bei Taug war nicht allein dieser Beschützerinstinkt hoch entwickelt, sondern auch die Zuneigung zu seinem Sprößling, denn Taug war ein ungewöhnlich intelligentes Exemplar dieser großen, menschenähnlichen Affen, über welche die Eingeborenen nur im Flüstertöne sprechen, und die kein weißer Mann je gesehen hat.
Daher fühlte Taug denselben Kummer wie jeder andere Vater ihn wegen des Verlustes eines kleinen Kindes fühlt. Für uns mochte vielleicht der kleine Gazan eine häßliche, abstoßende Kreatur gewesen sein, aber für Taug und Teeka war er schön und ebenso gescheit wie für euch euer kleiner Hans oder euer Mariechen oder Elisabeth, und außerdem war er der Erstgeborene, der Einzige und ein Sohn – drei Dinge, die jeden jungen Affen zu des Vaters Augapfel machen!
Einen Augenblick lang beroch Taug die regungslose kleine Gestalt. Mit Schnauze und Zunge glättete und liebkoste er das verschrammte Fell. Ein leises Stöhnen brach über seine wilden Lippen, aber der überwältigende Wunsch nach Rache folgte seinem Kummer auf dem Fuße nach.
Er sprang auf die Füße und stieß eine kreischende Salve von »Kreeg-ahs!« aus, die er von Zeit zu Zeit mit dem schauerlichen, bluterstarrenden Schrei des wütenden, kampfdrohenden Affenbullen unterbrach. Er war jetzt ein tollwütiger Bulle mit stark zur Aufwallung kommendem Blutdurst.
Als Antwort auf seinen Schrei hörte er die Rufe der Horde, die sich durch die Bäume auf ihn zuschwang. Diese hatte auch Tarzan vernommen, als er von seiner Hütte zurückkam. Als Antwort darauf ließ Tarzan seine eigene Stimme erschallen und jagte mit verdoppelter Eile vorwärts, bis er auf halber Höhe der Bäume nur so dahinflog.
Endlich erreichte er die Horde und sah die Affen um Taug und etwas still auf dem Boden Liegendes versammelt. Taug brüllte immer noch seinen Kampfruf ins Weite, aber als er Tarzan sah, hielt er ein, bückte sich, hob Gazan in seinen Armen auf und hielt ihn Tarzan hin. Tarzan war der einzige von allen männlichen Angehörigen des Stammes, zu dem Taug so etwas wie Zuneigung spürte. Auf Tarzan vertraute er und sah zu ihm wie zu einem weiseren und klügeren Wesen auf. So kam er auch jetzt zu Tarzan – zu dem Spielgefährten aus der Zeit, als sie Balus waren, zu dem Genossen in den unzähligen Kämpfen seiner reiferen Jahre.
Als Tarzan Gazans leblose Gestalt in Taugs Armen erblickte, kam ein leises Knurren über seine Lippen, denn auch er liebte Teekas kleines Balu.
Wer hat das getan? fragte er. Wo ist Teeka?
Ach weiß es nicht, erwiderte Taug. Ich fand ihn hier, als ihn Dango eben fressen wollte, aber Dango ist nicht der Täter – er trägt keine Bißspuren.
Tarzan trat herzu und legte ein Ohr an Gazans Brust. Er ist nicht tot, sagte er. Vielleicht bleibt er am Leben. Darauf drängte er sich durch den Haufen der Affen, ging rund um sie herum und untersuchte Schritt für Schritt den Boden. Plötzlich machte er Halt, legte seine Nase auf den Boden und suchte die Witterung. Alsbald sprang er auf die Füße und stieß einen eigenartigen Schrei aus. Taug und die anderen stürmten zu ihm hin, denn der Klang sagte ihnen, daß der Jäger die Spur seines Wildes gefunden hatte.
Ein fremder Bulle war hier, sagte Tarzan. Er hat Gazan verletzt und Teeka fortgeschleppt.
