Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.
Der Verlierende bezahlt.

Der 6. November 1792 war ein großer Tag für die Republik: außerhalb, jenseits der Grenze; im Lande, im Saale der Manège. Außerhalb, denn Dumouriez, der die Niederlande überfallen hat, kam an diesem Tage in Berührung mit Sachsen-Teschen und den Österreichern. Dumouriez sowohl als sie mit weit ausgebreiteten Flügeln, in und um das Dorf Jemappes, nahe bei Mons. Und Feuerhagel pfeift weit und breit, grobes Geschütz und kleines spielt, so manche grüne Anhöhe wird versengt von rotem Feuer. Und Dumouriez wird zurückgeworfen auf diesem Flügel und auf jenem; und ist im Begriff ganz und gar zurückgeworfen zu werden, als er selbst in Person dahersprengt, der rasche Polymetis, ein oder zwei rasche Worte spricht und dann mit heller Tenorstimme »die Marseillaise anstimmt, entonna la Marseillaise,« Dumouriez, Mémoires, III, 174. worein zehntausend Tenor- und Baßstimmen einfallen, oder sagen wir bei vierzigtausend im ganzen, denn jedes Herz schlägt höher bei dem Liede. So sammelt man sich wieder unter der rhythmischen immer schneller werdenden 242 Marschmelodie, geht vor, stürzt todesmutig in den Menschen verschlingenden Kampf, nimmt Batterien, Redouten, was nur zu nehmen ist, und fegt wie ein feuriger Wirbelwind alle Gattungen von Österreichern vom Kampfplatze weg. So kann man wohl, bildlich sprechend, sagen, Rouget de Lisle hat durch Dumouriez in wunderbarer Weise, wie ein zweiter Orpheus, mit seinen Marseiller Fiedelsaiten ( fidibus canoris) einen Sieg von Jemappes errungen und die Niederlande erobert.

Der junge General Égalité, scheint es, zeichnete sich bei dieser Gelegenheit durch Tapferkeit aus. Ohne Zweifel ein tapferer Égalité – von dem jedoch Dumouriez wohl öfter spricht als nötig wäre. Die Muttergesellschaft hat ihre eigenen Gedanken darüber. Was den älteren Égalité anbelangt, so nimmt er jetzt gerade keinen hohen Flug, erscheint im Konvent etwa eine halbe Stunde täglich, mit rotem, zerstreutem oder gleichgültigem, halb verächtlichem Gesicht, und macht sich wieder fort. Moore, II, 148. Die Niederlande sind erobert, zum mindesten niedergeschlagen. Jakobiner Missionäre, die Prolys, Pereiras, folgen dem Zuge der Armeen, auch Konventkommissäre, um Kirchengeräte einzuschmelzen, alles zu revolutionieren und umzugestalten – darunter Danton, der in kurzer Zeit ungeheuer viel Geschäfte abmacht, dabei, wie man denkt, seinen eigenen Lohn und Handelsprofit nicht vergessend. Hassenfratz verschwendet zu Hause, Dumouriez murrt und man verschwendet draußen: gesündigt wird drinnen und draußen.

Aber im Konventssaale ging um dieselbe Stunde, wo dieser Sieg von Jemappes errungen ward, eine andere Sache vor sich, die lange Berichtsverlesung der eigens dafür ernannten Kommission über die Verbrechen König Ludwigs. Die Galerien lauschen atemlos – seid getrost, ihr Galerien, der Berichterstatter Deputierter Valazé hält Ludwig für sehr verbrecherisch und meint, daß Ludwig nötigenfalls vor Gericht gestellt werden sollte. Armer Girondist Valazé, der wohl eines Tages selber vor Gericht kommen wird. Für jetzt hat's zwar keine Gefahr, ja, es kommt ein zweiter Berichterstatter der Kommission, der Deputierte Mailhe, mit einem juristischen Nachweise, der recht langweilig zu lesen ist jetzt, sehr erfreulich zu hören damals, und darauf hinausläuft: daß nach Landesrecht Louis Capet nur unverletzlich genannt wurde in rhetorischer Ausdrucksweise, daß er im Grunde aber vollkommen verletzlich und dem Gericht unterworfen sei, und 243 daß er gerichtet werden könne, ja sogar gerichtet werden müsse. Diese Frage betreffend Ludwig, die so oft als eine ärgerliche, ungewisse Möglichkeit auf- und wieder untertauchte, ist jetzt in greifbarer Gestalt aufgetaucht.

Patriotismus heult vor Schadenfreude. So wird denn das sogenannte Reich der Gleichheit nicht ein bloßer Name sein, sondern eine Thatsache. Louis Capet richten oder nicht? ruft der Patriotismus voll Hohn. Gemeine Verbrecher kommen an den Galgen eines Taschendiebstahls wegen, und hier haben wir einen vornehmen Hauptverbrecher, der ganz Frankreich stahl, der es zerriß mit Parzenschere und Bürgerkrieg, dessen Opfer, »zwölfhundert allein am 10. August,« tief drunten in den Katakomben liegen, oder die Pässe im Argonnerwald, die Erde bei Valmy und in der Ferne so manches Feld düngen! Er, der ärgste aller Verbrecher, sollte nicht einmal vor Gericht erscheinen müssen? – Ach, Patriotismus! Laß uns hinzufügen, daß es von jeher hieß: Der Verlierende bezahlt! Alle Schulden muß er bezahlen, wer immer sie gemacht hat, auf ihn müssen Schaden und Unkosten fallen, und die zwölfhundert vom 10. August sind keine verräterischen Rebellen, sondern Opfer und Märtyrer; so spricht das Recht bei solchem Streit.

Ohne viel zu bedenken, wacht also der Patriotismus über den Prozeß, der nun glücklich aufgetaucht ist in greifbarer Gestalt, und den der Patriotismus, wenn's die Götter erlauben, durchgeführt sehen will. Mit scharfer Besorgnis wacht er, immer schärfer bei jeder neuen Schwierigkeit, da Girondisten und falsche Brüder neuen Verzug veranlassen; bis er endlich wie besessen wird von einer fixen Idee, und diesen Prozeß und kein irdisch Ding anstatt dessen haben will – wenn Gleichheit nicht ein bloßer Name sein soll. Das Verlangen nach Gleichheit, ferner der Skeptizismus des Schreckens, die Wut des Sieges, das erhabene Schauspiel für den Erdkreis: all dies ist von starker Wirkung.

Aber ist diese Frage betreffend den Prozeß nicht wirklich für alle eine höchst ernste, den Kopf so manches Konventsmitgliedes mit Zweifeln erfüllende? Königsmord? fragt der respektable Sinn der Gironde. Einen König töten und der Abscheu respektabler Völker und Menschen werden? Und anderseits einen König verschonen, beim entschiedenen Patrioten allen Boden verlieren, wo der unentschiedene Patriot, sei er auch noch so respektabel, bloß hypothetischer Schlamm und kein fester Boden ist? Das Dilemma drängt beängstigend, 244 und zwischen seinen scharfen Spitzen windet man sich hin und her. Entschiedenheit giebt's nirgends als bei der Muttergesellschaft und deren Söhnen. Die haben entschieden und gehen drauf los; die anderen drehen und wenden sich ängstlich und rücken nach keiner Richtung weiter.

 


 << zurück weiter >>