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Viertes Kapitel.
September in Paris.

In Paris war durch ein lügnerisches Gerücht, das sich jedoch als prophetisch und richtig erwies, der Fall von Verdun einige Stunden früher bekannt, als er sich wirklich ereignete. Es ist Sonntag der 2. September, ein Tag, wo Arbeit die Spekulationen des Geistes nicht verhindert. Verdun verloren (obgleich einige es noch bestreiten), die Preußen im vollen Anmarsch mit Galgenstricken, mit Feuer und Zerstörungsmaschinen! In unsern eigenen Mauern dreißigtausend Aristokraten, und erst der kleinste Bruchteil von ihnen ins Gefängnis geworfen! Ja, es heißt, daß sogar die sich empören werden. Sieur Jean Julien, Vaurigards Fuhrmann, Moore, I, 178. der letzten Freitag an den Pranger gestellt worden, fing auf einmal an zu rufen, daß er in kurzem gehörig gerächt werden würde, daß die Freunde des Königs im Gefängnis ausbrechen, den Tempel erstürmen, den König aufs Pferd setzen und mit den Nichtgefangenen über uns alle rücksichtslos hinreiten würden. So brüllte der unglückliche Fuhrmann, so laut er konnte, ließ nicht nach, auch nicht nachdem er ins Stadthaus geschleppt worden war, und gestern abend, als man ihn guillotinierte, starb er mit dem Schaum des wahnsinnigen Schreiers auf den Lippen. Denn wohl kann ein Mann, an den Pranger geschlossen, darüber verrückt werden, und Aller Geist mag sich verwirren und wie Wahnsinnige »ihm glauben, eben weil unmöglich war, was er gedroht hatte.«

So ist denn offenbar der Höhepunkt der Krise und der letzte Todeskampf Frankreichs gekommen? Diesem Momente biete die Stirn, du improvisierte Kommune, du starker Danton, und was immer noch Kraft besitzt in Frankreich. Die Leser können sich vorstellen, ob an diesem Tage die Fahne »das Vaterland in Gefahr« Beruhigung oder wahnsinnige Aufregung über die Gemüter der Leute brachte.

Doch die improvisierte Kommune, der starke Danton fehlen nicht auf ihrem Platze, jedes in seiner Art. Ungeheure Plakate werden an die Mauern angeschlagen, um zwei Uhr soll die Sturmglocke ertönen, die Alarmkanone abgefeuert werden, ganz Paris soll nach dem Marsfelde stürmen und sich anwerben lassen. Unbewaffnet zwar und ungedrillt, doch verzweifelt, in der vollen Kraft der Raserei. Eilt, ihr Männer, 181 sogar ihr Weiber sollt nicht zurückbleiben, sollt euch als Wachen anbieten und die braune Muskete auf die Schulter nehmen – fahren doch schwache Gluckhennen, wenn im Zustande der Verzweiflung, dem Bullenbeißer an die Schnauze, und bezwingen ihn sogar durch die Gewalt ihrer Verzweiflung. Sogar der Schrecken, ist er erst einmal transcendental geworden, wird zu einer Art von Mut, wie ja auch hinreichend große Kälte, nach dem Dichter Milton, zuletzt brennt. – Im Komitee der allgemeinen Verteidigung, neulich abends, nachdem alle anderen Minister und Gesetzgeber ihre Meinung geäußert hatten, sagte Danton, es ginge nicht an, Paris zu verlassen und nach Saumur zu fliehen; sie müßten in Paris bleiben und eine solche Haltung annehmen, daß die Feinde dadurch in Furcht gerieten, – faire peur . Ein Wort Dantons, das oft wiederholt und – in gesperrter Schrift abgedruckt wurde. Biographie des Ministres (Bruxelles 1826) p. 96.

Um zwei Uhr, wie wir sahen, erschoß sich Beaurepaire in Verdun, und in ganz Europa gingen die Leute wohl in die Nachmittagspredigt. Aber in Paris läutet es von allen Kirchtürmen nicht zur Predigt, es donnert von Minute zu Minute die Alarmkanone, es kocht das Marsfeld, es raucht der Altar des Vaterlandes vom verzweifelten Mute des Schreckens – welch ein Miserere steigt auf zum Himmel aus der einstigen Hauptstadt des allerchristlichsten Königs! Die Legislative hält Sitzungen in wechselnden Stimmungen, bald voll Furcht, bald voll aufbrausenden Mutes; Vergniaud beantragt, daß zwölf Mitglieder gehen und in eigner Person graben sollen auf dem Montmartre, und so wird's durch Zuruf beschlossen.