Taug und die übrigen Affen begannen zu brüllen und zu drohen, aber weiter wußten sie nichts zu tun. Wäre der fremde Bulle in Sichtweite gewesen, dann hätten sie ihn in Stücke gerissen; aber ihn zu verfolgen, kam ihnen nicht in den Sinn.
Wenn die drei Bullen rund um den Stamm auf Posten gewesen wären, hätte das nicht vorkommen können, sagte Tarzan. Solche Geschichten werden sich immer wieder ereignen, solange ihr nicht die drei Bullen als Wache gegen Feinde aufstellt. Die Dschungel wimmelt von Feinden, und doch laßt ihr eure Weibchen und eure Balus, wo sie wollen, allein und ohne Schutz, Futter suchen. Tarzan geht jetzt – er geht, um Teeka zu suchen und zu ihrem Stamm zurückzubringen.
Dieser Gedanke gab den anderen Bullen eine Anregung.
Wir gehen alle mit, schrien sie.
Nein, sagte Tarzan, ihr werdet nicht alle gehen. Wenn wir zu Verfolgung und Kampf ausziehen, können wir die Weibchen und die Balus nicht mitnehmen. Ihr müßt hierbleiben, um sie zu beschützen, oder ihr werdet sie alle verlieren.
Sie kratzten sich die Köpfe. Die Weisheit dieses Rates dämmerte ihnen, aber die neue Idee hatte sie erst mit sich hingerissen – die Idee, einem feindlichen Missetäter seine Beute zu entreißen und ihn zu bestrafen. Der Gesellschaftsinstinkt hatte sich ihrem Charakter durch die Jahrtausende eingeprägt. Jetzt fragten sie sich, warum ihnen der Gedanke, den Angreifer zu verfolgen und zu bestrafen, nicht selbst gekommen war, – sie konnten nicht wissen, daß es daran lag, daß sie noch nicht die geistige Entwickelungsstufe erreicht hatten, die ihnen gestattet hätte, als Einzelindividuum zu handeln. In Zeiten der Not ballte sie der Gesellschaftsinstinkt zu einem geschlossenen Herdenhaufen zusammen, weil so die großen Affenbullen mit der Wucht ihrer vereinten Stärke und Wildheit die übrigen am besten vor einem Feinde beschützen konnten. Der Gedanke, sich zu trennen, um einen Feind zu bekämpfen, war ihnen noch nicht gekommen – es war ihrer Gewohnheit gerade entgegengesetzt und widersprach außerdem ihrem Gesellschaftsinstinkt. Aber für Tarzan war es der erste und natürlichste Gedanke. Seine Sinneswahrnehmungen sagten ihm, daß ein einziger Affenbulle den Angriff auf Teeka und Gazan ausgeführt habe. Um einen einzigen Gegner zu bestrafen, brauchte man nicht die ganze Horde. Zwei gewandte Bullen konnten ihn bald genug überholen und Teeka befreien.
Früher hatte keiner je daran gedacht, nach den gelegentlich aus dem Stamme gestohlenen Weibchen auf die Suche zu gehen. Wenn Numa, Sabor, Sheeta oder ein sich herumtreibender Affe eines fremden Stammes eine junge Äffin oder eine Matrone wegholten, weil keiner aufgepaßt hatte, dann war die Angelegenheit damit erledigt – sie war fort, das war alles. Der beraubte Ehegatte – falls das Opfer einen gehabt hatte – ging einen oder zwei Tage knurrend herum; wenn er stark genug war, nahm er sich dann eine andere Frau aus der Horde, andernfalls zog er in die Dschungel, um sich womöglich aus einem anderen Gemeinwesen eine zu stehlen.
