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Aber was thaten die eigentlichen Behörden all die Tage? Die gesetzgebende Versammlung, die sechs Minister, das Stadthaus, Santerre mit der Nationalgarde? – Es ist recht merkwürdig zu denken, was solch eine große Stadt ist. Theater, ihrer dreiundzwanzig etwa, waren jeden Abend, wenn diese Greuel vorgingen, geöffnet; während hier rechte Arme müde wurden vom Totschlagen, fiedelten dort rechte Arme auf melodischem Katzendarm! Im nämlichen Augenblicke, als Abbé Sicard auf ein zweites Schulternpaar, drei Mann hoch, hinaufkletterte, lagen fünfhunderttausend menschliche Wesen ruhig ausgestreckt in ihren Betten, als ob in Paris alles in bester Ordnung wäre!
Was die arme Legislative betrifft, so war ihr das Scepter entfallen. Sie sandte Deputationen nach den Gefängnissen, 197 an diese Straßengerichtshöfe, und der arme Monsieur Dusaulx hielt dort Reden, konnte aber niemand im geringsten überzeugen, ja, als er fortfuhr zu reden, trat der Straßengerichtshof dazwischen, nicht ohne Drohungen, und er hatte Zeit, aufzuhören und sich zurückzuziehen. Es ist dies der nämliche arme alte ehrenwerte Monsieur Dusaulx, der, wenn auch mit heiserer Stimme, so doch zu unserer Erbauung vor langem die Eroberung der Bastille erzählte oder beinahe sang. Er pflegte bei solchen wie bei allen Gelegenheiten sich als Übersetzer des Juvenal anzukündigen. »Werte Mitbürger, ihr seht vor euch einen Mann, der sein Vaterland liebt und der der Übersetzer des Juvenal ist,« sagte er einmal. – »Juvenal?« unterbricht der Sanskulottismus, »wer zum Teufel ist Juvenal? Einer von euren sacrés aristrocrates? Hängt ihn an die Laterne!« Überzeugung konnte von einem Redner dieses Schlages wohl nicht ausgehen. Die Legislative hatte die größte Mühe, auch nur eines ihrer eigenen Mitglieder, oder Exmitglieder, den Deputierten Jounneau, zu retten, der in einem der Gefängnisse lag wegen bloßer parlamentarischer Vergehen. Was den armen alten Dusaulx und Compagnie anbelangt, so kehrten sie in den Saal de Manège zurück, erklärend, es sei dunkel gewesen und sie hätten nicht recht sehen können, was vorgehe. Moniteur, Debatte vom 2. September 1792.
Roland schreibt entrüstete Botschaften im Namen von Ordnung, Menschlichkeit und Gesetz. Aber er hat keine Macht zu seiner Verfügung. Santerres Nationalgarden scheinen zu lässig um sich zu erheben, obwohl er sie aufbot, wie er sagt; sie zerstreuten sich immer wieder. Ja, haben wir nicht mit des Advokaten Maton Augen auch »Männer in Uniform« gesehen, ihre »Ärmel blutig bis an die Schultern?« Pétion geht in trikolorer Schärpe, redet »die strenge Sprache des Gesetzes;« solange er da ist, lassen die Mörder ab, sowie er den Rücken kehrt, beginnen sie wieder. Auch Manuel sehen wir im Vorübergehen, mit Matons Augen, im sogenannten Ammenhof, der Cour ds Nourrices, mit der Schärpe angethan, auf die Leute einreden. Dagegen hält der grausame Billaud, ebenfalls in der Schärpe, »mit dem kleinen flohfarbenen Rocke und schwarzer Perücke, wie wir ihn zu sehen gewohnt sind«, Méhée fils ( ut supra, in der Histoire parlementaire XVIII, p. 189). »mitten unter Leichen stehend«, eine wohlvernehmbare, kurze aber ewig denkwürdige Rede, die mit 198 verschiedenen Worten, aber dem Sinne nach immer gleich überliefert wird: »Wackere Bürger, ihr rottet die Feinde der Freiheit aus, ihr thut eure Pflicht. Eine dankbare Kommune und das Vaterland würden euch gern angemessen belohnen, können es aber nicht, ihr kennt ja ihren Mangel an Mitteln. Wer immer in einem Gefängnisse gearbeitet hat ( travaillé), soll eine Anweisung auf einen Louisdor erhalten, zahlbar durch unsern Kassierer. Setzt eure Arbeit fort.« Die gesetzmäßig bestehenden Behörden sind von gestern, ziehen nach verschiedenen Seiten; eigentlich giebt es gar keine, denn ein jeder ist sein eigener König, und alle sind sie Königlein, kriegführend, verbündet oder bewaffnet-neutral, ohne einen Herrn über sich.
