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Was ist denn eigentlich dieses Ding, genannt Revolution, das wie ein Todesengel über Frankreich schwebt, ersäufend, füsilierend, kämpfend, Gewehre bohrend, Menschenhäute gerbend? La Révolution, das sind nur so und so viele Buchstaben, etwas, das man nirgends mit Händen greifen, in Schubladen und Fächer klassifizieren kann als: wo ist es, und: was ist es? Es ist der Wahnsinn, der im Menschenherzen wohnt, es ist in diesem Menschen und in jenem Menschen, als Wut oder Schrecken lebt es in jedes Menschen Herz. Unsichtbar, ungreifbar, und doch könnte kein schwarzer Azrael mit über einen halben Weltteil verbreiteten Flügeln, mit einem von Meer zu Meer fegenden Schwerte, eine wahrhaftere Wirklichkeit sein.
Das Gangwerk dieser revolutionären Regierung zu erklären, was man eben erklären nennt, sei nicht unsere Aufgabe. Ein Mensch kann es nicht erklären. Hier ein paralytischer Couthon, der bei Jakobinern Umfrage hält: »Was hast du gethan, um gehängt zu werden, wenn es etwa zu einer Contrerevolution kommen sollte?« – Dort ein finsterer, noch nicht sechsundzwanzig Jahre alter Saint-Just, der erklärt, daß »für Revolutionäre es keine Ruhe gebe als im Grabe.« Dann ein seegrüner Robespierre, verwandelt in Essig und Galle, noch viel mehr ein Amar und Vadier, ein Collot und Billaud. Und nun sollte man erforschen, welche Gedanken, Absichten und Aussichten in den Köpfen dieser Menschen gewesen sein mochten? Kein Bericht über ihre Gedanken ist auf uns gekommen, Tod und Dunkelheit haben alles verschlungen. Ja, wenn wir selbst ihre Gedanken hätten und alles, was sie artikuliert zu uns gesprochen haben könnten, welch unbedeutender Bruchteil wäre das von dem, was, auf ein Zeichen von ihnen, entstand! Wie es oft gesagt wurde: 404 diese Revolutionsregierung ist nicht eine sich selbst bewußte, sondern eine blinde, vom Schicksal getriebene. Jeder einzelne, eingehüllt in seine ihn umgebende Atmosphäre revolutionären fanatischen Wahnsinns, stürzt vorwärts, getrieben und wieder treibend, und wird zur blinden und brutalen Gewalt, für die es keine Ruhe giebt als im Grabe. Nacht und das Mysterium entsetzlicher Schrecknisse bedecken dieses Chaos für die Geschichte, wie sie das Chaos der Natur bedeckten. Wie die chaotische Gewitterwolke mit ihrem pechschwarzen Dunkel und ihrem Tumult von blendend gezackten Blitzen in einer ganz elektrischen Welt sich verhalten haben mag, wer wollte es unternehmen, dies nachzuweisen? Zu sagen, was die Geheimnisse ihres dunklen Schoßes waren, aus welchen Quellen, in welcher Weise die darin enthaltene Elektrizität hervorbrach, in verwirrender schrecklicher Helle, zerstörend und sich selbst zerstörend, bis alles endete? Und ist nicht die Vollendung des Sansculottismus eine solche Wolke, schwarz wie das natürliche Schwarz des Erebos, eine Wolke, die nach dem Willen der Vorsehung einmal sich zur Herrschaft und in den Azur erheben sollte? Es sei genug, wenn wir in dieser unterweltlichen Finsternis bemerken, wie dieser und jener blendende Feuerpfeil, blendende Feuerstrom, von schwachem Wollen und starker Notwendigkeit gezwungen, wirklich hervorbricht, in der und der Reihenfolge, so und so vernichtend, so und so sich selbst vernichtend, bis es endet.