Bisher hatte sich Affentarzan aus dem Grunde dies Verfahren gefallen lassen, weil er an den Gestohlenen keinen Anteil nahm; aber Teeka war seine erste Liebe gewesen und mehr Raum als Teekas Balu hätte auch kein eigenes in seinem Herzen haben können. Schon früher einmal hatte Tarzan den Wunsch nach Verfolgung und Vergeltung gehabt; das war vor Jahren, als Kulonga, des Häuptlings Mbonga Sohn, Kala getötet hatte. Damals hatte Tarzan ganz allein die Verfolgung aufgenommen und sein Rachegefühl befriedigt. Diesmal war er, obgleich in geringerem Maße, von der gleichen Leidenschaft bewegt.
Er wandte sich zu Taug. Lasse Gazan bei Mumga, sagte er. Sie ist alt, ihre Zähne sind abgenutzt und sie ist zu nichts mehr gut, aber sie kann für Gazan sorgen, bis wir mit Teeka zurückkommen. Wenn Gazan bei unserer Rückkehr tot ist, wendete er sich an Mumga, dann werde ich dich auch töten. Wohin gehen wir? fragte Taug.
Wir gehen, um Teeka zu holen, erwiderte der Affenmensch, und den Bullen zu töten, der sie geraubt hat. Komm!
Er wandte sich zu der Fährte des fremden Affen, die sich seinen geübten Sinnen klar zeigte. Taug legte Gazan in Mumgas Arme mit den Abschiedsworten: Wenn er stirbt, wird dich Tarzan töten. Dann folgte er der bronzefarbenen Gestalt, die sich schon im mäßigen Trabe die Dschungelfährte entlang bewegte.
Kein männlicher Affe von Kerschaks Stamm war ein so guter Fährtenleser wie Tarzan, denn dessen geübte Sinneswerkzeuge wurden von einem höheren Verstand unterstützt. Seine Urteilskraft sagte ihm, welcher Fährte der Verfolgte natürlicherweise folgen mußte, so daß er nur auf die deutlichsten Anzeichen auf dem Wege zu achten brauchte, und heute war dazu Toogs Spur für ihn so deutlich wie die Buchstaben einer bedruckten Seite für uns.
Dicht hinter der schlanken Gestalt des Affenmenschen kam der ungeheure, zottige Affenbulle. Sie wechselten weiter keine Worte. Schweigend, wie zwei Gespenster, bewegten sie sich unter den Myriaden Schatten des Waldes vorwärts. Scharf wie seine Augen und Ohren war auch Tarzans Edelnase. Die Spur war noch frisch und nun, da sie aus dem Bereiche der starken Affenwitterung ihres Stammes heraus waren, war es ihm leicht, allein dem Geruch nachgehend, Toog und Teeka zu folgen. Die vertraute Witterung von Teekas Fährte sagte beiden, Tarzan wie Taug, daß sie ihr auf der Spur waren und bald war ihnen Toogs Witterung ebenso klar und geläufig wie die andere.
Sie machten rasche Fortschritte, als plötzlich dichte Wolken die Sonne verhüllten. Tarzan beschleunigte sein Tempo. Jetzt flog er geradezu die Dschungelfährte entlang oder er verfolgte da, wo Toog auf die Bäume gestiegen war, flink wie ein Eichhörnchen den schwingenden, wogenden Weg über die belaubten Zweige und schwang sich von Baum zu Baum, wie es Toog vor ihnen gemacht hatte. Da sie nicht wie Toog durch eine Bürde gehemmt wurden, kamen sie natürlich rascher vorwärts.
Tarzan merkte, daß sie ihre Beute beinahe erreicht haben mußten, denn die Spurwitterung wurde stärker und stärker, da wurde die Dschungel plötzlich von lebhaften Blitzen durchschossen, und betäubender Donner rollte durch Himmel und Forst, so daß die Erde zitterte und wankte. Und dann kam der Regen – nicht so, wie er bei uns in der gemäßigten Zone kommt, sondern eine mächtige Wasserlawine – eine Sintflut, welche Fässer Wasser statt Tropfen auf die sich biegenden Waldriesen und die erschreckt in ihren Schutz gebannten Geschöpfe herabgießt.