Doch besser als mit Zuruf in Person zu graben ist's, daß Danton eintritt; – die schwarzen Brauen umwölkt, die Kolossalgestalt schwer einhertretend, mit grimmiger Energie in allen Zügen des rauhen Mannes! Stark ist dieser grimme Sohn Frankreichs und der Erde, auch er eine Wirklichkeit und nicht eine Formel, und sicherlich wird er jetzt, wenn je, jetzt, da Frankreich tief genug herabgeschleudert, auf der Erde und auf Wirklichkeiten Fuß fassen. »Gesetzgeber!« so ruft die Stentorstimme, wie es die Zeitungen noch für uns aufbewahren, »nicht die Alarmkanone ist's, was ihr hört, es ist der pas-de-charge gegen unsere Feinde. Was brauchen wir, um sie zu bezwingen, sie zurückzuschleudern? Il nous faut de 182 l'audace, et encore de l'audace, et toujours de l'audace, wagen, und wieder wagen, und immer wieder wagen.« Moniteur (in der Histoire parlementaire XVII, 347). – Recht so, du starker Titane; nichts bleibt dir übrig als dies. Noch erzählen alte Männer, die es hörten, wie die schallende Stimme in jenem Augenblick alle Herzen entflammte und sie packte und weiter drang über Frankreich, wie elektrisierend, als ein im rechten Augenblick gesprochenes Wort.

Aber die Kommune, die auf dem Marsfelde anwirbt, und das Aufsichtskomitee, das jetzt zum Wohlfahrtsausschuß geworden und dessen Gewissen Marat ist? Die werbende Kommune wirbt in der That Freiwillige in Menge, schafft Zelte für sie nach jenem Marsfeld, damit sie morgen mit Tagesanbruch marschieren können; alles Lob diesem Teil der Kommune! Für Marat aber und den Wohlfahrtsausschuß kein Lob, nicht einmal Tadel, wie ihn unsere unzureichende Sprache abmessen könnte; vielmehr ausdrucksvolles Schweigen! Der einsame Marat, der Mann, vor dem uns Gott behüte, der in seinen Kellerschlupfwinkeln, auf seiner Stylitessäule so lange nachsann, konnte das Heil nur in Einem entdecken: im Fallen von »zweihundertundsechzigtausend Aristokratenköpfen.« Mit einigen Dutzend neapolitanischer Bravos, jeder ein Dolchmesser in der rechten Hand, einen Muff in der linken, wollte er Frankreich durchziehen und die Aristokraten alle erdolchen und ersticken. Aber die Welt lachte, verspottete das gar so heiße Wohlwollen so eines Volksfreundes, und seine Idee konnte nicht eine That, sondern nur eine fixe Idee werden. Doch jetzt, seht, ist er von seiner Stylitessäule auf eine tribune particulière herabgestiegen; hier nun, sollte es da nicht möglich geworden sein, ohne die Dolchmesser, wenigstens ohne die Muffe? Jetzt, auf dem Höhepunkte der Krise, wo von der nächsten Stunde Rettung oder Vernichtung abhängen?

Der Eisturm von Avignon hatte Lärm genug gemacht, und lebt in aller Gedächtnis; aber die Urheber wurden nicht bestraft, nein, wir sahen sogar Jourdan Coupe-Tête »durch die Städte des Südens ziehen,« von Menschen auf den Schultern getragen, wie ein Götze. – Was für Phantome, schmutzig und gräßlich, Dolch und Muff schwingend, jetzt erst durch das Gehirn eines Marat tanzen mögen, jetzt in diesem betäubenden Sturmgeheule und allgemeiner Raserei, das, o Leser, suche nicht zu erraten! Noch was der grausame 183 Billaud, »in seinem kurzen braunen Rocke,« dachte, noch Sergent, späterer Achat-Sergent, noch Panis, der Vertraute Dantons; – noch, mit einem Wort, was der finstere Orkus in seinem finstern Schoße alles ausbrütet, was er für Ungeheuer und ungeheure Thaten zur Welt bringt, die du ihn deutlich gebären siehst. Schrecken herrscht auf den Straßen von Paris, Schrecken und Wut, Thränen und Raserei: die Sturmglocken heulen durch die Luft, wilde Verzweiflung stürzt in den Kampf, Mütter, mit strömenden Augen und zornigen Herzen, senden ihre Söhne hinaus in den Tod. »Wagenpferde werden beim Zügel ergriffen,« weil sie Kanonen ziehen sollen, »die Stränge entzwei geschnitten, die Wagen stehen gelassen.« Sind in solchem Sturmglockengeheule, bei solch trüber Verwirrung und Raserei nicht Mord, Bethörung und alle Furien nahe bei der Hand? Ein leiser Wink – wer weiß wie leise? – und der Mord mag die Scene betreten, und, mit seinem schlangenumfunkelten Haupte, das Dunkel grell erhellen!

