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Andrew Carnegies (englische Aussprache: Karneggi) Selbstbiographie ist im Sommer 1920, gerade ein Jahr nach dem Tode des Dreiundachtzigjährigen, mit einem Vorwort seiner Gattin in einer von Professor John C. Van Dyke in Neuyork besorgten Ausgabe erschienen. Autobiography of Andrew Carnegie. XII, 385. Boston and New York, Houghton Mifflin Company 1920.
Carnegies Leben und Wirken ist so ungewöhnlich und inhaltreich, seine Persönlichkeit so eigengeprägt und seine Art, zu erzählen, so anziehend, daß es verdienstlich erscheint, das Buch dem deutschen Publikum auch in seiner Sprache zugänglich zu machen.
Das Schicksal, das dieser Mann sich schmiedete, klingt wie ein Märchen: der arme schottische Junge, dessen Eltern sich zur Auswanderung das Geld für die Überfahrt leihen müssen, wird zum mächtigen Stahlkönig Amerikas, der über unermeßliche Reichtümer verfügt, sich aber nicht mit deren Besitz begnügt, sondern seinen weiteren Lebenszweck darin sieht, seinen Reichtum planmäßig für die Förderung Anderer und den Fortschritt der Menschheit zu verwenden. Es klingt wie im Märchen, daß aus dem Fabrikburschen, dem schon der Aufstieg zum Depeschenboten wie ein Eintritt ins Paradies vorkommt, ein Mann wird, der mit den höchsten Staatsmännern und hervorragenden Geistesgrößen Englands und Amerikas als guter Freund verkehrt und als Gast des deutschen Kaisers in Kiel weilt.
Und das alles hat er – freilich auch vom Glück begünstigt – durch eigene Kraft erreicht. Seine Persönlichkeit ist nicht minder interessant als sein Lebensschicksal. Rastlos hat er nicht nur an seinem Lebenswerk, sondern auch an sich selbst gearbeitet. Er war nicht frei von kleinen Schwächen und kräftigen Einseitigkeiten. Aber seine große Güte und Gerechtigkeit, sein tiefes Gemüt, sein Frohsinn, sein Optimismus und Idealismus machen ihn menschlich liebenswürdig, seine praktische Klugheit und seine Lebensweisheit sind überraschend, die Weite seines Gesichtskreises und seiner Interessen und die Höhe seiner Ziele und Ideale sind ungewöhnlich: und bei und über dem allen eine starke, zähe Energie.
Zur Charakteristik der Persönlichkeit Carnegies seien hier zwei Urteile kluger Männer, die ihm persönlich nahe gestanden haben, aus den Anmerkungen der amerikanischen Ausgabe des Buches herausgehoben. John Morley sagt in seinen Recollections (Neuyork 1919, S. 110 u. 112): »Mr. Carnegie hat seine Originalität, seine geistige Begabung und seinen kühnen und starken Charakter bei der Verteilung seines Reichtums ebenso, ja in noch höherem Maße bewiesen, als bei seinem geschickten und vorsichtigen Erwerb desselben … Seine außerordentliche Geistesfrische ließ Matthew Arnold, Herbert Spencer, mich und andere leicht über die gelegentliche Unreife und Übereiltheit seiner Urteile hinwegsehen … Denn das wiegt gering gegenüber seinem weiten Gesichtskreis für alle großen Fragen des Lebens und Geschehens, seinem lebhaften Interesse für die Wissenschaft und ihre Verbreitung, für Erfindungen und Fortschritte, für die Verbesserung der sozialen Verhältnisse und die Forderung: Freie Bahn dem Tüchtigen! und gegenüber seinem begeisterten Eintreten für den Friedensgedanken. Das alles sind glanzvolle Seiten seines Wesens; den kleinen Anflug von Überschwenglichkeit wird man gern mit in Kauf nehmen … Er war ein Mann von hoher, weitreichender und wohlverdienter Bedeutung für seine Generation.« Und Richard Watson Gilder sagt in einem seiner Briefe ( Letters, ed. by his daughter, Neuyork 1916, S. 375): »Carnegie ist wirklich eine imponierende Persönlichkeit: lebendig, willensstark, großzügig, eigengeprägt, manchmal seine Überzeugung anderen fast grausam aufzwingend, dann wieder zartfühlend, gütig und liebevoll, empfindsam, immer voller Einfälle, außergewöhnlich und weitschauend in seinen Plänen … Leidenschaftlich strebt er nach manchmal zwar etwas phantastischen, aber hochgesteckten Zielen, wie der Verbrüderung der Menschheit, dem Völkerfrieden und dem religiösen Fortschritt.« Vgl. auch das Urteil Elihu Root's S. 186, Anm. 2.