Genau wie es Tarzan vorausgesehen hatte, vernichtete und vertilgte der Regen die Spur der Beute vom Angesicht der Erde. Eine halbe Stunde lang stürzten die Wasserströme hernieder, dann brach die Sonne wieder durch und schmückte den Wald mit Millionen leuchtender Edelsteine. Aber der sonst für die wechselnden Wunder der Dschungel so empfängliche Affenmensch sah sie heute nicht. Nur die Tatsache, daß die Witterung Teekas und ihres Entführers vernichtet war, fand Raum in seinen Gedanken.
Selbst in den Zweigen der Bäume finden sich wohlausgetretene Pfade, genau die Fährten auf dem Erdboden. Aber oben auf den Bäumen verzweigen und kreuzen sie sich öfter, weil der Weg offener ist als in dem dichten Unterholz unten auf der Erde. Tarzan und Taug folgten nach dem Regen einer dieser wohlbemerkbaren Fährten, weil der Affenmensch wußte, daß dieser der einzige Pfad war, den der Räuber logischerweise einhalten mußte; aber als sich der Pfad gabelte, wußten sie nicht mehr, was sie tun sollten. Sie hielten an und Tarzan untersuchte jeden Zweig und jedes Blatt, das der fliehende Affe berührt haben konnte.
Er beroch den Baumstamm und suchte mit feinen scharfen Augen die Rinde ab, ob nicht irgendwo ein Anzeichen war, welche Richtung die Flüchtlinge genommen hatten. Es war eine recht langwierige Arbeit, und Tarzan wußte, daß während der ganzen Zeit der Affe aus dem fremden Stamm sich weiter von ihnen entfernte – daß jener kostbare Minuten gewann, die ihn vielleicht in Sicherheit brachten, ehe beide ihn einholen konnten.
Erst untersuchte Tarzan die eine Strecke der Gabelung, dann die andere und wendete jede Untersuchung, die seiner wunderbaren Dschungelweidmannskunst bekannt war, an. Aber wieder und wieder wurde er irregeführt, denn der schwere Wassersturz hatte die Witterung an jeder etwas ihm ausgesetzt gewesenen Stelle weggewaschen. Eine halbe Stunde lang suchten Tarzan und Taug, bis zuletzt Tarzans seine Nase auf der Unterseite eines breiten Blattes einen schwachen Hauch von Toogs Witterung fand, wo das Blatt die behaarte Schulter des großen Affen bei dessen Passieren des Laubes gestreift hatte.
Wieder nahmen die beiden die Verfolgung auf, aber es war jetzt langsame Arbeit, und viele entmutigenden Verzögerungen ergaben sich, wenn die Witterung immer wieder auf Nimmerwiederkehr verloren schien. Für uns wäre auch vor dem Regen keine Spur zu entdecken gewesen, außer vielleicht an Stellen, an denen Toog auf den Boden heruntergekommen und einer Wildfährte gefolgt war. An solchen Orten war der Eindruck eines riesigen handähnlichen Fußes und der Knöchel einer großen Hand auch für einen gewöhnlichen Sterblichen ab und zu klar zu erkennen. Aus diesen und einigen anderen Anzeichen wußte Tarzan, daß der Affe Teeka immer noch trug. Die Tiefe seines Fußeindrucks zeigte ein viel größeres Gewicht an, als es selbst einer der größeren Bullen besaß, denn sie war unter dem vereinten Gewicht von Toog und Teeka entstanden, während die Tatsache, daß nie mehr als die Knöchel einer Hand den Boden berührten, bewies, daß die andere Hand mit einer anderen Tätigkeit beschäftigt war – nämlich damit, die Gefangene auf der behaarten Schulter festzuhalten. Tarzan konnte sogar an einzelnen Plätzen feststellen, daß die Bürde von einer Schulter auf die andere gelegt worden war, nämlich dadurch, daß der tiefere Fußeindruck auf die andere Seite hinüberging, während die Knöcheleindrücke ebenfalls die Seite wechselten. Dann waren wieder Strecken auf ebenem Wege, wo der Affe auf beträchtliche Entfernung auf den Hinterfüßen allein gegangen war – wie der Mensch geht. Aber das gleiche war bei jedem anderen großen Menschenaffen dieser Art der Fall, denn, ganz verschieden vom Schimpansen und Gorilla, gehen diese Riesenaffen ebenso gerne ohne Zuhilfenahme ihrer Hände wie mit dieser Stütze. Aber alle diese Dinge zusammen halfen Tarzan und Taug die Anwesenheit des Entführers festzustellen, und mit diesen ihrem Gedächtnis bereits unauslöschlich eingeprägten Merkmalen seiner Personalien waren sie weit besser in der Lage, ihn bei einer Begegnung wieder zu erkennen, selbst wenn er schon vorher Teeka beseitigt haben sollte, weit bester als ein moderner »Spürhund«, mit seinen Lichtbildern und Bertillonschen Meßverfahren ausgerüstet, imstande ist, einen von der zivilisierten Justiz gesuchten Flüchtling festzustellen.
