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Oder lieber wollen wir sagen: Dieser Senatorenkrieg hätte lange dauern können, noch lange hätte eine Partei mit der anderen Partei sich zerren und würgen, hätten sie einander zu Boden werfen und sich niederhalten können, in der gewöhnlichen unblutigen Weise des Parlamentskampfes; unter einer Bedingung, daß nämlich Frankreich unterdessen 289 wenigstens zu existieren imstande gewesen wäre. Aber dieses souveräne Volk hat die Fähigkeit, zu verdauen, und kann's nicht machen ohne Brot. Auch sind wir im Kriege und müssen den Sieg erringen, im Krieg mit Europa, mit dem Schicksal und der Hungersnot; und seht, im Frühling des Jahres verläßt uns aller Sieg.
Dumouriez hatte seine Vorposten bis nach Aachen ausgedehnt und den schönsten Plan gemacht, wie Holland zu überfallen, mit Kriegslist, flachen Booten und rascher Unerschrockenheit. Was soweit ihm auch geglückt war, aber unglücklicherweise nicht weiter glücken wollte. Aachen ist verloren, Mastricht will sich bloßem Rauch und Lärm nicht ergeben, die flachen Boote müssen wieder ablaufen und den Weg zurückkehren, den sie gekommen waren. Seid fest nun, ihr raschen, unerschrockenen Leute, retiriert mit Festigkeit gleich Parthern! Ach, sei nun General Miranda daran schuld oder der Kriegsminister oder Dumouriez selber und das Glück – genug, es bleibt nichts übrig als der Rückzug, und ein Glück noch wird es sein, wenn der nicht zur hellen Flucht wird; denn schon strömen in Furcht gejagte Kohorten und Nachzügler davon, ohne auf einen Befehl zu warten, fliehen, ihrer Zehntausend, voll Schrecken und ohne Aufenthalt, bis sie Frankreichs Boden wiedersehen. Dumouriez, IV, 16-73. ) Ja, noch Schlimmeres. Wendet sich nicht Dumouriez selber vielleicht heimlich dem Verrate zu? Sehr scharf ist der Ton, in dem er an unsere Kommissionen schreibt. Die Kommissäre und jakobinischen Plünderer hätten so unberechenbaren Schaden angerichtet, Hassenfratz sende weder Patronen noch Kleider, Schuhe hätte er bekommen, die betrügerischerweise besohlt seien »mit Holz und Pappdeckeln.« Kurz, nichts ist recht. Danton und Lacroix wollten, als sie Kommissäre waren, Belgien durchaus mit Frankreich vereinigen – während in seinen eigenen geheimen Wünschen Dumouriez sich gern ein kleines reizendes Herzogtum daraus gemacht hätte. Über all das ist der General jetzt zornig und schreibt in scharfem Tone. Wer weiß, was der hitzige, kleine General im Schilde führt? Dumouriez, Herzog von Belgien oder Brabant, und, sagen wir, Égalité der jüngere König von Frankreich – da wär's zu Ende mit unserer Revolution. – Die Kommission für die Landesverteidigung ist starr oder schüttelt den Kopf. Wer außer Danton, dem die Fähigkeit zum Mißtrauen abgeht, vermöchte noch zu hoffen?
290 Und General Custines Truppen wälzen sich vom Rhein zurück, das eroberte Mainz wird wieder verloren gehen; schon sammeln sich die Preußen rundum, um es mit Bomben und Granaten zu beschießen. Mainz mag widerstehen, indem der Kommissär Merlin von Thionville »Ausfälle macht an der Spitze der Belagerten«, mag bis in den Tod, aber nicht länger, widerstehen. Welch ein trauriger Wechsel für Mainz! Der wackere Forster, der wackere Lux pflanzten dort im vergangenen Winter bei Schneewetter Freiheitsbäume unter ça-ira-Singen, stifteten Jakobinergesellschaften und brachten die Einverleibung des Gebietes in Frankreich zu stande. Dann kamen sie hierher nach Paris als Deputierte oder Delegierte, und haben ihre 18 Franken den Tag. Aber Mainz, seht, verwandelt sich, bevor noch die Freiheitsbäume einmal recht grünten, in einen explodierenden, feuerspeienden und rings mit Feuer bespieenen Krater!