»O ewige Schmach,« ruft Montgaillard aus, »daß Paris wie in Betäubung zusah, vier Tage lang, ohne dazwischen zu treten!« Sehr wünschenswert, ja wohl, wär's gewesen, daß Paris dazwischen getreten wäre, aber es ist nicht unbegreiflich, daß es in seiner Betäubung blos zusah. Paris ist eben in tödlichem Schrecken, der Feind und seine Galgen stehen vor der Thür; wer da in Paris den Mut hat, dem Tode zu trotzen, findet es viel nötiger, es im Kampfe gegen die Preußen zu thun, als in einem Kampfe gegen die Mörder der Aristokraten. Entrüsteter Abscheu mag vorhanden sein, wie bei Roland, finstere Zustimmung, im voraus gegeben oder nicht, wie bei Marat und dem Wohlfahrtsausschuß; die allgemeine Stimmung ist flaue Mißbilligung, gleichgiltige Billigung, Ergebung in vermeinte Notwendigkeit und Bestimmung. Die Söhne der Finsternis, »zweihundert etwa«, aus ihren Schlupfwinkeln hervorgestiegen, haben Zeit zu ihrem Werk. Treibt sie der Fieberwahn des Patriotismus und die Raserei des Schreckens, oder ist's Gewinnsucht und der Tagelohn von einem Louisdor? Nein, nicht die Gewinnsucht, denn goldene Uhren, Ringe, das Geld der Hingeschlachteten werden von den sansculottischen Schlächtern gewissenhaft nach dem Stadthause gebracht, und sie betteln nachher um ihren Tagelohn von einem Louisdor; Sergent, der sich einen ungewöhnlich schönen Achatring an den Finger steckt (sich dazu für »vollständig berechtigt« haltend) bekommt sogar den wenig ehrenhaften Spitznamen Achat-Sergent. Aber die allgemeine Stimmung ist, wie wir sagten, gleichgiltige Ergebung, wie in etwas Notwendiges. Erst als der patriotische oder wahnsinnige Teil der Arbeit gethan und nichts mehr übrig ist, erst als die Söhne der Finsternis, offenbar nur auf Gewinn erpicht, anfangen am 199 hellen Tage, auf offener Straße, Uhren und Börsen, Broschen vom Halse der Damen, an sich zu reißen, »um Freiwillige damit auszurüsten«, erst dann verwandelt sich die gleichgiltige Stimmung in eine zornige, der Konstabler hebt seinen Knüttel und schlägt (wie ein energischer Viehtreiber) den »Gang der Dinge« zurück ins alte regelmäßige Geleise. Das Garde-Meuble du la Maison du roi wurde, sogar am 17. noch, verstohlen geplündert, zum neuen Entsetzen Rolands, der sich wieder rührt und, wie Sieyès sagt, »das Veto der Schurken« wird, Roland veto des coquins. Helen Maria Williams, III, 27.