Aber mit all ihren hochentwickelten und fein abgestimmten Wahrnehmungsfähigkeiten fiel es den zwei Bullen aus Kerschaks Stamm oft schwer genug, überhaupt nur der Fährte zu folgen, und trotzdem sie ihr Bestes hergaben, hatten sie den Flüchtling am Nachmittag des zweiten Tages doch noch nicht eingeholt. Die Witterung war inzwischen wieder stärker geworden, weil die Fährte erst nach dem Regen entstanden war. Tarzan wußte, daß sie binnen kurzem auf den Räuber und seine Beute stoßen mußten. Über ihren vorsichtig vorwärts schleichenden Gestalten schnatterte Manu, das Äffchen, mit seinen tausend Gefährten, schrien und piepten die vorlauten Vögel, und die zahllosen Insekten zwischen dem rauschenden Laub surrten und summten. Ein kleiner Graubart, der quiekend und scheltend auf einem schwankenden Aste saß, sah herab und sah sie vorbeikommen. Alsbald hörte das langgeschwänzte Häufchen auf zu schelten und zu quieken und schoß davon, als ob Sheeta, der Leopard, Flügel hätte und ihm dicht auf den Fersen wäre. Allem Anschein nach war es nur ein sehr erschrockener, kleiner Affe, der sein Leben in Sicherheit bringen wollte – weiter war daran nichts Besonderes zu erkennen.
Was machte nun Teeka während dieser ganzen Zeit? Hatte sie sich endlich in ihr Geschick ergeben und begleitete sie ihren neuen Gatten in der geziemenden Demut einer liebenden und willfährigen Braut? Ein einziger Blick auf das Paar hätte selbst dem Tadelsüchtigsten eine völlig zufriedenstellende Antwort erteilt. Sie war zerfleischt und blutete aus vielen Wunden, die ihr der mürrische Toog bei seinen vergeblichen Versuchen, sie unter seinen Willen zu beugen, beigebracht hatte. Toog selbst war auch hinreichend entstellt und verletzt, aber er hielt mit der ihm angeborenen, hartnäckigen Wildheit seine nun nicht mehr sehr angenehme Beute fest.
Er erzwang sich seinen Weg durch die Dschungel auf die Jagdgründe seines Stammes zu. Er hoffte, sein König werde seinen Verrat vergessen haben, aber selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, wollte er sich in sein Geschick ergeben – jedes Los war besser, als noch länger die Gesellschaft dieses fürchterlichen Weibchens zu erdulden. Außerdem wünschte er auch, die Gefangene seinen Gefährten vorzuführen. Vielleicht wollte er sie auch seinem König aufhängen – es ist möglich, daß ihn jetzt ein solcher Gedanke antrieb.