Keiner von diesen Männern wird Mainz wiedersehen, sie sind hierhergekommen, nur um zu sterben. Forster ist rund um den Erdkreis gekommen, sah Cook unter den Keulen der Owaihier umkommen, aber so etwas, wie in diesem Paris,. hat er noch nicht gesehen oder erlitten. Armut verfolgt ihn, von zu Hause kommen nur Hiobsposten, die 18 Franken, die er hier als Deputierter oder Delegierter unter Schwierigkeiten bezieht, werden in Papierassignaten bezahlt und sinken rasch im Werte. Armut, Enttäuschung, unfreiwillige Unthätigkeit und Vorwürfe brechen langsam das wackere Herz! Dies ist Forsters Los. Im übrigen lächelt ihm Demoiselle Théroigne zu in den Soireen, »ein schönes braungelocktes Gesicht«, dessen Eigentümerin, von exaltiertem Wesen, es möglich zu machen weiß, sich eine Equipage zu halten. Der Preuße Trenck, der arme, unterirdische Baron, kauderwälscht und zankt in höchst unmelodischer Weise. Thomas Paines Gesicht ist voll roter Finnen, »aber die Augen sind von ungewöhnlichem Glanze.« Forster wird von Konventsdeputierten sehr artig zum Diner geladen und »wir alle spielten Plumpsack.« Forsters Briefwechsel, II, 514, 460, 631. »Es ist der Ausbruch und die Schöpfung einer neuen Welt,« sagt Forster, »und die Akteurs in ihr, solche kleine geringfügige Subjekte, summen um einen herum wie eine Hand voll Fliegen.« –
Wir haben auch Krieg mit Spanien. Spanien wird vorrücken durch die Schluchten der Pyrenäen, mit rauschenden 291 Bourbonenbannern, mit rasselnder Artillerie und mit Drohungen. Und England hat den roten Rock angezogen und marschiert an mit Seiner Königlichen Hoheit von York – den einst einige von uns einladen wollten, unser König zu sein. Die haben ihre Laune jetzt geändert, und je länger, je mehr ändert sie sich, bis auf Erden kein verhaßter Ding wandeln wird, als ein Bürger dieser tyrannischen Insel und Pitt vom Konvent mit Hitze für den »Feind des Menschengeschlechts ( l'ennemi du genre humain)« erklärt wird, ja bis sogar der in seiner Art einzige Befehl ergeht, daß kein Krieger der Freiheit einem Engländer Pardon geben solle. Welchem Befehl indessen der Krieger der Freiheit nur teilweise gehorcht. Wir wollen also keine Gefangenen machen, sagen die Krieger der Freiheit; alle die wir fangen, sollen Deserteurs sein. Siehe Dampmartin, Événements, II, 213-230. Es ist ein wahnsinniger und von Unannehmlichkeiten begleiteter Befehl, denn gewiß, wenn wir keinen Pardon geben, so ist die einfache Folge, daß auch wir keinen erhalten, und damit wird die Sache so breit, wie sie lang war. – Unsere dreihunderttausend Rekruten, die beschlossene Aushebung für dieses Jahr, werden wahrscheinlich genug Arbeit zu thun bekommen.
So viele Feinde kommen gezogen, dringen durch Bergschluchten, steuern über die salzige See, nach allen Punkten unseres Gebietes hin, Ketten gegen uns schüttelnd.