Das also war das Septembergemetzel; von anderer Seite auch genannt: »das strenge Volksgericht«. Das waren die Septembermänner ( Septembriseurs), ein Name von Bedeutung und Glanz, aber einem Glanze von höllischer Art, sehr verschieden von dem unsrer Bastillehelden, der, was kein Freund der Freiheit bestreiten darf, wie himmlische Lichtstrahlen erschien; bei einem solchen Stande der Dinge sind wir inzwischen angelangt. Die Zahl der Niedergemetzelten beträgt, nach der phantastischen Geschichte »zwischen zwei und drei tausend« oder gar »über sechstausend«, denn Peltier (im Traum) sah, daß man sogar die Kranken des Irrenhauses in Bicêtre »mit Kartätschenschüssen« tötete; ja, endlich werden es »zwölftausend« und einige hundert, – nicht mehr als das. Histoire parlementaire, XVII, 421, 422. In arithmetischen Ziffern und nach Listen, abgefaßt von dem genauen Advokaten Maton, beläuft sich die Zahl mit Einschluß von zweihundert und zwei Priestern, drei »unbekannten Personen« und »einem bei den Bernhardinern getöteten Diebe«, wie vorher erwähnt, auf eintausend und neunundachtzig – nicht weniger als das. Eintausend und neunundachtzig liegen tot, »zweihundert und sechzig aufgehäufte Leichname auf dem Pont au Change« sogar, – worunter ein unschuldig Erschlagener sein soll, was später Robespierre »beinahe weinen« macht, wenn er daran denkt. Moniteur vom 6. November (Debatte vom 5. November 1793). Einer, nicht zwei, o du seegrüner Unbestechlicher? Wenn dem so, dann muß Themis Sansculotte besonderes Glück gehabt haben, denn ihr Verfahren war doch so rasch! – In den dunkeln, bis auf diesen Tag erhaltenen Registern des Stadthauses, kann man, mit Grauen, Eintragungen und Posten verzeichnet finden, wie sie sonst in Stadtregistern nicht gewöhnlich sind. »Für Arbeiter, 200 die angestellt waren zur Reinigung der Luft in den Gefängnissen, und für Personen, die diesen gefährlichen Operationen vorstanden,« so viel, – in mehreren Posten nahe an siebenhundert Pfund Sterling. Für Fuhrleute, die den Transport besorgten nach »den Begräbnißplätzen von Clamart, Montrouge und Baugirard,« so und so viel den Tag und für die Fuhre, auch das ist eingetragen. Dann so viele Franken und Sous »für die nötige Menge ungelöschten Kalks!« État des sommes payées par la Commune de Paris (Histoire parlementaire XVIII, 231). Karren fahren durch die Straßen, voll entblößter durcheinander geworfener menschlicher Leichname; einzelne Glieder ragen daraus empor – siehst du jene kalte Hand so wachsbleich, so schrecklich aus dem dichten Haufen von Bruderleichen hervorragen, wie in stummem Gebet zum Himmel gerichtet, wie ein Ruf de profundis: O, habe Erbarmen mit den Kindern der Menschen! Mercier sah es, als er »am Morgen nach den Metzeleien die Rue Saint-Jacques von Montrouge« hinunterging, aber nicht eine Hand; es war ein Fuß, – was ihm noch bedeutsamer schien, man versteht nicht recht warum. Oder sah es aus wie der Fuß von einem, der den Himmel von sich stieß, der voll Überdruß und Verzweiflung, wie ein wilder Taucher, sich in die Tiefen der Vernichtung hinabstürzte? Auch dort wird Seine Hand dich finden und Seine Rechte dich halten, – sicherlich um deiner rechten, nicht deiner unrechten Thaten, um des Guten, nicht um des Bösen willen. »Ich sah jenen Fuß,« sagt Mercier, »ich werde ihn wiedererkennen am großen Tage des Gerichts, wenn der Ewige, auf seinen Donnern thronend, richten wird über beide, Könige und Septembermänner.« Mercier, Nouveau Paris, VI, 21.
Daß sich ein Schrei unaussprechlichen Entsetzens erhob über diese Dinge, nicht nur von französischen Aristokraten und Gemäßigten, sondern von ganz Europa, und forttönt bis auf den heutigen Tag, ist höchst natürlich und recht. Diese Dinge waren geschehen, unwiderruflich, Dinge, die einigen anderen in den Annalen unserer Erde schwarz angezeichneten Geschehnissen beigezählt werden müssen, ohne je daraus getilgt zu werden. Denn der Mensch, wie gesagt, hat Transcendentalismus in sich, steht, wie ein armes Geschöpf, überall »im Zusammenflusse von Unendlichkeiten,« ein Geheimnis sich und anderen, im Mittelpunkte zweier Ewigkeiten, dreier 201 Unermeßlichkeiten, – im Berührungspunkte ursprünglichen Lichts mit ewiger Finsternis! – So sind sehr jammervolle Dinge verübt worden, besonders von gewaltthätigen Charakteren, die in einen Zustand der Verzweiflung gebracht worden waren. Die Sicilianische Vesper mit achttausend in zwei Stunden Hingemordeten ist bekannt. Sogar Könige, nicht einmal in Verzweiflung, sondern nur in schwieriger Lage, haben Jahr und Tag (ja es sagt de Thou sieben Jahre) über ihrer Bartholomäusnacht gebrütet, und dann, im rechten Augenblick, auch an einem Herbstsonntage, wurde diese nämliche Glocke von Saint-Germain l'Auxerrois (man sagt, es sei auch noch das nämliche Metall) geläutet, und mit welcher Wirkung! 