Zuletzt trafen sie auf zwei Affenbullen, die in einem parkartigen Haine ihr Futter suchten. Ein wundervoller Hain war es, übersät mit riesigen, halb im fruchtbaren Boden eingebetteten Felsen – möglicherweise stummen Denkmälern eines weit zurückliegenden Zeitalters, als noch mächtige Gletscher sich langsam über die Fläche schoben, über welcher jetzt die dörrende Sonne auf die tropische Dschungel herniederbrennt. Die beiden Bullen sahen auf und fletschten ihre Reißzähne, als Toog in der Ferne sichtbar wurde. Dieser erkannte die zwei als Freunde. Ich bin doch Toog, knurrte er. Toog ist mit einem neuen Weibchen zurückgekommen!
Die Affen ließen sie herankommen. Teeka wies ihnen knurrend die Zähne. Sie bot jetzt gerade keinen erfreulichen Anblick, aber trotz des Blutes und des Hasses auf ihrem Gesicht sahen die Affen, daß sie schön war und beneideten Toog – ach! – hätten sie Teeka erst gekannt!
Als sie einander anblickend sich niederhockten, kam durch die Bäume ein langschwänziger kleiner Affe mit grauem Backenbart auf sie zugerast. Ein sehr aufgeregter, kleiner Affe war es, der gerade über ihrem Kopfe auf einem Aste anhielt.
Zwei fremde Bullen kommen, schrie er. Der eine ist ein Mangani, der andere ist ein häßlicher Affe ohne Haare auf dem Leibe. Sie folgen Toogs Spur. Ich sah sie.
Die vier Affen sahen auf die Fährte zurück, auf welcher Toog eben gekommen war, dann besahen sie einander eine Minute lang. Kommt, sagte der größere von Toogs zwei Freunden, wir wollen die Fremden in den dichten Büschen jenseits der Lichtung erwarten.
Er drehte sich um und wackelte über den freien Platz davon, während ihm die anderen folgten. Der kleine Affe tanzte ganz erregt herum. Die Hauptunterhaltung seines Lebens bestand darin, zwischen den größeren Bewohnern der Dschungel blutige Zusammenstöße herbeizuführen, bei denen er vom sicheren Baumsitz aus den Zuschauer spielen konnte. Er war ein Vielfraß an Blutdurst, dieser kleine, backenbärtige graue Affe; das heißt natürlich nur so lange es sich um das Blut anderer handelte – ein typischer Streithetzer!
Die Affen versteckten sich in dem Gebüsch neben der Fährte, welche die zwei fremden Bullen entlang kommen würden. Teeka zitterte vor Erregung. Sie hatte Manus Worte gehört und wußte, daß der haarlose Affe Tarzan sein mußte, während der andere zweifellos Taug war. Niemals, auch nicht im entferntesten, hatte sie auf Rettung dieser Art gehofft. Sie hatte nur daran gedacht, zu entfliehen und ihren Weg zum Stamm Kerschaks zurück zu suchen. Aber Toog hatte sie so scharf bewacht, daß selbst diese Absicht praktisch unmöglich geschienen hatte.
Als Taug und Tarzan den Hain erreichten, wo Toog seine Freunde getroffen hatte, wurde die Affenwitterung so stark, daß beide wußten, ihre Beute konnte nur noch in nächster Nähe sein. Darum gingen sie jetzt noch vorsichtiger zu Werke, denn sie wollten sich dem Diebe von hinten nähern und sich auf ihn stürzen, ehe er ihre Gegenwart ahnte. Daß ein Äffchen mit grauem Backenbart sie schon angemeldet hatte und daß drei wilde Augenpaare bereits jede ihrer Bewegungen bewachten und nur auf den Augenblick warteten, in dem sie in den Bereich der greifgierigen Hände und knirschenden Kinnladen kommen würden, konnten sie freilich nicht wissen.
Sie schritten über den Hain und betraten eben den Pfad, der weiter in die dichte Dschungel führte, als plötzlich ein schrilles »Kreeg-ah!« dicht vor ihnen erscholl – ein »Kreeg-ah!« in Teekas wohlbekannter Stimme. Die kleinen Gehirne Toogs und seiner Gefährten waren außerstande gewesen, vorauszusehen, daß Teeka sie verraten würde, und nun, da es geschehen war, packte sie heftige Wut. Toog versetzte der Affin einen mächtigen Hieb, der sie zu Boden streckte, dann stürzten alle drei vor, um mit Tarzan und Taug zu kämpfen. Der kleine Affe tanzte oben auf seinem Zweige und schrie vor Entzücken.