Der Eigenart seiner Persönlichkeit entspricht die frische, offene, gemütvolle und kluge, trotz mancher behaglichen Breite stets anziehende Art, in der Carnegie sein Leben erzählt. Liebevoll geschilderte Familienidylle stehen neben kühlen Berichten über die Eisenindustrie und finanzielle Transaktionen. Prächtig sind die zahlreich eingeflochtenen, aus seiner Geschäftserfahrung und Lebensklugheit geschöpften Lebensregeln, die sich geradezu zu Sinn- und Denksprüchen eignen. Stets treffende Anekdoten sind seine besondere Liebhaberei. Das Köstlichste ist der goldene Humor, der das Ganze durchzieht, ein Humor, der nicht drastische Wirkungen sucht, sondern ein stilles feines Lächeln hervorruft. Manches wird dem deutschen Leser vielleicht fremdartig erscheinen, so das Zurschautragen der eigenen Bescheidenheit, die stereotypen und überschwenglichen Freundschaftsversicherungen, Anklänge an das, was man den »Cant« nennt – man bedenke, daß das Buch von einem schottischen Amerikaner geschrieben ist, und freue sich, diese andere Art in solch liebenswürdiger Gestalt kennenzulernen. Wie mir überhaupt die Bedeutung dieses Buches für den deutschen Leser nicht zum wenigsten darin zu liegen scheint, daß es auf leichte Weise einen charakteristischen Einblick in das amerikanische Wesen und Leben gewährt.
So wendet sich das Buch, seiner Vielseitigkeit entsprechend, an einen bunten Leserkreis. Es wird jeden aufstrebenden Jungen begeistern, den Kaufmann, den Fabrikanten und den Großfinanziellen ebenso interessieren wie den Arbeiter, es wird für den Jugenderzieher, den Volksfreund, den Philanthropen, jeden sozial Interessierten von Bedeutung, für den Memoirenliebhaber ein Gegenstand besonderer Freude sein. – –
Über die Entstehungsgeschichte des Werkes berichtet Mrs. Louise Whitfield Carnegie in ihrem Vorwort, das wir zum passenden Abschluß und Ausklang der Selbstbiographie ihres Gatten verwendet haben (s. S. 224). Carnegie hat seine Erinnerungen nicht im Zusammenhang, sondern immer nur gelegentlich, besonders während des Sommeraufenthalts in der Stille des schottischen Hochlandes, in den Jahren seit seinem Rücktritt vom Geschäft (1901) bis zum Kriegsausbruch 1914 stückweise niedergeschrieben und immer wieder Ergänzungen und Nachträge beim Durchlesen des bereits Geschriebenen eingefügt. So ist das Buch nicht aus einem Gusse. Das hat zur Folge, daß es manche Wiederholungen aufweist, daß das Ganze nicht planmäßig angelegt und die zeitliche Reihenfolge nicht streng eingehalten ist, und daß Partien, die eigentlich zusammengehören, an mehreren Stellen zerstreut stehen. Dieser Nachteil wird aber dadurch mehr als ausgeglichen, daß die Darstellung eben infolge ihrer Entstehungsweise den großen Reiz des Unmittelbaren, des völlig Unbeabsichtigten besitzt. Carnegie hat bei seiner Niederschrift nicht beabsichtigt, ein Buch für die Öffentlichkeit zu schreiben. Er hat nur, wie ein im Vorwort seiner Gattin erwähntes Vorsatzblatt zum Manuskript beweist, an die Möglichkeit gedacht, daß sich daraus »wahrscheinlich ein kleines Bändchen ausziehen läßt, das für das große Publikum von Interesse sein könnte, während für meine Angehörigen und Freunde ein umfangreicherer Band am Platze wäre, der dann freilich für das große Publikum kaum taugen würde. Vieles an dem, was ich von Zeit zu Zeit niedergeschrieben habe, kann ruhig ausgelassen werden.«
Der amerikanische Herausgeber Prof. Van Dyke hat trotzdem seine Aufgabe so aufgefaßt, daß er Carnegies Niederschrift im wesentlichen unverändert an die Öffentlichkeit gebracht hat. Glücklicherweise! Denn ein Exzerpt könnte kaum den Reiz des Originals besitzen. In seinem Vorwort zur amerikanischen Ausgabe sagt er: »Bei der Vorbereitung dieser Blätter für die Veröffentlichung hat der Herausgeber kaum mehr getan, als den Stoff in zeitlicher und logischer Folge so zu ordnen, daß die Erzählung ohne Unterbrechung sich abwickelt, sowie einige Anmerkungen zur Erläuterung beizufügen.«