9. bis 13. September 1572 ( Dulaure, Histoire de Paris, IV, 289). Ja, die nämlichen schwarzen Quadern dieser Pariser Gefängnisse haben Pariser Metzeleien gesehen vorher, Menschen, ihre Landsleute hinmetzelnd, Burgunder die plötzlich eingekerkerten Armagnaken, bis, wie jetzt, Haufen von Leichen aufgeschichtet waren, bis die Straßen rot flossen von Blut. Auch erhob der Maire Pétion der damaligen Zeit Einrede in der ernsten Sprache des Gesetzes, und erhielt auf altfranzösisch (es ist bei vierhundert Jahre her) von den Mördern zur Antwort: » Maugré bieu, Sire, – Herr, Gottes Fluch über Eure ›Gerechtigkeit,‹ Euer ›Erbarmen,‹ Eure ›gesunde Vernunft.‹ Verflucht sei von Gott, wer Mitleid hat für diese falschen verräterischen Armagnaken, diese englischen Hunde, die sie sind; zu Grunde haben sie uns gerichtet, unser Reich verwüstet und den Engländern verkauft. Dulaure, III, 494. Und damit morden sie weiter und schleudern die Ermordeten auf die Seite, eine Zahl von 1518, worunter vier falsch und verdammungswürdig ratende Bischöfe und zwei Parlamentspräsidenten gefunden werden.« Denn obgleich die Welt in der wir leben, nicht des Satans Welt ist, so hat er doch immer seinen Platz in ihr (eigentlich unterirdisch) und von Zeit zu Zeit bricht er hervor. Wohl mögen die Menschen schreien, zornig verdammen, so viel sie können. Es giebt Handlungen von solchem Nachdruck, daß kein Schreien für sie zu nachdrücklich sein kann. Schreit ihr nur; gehandelt haben jene.
Schreie wer will in diesem Frankreich, es giebt zehn Männer in dieser Pariser Legislative oder dem Pariser Stadthause, die nicht schreien. Ein Zirkular geht aus vom 202 Komitee des Salut Public, datiert vom 3. September 1792 und an alle Gemeinden gerichtet; ein Dokument, das zu merkwürdig ist, um übersehen zu werden. Es lautet:
»Ein Teil der in den Gefängnissen zurückgehaltenen wilden Verschwörer sind vom Volke getötet worden, und wir können nicht bezweifeln, daß die ganze Nation, durch solch unaufhörlich fortgesetzten Verrat an den Rand des Verderbens getrieben, sich beeilen werde, dieses Mittel der Staatsrettung zu ergreifen, und daß alle Franzosen wie die Männer von Paris ausrufen werden: Wir gehen in den Kampf gegen den Feind, aber wir wollen nicht Räuber zurücklassen, die unsere Weiber und Kinder hinschlachten.« Worunter lesbar hinzugesetzt diese Unterschriften stehen: Panis, Sergent, Marat, Freund des Volkes, Histoire parlementaire XVII, 433. nebst sieben anderen – alles einer späten Nachwelt als etwas Merkwürdiges überliefert. Wir bemerken jedoch, daß ihr Zirkular eher auf sie selbst zurückprallte, als daß es befolgt worden wäre. Die Stadthäuser machten keinen, sogar die wahnwitzigen Sansculotten nur geringen Gebrauch davon, sie heulten und brüllten nur, aber ohne zu beißen. In Rheims wurden »etwa acht Personen« getötet, und nachher zwei dafür gehängt. In Lyon und einigen anderen Orten, wurden einige Versuche gemacht, doch mit kaum einem Erfolge, da sie schnell unterdrückt wurden.
Weniger glücklich waren die Gefangenen von Orléans, war der gute Herzog von La Rochefoucault. Als er mit seiner Mutter und seiner Frau mit schnellen Pferden nach Bädern von Forges oder irgend einer ruhigeren Gegend reisen wollte, wurde er in Gisors angehalten, unter dem Toben der Menge durch die Straßen geführt und »durch einen durch das Kutschenfenster fliegenden Pflasterstein« getötet. Getötet als einstiger Liberaler und nunmehriger Aristokrat, als Beschützer der Priester, Absetzer tugendreicher Pétions, und als eine dem Patriotismus höchst widerwärtige, verhaßte Persönlichkeit. Von Europa beklagt stirbt er; sein Blut bespritzte die Wangen seiner dreiundneunzig Jahre alten Mutter.