Er hatte wohl Grund, entzückt zu sein, denn es war wirklich ein schöner Kampf. Es gab keine Vorreden, keine Formalitäten, keine Vorstellungen – die fünf Bullen gingen einfach auf einander los und nahmen Griff. Sie rollten auf dem schmalen Pfad hin und her und in das dichte Grün daneben. Sie bissen, rissen, kratzten und schlugen und ließen während der ganzen Zeit einen höchst schauerlichen Chor von Knurren, Bellen und Brüllen ertönen. In fünf Minuten waren sie alle übel zerrissen und blutig, und der kleine Graubart hüpfte hoch und schrillte seine urweltlichen Bravos, aber seine Haltung war stets für Kampf bis zum Äußersten. Er wollte Tote sehen. Ob Freund oder Feinde das war ihm gleich. Blut wollte er sehen – Blut und Tod.
Taug wurde von Toog und einem anderen Affen angegriffen, während Tarzan den dritten, eine ungeheure Bestie mit der Stärke eines Büffels, gegen sich hatte. Nie zuvor hatte Tarzans Angreifer ein so merkwürdiges Geschöpf wie diesen schlüpfrigen, haarlosen Bullen bekämpft. Schweiß und Blut bedeckte Tarzans glatte, braune Haut, immer wieder entschlüpfte er den Griffen des großen Bullen, immer aufs neue versuchend, das in der Scheide steckende Jagdmesser zu ziehen. Endlich gelang es ihm – eine braune Hand fuhr mit festem Griff an die behaarte Kehle, die andere schoß mit der scharfen Klinge in die Höhe. Drei rasche, kräftige Stöße, der Bulle ließ mit einem Stöhnen los und fiel steif vor seinem Gegner nieder. Tarzan entzog sich sofort den Griffen des sterbenden Bullen und sprang Taug zu Hilfe. Toog sah ihn kommen und warf sich ihm entgegen. Die Wucht des Zusammenstoßes schlug Tarzan das Messer aus der Hand und Toog begann mit ihm zu ringen. Nun war der Kampf gleich – zwei gegen zwei – während Teeka am Rande von dem sie fällenden Schlage wieder zu sich kam und eine Gelegenheit zum Helfen abwartend herzuschlich. Sie sah Tarzans Messer und hob es auf. Sie hatte es selbst nie benützt, aber sie wußte, wie Tarzan es gebrauchte, und sie fürchtete sich stets vor dem Ding, welches den Mächtigsten der Dschungelbewohner ebenso leicht den Tod brachte, wie Tantors große Stoßzähne besten Feinden den Garaus machen.
Dann sah sie, wie Tarzan die Tasche von der Seite gerissen wurde und mit der Neugierde des Affen, die selbst Gefahr und Aufregung nicht völlig bannen, las sie auch diese auf.
Jetzt standen die Bullen einander gegenüber – die engen Griffe hatten sich gelöst. Blut rann ihnen an den Seiten herab, die Gesichter waren davon gerötet. Der kleine Graubart war so bezaubert, daß er ganz zu tanzen und zu schreien vergaß und vor Entzücken über das erhebende Schauspiel steif dasaß.
Tarzan und Taug drängten ihre Gegner über den Hain zurück. Teeka folgte langsam. Sie wußte nicht recht, was sie tun sollte. Sie war lahm und müde, zerschlagen und erschöpft von den furchtbaren Prüfungen, die sie durchgemacht hatte, und außerdem setzte sie das ihrem Geschlechte eigene Vertrauen in die Tüchtigkeit ihres Mannes und die des anderen Bullen aus ihrer Horde, daß sie die Hilfe eines Weibchens im Kampfe mit diesen zwei Fremden nicht brauchen würden.