Der Royalismus ist erloschen, »versunken,« wie man sagt, »im Schlamm der Loire;« der Republikanismus herrscht draußen und drinnen. Aber was bedeutet dann das am 15. März 1794? Da trifft ja urplötzlich, wirklich wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel, ein Verhaftsbefehl recht merkwürdige Opfer: Hébert vom Père Duchesne, den Buchhändler Momoro, den Schreiber Vincent, den General Ronsin, lauter hohe Cordeliersklub-Patrioten, rotmützige Magistrate von Paris, Vernunftanbeter, Commandeure revolutionärer Armeen! Vor acht Tagen nur ging es in ihrem Cordeliersklub noch laut zu, lauter als je, mit patriotischen Anklagen. Hébert vom Père Duchesne »hatte seine Zunge und sein Herz im Zaume gehalten diese letzten zwei Monate beim Anblick von Moderierten, Kryptoaristokraten, Camille Desmoulins und anderen scélérats im Konvente selbst; könnte sich aber nicht länger zurückhalten, und wollte, wenn es kein anderes Mittel gäbe, das geheiligte Recht der Insurrektion anrufen.« So hatte Hébert im Cordeliersklub gesprochen unter 405 gewaltigem Beifall und Hochrufen. Moniteur du 17 Ventôse (7. März) 1794. Vor acht Tagen nur, und jetzt! Sie reiben sich die Augen; aber es ist kein Traum, sie befinden sich wirklich im Luxembourg. Auch Gans Gobel und die Kirchenverbrenner. Chaumette selbst, der mächtige Procureur und Agent national, wie man jetzt sagt, der »die Verdächtigen schon am Gesicht erkennen konnte,« hat nur noch drei Tage; am dritten Tage wird auch er ins Gefängnis befördert. Recht niedergeschlagen, blaß betritt der Nationalagent diese Hölle, wohin er so viele gesandt hat. Gefangene umringen ihn spottend und höhnend, es sagt einer: »Erhabener Nationalagent, sieh uns hier vereint infolge deiner unsterblichen Proklamation: Ich bin verdächtig, du bist verdächtig, er ist verdächtig, wir sind verdächtig, ihr seid verdächtig, sie sind verdächtig!«
Was hat nun das zu bedeuten? Zu bedeuten! Es liegt eben ein Komplott dieser Gefangenen zu Grunde, ein außerordentlich weitverzweigtes Komplott, dessen Fäden jedoch Barrère in der Hand hat. Das Kirchenverbrennen, und solch skandalöse Maskeraden des Atheismus, was alles geeignet war, die Revolution verhaßt zu machen, wo konnte das seinen Ursprung haben, als im Golde Pitts? Ganz ohne Zweifel hat Pitt, wie widernatürliche Einsicht erkennen läßt, diese Partei der Enragés gedungen, ihre phantastischen Streiche zu spielen, in ihrem Cordeliersklub gegen Mäßigung zu brüllen, ihren Père Duchesne zu drucken, ihre himmelblaue Vernunft in roter Nachtmütze zu verehren, alle Altäre zu berauben, und uns die Leute zu bringen.
Noch weniger zu bezweifeln und dem bloßen leiblichen Auge sichtbar ist, daß der Cordeliersklub vor Zorn und Schrecken blaß dasitzt und »die Menschenrechte verschleiert hat;« doch nützt dies nichts. Auch ist nicht zweifelhaft, daß die Jakobiner in beträchtlicher Verwirrung sind, emsig beschäftigt, »sich zu reinigen, s'épurant,« wie sie's in Zeiten von Komplotten und öffentlicher Bedrängnis wiederholt zu thun hatten. Hat doch Camille Desmoulins Anstoß erregt, ja es erhob sich Gemurmel gegen Danton selbst, wenn er die Murrenden auch niederschrie und obgleich Robespierre die Sache beilegte, indem er »ihn auf der Tribüne umarmte.«