Ja, das Schlimmste von allem, es giebt einen Feind in unserm eigenen Gebiet. In den ersten Tagen des März kommen die Postbeutel von Nantes nicht an, statt ihrer kommen Vermutungen, Besorgnisse, schlimme Gerüchte. Das Schlimmste erweist sich als wahr. Jene fanatischen Leute in der Vendée wollen sich nicht länger ruhig verhalten, ihr aufrührerisches Feuer, das man bisher unter großen Schwierigkeiten niedergehalten hat, lodert nach dem Tode des Königs von neuem auf, wie ein weithin verbreiteter Brand – kein Aufruhr, sondern Bürgerkrieg. Diese Cathelineaus, Stofflets, Charettes sind andere Männer, als man dachte; seht, wie ihre Bauern, in Blousen und Kitteln nur, mit ihren rohen Waffen, in roher Ordnung, mit ihrer fanatischen gälischen Wut, und mit wildgellendem Schlachtruf: » Für Gott und König!« auf uns stoßen, wie ein dunkler Wirbelwind und unsere bestdisciplinierten Nationalsoldaten in panischen Schrecken versetzen und sauve qui peut! Sie behaupten einmal ums andere das Feld, man weiß nicht, wo das enden wird. 292 Kommandant Santerre mag dorthin gesandt werden; aber es nützt nichts, er hätte ebensowohl nach Hause zurückkehren und Bier brauen können.
Es ergiebt sich die gebieterische Notwendigkeit, daß der Nationalkonvent aufhöre zu streiten und anfange zu handeln. Es gebe eine Partei der andern nach und thue es schnell. Kein theoretischer Ausblick ist's, worum sich's handelt, sondern die nahe Gewißheit des Ruines. Ja, für den heutigen Tag, dessen Stunden verrinnen, muß gesorgt werden.
Es war am Freitag, den 8. März, als die Hiobspost von Dumouriez, von sehr vielen andern vorangehenden und begleitenden Hiobsposten gedrängt, den Nationalkonvent erreichte. Verstört sind die Mienen der meisten. Wenig wird es nützen, ob unsere Septembermänner bestraft werden oder unbestraft durchschlüpfen, wenn Pitt und Coburg daherkommen mit derselben Strafe für uns alle, jetzt, wo nichts mehr zwischen Paris und den Tyrannen steht, als ein zweifelhafter Dumouriez und Heerhaufen in lärmendem ungeordneten Rückzuge! –
Danton der Titane erhebt sich in dieser Stunde, wie immer in der Stunde der Gefahr. Gewaltig ertönt seine Stimme und vom Gewölbe wiederhallt sie: Bürgerrepräsentanten, sollen wir nicht in einem solchen Wendepunkte des Schicksals alle Uneinigkeit beiseite legen? Reputation? O, was ist die Reputation dieses Mannes oder jenes? » Que mon nom soit flétri, que la France soit libre«, »mag mein Name gebrandmarkt werden, wenn nur Frankreich frei ist!« Es ist wiederum nötig, daß Frankreich sich erhebe zu schneller Rache mit seiner Million rechter Arme, mit einem Herzen, wie Eines Mannes Herz. Augenblickliche Anwerbung in Paris, laßt jede Sektion in Paris, jede Sektion in Frankreich ihre Tausende stellen. Sechsundneunzig Kommissäre von uns, zwei für jede von den achtundvierzig Sektionen, müssen unverzüglich gehen und Paris verkünden, was das Vaterland von der Hauptstadt verlangt. Laßt achtzig andere von uns sich eiligst über Frankreich zerstreuen, das Feuerkreuz verbreiten, die ganze Macht unserer Männer aufbieten. Laßt die achtzig ebenfalls auf dem Wege sein, bevor diese Sitzung geschlossen wird. Laßt sie gehen und bedenken, was ihre Sendung für Frankreich bedeutet. Schleunigst muß ein Lager für fünfzigtausend Mann errichtet werden zwischen Paris und der nördlichen Grenze, denn aus Paris werden sich seine Freiwilligen ergießen! Schulter an Schulter, ein starkes, allgemeines, todesmutiges Erheben und Anstürmen, so werden wir noch einmal diese Söhne der Nacht 293 zurückschleudern und der ganzen Welt zum Trotz Frankreich befreien. Moniteur (Histoire parlementaire XXV, 6). – So ertönt des Titanen Stimme in alle Sektionshäuser, in alle französischen Herzen. Die Sektionen bleiben in Permanenz die ganze Nacht, rekrutierend und anwerbend. Kommissäre des Konvents tragen auf schnellen Rädern das Feuerkreuz von Stadt zu Stadt, bis ganz Frankreich auflodert.