Wie es kam und geschah, was vorbedacht, was vom Augenblick geboren und was zufällig war, kein Mensch wird das jemals wissen, bis der große Tag des letzten Gerichts es einmal bekannt machen wird. Aber mit einem Marat als Hüter von des Souveräns Gewissen, – da können wir uns denken, was die ultima ratio dieser Souveräne, wenn sie dazu getrieben werden, sein wird! In diesem Paris giebt's – sagen wir ein hundert oder mehr – so gottlose Menschen, als nur irgend auf Erden existieren: zu allem fähig, wozu man sie dingen mag, zu allem fähig, auch ungedingt, aus eigenem Antrieb. – Und doch wollen wir bemerken, daß Absicht noch nicht Ausführung ist, nicht Sicherheit der Ausführung, daß sie höchstens vielleicht Sicherheit ist für das Zulassen der That für den, der nur immer sie begehen will. Zwischen der Absicht des Verbrechens bis zur Ausführung liegt eine Kluft. Es ist ein wunderbarer Gedanke! Da liegt der Finger schon am Drücker der Pistole, aber noch ist der Mensch kein Mörder, nein, da seine ganze Natur sich dagegen sträubt, haben wir's da nicht eher mit einer Pause der Verwirrung zu thun – ist da nicht noch ein letzter Augenblick der Entscheidung für ihn vorhanden? Noch nicht ein Mörder! Es liegt an unbedeutenden Kleinigkeiten, ob die bestimmteste Idee nicht doch noch ins Schwanken geraten wird. Ein einziges leises Zucken eines Muskels – und der tödliche Stahl bricht hervor, und er ist ein Mörder und wird ein Mörder bleiben in Ewigkeit, 184 und die Erde ist für ihn eine Tartarusqual und sein Horizont nicht mehr umsäumt mit den goldenen Wölkchen der Hoffnung für seine Seele, sondern mit den roten Flammen der Reue, und es rufen Stimmen aus den Tiefen ein fürchterliches Wehe, Wehe über ihn.

Aus solchem Stoffe sind wir alle gemacht, auf solchen Pulverminen von bodenloser Schuld und Verbrechen wandelt der Reinste von uns, – »wenn Gott nicht zurückhielte,« wie ein schönes Wort sagt. Es giebt in des Menschen Seele Tiefen, die bis in die tiefste Hölle hinunterreichen, wie es Höhen giebt, die bis an die Höhen des Himmels hinanreichen, – denn sind nicht beide, Himmel und Hölle aus ihm, von ihm geschaffen, ein ewig Wunder und Geheimnis, das er ist? – Aber beim Anblicke dieses Champ-de-Mars mit seinem Zeltherrichten und krampfhaften Rekrutenwerben, dieses trübe gärenden Paris mit seinen überfüllten Gefängnissen (deren Sprengung befürchtet wird), mit seinen heulenden Sturmglocken, den Thränen der Mütter und dem Abschiedrufen der Soldaten, bei dem Anblicke dieser Stadt durften an jenem Tage die frommen Seelen wohl beten, daß Gottes Gnade »zurückhalten« und stark »zurückhalten« möge, damit nicht beim leisesten Impuls oder Wink sich der Wahnsinn, der Schrecken und Mord erhöben, und damit nicht dieser Sabbathtag des September zu einem schwarzen Tag in den Annalen der Menschheit werde.