Wem soll die Republik und die eifersüchtige Muttergesellschaft trauen in diesen Zeiten der Versuchung, der widernatürlichen Einsicht! Denn es giebt Ausländerparteien, de l'étranger, 406 Parteien der Gemäßigten, der Rasenden, alle Arten Parteien, wir wandeln in einer Welt von Komplotten, wo Schlingen und tödliche Fallen mit der Lockspeise des Pittschen Goldes überall gelegt sind. Cloots, den sogenannten Sprecher der Menschheit mit seinen »Nachweisen über die mohammedanische Religion« und seinem Geplapper von einer Universalrepublik, ihn hat der unbestechliche Robespierre weggesäubert. Baron Cloots und der rebellische Schneider Paine liegen diese zwei Monate her im Luxembourg als Glieder der Partei de l'étranger, der Konventsrepräsentant Phélippeaux wird hinausgesäubert. Er kam zurück aus der Vendée mit einem ungünstigen Bericht gegen den Schurken Rossignol und gegen unsere Art der Kriegführung dort. Widerrufe, o Phélippeaux, wir bitten dich; Phélippeaux will nicht widerrufen und wird hinausgesäubert. Der Repräsentant Fabre de l'Églantine, der berühmte Namenerfinder für Rommes Kalender, wird hinausgesäubert, ja, ins Luxembourg geworfen unter der Anklage, als Gesetzgeber geschwindelt zu haben »in Bezug auf Gelder der indischen Compagnie.« Mit Chabot, Bazire und anderen, die des gleichen Verbrechens schuldig, mag dort Fabre sein Schicksal erwarten. Und Westermann. der Freund Dantons, der am 10. August die Marseiller anführte und gut gekämpft hat in der Vendée, aber nicht gut gesprochen hat über den Schurken Rossignol, wird hinausgesäubert. Ein Glück, wenn er nicht auch ins Luxembourg muß. Und die Proly, Guzman von der Ausländerpartei, sie sind dahin; Pereyra, obwohl er floh, ist dahin, ergriffen worden »als ein Koch eines Gasthauses verkleidet.« Ich bin verdächtig, du bist verdächtig, er ist verdächtig! –
Das große Herz Dantons ist dessen müde. Danton ist in sein heimatliches Arcis gegangen, um ein wenig Atem zu schöpfen in Frieden. Hinweg, schwarze Arachne-Spinngewebe, du Welt voll Raserei, voll Schrecken und Argwohn. Willkommen, du ewige Mutter Natur, mit deinem Frühlingsgrün, deiner traulichen Familienliebe und deinen Erinnerungen; treu bleibst du, wenn auch alles sonst untreu würde. Der große Titane wandelt schweigsam an den Ufern der murmelnden Aube, an den Stätten seiner Jugend, die ihn als Knaben kannten; sinnend wundert er sich, was das Ende von diesen Dingen sein werde.
Aber das Merkwürdigste von allem ist doch, daß Camille Desmoulins hinausgesäubert wird. Couthon stellte als Prüfstein bei der Säuberung der Jakobiner die Frage auf: »Was 407 hast du gethan, um gehängt zu werden, falls es zu einer Contrerevelution kommen sollte?« Und doch ist Camille, der diese Frage so wohl beantworten konnte, hinausgesäubert. Die Wahrheit ist, daß Camille im Beginn des letzten Dezembers angefangen hatte, ein neues Journal oder eine Reihe von Pamphleten herauszugeben unter dem Titel » Vieux Cordelier,« »der alte Cordelier.« Camille, der seiner Zeit nicht davor zurückschreckte, »die Freiheit auf einem Haufen Leichen zu umarmen,« fing jetzt an zu fragen, ob neben so vielen arretierenden und strafenden Komitees nicht auch ein »Komitee für Begnadigung« vorhanden sein sollte? Saint-Just, bemerkt er, ist ein äußerst feierlicher junger Republikaner, der »seinen Kopf trägt, als ob er ein heiliges Sakrament wäre,« eine anbetungswürdige Hostie oder die wirkliche Gegenwart Gottes! Scharf genug wirft dieser alte Cordelier – Danton und er waren unter den ersten Urcordeliers – seine blitzenden Kriegslanzen unter die neuen Cordeliers, die Hébert, Momoro, mit ihrer prahlenden Brutalität und Erbärmlichkeit; er ist dem Sonnengott vergleichbar (denn der arme Camille ist ein Poet), der sein Geschoß gegen den schlammgeborenen Drachen Python richtete.