Was die Gefangenen von Orléans betrifft, so galten sie als Staatsverbrecher: royalistische Minister, Delessarts, Montmorins, die sich seit der Einsetzung des hohen Gerichtshofes von Orléans dort in den Gefängnissen angehäuft haben. Es scheint nun zweckmäßig, sie vor unseren neuen Pariser Gerichtshof vom Siebzehnten zu bringen, der weit schneller verfährt. 203 So ist denn der heißblütige Fournier von Martinique, Fournier der Amerikaner auf dem Wege, gesandt von der gesetzlichen Behörde, mit starker Nationalgarde, mit Lazouski dem Polen, doch spärlich mit Reisegeld versehen. Trotz schlechter Quartiere, Schwierigkeiten, Gefahren, denn die Behörden durchkreuzen sich überall in diesen Zeiten, bringt er die fünfzig oder dreiundfünfzig Gefangenen von Orléans im Triumph nach Paris zu, wo ein schnelleres Gericht vom Siebzehnten Recht sprechen soll über sie. Histoire parlementaire, XVII, 434. Aber seht, in Paris hat sich inzwischen ein noch schnelleres und allerschnellstes Gericht, das vom zweiten und vom September, gebildet; nach Paris geht nicht hinein, oder das wird euch verurteilen! – Was soll der hitzige Fournier thun? Es war seine Pflicht als freiwilliger Scherge, das wenn auch noch so aristokratische Leben dieser Männer mit Einsetzung seines eigenen wertvollen, wenn auch noch so sansculottischen Lebens zu schützen, bis irgend ein ordentlicher Gerichtshof darüber verfügt haben würde. So hätte er gedacht, wäre er ein vollkommener Charakter gewesen, aber er war ein unvollkommener Charakter und Scherge, vielleicht einer der mehr als unvollkommenen.
Der hitzige Fournier, von der einen Behörde hierhin, von der anderen dorthin beordert, befindet sich inmitten einer verwirrenden Menge von Befehlen, aber schließlich schlägt er den Weg nach Versailles ein. Seine Gefangenen fahren in offenen Karren, er und die Garden reiten und gehen um sie herum, und beim letzten Dorfe kommt ihnen der werte Maire von Versailles entgegen, ängstlich besorgt, daß die Ankunft und Einschließung der Gefangenen glücklich vorüber sein möchte. Es ist Sonntag, der neunte Tag des Monats. Aber seht, als die Karren die Avenue von Versailles erreichen, welche Menschenmenge sich da bewegt und schwärmt in der Septembersonne, unter dem septemberlich matten Grün der Bäume! Die vierfache Allee ist voll summender, sich drängender Menschen, als ob die Stadt sich dahin geleert hätte. Unsere Karren rollen schwer durch das lebende Meer, die Garden und Fournier können nur mit wachsender Schwierigkeit die Bahn freihalten. Der Maire spricht und gestikuliert was er kann inmitten des Murrens und Summens, das immer tiefer, immer allgemeiner wird, je länger es dauert, nicht ohne daß hier und da ein scharfes gellendes Wutgeschrei hervorbricht. Wollte Gott, wir wären heraus aus dieser 204 Enge, und Wind und Entfernung hätten die Hitze abgekühlt, die hier im Begriffe scheint, in hellen Brand auszubrechen!
Wenn aber die breite Allee zu enge ist, wie wird es nachher in der engen Surintendancestraße sein? An deren Ecke werden die einzelnen Schreie zu einem beständigen Wutgeheul, wilde Gestalten springen auf die Karrendeichseln, der erste Schaum einer unendlichen hereinbrechenden Flut! Der Maire fleht, er stößt, halb verzweifelt, Andringende zurück, wird gestoßen, endlich auf den Armen weggetragen! Die wilde Flut hat freien Zutritt, ist Herr geworden. Unter entsetzlichem Lärm und einem Tumult wie von wütenden Wölfen, sinken die Gefangenen hin, alle bis auf etwa elf, die in Häuser entrannen und dort Erbarmen fanden. Die Gefängnisse und was sie an Gefangenen enthielten, wurden mit Mühe gerettet. Die den Erschlagenen abgerissenen Kleider werden in einem Freudenfeuer verbrannt, die Leichen liegen noch am folgenden Morgen aufgehäuft im Straßengraben. Pièces officielles relatives au massacre des prisonniers à Versailles (in der Histoire parlementaire XVIII, 236-249). Ganz Frankreich, ausgenommen wohl die zehn Zirkularmänner und ihre Leute, jammert und gerät in Schrecken, ganz Europa schallt wieder in einem Schrei der Empörung.