Die Sturmglocke läutet eben am lautesten, die Uhren schlagen, vom Lärm übertäubt, drei Uhr, als der arme Abbé Sicard mit etwa dreißig anderen unbeeidigten Priestern in sechs Wagen durch die Straßen fährt; die Priester werden von ihrem vorläufigen Gefängnisse im Stadthause nach dem im Westen gelegenen Gefängnisse der Abbaye gebracht. Andere Wagen genug stehen verlassen in den Straßen, diese sechs Wagen bewegen sich weiter durch eine zornige, ihnen nachfluchende Menge. Verfluchte aristokratische Tartüffs, das ist die Lage, in die ihr uns gebracht habt! Und jetzt wollt ihr aus den Gefängnissen ausbrechen und Capet Veto aufs Pferd setzen, um über uns herzufallen! Weg mit euch, ihr Priester Beelzebubs und Molochs, der Tartüfferie, des Mammons und der preußischen Galgen, – was ihr Mutterkirche und Gott nennt! – Solche und schlimmere Schmähungen müssen die armen Unbeeidigten erdulden, rasende Patrioten schreien sie ihnen in die Ohren, steigen sogar auf den Wagentritt, kaum die Garden halten sich vor Schmähungen zurück. Können 185 wir nicht die Wagenfenster in die Höhe ziehen? – Nein, antwortet der Patriotismus, legt seine schwielige Faust darauf und drückt sie wieder nieder. Die Geduld, zu arg bedrängt, hat ihre Grenzen, lang hat es gedauert, die Wagen sind schon nahe bei der Abbaye, da schlägt endlich ein armer Unbeeidigter von rascherem Temperament mit seinem Stock auf so eine schwielige Faust, ja, da er darin eine Erleichterung seines Herzens findet, so haut er kräftig auf den ungekämmten Kopf, einmal, und noch kräftiger ein zweites mal, – wir und alle Welt sehen es deutlich. Es ist das letzte, was man deutlich sieht! Ach, im nächsten Moment sind die Wagen umringt und eingeklemmt von einer ungeheuern rasenden Menge, deren Wutschrei jedes Flehen um Gnade übertäubt, keine andere Antwort hat dafür als Säbelstiche durchs Herz. Félémhesi (Anagramm für Méhée fils): La vérité tout entière sur les vrais auteurs de la journée du 2 septembre 1792 (wieder abgedruckt in der Histoire parlementaire, XVIII, 156-181), p. 167. Die dreißig Priester werden aus den Wagen gerissen, werden einer nach dem andern vor dem Gefängnisthore niedergemacht, – nur der arme Abbé Sicard, den ein gewisser ihn kennender Uhrmacher Moton heldenmütig zu retten und ins Gefängnis zu verbergen suchte, entkommt, um die Vorgänge zu erzählen – und siehe nun, es ist Nacht und Orkus, und des Mordes schlangenumfunkelt Haupt hat sich erhoben in dem nächtlichen Dunkel. –

Vom Sonntag nachmittag bis zum Donnerstag abend folgen nacheinander (die nur vorübergehenden Pausen nicht eingerechnet) hundert Stunden, die man der Bartholomäusmordnacht, den Armagnacmetzeleien, der Sicilianischen Vesper oder dem Allerschrecklichsten in den Annalen dieser Welt an die Seite stellen muß. Schrecklich ist die Stunde, wenn die Seele des Menschen in ihrem Wahnsinn alle Schranken und Gesetze durchbricht und zeigt, welche Höhlen und Tiefen in ihr liegen! Aus ihrem unterirdischen Kerker sind nun Nacht und Orkus ausgebrochen hier in diesem Paris, wie wir sagten, wie es lange schon prophezeit war; gräßlich, verworren, peinlich anzusehen, und doch kann man, ja man sollte wirklich nicht es jemals vergessen.

Der Leser, der ernstlich auf diese trübe Phantasmagorie der Hölle blickt, wird wenige feststehende, sichere Dinge unterscheiden, aber doch immer einige. Er wird gewahren, nachdem das plötzliche Niedermetzeln der Priester beim 186 Gefängnisse der Abbaye vorüber, wie sich schnell ein merkwürdiger Gerichtshof, oder nennen wir's Rachegericht und Lynchjustiz, bildet und seinen Sitz um einen Tisch nimmt, die Gefängnisregister vor sich, mit Stanislaus Maillard, dem Bastillehelden und berühmten Führer der Mänaden, als Präsidenten. – Stanislaus, man hoffte dich anderswo zu sehen als hier, dich gewandten Reitmeister und den Mann, der einen Anflug von Rechtsliebe hatte. Diese Arbeit denn hast du nun zu thun und hernach für immer aus unsern Augen zu verschwinden. In La Force, im Châtelet, in der Conciergerie bilden sich ähnliche mit dem gleichen Beiwerk arbeitende Gerichtshöfe – denn was die einen thun, können anderswo die anderen auch thun. Es giebt bei sieben Gefängnisse in Paris voller konspirierender Aristokraten; ja nicht einmal Bicêtre und die Salpêtrière mit ihren Assignatfälschern sollen verschont bleiben, und siebzig mal siebenhundert Patriotenherzen sind in einem Zustande der Raserei. Schurkenherzen auch giebt es, wenn solche bedurft werden sollten, so ausgepicht, als nur die Erde sie aufweist. Denen gilt, in dieser Stimmung, Gesetz und Richtgesetz gleichviel, und Morden, mit welchem Namen man's auch nennen möge, ist denn nur eine Arbeit, die gethan werden muß wie eine andere.