So weht denn vom Stadthause die Fahne: das Vaterland in Gefahr; es weht eine schwarze Fahne von der Höhe der Notredame-Kathedrale, hier giebt's Proklamationen, dort feurige Reden, Paris stürmt noch einmal hinaus, um seine Feinde niederzuwerfen. Daß unter solchen Umständen Paris nicht in sanfter Stimmung war, kann man vermuten. Aufgeregte Straßen, noch aufgeregter um den Saal der Manège! Die Feuillantsterrasse füllt sich mit zornigen Bürgern, noch zornigeren Bürgerinnen, Varlet geht umher mit seiner tragbaren Rednertribüne, aus den Herzen und Lippen aller dringen Verwünschungen von nicht gemessener Art, wie: niederträchtige, schönschwatzende hommes d'étet, Freunde von Dumouriez, geheime Freunde Pitts und Coburgs. Den Feind bekämpfen? Ja, und ihn selbst »vor Schrecken erstarren machen, glacer d'effroi..« Aber zuerst wollen wir die Verräter zu Hause bestrafen. Wer sind die, die eifernd und streitend, in ihrer höchst gemäßigten jesuitischen Weise, die patriotische Bewegung zu hemmen suchen? Die Frankreich von Paris trennen und die öffentliche Meinung in den Departements vergiften? Die uns mit Vorlesungen traktieren über Freihandel in Getreide, wenn wir Brot und einen bestimmten Maximalpreis fordern? Kann der menschliche Magen sich sättigen von Vorlesungen über Freihandel, und wie sollen denn wir die Österreicher bekämpfen, etwa auch gemäßigt, oder ungemäßigt? Gesäubert muß dieser Konvent werden.
»Setzt ein schnelles Gericht ein gegen Verräter, bestimmt einen Maximalpreis für Korn,« so rufen energisch die patriotischen Freiwilligen, die durch den Konventsaal defilieren, eben im Begriff nach den Grenzen zu eilen. Ruhmrednerisch äußern sie sich mit der bekannten Kambysesader, unter Beifallsjauchzen der Galerien und des Berges, unter leisem Murren der rechten Seite und der Ebene. Auch an Wundern fehlt es nicht. Seht, während ein Kapitän von der Sektion Poissonnière voll Heftigkeit redet über Dumouriez, Maximalpreis und kryptoroyalistische Verräter, seine Truppe den 294 Chor dazu bildet und ihr Banner über seinem Kopfe schwenkt, da erkennt das Auge eines Deputierten auf demselben Banner an den cravates oder Bändern die königlichen Fleurs de Lis! Entsetzt schreit der Kapitän, seine Truppe schreit, und sie »trampeln auf dem Banner mit Füßen herum.« Offenbar hatte da ein kryptoroyalistischer Verschwörer die Hand im Spiel, höchst wahrscheinlich, Choix des Rapports, XI, 277. – oder in Wahrheit war es vielleicht nur das vor dem 10. August gemachte alte Banner der Sektion, wo solche Bänder ordnungsgemäß waren! Histoire parlementaire, XXV, 72.