Der hébertistische Python zischte und wand sich gar erschrecklich, wie natürlich, und drohte mit dem »heiligen Recht der Insurrektion;« – und kam, wie wir sahen, ins Gefängnis. Camille, mit all seinem alten Geschicke, seinem Witz und seiner leichten graziösen Schärfe, schneidet ins Fleisch selbst gegenüber dem »Gesetz der Verdächtigen,« und macht dieses Gesetz verhaßt, indem er Stellen »aus dem Tacitus vom Reiche des Tiberius« übersetzt. Zweimal in jeder Dekade kommen seine wilden Blätter heraus. Voll Witz und Humor, geistreich und einsichtig, eines der merkwürdigsten Phänomen jener dunklen Zeit, treffen sie in ihrer wildsprühenden Weise die verschiedenen Monstrositäten, Saint-Sakramentsköpfe und Jagernaut-Götzen. Zur großen Freude der Josephine Beauharnais und der anderen fünftausend Verdächtigen ungefähr, die die zwölf Arresthäuser anfüllen, und denen ein Hoffnungsstrahl aufdämmert! Robespierre, anfangs beistimmend, wußte schließlich nicht, was davon zu halten; dachte dann mit seinen Jakobinern, daß Camille ausgestoßen werden müsse. Ein Mann von echt revolutionärem Geiste, dieser Camille, aber unklug in seinen Ausfällen. Einer, den Aristokraten und Gemäßigte zu bestechen verstehen! Der Jakobinismus ist in der äußersten Krise und Not, ganz umstrickt von Komplotten, Bestechungen, 408 Halsstricken, Fallen und Lockspeisen Pitts, des ennemi du genre humain. Camilles erste Nummer beginnt mit »O Pitt!« Seine letzte ist datiert: 15. Pluviose Jahr 2 (3. Februar 1794) und schließt mit den Worten Montezumas. » Les dieux ont soif, es dürsten die Götter.«
Sei das nun, wie es will, die Hébertisten liegen nur etwa neun Tage im Gefängnis. Am 24. März fahren die Revolutionskarren eine neue Ladung durch den Tumult der Straßen: Hébert, Vincent, Momoro, Ronsin, neunzehn in allem, unter denen, merkwürdig genug, Clootz, der Sprecher des Menschengeschlechtes sich befindet. Das ganze bunte Gemisch wurde schnell auf einen Haufen geworfen und ist jetzt auf seinem letzten Weg. Keine Hilfe. Auch sie müssen »durch das kleine Fenster gucken,« auch sie »in den Sack niesen, éternuer dans le sac;« wie sie anderen thaten, so wird jetzt ihnen gethan. Sainte Guillotine, mir scheint, ist ärger als die alten Heiligen des Aberglaubens, ist ein Menschen verschlingender Heiliger. Clootz, noch mit einer Miene von feinem Sarkasmus, versucht zu scherzen, erfreuliche »Beweise für den Materialismus« anzuführen; er bat, zuletzt hingerichtet zu werden, »um gewisse Prinzipien festzustellen,« – woraus bis jetzt indessen die Philosophie keinen Nutzen gezogen hat. Auch General Ronsin blickt noch mit einer gewissen trotzigen, gebieterischen Miene um sich – die übrigen sind in regungslose, blasse Verzweiflung versunken. Momoro, armer Buchhändler, noch ist kein agrarisches Gesetz zustande gekommen. Man hätte dich gerade so gut hängen dürfen in Evreux, vor zwanzig Monaten, wo Girondist Buzot es verhinderte. Hébert vom Père Duchesne wird nie wieder in dieser Welt sich zum geheiligten Rechte der Insurrektion erheben. Da sitzt er, gedrückt, mit auf die Brust gesenktem Kopf; rote Nachtmützen schreien um ihn herum in fürchterlicher Parodie auf seine Zeitungsartikel: »Großer Zorn des Père Duchesne!« So gehen sie zu Grunde, der Sack nimmt alle ihre Köpfe auf. Durch einen Abschnitt der Geschichte eilen neunzehn gespenstische Schatten, winselnd und plappernd, bis Vergessenheit sie verschlingt.
Im Lauf einer Woche wird die revolutionäre Armee selbst aufgelöst, da ihr General eines der Gespenster geworden ist. Somit wäre denn auch diese Partei der Enragés vom republikanischen Boden hinweggesäubert, auch hier sind die Fallen Pitts unschädlich gemacht worden, und wieder ist Freude an der Tagesordnung über ein entdecktes Komplott. Die 409 Revolution verschlingt also wirklich ihre eigenen Kinder? Alle Anarchie ist ihrer Natur nach nicht allein zerstörend, sondern selbstzerstörend.