So sitzen diese plötzlich erstandenen Lynchgerichtshöfe mit den Gefängnisregistern vor sich, ungewohnter, wilder Tumult draußen heulend, die Gefangenen drinnen in banger Erwartung. Schnell: es wird ein Name gerufen, Riegel klirren, ein Gefangener steht da. Wenige Fragen werden gestellt, rasch entscheidet dies improvisierte Gericht: Ist er ein royalistischer Verschwörer oder nicht? Offenbar nicht in diesem Fall; laßt den Gefangenen frei mit dem Rufe: » Vive la Nation!« Wahrscheinlich ja; auch dann laßt ihn frei, aber ohne » Vive la Nation«, oder das Urteil mag lauten: Der Gefangene werde nach La Force geführt. In La Force dagegen lautet die Urteilsformel: Der Gefangene werde nach der Abbaye geführt.

»Nach La Force also!« Freiwillige Schergen ergreifen den Verurteilten, er gelangt ans äußere Thor, »freigelassen« oder »geführt«, nicht nach La Force, sondern in ein wildheulend Meer hinaus, unter ein Gewölbe wild gehobener Säbel, Äxte, Piken; und nieder sinkt er, in Stücke gehauen. Und ein andrer sinkt und wieder ein andrer, und es bildet sich ein hoher Haufe von Leichen, und die Gossen strömen von Blut. Denkt euch das Geheul dieser Mörder, ihre 187 Gesichter voll Schweiß und Blut, das noch grausamere Wutgeschrei der Weiber, denn auch Weiber sind unter ihnen, und unter diese Menschen wird nackt ein Mitmensch geschleudert. Jourgniac de Saint-Méard hat Schlachten mitgemacht, hat das wütende Regiment du Roi in Meuterei gesehen, aber bei diesem Anblick hier mag auch das tapferste Herz beben. Die schweizer Gefangenen, Überbleibsel vom 10. August, »umschlangen sich krampfhaft« und traten zurück, graue Veteranen riefen: »Gnade, Messieurs, ach, Gnade!« Aber da gab's keine Gnade.

»Da tritt einer dieser Männer plötzlich hervor. Er hatte einen blauen Leibrock an, schien etwa dreißig Jahre alt zu sein, seine Gestalt war übergewöhnlich groß, sein Blick edel und martialisch. ›Ich gehe voran,‹ sagte er, ›da es denn sein muß, lebt wohl.‹ Dann warf er seinen Hut schnell hinter sich und rief den Briganten zu: ›So zeigt mir den Weg!‹ Sie öffnen die Thorflügel, er wird der Menge draußen angekündigt. Einen Moment bleibt er bewegungslos stehen, dann stürzt er sich hinaus unter die Piken, und stirbt von tausend Wunden.« Félémhesi, La vérité tout entière (ut supra) p. 173.

Einer um den anderen wird niedergemacht, die Säbel müssen frisch geschliffen werden, die Mörder erfrischen sich aus Weinkrügen. Fort und fort dauert die Schlächterei, das laute Geheul wird zum tiefen Knurren. Ein wechselnde, finster blickende Menge sieht zu, in düsterem Beifall oder düsterem Mißfallen, in düsterer Anerkennung, daß das von der Notwendigkeit geboten sei. »Ein Anglais in gelbgrauem Leibrocke« wird gesehen oder wird zu sehen vermeint, wie er aus seiner eigenen Feldflasche den Mördern zu trinken reicht – zu was für einem Zwecke, »wenn nicht von Pitt angestiftet,« das wissen Satan und er selber am besten! Dem witzigen Dr. Moore wurde, als er in die Nähe kam, unwohl, und er wandte sich nach einer anderen Straße. Moores Journal I, 185 195. –