Das Gebrüll und die Schreie der Kämpfer dröhnten durch die Dschungel und weckten das Echo der fernen Berge. Tarzans Gegner hatte ein Dutzend »Kreeg-ahs!« ausgestoßen, und nun kam von hinten her die Antwort, die er erwartete. Bellend und knurrend kam ein Dutzend unförmiger Affenbullen in den Hain – die Kriegsmannen von Toogs Stamm.
Teeka sah sie zuerst und schrie Tarzan und Taug eine Warnung zu. Dann floh sie, einen Augenblick vor Furcht überwältigt, hinter den Kämpfern vorbei auf die andere Seite der Lichtung. Und keiner konnte sie nach der furchtbaren Prüfung, unter deren Folgen sie noch litt, dafür tadeln.
Die großen Affen gingen auf sie los. Noch einen Augenblick und Tarzan und Taug würden in Stücke gerissen sein, um nachher bei der wilden Orgie eines Dum-Dum-Festes als Opfer zu dienen. Teeka drehte sich um und sah zurück. Sie sah das drohende Geschick ihrer Verteidiger, und in ihrem wilden Busen flammte der Funke des Märtyrertums auf, den ein gemeinsamer Vorfahre ebensogut Teeka, der wilden Äffin, wie den Frauen einer höheren Gattung vererbte, die für ihre Männer großherzig in den Tod gingen. Mit einem lauten Schrei warf sie sich den Kämpfern entgegen, die in breiter Masse am Fuße eines der großen über den Hain verstreuten Felsen heranrollten. Aber was konnte sie weiter tun? Das Messer in ihrer Hand konnte sie nicht mit Vorteil gebrauchen, weil sie zu schwach war. Sie hatte gesehen, wie Tarzan Wurfgeschosse schleuderte und hatte das mit manchem anderen von dem Spielgeführten ihrer Kindheit gelernt. Sie suchte nach etwas, das sie werfen konnte und berührte mit ihren Fingern die harten Gegenstände in der Tasche, welche dem Affenmenschen abgerissen worden war. Sie zerrte den Beutel auf, packte eine Handvoll der glänzenden Zylinder – für ihre Größe kamen sie ihr recht schwer vor und schienen gute Wurfgeschosse zu sein – und schleuderte sie mit aller Kraft gegen die vor dem Granitfelsen kämpfenden Affen.
Die Wirkung überraschte Teeka ebensosehr wie die Affen. Es gab eine laute, die Kämpfer betäubende Explosion und eine Wolke beißenden Rauches. Niemals hatte einer dort je ein solch furchtbares Geräusch gehört. Vor Angst schreiend sprangen die fremden Bullen auf die Füße und flohen zum Jagdgrund ihres ruhigen Stammes zurück, während Taug und Tarzan langsam zur Besinnung kamen und sich lahm und blutend auf ihre Füße erhoben. Auch sie wären geflohen, hätten sie nicht Teeka mit dem Messer und der Tasche in den Händen vor sich stehen sehen.
Was war eigentlich los? fragte Tarzan.
Teeka schüttelte den Kopf. Ich warf diese da nach den fremden Bullen, damit hielt sie ihm eine weitere Handvoll der glänzen, den Metallzylinder mit den mattgrauen, konischen Enden hin. Tarzan besah sie und kratzte sich am Kopf.
Was ist das? fragte Taug.
Ich weiß nicht, sagte Tarzan. Ich habe sie gefunden.
Der kleine Affe mit dem grauen Barte hielt erst eine ganze Meile entfernt zwischen den Bäumen an und kauerte sich verstört gegen einen Ast. Er konnte nicht wissen, daß Tarzans toter Vater, aus der Vergangenheit über eine Spanne von zwanzig Jahren hinwegreichend, seines Sohnes Leben gerettet hatte.
Und Tarzan, Lord Greystoke, hatte davon ebensowenig sine Ahnung.