Aber eben so wenig als die Zehn schreit Danton, obwohl, als Minister der Justiz, er vor allem gesollt hätte. Der rauhe Danton steht in der Bresche erstürmter Städte und empörter Nationen, inmitten der Kanonen des 10. August, dem Geräusche preußischer Henkerstricke, dem Wüten der Septembersäbel; um ihn herum Vernichtung und stürzende Welten. Justizminister wird er genannt, aber seine Persönlichkeit stellt ihn auf den verlorenen Posten eines Titanen und eines Enfant perdu der Revolution, – und danach handelt der Mann.
»Wir müssen unsere Feinde in Furcht versetzen!« Höchste Furcht, befällt sie nicht, wie von selbst, unsere Feinde? Er, der Titan auf dem verlorenen Posten, ist nicht der Mann, der vor allen andern die Furcht hindern würde, unsere Feinde zu befallen. Vorwärts, verlorner Titan von einem Enfant perdu, du mußt wagen, und wieder wagen, und immer wieder wagen; nichts bleibt dir sonst übrig! » Que mon nom soit flétri, mag mein Name gebrandmarkt werden!« Was bin ich? Die Sache allein ist groß und soll leben und darf nicht untergehen. – So giebt's denn auch hier einen Formelverschlinger, mit noch weiterem Schlunde als Mirabeau: dieser 205 Danton, der Mirabeau der Sansculotten. In den Septembertagen hat man diesen Justizminister nicht mit dem streng gesetzlichen Roland zusammenarbeiten sehen, seine Thätigkeit war auf anderes gerichtet – gegen Braunschweig und auf das Hôtel-de-Ville. Als sich ein Beamter wegen der Gefangenen von Orléans und der Gefahren, die sie liefen, an Danton wandte, erwiderte er finster, zweimal: »Sind denn diese Leute nicht schuldig?« Als man stärker in ihn drang, »antwortete er mit einer schrecklichen Stimme« und wandte sich ab. Biographie des Ministres, p. 97. Eintausend in den Gefängnissen hingemordet, gräßlich ist's, wenn man's bedenkt; aber Braunschweig ist nur noch einen Tagemarsch von Paris, und es heißt jetzt: fünfundzwanzig Millionen Franzosen hinmorden lassen, oder sie retten. Es giebt Männer, denen schrecklichere Aufgaben zugefallen sind, als die unserigen! Es scheint merkwürdig, aber es ist's nicht, daß dieser Minister einer Molochjustiz menschliches Mitgefühl zeigte, wenn irgend ein Fürsprecher für eines Freundes Leben sich an ihn wandte, und daß er »immer« nachgab und die Fürbitte erhörte; »auch kam kein einziger persönlicher Feind Dantons um in diesen Tagen.« Biographie des Ministres, p. 103.
Schreien, wenn gewisse Dinge geschehen, ist recht und unvermeidlich, sagen wir. Dennoch ist nicht das Schreien, sondern beredte Sprache Gabe und Vorrecht des Menschen; darum laßt uns, so lange Sprechen noch nicht möglich ist, wenigstens bald – schweigen. Schweigen ist's, was wir darum in diesem vierundvierzigsten Jahre nach den Ereignissen, im Jahre 1836, einer »Aera, genannt die christliche (wie lucus a non lucendo)«, empfehlen und beobachten wollen. Ja, statt noch mehr zu schreien, wäre es vielleicht erbaulich zu bemerken, welch eigen Ding Sitten (auf lateinisch mores) sind, und wie passend die Tugend, virtus, die Männlichkeit, der Wert im Menschen, seine Moralität oder Sittlichkeit genannt wird. Grausamer Mord, gewiß eines der echtesten Produkte der Hölle, einmal »Sitte« geworden, wird zum Krieg, zum Krieg nach Regel und Gesetz, wird als »Sitte« auch moralisch. Und Männer im bunten Rock tragen die Mordwerkzeuge um ihre Hüfte gegürtet, nicht ohne Stolz, was du in keiner Weise tadelst. Während doch, sieh nur, der Mord, solange er nur im groben Arbeitskittel einhergeht, und die Revolution, weniger häufig und darum ohne Gesetze, uns zum Schreien veranlassen!
206 Die Mörder im groben Kittel, sie sind das Unsittliche! O, ihr geliebten schreienden Brüder Dickköpfe, laßt uns unsere weit aufgerissenen Mäuler schließen, laßt uns aufhören zu schreien und anfangen, nachzudenken!