Schnell genug und strenge geht es bei diesem Gerichtshof. Verschont wird weder der Tapfere, noch die Schönheit oder die Schwäche. Der alte Monsieur de Montmorin, des Ministers Bruder, war vom Tribunal des Siebzehnten freigesprochen und unter dem Stoßen heulender Galerien ins Gefängnis zurückgeleitet worden; hier aber wird er nicht freigesprochen. Die Prinzessin de Lamballe hat sich aufs 188 Bett niedergelegt: »Madame, Sie sollen fort nach der Abbaye.« – »Ich begehre nicht fort, ich bin hier wohl genug.« – Es muß sein. Sie möchte ihren Anzug ein wenig ordnen, nun; rohe Stimmen erwidern: »Sie haben nicht weit zu gehen.« Auch sie wird ans Höllenthor geleitet, als offenkundige Freundin der Königin. Sie schreckt zurück beim Anblick blutiger Säbel, aber da giebt's keine Umkehr: Vorwärts. Ihr schöner Kopf wird mit der Axt gespalten, der Nacken vom Rumpf getrennt. Ihr schöner Leib wird in Stücke gehauen, unter Schändlichkeiten, obscönen Greueln von Schnurrbart -grands-lèvres, die die Menschlichkeit gerne für unglaublich hielte, – die in der Originalsprache allein gelesen werden mögen. Sie war schön, sie war gut, sie hatte das Glück nicht gekannt. Junge Herzen, von Geschlecht zu Geschlecht, werden den Schmerz um sie mitfühlen: – du anbetungswürdige, du königliche, göttliche, arme Schwester! O, warum konnte ich dir nicht zu Hilfe eilen mit einem Balmungschwerte oder Thorshammer in meiner Hand? – Ihr Kopf wird auf eine Pike gesteckt, unter den Fenstern des Tempels zur Schau getragen, damit eine noch Verhaßtere, eine Marie Antoinette, ihn sehen möge. Ein Munizipaler, der in diesem Augenblicke bei den königlichen Gefangenen war, sagte: »Seht hinaus!« Ein anderer flüsterte rasch: »Nein, schaut nicht!« Der Umkreis des Tempels wird in diesen Stunden abgeschlossen durch ein langes, ausgestrecktes, trikolores Band: der Schrecken, das Getöse ungeheuren Tumultes können eindringen, bis jetzt kein Königsmord, obgleich auch der noch kommen mag.

Erbaulicher ist's, die Äußerungen rührender Liebe, die Bruchstücke todesmutiger Tugend zu verzeichnen, die hier unter all der Zertrümmerung menschlicher Existenzen auftauchen; denn auch hiervon giebt es eine Reihe. Seht den alten Marquis Cazotte. Er ist zum Tode verurteilt, aber seine junge Tochter hält ihn in ihren Armen mit einer solchen begeisternden Beredsamkeit, mit solcher Liebe, stärker sogar als Tod, daß das Herz der Mörder erweicht, der alte Mann verschont wird. Doch war er schuldig, wenn Komplottieren für seinen König ein Verbrechen war, und zehn Tage später verurteilte ihn ein anderer Gerichtshof und er mußte anderswo sterben; seiner Tochter vermachte er eine Locke seines grauen Haares. Oder seht den alten Monsieur de Sombreuil, auch er hatte eine Tochter; sie rief: »O gute Herren, mein Vater ist kein Aristokrat, ich will es beschwören, 189 bezeugen und auf jede Weise beweisen; wir sind nicht Aristokraten, wir hassen die Aristokraten.« »Willst du Aristokratenblut trinken?« So ruft ein Mann und reicht ihr Blut zu trinken (wenn der allgemeinen Sage geglaubt werden kann); Dulaure, Esquisses historiques des principaux événements de la Révolution, II, 206 (angeführt in Montgaillard, III, 305). das arme Mädchen trinkt es. »Gut, dieser Sombreuil ist also unschuldig.« Ja, wirklich, – und nun seht, ihr alle, wie die blutigen Piken zu Boden rasseln und das Tigergeheul zu Ausbrüchen wird des Jubels über einen geretteten Bruder, und wie der alte Mann und seine Tochter an blutbesudelte Busen gedrückt werden unter heißen Thränen, wie sie nach Hause getragen werden im Triumph unter dem Rufe Vive la Nation, wie die Mörder sogar kein Geld annehmen wollen! Ist diese Stimmung etwas sehr Seltsames? Sie ist eine vollkommene Thatsache, durch royalistisches Zeugnis unter ähnlichen Umständen wohl bewiesen Bertrand de Moleville (Mémoires particuliers, II, 213) etc. etc. und sehr bezeichnend.

 


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