Wenn die Geschichte die Memoiren der Girondisten durchblättert, sich angelegentlich bemüht, Wahres von krankhaften Einbildungen zu sondern, so findet sie, daß diese Märztage, insbesondere dieser Sonntag der 10. März, eine große Rolle spielen. Komplotte und immer mehr Komplotte; ein Komplott, die girondistischen Deputierten zu ermorden, zu welchem Zwecke sich Anarchisten und geheime Royalisten in höllischem Bunde verschworen haben! Der bei weitem größere Teil hiervon ist krankhafte Einbildung. Was wir aber anerkennen als unbestreitbar, ist, daß Louvet und gewisse Girondisten in Besorgnis schwebten, am Samstag ermordet zu werden, und darum nicht in die Abendsitzung gingen, sondern miteinander berieten, sich gegenseitig anfeuerten, etwas Entschiedenes zu wagen und diese Anarchisten zu vernichten; worauf Pétion indes, der das Fenster geöffnet und die Nacht sehr naß gefunden hatte, bloß antwortete: » Ils ne feront rien,« und dann, wie Louvet erzählt, Louvet, Mémoires, p. 72. »ruhig seine Violine wieder ergriff,« um sich mit sanftem lydischen Gefiedel einzuhüllen gegen nagende Sorgen. Wahr ist auch, daß Louvet sich besonders ausgesetzt glaubte, ermordet zu werden, daß mehrere Girondisten sich dem besonders ausgesetzt glaubten und ihre Betten aufsuchten, daß ihnen aber nichts geschah. Ferner ist wahr, daß tobende Patrioten, worunter der rotbemützte Varlet und Fournier, der Amerikaner, trotz Dunkelheit, Regen und Tumult sichtbar, in die Häuser des Journalisten, Deputierten und Departementsvergifters Gorsas und seines Druckers einbrachen, ihre Weiber in Furcht versetzten, ihre Pressen, Drucklettern und herumliegendes Material zerstörten, daß kein Maire rechtzeitig dazwischentrat, und Gorsas selber, mit der Pistole in der Hand, »das Dach der Hintermauer entlang« sich flüchten 295 mußte. Ferner ist wahr, daß der folgende Tag ein Sonntag und kein Arbeitstag war, und infolgedessen die Straßen in größerer Aufregung sich befanden als je. Ist's wohl ein neuer Septembersonntag, was diese Anarchisten im Schilde führen? Aber ferner ist wahr, daß kein September kam, – und auch, daß die nicht unbegreiflichen krankhaften Einbildungen beinahe ihren Gipfel erreicht hatten. Meillan, p. 23-24; Louvet, p. 71-80.
Vergniaud klagt an und beklagt in schöngedrechselten Perioden. Die Sektion Bonconseil, Guter Rat, nicht, was sie einst war, Mauconseil oder Schlechter Rat, thut etwas viel Bemerkenswerteres; sie fordert, daß Vergniaud, Buzot, Guadet und andere anklagende schönrednerische Girondisten, ihrer zweiundzwanzig, arretiert werden. Die Sektion Guter Rat, wie sie seit dem 10. August genannt wird, bekommt einen scharfen Tadel, Moniteur (Séance du 15 Mars), 15 Mars. wie eine schlechtberatene Sektion, aber ihr Wort ist gesprochen und wird nicht auf unfruchtbaren Boden fallen.
Wirklich, eine Eigenschaft muß uns bei diesen armen Girondisten auffallen: ihre verhängnisvolle Kurzsichtigkeit, ja, ihr verhängnisvoller Mangel an Charakter, denn das ist die Wurzel des Übels. Sie sind wie Fremde dem Volk gegenüber, das sie regieren möchten, der Arbeit gegenüber, die sie übernommen haben. Laßt die Natur lehren was sie will, diesen Männern wird sie nichts offenbaren als die Formeln, Philosophien, Respektabilitäten, die in Büchern geschrieben und von den gebildeten Klassen angenommen sind; nichts als dieses unzureichende Schema von dem Wirken der Natur. So perorieren und spekulieren sie und rufen die Freunde des Gesetzes an, wo es sich um Gesetz oder nicht Gesetz gar nicht handelt, sondern um leben oder nicht leben. Pedanten der Revolution, wenn nicht Jesuiten der Revolution! Ihr Formalismus ist groß, groß auch ihr Egoismus. Für sie ist das Frankreich, das sich erhebt, um die Österreicher zu bekämpfen, nur ein Frankreich, das sich erhoben hat infolge Komplotts vom 10. März, um zweiundzwanzig von ihnen zu ermorden. Dieses Revolutionswunder, das sich nach seinen eigenen und nach Naturgesetzen, nicht nach den Gesetzen ihrer Formeln, zu so schrecklicher Gestalt und Größe entwickelt hat, für sie ist es unverständlich, unglaublich geworden wie eine Unmöglichkeit, wie das »wüste Chaos eines Traumes.