Die deutsche Ausgabe, der eine von Prof. I. A. Sauter besorgte Übersetzung zugrunde liegt, hat die Eigenart des Originals nach Möglichkeit zu bewahren gesucht. Im einzelnen sind manche für das Ganze unwesentliche Personalien und Details, die den deutschen Leser nicht interessieren können, weggelassen worden. Die redaktionelle Arbeit des amerikanischen Herausgebers ist unserseits da, wo es geboten schien, fortgesetzt worden; um das Zusammengehörige zusammen und manches Stück an seine richtige Stelle zu bringen, sind wir auch vor einer Umstellung ganzer Seiten nicht zurückgescheut; auch die Kapiteleinteilung ist mehrfach geändert worden. Doch sind das rein formale Verbesserungen, die auf den Inhalt und die Art der Selbstbiographie ohne jeden Einfluß sind.
Ein wesentlicher Unterschied der deutschen von der amerikanischen Ausgabe besteht nur darin, daß von den acht letzten Kapiteln, in denen Carnegie seine Erinnerungen an hervorragende Männer des geistigen und politischen Lebens erzählt, nur dasjenige über den deutschen Kaiser von uns als Ganzes gebracht wird, die anderen sieben Kapitel hingegen nur in einem mosaikartig aus dem Texte Carnegies zusammengestellten Auszuge behandelt und in unseren zwei Kapiteln: »Im Kreise der Freunde und Bekannten« und »Erinnerungen an berühmte Staatsmänner« zusammengefaßt sind. Bei dieser auszugsweisen Behandlung haben wir alles das, was Carnegie über seine persönlichen Beziehungen zu jenen Männern berichtet, beibehalten und nur die allgemeinen Ausführungen, die er über sie bietet, fortgelassen. Durch diese Ausscheidung einer Menge von Einzelstoff, der dem Interessekreis des deutschen Lesers doch schon ferner liegt, ist eine nicht unerhebliche Verminderung des Umfangs und damit des Preises des Buches erreicht worden, ohne daß das Lebensbild Carnegies dadurch irgend etwas an Inhalt oder Farbe verloren hätte.
Die Anmerkungen des amerikanischen Herausgebers sind, soweit sie stoffliche Ergänzungen der Darstellung Carnegies bieten, zumeist [in eckigen Klammern] in den Text aufgenommen, soweit sie aber nur in Amerika interessierende Details enthalten, weggelassen worden; die als Fußnoten beibehaltenen sind zur Unterscheidung von denen des deutschen Herausgebers durch den Zusatz »Van Dyke« gekennzeichnet.
Für die deutsche Ausgabe erschien eine reichliche Beifügung von erläuternden Anmerkungen betreffend die von Carnegie erwähnten Personen, historischen Ereignisse usw. erwünscht, um das Verständnis des Inhaltes zu erleichtern und zu beleben. In den Fällen, wo solche Erläuterungen vermißt werden, wird das Register meist Hilfe bieten, indem es unter dem betreffenden Stichwort entweder selbst Auskunft erteilt oder durch ein Sternchen (*) auf diejenige Stelle hinweist, an der die gewünschte Erläuterung zu finden ist.
Runde Klammern im Text umschließen solche Stellen, die Carnegie selbst in Klammern gesetzt hat. Eckige Klammern zeigen an, daß es sich um Einschaltungen der Herausgeber handelt.
Da Carnegie sich bei der Erzählung seiner Erinnerungen nicht streng an die zeitliche Reihenfolge hält, genügen die im Inhaltsverzeichnis zusammengestellten Kapitelüberschriften nicht, um einen klaren Überblick über die Einzelheiten seines Lebensganges zu gewähren. Wir haben deshalb eine chronologische Übersicht in einem besonderen » Schlüssel« beigefügt, der zugleich den biographischen Inhalt des Buches erschließt und dem Leser zur Orientierung dienen mag.
Leipzig, im September 1921.
Prof. Dr.
Johannes Werner.