« Was 296 sie haben wollen und nichts sonst, ist eine auf die Tugenden, wie sie's nennen, auf Anstand und Respektabilität, wie wir's nennen, gegründete Republik. Welch andere Republik die Natur und die Wirklichkeit immer bescheren mögen, sie soll angesehen werden als nicht vorhanden, als eine Art Traumgespenst, und als unwirklich, verleugnet von den Gesetzen der Natur und der – Formel. Ach, es ist ja für die besten Augen die Wirklichkeit undeutlich; und diese Männer wollen sie nicht einmal mit ihren natürlichen Augen betrachten, sondern nur durch die »facettierten Brillen« der Pedanterie, der verwundeten Eitelkeit, die ihnen ein höchst verhängnisvolles, trügerisches Bild zeigen. Fortwährend über Komplotte und Anarchie zankend und sich beklagend, werden sie wenigstens das eine darthun, daß sich die Wirklichkeit nicht in ihre Formel fassen läßt, daß sie und ihre Formel unvereinbar sind mit der Wirklichkeit, und daß die Wirklichkeit in ihrem strengen Zorn die Formel und die Girondisten vernichten muß! Nur was ein Mensch kennt, nur das kann er. Aber das Unheil des Menschen beginnt damit, daß ihm die Fähigkeit zu sehen benommen wird, daß er nicht die Wirklichkeit, sondern ein falsches Bild der Wirklichkeit sieht, und diesem folgend, blindlings, schneller oder langsamer zur völligen Finsternis hinabsteigt, in sein Verderben, in das große Meer der Finsternis, wohin alle Lügen, direkt oder auf Umwegen, endlich führen.
Diesen 10. März können wir als eine Epoche in den Geschicken der Girondisten bezeichnen; die Wut erhitzte sich so sehr, die falsche Auffassung der Sachlage vergrößerte sich so sehr. Viele kommen nicht mehr zu den Sitzungen, viele kommen nur bewaffnet. Meillan, Mémoires, p. 85, 24 Ein ehrenwerter Deputierter muß jetzt nach dem Frühstück nicht bloß seine Notizen machen, ehe er nach dem Sitzungssaale eilt, er muß auch sehen, ob seine Pistolen in Ordnung sind.
Unterdessen geht es mit Dumouriez in Belgien immer schlimmer. War's wieder General Mirandas oder eines anderen Fehler, so bleibt kein Zweifel irgend einer Art, daß »die Schlacht von Neerwinden« am 18. März verloren wurde und daß unser hastiger Rückzug ein bei weitem zu hastiger geworden ist. Der siegreiche Coburg mit seinen uns stachelnden Österreichern hängt wie eine schwarze Wolke über unserem Nachtrabe. Dumouriez kommt Tag und Nacht nie vom Pferde, 297 alle drei Stunden ein Gefecht, unser ganzes geschlagenes Heer wälzt sich schleunigst nach Frankreich hinein, unter Wut, Argwohn und sauve qui peut! Und dann Dumouriez! Was mögen seine Absichten sein? Verrucht wohl und nicht wohlwollend! Seine Depeschen an den Kriegsausschuß beschuldigen ganz offen den Konvent als parteisüchtig, beschuldigen ihn, all dieses Unglück über Frankreich und über Dumouriez gebracht zu haben. Und seine Reden – denn der General hält damit nicht zurück! Die Hinrichtung des Tyrannen nennt dieser Dumouriez die Ermordung des Königs. Danton und Lacroix, die noch einmal als Kommissäre zu ihm eilen, kehren voll Zweifel zurück, selbst Danton zweifelt nun.
Drei jakobinische Missionare, Proly, Dubuisson, Pereira, eilen zu ihm, von der wachsamen Muttergesellschaft gesandt: sie sind sprachlos vor Staunen, als sie den General reden hören. Der Konvent besteht, nach diesem General, aus dreihundert Schurken und vierhundert Dummköpfen. Frankreich kann nicht sein ohne König. »Aber wir haben unseren König hingerichtet.« «Und was kümmert's mich,« schreit hastig Dumouriez, ein General, der nicht zurückhaltend ist, »ob des Königs Name Ludovicus oder Jacobus sei?« »Oder Philippus!« erwidert Proly, – und eilt, den Stand der Dinge zu berichten. Also solche Hoffnungen hegt man jenseits der Grenze!